Ob Yanis Varoufakis tatsächlich Recht behält? „Europa wird sich des üblichen Kniffs bedienen“, sagte der griechische Finanzminister ganz am Ende seiner Pressekonferenz am Montagabend in Brüssel, im Anschluss an das gescheiterte Treffen der Euro-Finanzminister: „Aus einer nur scheinbar ausweglosen Situation heraus wird Europa eine gute, eine ehrenhafte Übereinkunft erzielen.
So ausweglos schien die Situation am Montagnachmittag tatsächlich nicht zu sein, trotz des schon Ende Februar auslaufenden Finanzprogramms für Griechenland und der weit auseinander liegenden Positionen, wie es danach weitergehen soll, stets vor der Drohkulisse der Berichte von Griechen und Griechinnen, die in Scharen ihr Geld von den Bankkonten abheben. Dass die Positionen der griechischen Syriza-Regierung auf der einen und der Geldgeber insbesondere aus der Eurozone auf der anderen Seite weit auseinander liegen, war beim Ad-Hoc-Treffen vergangene Woche mehr als klar geworden. Griechenland will ein kurzfristiges Übergangsprogramm, das Kredite gewährt, ohne soziale Härten wie die weitere Kürzung der Renten besonders armer Bürger, zu diktieren. Berlin und die übrigen Eurostaaten wollen, dass alles so bleibt wie bisher – die neu gewählte Regierung soll um die Fortsetzung eines Programmes bitten, für dessen Beendigung sie gewählt worden ist und das sie, so Varoufakis, in dreifacher Hinsicht für gescheitert hält: Es habe Griechenland nicht stabilisiert, eine humanitäre Krise ausgelöst und die Einleitung tatsächlich notwendiger Strukturreformen schwerer denn je gemacht.
Griechenlands Ministerpräsident Alexis Tsipras und Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem hatten sich schließlich zumindest auf technische Gespräche von Bürokraten beider Seiten geeinigt, die Einvernehmen über die volkswirtschaftlichen Kennzahlen der Situation in Griechenland herstellen sollten – sie fanden am Freitag und Samstag statt.
Die Rolle Moscovicis
Nach Varoufakis Schilderung habe er dann am Montagnachmittag, kurz vor Beginn des Treffens der Euro-Finanzminister, einen Entwurf für eine gemeinsame Erklärung vorgelegt bekommen, den er nicht nur sofort unterzeichnen wollte, sondern auf den die griechische Regierung noch freiwillige Zusicherungen draufgeben wollte, allen voran, auf die Umsetzung von Wahlkampfversprechen ohne Rücksprache mit den Gebern für die Laufzeit des Übergangsprogramms bis in den Sommer zu verzichten. Der Entwurf kam von EU-Wirtschafts- und Währungskommissar Pierre Moscovici und kursiert auf Twitter.
Schon bei den Pressestatements vor Beginn der Verhandlungen am Montag schlug der Kommissar den noch am ehesten kompromissbereiten Ton an. Tatsächlich ist die Rolle eines versöhnlichen Mittlers in der verfahrenen Situation am ehesten noch Moscovici zuzutrauen, dem französischen Sozialisten, der in Widerstand zur Austeritätshörigkeit der Pariser Regierung unter François Hollande aus selbiger ausschied und wenig später ins Brüsseler Kabinett Jean-Claude Junckers einzog. Ist da einer mit Siebenmeilenstiefeln unterwegs, um auf strategisch einflussreicherer Position als der des französischen Wirtschaftsministers am Post-Merkel-Europa zu arbeiten?
Wenn, dann ist Moscovici damit am Montag erst einmal gescheitert. Eurogruppenchef Dijsselbloem zog laut Varoufakis im Laufe der Sitzung ein anderes Papier hervor, das die griechische Regierung noch während der Sitzung in Medien als unakzeptabel bezeichnete. Auch dieses Papier wurde via Twitter gepostet.
Privatsierungen und Arbeitsmarktreformen
Entscheidende Textbausteine unterscheiden sich fundamental vom Moscovici-Entwurf: Es rückt etwa die von EU-Kommission, Internationalem Währungsfonds und Europäischer Zentralbank erhobenen Forderungen nach Privatisierungen, Renten- und Arbeitsmarktreformen in den Stand nicht verhandelbarer Programmbestandteile und lässt der Syriza-Regierung erkennbar weniger Spielraum, Maßnahmen zu beenden, die sie für schädlich für die griechische Volkswirtschaft hält. In der Vergangenheit hatte der griechische Staat etwa Anteile an einer Lottogesellschaft an Oligarchen verscherbelt, die zuvor 200 Millionen Euro pro Jahr in die Staatskasse gespült hatten.
Vor allem aber sah das Angebot Dijsselbloems – von dem man annehmen kann, dass es mindestens den Segen Wolfgang Schäubles und Angela Merkels hat – vor, die strengen Vorgaben beizubehalten, die von Griechenland in diesem Jahr einen Primär-Haushaltsüberschuss von drei Prozent verlangen – drei Prozent mehr Einnahmen als Ausgaben also vor Leistung des Schuldendienstes. Ein No-Go für Syrizas Ökonomen: Für sie beschneidet diese Forderung mit am meisten die Möglichkeiten der griechischen Regierung, die faktisch anhaltende Rezession zu überwinden und die grassierende Arbeitslosigkeit zu reduzieren. Letztendlich beschränkte sich die von Dijsselbloem offerierte Kompromissbereitschaft auf eine Fristverlängerung: Griechenland dürfe jetzt bis Freitag um die Verlängerung des Hilfsprogramms bitten; eigentlich war der Montag die Deadline hierfür.
Krugmans böse Ahnung
Entweder, schlussfolgert der US-Ökonom Paul Krugman, die Euro-Finanzminister seien Dummköpfe, die die aktuelle Situation nicht verstünden. Oder, und Krugman tendiert zu dieser Lesart, in Brüssel und Berlin seien die Würfel gefallen: Der Grexit muss Realität und Athen zum abschreckenden Beispiel werden, um die Unzerbrechlichkeit des Austeritätsdogmas gegenüber allen Mitgliedsstaaten der Eurozone zu demonstrieren. Zerbrechen muss dafür die Eurozone, zum Preis einer Ausweitung der humanitären Krise in Griechenland in bisher ungeahnte Dimensionen.
Dies würde zur Strategie der Bundesregierung passen, die unmittelbar vor der griechischen Parlamentswahl im Spiegel lanciert hatte, dass sie ein Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro für verkraftbar halte. Seitdem sekundieren Medien vor allem in Deutschland, der Grexit sei verkraftbar, die Märkte würden die Euro-Zone nicht in neue, zusätzliche Turbulenzen stürzen. Die FAZ informierte ihre Leser gar, wie Anleger mit einem Austritt Griechenlands umgehen sollten und ob sich damit womöglich sogar Spekulationsgewinne erzielen ließen.
Doch Stimmen, die einen Austritt für verkraftbar oder sogar wünschenswert halten, gibt es auch in Griechenland. Zwar hatten Umfragen zuletzt immer wieder große Mehrheiten in der Bevölkerung für einen Verbleib in der Eurozone gezeigt. Doch innerhalb der Regierungspartei Syriza glaubt eine Linksaußen-Fraktion um Energieminister Panayiotis Lafazanis und den Abgeordneten Costas Lapavitsas nicht, dass die Verhandlungsreisen von Ministerpräsident Alexis Tsipras und Finanzminister Varoufakis nach Brüssel und in die anderen europäischen Hauptstädte etwas bringen werden: Sie halten es für eine Illusion, dass mit den Eurostaaten, der EU-Kommission, dem Internationalen Währungsfonds und der Europäischen Zentralbank noch eine Partnerschaft möglich ist, die an der sozialen Situation der Griechen und Griechinnen irgendetwas verbessert.
(Un)eigennützige Motive
Finanzminister Varoufakis hatte am Montag einen Beitrag in der New York Times veröffentlicht, in dem er sich gegen den Vorwurf wehrt, die Praxis als Minister mit der Theorie seines akademischen Vorlebens zu verwechseln; Spezialgebiet des Ökonomen Varoufakis ist die Spieltheorie. Doch wenn er eines aus seiner Beschäftigung damit gelernt und seinen Studierenden nahezubringen versucht habe, bekräftigte Varoufakis am Montagabend in Brüssel, dann dass die Grundannahmen der Spieltheorie unrealistisch seien: Akteure hätten eben keine starren, unveränderlichen und ausschließlich eigennützigen Motive. Er glaube fest daran, dass alle in der Eurogruppe fähig und willens seien, eigennützige Motive beiseite zu legen und Europas Zukunft als gemeinsame Perspektive anzunehmen. Und weiter: „Das ist kein Spiel. Wir haben kein Recht, mit der Zukunft Europas Spiele zu spielen“.
Es ist zu wünschen, aber mit heutigem Stand nicht unbedingt anzunehmen, dass Varoufakis damit Recht behält.
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