Welch ein erfolgreiches Jahr das vergangene doch für Deutschland war. 2016 überholte etwa Volkswagen wieder Toyota und war weltgrößter Autobauer. Bayer setzte erfolgreich zur Übernahme des US-Saatgutkonzerns Monsanto an und bringt sich damit passabel in Stellung für die voranschreitende Oligopolisierung des agrochemischen Weltmarktes. Algerien durfte sich über eine neue Fregatte made in Kiel freuen und eine Milliarde Euro dafür bezahlen, was die deutschen Rüstungsexporte schon bis Ende Juni 2016 auf vier Milliarden insgesamt steigen ließ, eine halbe Milliarde mehr als im Vorjahreszeitraum. Aber Deutschland kann nicht nur Autos, Schiffe und Chemie herstellen, sondern auch Rohstoffe zu Gütern verarbeiten – kein Staat exportiert mehr Zigaretten, Schokolade und Rum.
Waren im Wert von 1,2 Billionen Euro führte Deutschland 2016 aus, so viel wie noch nie. Anteil daran haben vor allem Kraftwagen und Kraftwagenteile mit 19, Maschinen mit 14 und Chemierzeugnisse mit neun Prozent. Und wenn auch Reallohnsteigerung von zumindest 1,8 Prozent im vergangenen Jahr den Deutschen etwas mehr Geld auf das Konto spülen und sie deshalb auch wieder mehr konsumieren, die Binnennachfrage also steigt und sich die Bürgerinnen und Bürger wohl das ein oder andere Fläschchen Olivenöl mehr aus Griechenland leisten – einen Handelsbilanzüberschuss wie den deutschen kann das nicht erschüttern: Um 0,6 Prozent sind 2016 im Vergleich zu 2015 die Importe gestiegen. Die Exporte um 1,2 Prozent.
Das ergibt in absoluten Zahlen einen satten Handelsbilanzüberschuss von 252,9 Milliarden Euro. „Damit wurde der bisherige Höchstwert von 244,3 Milliarden Euro aus dem Vorjahr deutlich übertroffen“, schreibt das Statistische Bundesamt.
Verdruckste Ökonomen
Das sollte all die Ökonomen und Politiker doch jubeln lassen, die mindestens seit Mitte der 1990er und dem „Bündnis für Arbeit und Standortsicherung“ unter Kanzler Helmut Kohl alles Mögliche an Argumenten in die Waagschale werfen für Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit, von Steuererleichterungen für Unternehmen bis zur Lohnmoderation für Beschäftigte. Stattdessen agieren sie so verdruckst wie lange nicht. Der Grund: Die Kritik an den Überschüssen wird heftiger seit Donald Trumps Amtsantritt. Deutschland sieht sich dem Vorwurf der „Ausbeutung“ seiner Handelspartner ausgesetzt. Inzwischen hat der US-Präsident per Dekret die Überprüfung sämtlicher Wirtschaftsbeziehungen zu anderen Ländern angeordnet.
In ihrer „Konjunkturprognose März 2017“ versuchen die Wirtschaftsweisen diese Kritik als „Fehleinschätzung“ zurückzuweisen. Sie führen ins Feld, dass die Politik ja gar nichts tun könne für ein Sinken der Überschüsse, was erfordern würde, die Löhne und damit die Binnennachfrage und so die Importe viel stärker wachsen zu lassen. Die Lohnsetzung etwa finde „weitgehend unabhängig von der Politik statt“, schreiben die Regierungsberater. Der Journalist und Ökonom Norbert Häring hat dies auf seinem Blog gerade in Kontrast gesetzt zu älteren Einlassungen der Wirtschaftsweisen. Sechs Gutachten seit 2000 zitiert er: Sie triefen vor Lob für die Regierung, welche unter Gerhard Schröder das „Bündnis für Arbeit“ neu aufleben ließ und so erfolgreich auf ein Lohnniveau hinwirkte, das nicht mehr wie früher entsprechend der Entwicklung der Arbeitsproduktivität wächst, die Lohnnebenkosten durch die Teilprivatisierung im Renten- und die Aufgabe der paritätischen Finanzierung im Gesundheitssystem sinken ließ wie die Unternehmenssteuern.
Heute nun soll die Politik plözlich gar nichts mehr zu tun haben mit deutscher Wettbewerbsfähigkeit und Überschüssen. In dieses Horn blies beim Besuch seines US-Amtskollegen Steven Mnuchin Mitte März auch Wolfgang Schäuble (CDU): „Was kann ich denn tun als deutscher Finanzminister, um den Überschuss zu reduzieren“, fragte er larmoyant. Mnuchin indessen gab sich vor der Presse in Berlin höflich zurückhaltend, sagte sogar: „Wir wollen keinen Handelskrieg.“ Doch ordentlich vorgelegt mit Kritik an Deutschland hatte da ja längst Peter Navarro, Kopf des von Trump geschaffenen Nationalen Handelsrates. Ende Januar erklärte er in der Financial Times, Deutschland würde andere EU-Staaten sowie die USA „ausbeuten“ mit seinen Überschüssen und mit einem unterbewerteten Euro, der wie eine „implizite Deutsche Mark“ wirke.
Letzterer Teil dieser Argumentation ist zwar wenig stringent, denn die Exporte begünstigende Schwäche des Euros geht vor allem auf die lockere Geldpolitik der Europäischen Zentralbank zurück, die zu beenden ja gerade Stimmen aus Berlin oft und laut fordern. Dass aber die Handelsüberschüsse der Deutschen die Defizite der anderen nach sich ziehen, ist korrekt.
Denn die Profite, die hiesige Firmen mit all ihren exportierten Maschinen und Autos erwirtschaften, fließen ja gerade nicht in Investitionen zu Hause, sondern landen an den internationalen Kapitalmärkten. Vor allem in Wertpapiere stecken die Deutschen ihren erhandelten Reibach gern. „Deutschland 2016 Weltmeister beim Kapitalexport“, titelte das ifo-Institut aus München jüngst und erklärte, was ein Überschuss wie der deutsche bedeutet: dass „die inländische Ersparnis größer als die inländischen Investitionen ist und dass das Land Vermögen im Ausland aufbaut“.
Kritik daran ist nichts Neues, sie kommt lange schon von US-Regierungen, IWF und EU-Kommission, nur bisher immer diplomatischer formuliert als etwa die Urteile über einstige „Defizitsünder“ wie Griechenland.
8,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts beträgt der deutsche Überschuss – mehr als sechs Prozent sollten es nach EU-Regeln eigentlich keinesfalls sein. Im Länderbericht der EU-Kommission aus dem Februar steht: „Insgesamt hat Deutschland bei der Umsetzung der länderspezifischen Empfehlungen des Jahres 2016 begrenzte Forschritte erzielt“, eine verklausulierte Rüge. Was Schäuble tun könnte, steht klar im Bericht: sehr viel mehr investieren und damit die Nachfrage stärken. „Begrenzt“ sei aber, so die EU-Kommission, vor allem die Wirkung der „jüngsten Bemühungen, öffentliche Investitionen vor allem auf kommunaler Ebene“ zu beleben.
Gemeint ist vor allem der von der Großen Koalition mit sieben Milliarden Euro ausgestattete Investitionsförderfonds für finanzschwache Kommunen. Gerade einmal 83,4 Millionen davon waren bis vor kurzem abgerufen worden, berichtet das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung, der Grund: „Rückgang der Planungskapazitäten“. Es fehlt an Personal, um Brücken und Schulen so umfassend zu modernisieren, wie es ein Gesamtinvestitionsbedarf von 136 Milliarden Euro eigentlich erfordert.
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