Vom Frust zur Lust

Linkspartei Braucht es eine „Liste Wagenknecht“? Der Schriftsteller Ingo Schulze hält das nicht für den Weg aus der Krise
Ausgabe 39/2021

Auf Facebook muss es gerade wüst zugehen bei der Wahlnachlese der Linkspartei. Ihr eigentlich Zugeneigte streiten wohl wie die Kesselflicker. Aber wer sich davon im Herbst 2021 noch gut unterhalten fühlt, lacht wohl auch über Philipp-Amthor-Witze. Stattdessen: Anruf beim Schriftsteller. Ingo Schulze, 58, hat 2013 die SPD mit Roger Willemsen und 25 anderen Prominenten gemahnt, nicht in eine Große Koalition einzutreten, und für das damals mögliche Rot-Rot-Grün geworben. Er unterstützte 2018 die Gründung der Sammlungsbewegung Aufstehen mit Sahra Wagenknecht und meldete sich 2020 mit einigen der damals Gescheiterten wieder zu Wort – mit einem „Brief an die Jugend“, adressiert an den Jugendrat der Generationenstiftung, die sich seit 2017 dafür einsetzt, „junge Aktivist*innen mit der Generation ihrer Eltern und Großeltern zu verbünden, um gemeinsam das System zu verändern“. Schulze und Co. publizierten ihr Anschreiben in der Berliner Zeitung als Eingeständnis eigener linker Fehler und als Angebot eines Bündnisses über Generationengrenzen hinweg: „Mit dem Aufkommen der Frage nach den natürlichen Lebensgrundlagen ist aber die soziale Frage, die seit Mitte des 19. Jahrhunderts für Linke bestimmend war, nicht erledigt“, heißt es darin: „Wer in beidem vorankommen will, muss auch die Friedensbewegung stärken.“

Auf acht Prozent bei den 18- bis 24-Jährigen kam die Linkspartei bei dieser Wahl, die Republik diskutiert jetzt, warum Junge nicht nur die Grünen, sondern vor allem auch die FDP wählen, mit „Friedenspolitik“ hat kaum ein Junger was am Hut – „ich finde die Linke eigentlich gut, aber die sind doch für Putin“, lautet so eine typische Erstwähleraussage. Den vorletzten Platz belegt die Linke beim Nachwuchs, ein Prozent vor der AfD.

Über die Ambivalenzen des rechten Erstarkens in Ostdeutschland hat Schulze zuletzt einen feinen Roman geschrieben, Die rechtschaffenen Mörder (der Freitag 12/2020). Im Osten ist die Linke diesmal einen Prozentpunkt hinter den Grünen gelandet, nur zehn Prozent wählten sie noch, halb so viele Prozentpunkte wie die AfD.

Also muss doch Schulze jetzt etwas zu sagen wissen über diese „echte Niederlage“, wie er es nennt, „gerade weil es nicht wenigstens diese gedankliche Alternative Rot-Grün-Rot“ gebe. „Liste Wagenknecht“, rufen einige schon, wollen linkspopulär voll auf „Sahra“ und die soziale Frage setzen, von der Neugründung einer linken Partei geht das Palaver; anderen graut derweil vor neuen Bewegungslinken, die jetzt in die alte Partei eintreten, um im Kampf um knapper werdende Ressourcen Finanzzuwendungen für ihre Kollektive zu sichern. Aber Ingo Schulze weiß wenig mehr zu sagen als viele in diesen Tagen, in denen soziale Gerechtigkeit das Thema war, das die Menschen im Wahlkampf für das wichtigste hielten und 77 Prozent fanden, dass der Wohlstand im Land nicht gerecht verteilt ist. Schulze bleibt da nur die leise Hoffnung, dass Olaf Scholz zumindest zwölf Euro Mindestlohn durchsetzt, wobei ihm da sogleich „Wirecard“ und „Cum-Ex“ in den Sinn kommen, und dieses Radio-Gespräch mit Scholz in Hamburg vor gut zehn Jahren: „Ich stellte ihm eine kritische Frage, woraufhin er mich nur lächelnd anguckte und nichts sagte.“

Liste Wagenknecht? Ingo Schulze sagt: „Ich sehe durchaus die großen Fähigkeiten von Sahra Wagenknecht und habe Achtung vor jenen, die bei Aufstehen weitermachen, aber der ursprüngliche Anspruch – das ist vor den Baum gegangen. Ich wäre schon fast froh, könnte ich sagen, es ist an inhaltlichen Dingen gescheitert, aber es lag vor allem an ungeklärten Kompetenzen und an fehlender Kommunikation. So was sollte Polit-Profis nicht unterlaufen, das war fahrlässig.“ Laienhafte organisatorische Fehler, die Unprofessionalität – das ist wohl das, was sie noch am stärksten eint, all die Institutionen und Milieus der Partei, aus denen jetzt die einen sagen, Wagenknecht solle froh um die urbanen Milieus sein, die ihr mit Direktmandaten wie dem Sören Pellmanns in Leipzig-Connewitz den Parlamentssitz gerettet haben. Und die anderen, dass sie für viele doch der einzige Grund sei, das Kreuz überhaupt noch links zu machen.

In einer Nachwahlbefragung lautete die zustimmungsstärkste Aussage über die Linke, 70 Prozent: „Hat keine überzeugenden Führungspersonen mehr.“ Wagenknecht aber könnte ja höchstens extern den Weg vorgeben, die Unfähigkeit zur internen Führung hat sie längst eingeräumt (der Freitag 42/2019). Es wäre da ja schon viel gewonnen, hätten sie bei der Linken noch andere, die von Wirtschaft und Finanzen so viel verstehen wie Wagenknecht, und das in einfachen Sätzen zu artikulieren imstande sind – jetzt, da die verteilungspolitischen Kämpfe nach Corona anstehen und eine bürgerliche Koalition die Kosten der Transformation über die Preise und damit auch über Zumutungen für Ärmere regeln wird.

Maurice Höfgen, 25, wäre so einer; seit einiger Zeit erklärt er den Menschen, warum das mit all dem für eine sozial-ökologische Transformation nötigen Geld kein Problem ist, popularisiert in Youtube-Videos, Tweets und im Buch Mythos Geldknappheit die Modern Money Theory, wie sie mindestens in Ansätzen die Investitionsoffensive Joe Bidens in den USA trägt: Klug gemanagt, wird es nie ein Problem sein, wenn der Staat riesige Kredite aufnimmt, weil er zugleich Vermögen für die Zukunft schafft und einfach ein ziemlich stabiler Schuldner ist. Doch Höfgen – früher BWL-Karriere, Einkäufer, Unternehmensberater – alphabetisiert nicht nur die spärlichen, an Ökonomie interessierten Linken. Er schimpft auf Twitter auch beißend zynisch auf den finanzpolitischen Analphabetismus und das volkswirtschaftliche Desinteresse der eigenen Leute: „Wirtschaftsliberale können Linke den ganzen Tag ökonomisch veräppeln, aber wehe sie sagen Schimpfworte!“ – Wie bei so vielen in der Linkspartei, gerade jüngeren Männern, die inhaltlich eher bei Wagenknecht stehen, muss man sich bei Maurice Höfgen immer Sorgen machen, dass der Frust die Lust übermannt, und das nicht erst seit diesem Wahlkampf.

Höfgens Chef scheidet gerade aus dem Bundestag, Fabio De Masi, und wenn man den Jüngeren, die in der Linken eher fernab von Wagenknecht stehen, neben ihrer Obsession für die frühere Fraktionsvorsitzende eines vorwerfen muss, dann das Achselzucken, mit dem sie diesen Abschied hinnehmen. Eigentlich sollten sich alle in der Partei De Masis Abschiedsbrief über das Bett hängen: „Die Kunst der Politik besteht darin, auch an die Lebensrealität und die Sprache jener Menschen anzuknüpfen, die um die Kontrolle über ihr Leben fürchten.“ Bei Erwerbslosen hat die Linke elf Prozent erreicht, vorletzter Platz vor der FDP, bei Arbeitern fünf, letzter Platz. „Dabei sollte man weder Ressentiments schüren noch so sprechen, dass normale Menschen einen Duden brauchen“, so De Masi weiter.

Einfach sprechen

Aber wie geht das nur? Der Schriftsteller Ingo Schulze sagt: „Ich muss dafür wissen, was ich wem sagen will. Dann stellt sich die Sprache von selbst ein.“ Und wen sollte die Linke ansprechen? „Auf jeden Fall all die, die um ihr tägliches Brot oder ihre Miete zu kämpfen haben, die immer weniger wahrgenommen werden, sowohl national wie international.“ Er selbst sei ja „keiner, der die Sprache gendert, aber natürlich muss es ein Bewusstsein dafür geben, wie ich mich anderen gegenüber angemessen verhalte, das ist ja nicht neu.“ Das Soziale, das Ökologische, die Identitäts-, die Friedenspolitik gehören zusammen, merkt Schulze noch an, „ich kann das nicht losgelöst voneinander sehen“.

Der Jugendrat der Generationenstiftung hat ihm und seinen Ex-Aufstehen-Mitstreitern im Juni 2020 zurückgeschrieben: „Wenn wir an euch denken, denken wir vor allem an Verbündete.“ Und: „Lasst uns sofort beginnen“, ein Bündnis zwischen den Generationen in die Tat umzusetzen, die Zeit dränge so sehr. Der Gesprächsfaden sei dann aber während der Pandemie abgerissen. Es wäre Zeit, in wieder aufzunehmen.

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Geschrieben von

Sebastian Puschner

Stellvertretender Chefredakteur und Ressortleiter „Politik“

Sebastian Puschner studierte Politik-, Verwaltungswissenschaften und Philosophie in Potsdam und wurde an der Deutschen Journalistenschule in München zum Redakteur ausgebildet. Bei der taz arbeitete er als Redakteur im Berlin-Ressort. 2014 wechselte Sebastian Puschner zum Freitag, wo er den monatlichen Wirtschaftsteil mit aufbaute. Seit 2017 ist er verantwortlicher Redakteur für Politik, seit 2020 stellvertretender Chefredakteur. Er interessiert sich besonders für Politik und Ökonomie von Hartz IV bis Cum-Ex sowie für Fragen zu Geopolitik, Krieg und Frieden.

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