Sie riechen, die Reichen

Ungleichheit Die GroKo tüftelt an Entlastungen herum, die Arbeitgeber wollen uns lächeln sehen. Na und? Was wir brauchen, ist nur dies: das Ende des Rentier-Kapitalismus
Ausgabe 04/2018
Ein Bild von einem Rentier: Dagobert Duck
Ein Bild von einem Rentier: Dagobert Duck

Foto: Peter Bischoff/Getty Images

Bürgerinnen und Bürger, atmen Sie auf! Die Möglichkeit einer Koalition aus Union und SPD besteht fort, und mit ihr die Chance auf „Entlastung“: 408 Euro pro Jahr hätte jeder Haushalt im Schnitt mehr zur Verfügung, würde eine schwarz-rote Bundesregierung die Pläne aus ihrem Sondierungspapier umsetzen: So haben es das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung und das Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit berechnet. Grünen-Anhänger würden für die erneut entgangene Regierungsbeteiligung fürstlich entschädigt – mit 577 Euro profitierten sie am meisten, noch vor FDP-Fans mit 527, Unions-Nahen mit 398, AfD-Publikum mit 371, Sozialdemokraten mit 369 und Linken-Unterstützern mit 356 Euro Entlastung.

Vielleicht ist in den Koalitionsverhandlungen ja noch mehr drin als die Erhöhung der Soli-Freigrenze und des Kindergeldes oder die Beitragssenkung zur Arbeitslosenversicherung! Im Internet sammelt die Lobby der Arbeitgeber, die „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“, schon eifrig Unterstützer: „Dein Gesicht auf Deutschlands größter Fotowand im Herzen Berlins! Die Steuern müssen runter. Entlastung jetzt!“

Im Ernst: Lassen Sie sich nur bloß nicht fotografieren! Außer, Sie wollen sich für ein Verständnis von Politik einspannen lassen, das Bürger rein als nutzenmaximierende Individuen begreift und Wähler als bloße Konsumenten. 577 Euro – das reicht für Hin- und Rückflug nach New York, und ein verlängertes Wochenende dort ist natürlich auch eine Möglichkeit, sich vom zentralen Problem dieser Zeiten abzulenken, welches der britische Ökonom Guy Standing auf socialeurope.eu wie folgt beschrieben hat: „Die durchschnittlichen Reallöhne stagnieren oder sind sogar rückläufig. Heute häuft eine winzige Minderheit von Menschen und Unternehmen einen gigantischen Reichtum an, und zwar nicht durch ‚harte Arbeit‘ oder produktive Tätigkeit, sondern durch sogenannte Renteneinkommen.“ Als Quellen jener Renteneinkommen nennt Standing unter anderem: Grund und Boden, Häuser, Rohstoffe, Finanzinvestitionen, Schuldzinsen, Erträge aus „geistigem Eigentum“.

Neue Zahlen aus der Gegenwart dieses zerstörerischen Rentier-Kapitalismus hat gerade die Nichtregierungsorganisation Oxfam vorgestellt: 82 Prozent des 2017 erwirtschafteten Vermögens sind demnach „in die Taschen des reichsten Prozents der Weltbevölkerung geflossen“, zwischen 2016 und 2017 erhielt der Club der Millionäre alle zwei Tage Zuwachs um ein weiteres Mitglied, es gibt nun 2.043 Milliardäre, ein Rekordhoch. „Die 40 reichsten Deutschen verfügen über ebenso viel Vermögen wie die ärmere Hälfte der Bevölkerung.“

Wem das zu viele Zahlen sind, der kann Schlagzeilen aus jüngster Vergangenheit lesen: Hamburgs SPD-Finanzsenator hat ein Jahr verstreichen lassen, bevor er die Warburg Bank zu Rückzahlungen wegen Cum-Ex-Betrügereien, also wegen des größten Steuerskandals der deutschen Nachkriegsgeschichte, aufforderte. Dem Vernehmen nach geht es um 190 Millionen Euro, eine Verjährung stand im Raum, der Bund musste Hamburg zwingen, das Geld noch rechtzeitig einzufordern.

Davos: Nur mit Moos

Und im nun Schwarz-Gelb regierten Nordrhein-Westfalen wechseln gerade zwei der erfolgreichsten Steuerfahnder der Republik zur Privatwirtschaft, weil der Landesregierung nichts an ihrem Kampf gegen Steuervermeidung zu liegen schien.

Derweil treffen sich in Davos Vertreter jener winzigen Minderheit an Rentieren mit den Chefs von Staaten und Institutionen; das Weltwirtschaftsforum will zu „einer besseren Welt“ beitragen, an einer „gemeinsamen Zukunft in einer zerklüfteten Welt“ mitwirken, Zusammenarbeit fördern.

Doch es ist aus mit der Zusammenarbeit. Die Reichen sind das Problem. Wer ihren Überfluss an Grund und Boden, Häusern und Kapitalrenditen nicht schmälert, um ihn umzuverteilen, der hat kein Interesse am Fortbestand der Demokratie. Wer den Ablenkungsmanövern von der Entlastung einer ominösen Mittelschicht auf den Leim geht, wird die Spaltung nicht aufhalten. Wer ohne Forderung nach einer Abgabe auf alle Formen von Renteneinkommen in den Wahlkampf zu ziehen gedenkt, hat als linke Kraft ausgedient.

„Das verdiente Ende des Rentiers“, schreibt Guy Standing, sei eine große Herausforderung – aber eine zu bewältigende.

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Geschrieben von

Sebastian Puschner

Stellvertretender Chefredakteur und Ressortleiter „Politik“

Sebastian Puschner studierte Politik-, Verwaltungswissenschaften und Philosophie in Potsdam und wurde an der Deutschen Journalistenschule in München zum Redakteur ausgebildet. Bei der taz arbeitete er als Redakteur im Berlin-Ressort. 2014 wechselte Sebastian Puschner zum Freitag, wo er den monatlichen Wirtschaftsteil mit aufbaute. Seit 2017 ist er verantwortlicher Redakteur für Politik, seit 2020 stellvertretender Chefredakteur. Er interessiert sich besonders für Politik und Ökonomie von Hartz IV bis Cum-Ex sowie für Fragen zu Geopolitik, Krieg und Frieden.

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