Nur ein Finanzminister hat es in Deutschland bisher an die Spitze der Regierung geschafft, und das ist 44 Jahre her; um es Helmut Schmidt gleichzutun, verfolgt Olaf Scholz gegenwärtig eine Strategie, die so abwegig nicht ist: Er betont lächelnd, dass es zwischen seiner Politik und der seines Vorgängers Wolfgang Schäuble keinen Unterschied gibt, stellt deutsche Interessen über Zugeständnisse an Europa, präsentiert sich als Mann der schwarzen Null und exekutiert damit genau die Art von Finanzpolitik, mit der in Deutschland seit vielen Jahren Mehrheiten errungen werden. Schäuble als Nachfolger Angela Merkels: Das blieb stets nur ein Szenario. Zieht sich die Kanzlerin nach dieser Legislaturperiode zurück, warum sollte nicht Scholz sie beerben –
211; als bewährter Garant von CDU-Finanzpolitik?Es fällt freilich schwer, sich die heutige 20-Prozent-SPD als Kanzlerpartei und Scholz als populären Kandidaten vorzustellen. Sein erster Haushaltsentwurf als Bundesfinanzminister aber scheint genau von solch einer Vorstellung geprägt. 341 Milliarden, 356, 361, 363, 368 Milliarden Euro: Auf Einnahmen- und Ausgabenseite steht in der Finanzplanung für die Jahre von 2018 bis 2022 stets die gleiche Ziffer, als oberste Prämisse weist die dazugehörige Meldung des Ministeriums „Keine neuen Schulden“ aus, erst dann folgen die Worte „Mehr Investitionen in Zukunft und sozialen Zusammenhalt“.Es bröselt allenthalbenTatsächlich sinken die Investitionen des Bundes von 37,9 Milliarden (2019) auf 33,5 Milliarden (2022), was mitunter an einer Umschichtung von Mitteln liegt, die künftig den Ländern anstatt dem Bund zustehen.Die Offensive, die Deutschland bräuchte, um sich seines massiven Investitionsstaus zu entledigen, bleibt weiter aus. 126 Milliarden Euro, die rein für den Werterhalt von Schulen, Schwimmbädern oder Verkehrswegen nötig wären, hat die öffentliche Hand in der Vergangenheit einfach nicht ausgegeben, so zeigen es die Zahlen der staatlichen Förderbank KfW. Diesen Zustand zu beenden, daran denkt die neue schwarz-rote Bundesregierung ebenso wenig, wie es die alte getan hat. Sie investiert zwar Mittel, aber eben nicht orientiert am Ausmaß des Bedarfs, sondern rein an den prognostizierten Haushaltsüberschüssen. „Anstelle einer langfristigen Strategie, die wichtige Maßnahmen dauerhaft gewährleistet, verfolgt die Bundesregierung damit eine prozyklische Finanzpolitik nach Kassenlage“, kritisiert das gewerkschaftsnahe Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung – und warnt: „Bereits bei einer mäßigen Konjunkturabschwächung“, etwa durch die Eskaltion des Handelskonflikts mit den USA, stünde die überschaubare Palette an Investitionen zur Disposition.Für eine „langfristige Strategie“ aber bräuchte es erst einmal eine Idee, wie die öffentliche Hand in Deutschland überhaupt wieder zu einer gestaltenden Finanzpolitik zu befähigen wäre. Solch eine Idee aber ist in Scholz’ Partei weit und breit nicht in Sicht; die SPD kommt nicht einmal auf den Gedanken, ihr neben Agenda 2010 und steuerlicher Umverteilung zulasten der Ärmeren schlimmstes Vergehen – die Verankerung einer „Schuldenbremse“ im Grundgesetz – zu überdenken und ihm die Forderung nach einer festen Investitionsquote entgegenzustellen. Wer aber partout Schulden vermeiden und sie nicht als Kredite – als einen Ausdruck von Vertrauen auf Pläne für die Zukunft also – verstehen will, muss die Steuerpolitik ändern: die Reichen mittels Vermögen- oder Erbschaftsteuer stärker in Verantwortung für die Bedürfnisse der Allgemeinheit nehmen. Nichts könnte Scholz und der SPD ferner liegen.Massive Tariferhöhungen und bessere Arbeitsbedingungen für den öffentlichen Dienst bleiben so eine Utopie – diese aber wären nötig, damit der Staat überhaupt erst wieder die Ingenieure und Bauplaner für sich gewinnen kann, die ihm schon heute fehlen, um seine spärlichen Investitionsvorhaben in die Tat umzusetzen.Seit Jahren gibt es deshalb auf allen staatlichen Ebenen Ausweichbewegungen, in Berlin zum Beispiel: Der rot-rot-grüne Senat des Stadtstaats legt zwar ein Milliardenprogramm für die Sanierung und den Neubau von Schulgebäuden auf, will dieses aber maßgeblich von privatrechtlichen GmbHs in öffentlichem Besitz ausführen lassen (der Freitag 35/2017): Die Verlagerung von Mitteln aus dem Kernhaushalt, über dem das scharfe Schwert der Schuldenbremse schwebt, ist hierfür ein Beweggrund. Die Möglichkeit, Fachkräfte zu „flexibleren“ Konditionen einzustellen, sie also besser als nach den Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes zu bezahlen, ein anderer. Das hat Rot-Rot-Grün den Vorwurf einer „massiven Schulprivatisierung“ eingebracht, eine Initiative sammelt Unterschriften gegen das Vorhaben. Ihr Vorwurf wiegt schwer, trifft im Kern aber zu: Der Staat verlagert öffentliche Aufgaben auf privatrechtliche Ebene, weil er seiner Exekutive nichts mehr zutraut, Stadtbezirke könnten bald zu Mietern ihrer eigenen Schulen werden.Eine GmbH für das MilitärAuf Bundesebene gab es laut Spiegel jüngst ganz ähnliche Pläne für den Bereich, der den bisher größten Zankapfel in Bezug auf Olaf Scholz’ Haushaltsentwurf darstellt: die Verteidigungspolitik, für die Ursula von der Leyen zwölf statt der bis 2021 vorgesehenen 5,5 Milliarden fordert. Ihre Staatssekretärin Katrin Suder plante, für Anschaffungen der Bundeswehr auf eine neue GmbH zu setzen, die außerhalb der Strukturen des eigentlich zuständigen Bundesamtes für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) Militärgüter schneller und effizienter einkaufen sollte. Aus dem Plan wird wohl nichts – das BAAINBw-Personal protestierte, von der Leyen beschwichtigte, Suder wurde gerade aus dem Amt verabschiedet.Die Frage aber, wie Deutschland auch ohne Privatisierungen wieder zu einem handlungsfähigen, investierenden Staat werden kann, bleibt unbeantwortet. Wollte nicht eigentlich Andrea Nahles als Partei- und Fraktionschefin der SPD Antworten auf solche Fragen nach Erneuerung geben?Placeholder link-1
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