Es hätte wohl keinen besseren Zeitpunkt für die Veröffentlichung dieses Buchs geben können als jetzt. Der FUTURZWEI Zukunftsalmanach 2015/16 erscheint am Ende eines Jahrs, in dem der Ölpreis auf Talfahrt gegangen ist. Ökonomen jubeln, weil billiges Öl die Produktion der Industrie, den Konsum der Verbraucher und damit das Wachstum der Wirtschaft anzuheizen verspricht. Und inmitten dieser Gemengelage erscheint ein Band, der den Weg weisen will in eine „enkeltaugliche Zukunft“, abgekoppelt vom klimaschädlichen Verbrauch endlicher Ressourcen und geprägt von intakten, nachbarschaftlichen Gemeinschaften von Menschen, die ihre Güter miteinander teilen. 82 „Geschichten des Gelingens“ versammelt der Almanach, und selten war es nötiger, sie zu erzählen und sie zu lesen.
Eine dieser Geschichten ist die des Chemikers und Ingenieurs Michael Gass, der Plastik herstellt, das nach Heu riecht, weil es aus Wiesengras statt aus Öl besteht. Schon vor dem jetzigen Preisverfall musste er sich damit herumplagen, dass der Rohstoff Öl seinen potenziellen Kunden in der Industrie noch viel zu billig ist, als dass sie ihm durch den Rohstoff Gras ersetzen würden. Deswegen produziert und vertreibt Michael Gass nun selbst Terrassendielen und Kugelschreiber aus seinem Bioplastik.
Nach der Ausgabe 2013 ist dies nun der zweite Zukunftsalmanach der Stiftung Futurzwei. Deren Direktor und Mitherausgeber Harald Welzer leitet das Buch mit einem Essay ein, dessen besonderes Verdienst in der Absage an alle apokalyptischen Argumentationsmuster liegt: Nein, die Welt geht nicht unter wegen der 4.000 Tonnen Müll aus zwei Milliarden Aluminium-Kaffeekapseln pro Jahr allein in Deutschland; der Klimawandel bedeutet nicht das Ende der Menschheit.
Worum es geht, ist die Verschärfung der ungleichen Machtverhältnisse. Wer Vermögen hat, kann auf die knapper werdenden fruchtbaren Böden zugreifen und muss sich ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen nicht fügen. Wer dagegen arm ist, wird immer mehr Druck und immer weniger Freizeit haben, oder er holt sich schon heute bei der Suche nach Altmetallen den Gifttod: auf einer Müllhalde im Senegal, zwischen den verbrennenden Kunststoffgehäusen ausrangierter Elektrogeräte aus Deutschland.
Material ist das Schwerpunktthema dieses Buchs, und das ist wiederum der Grund dafür, dass sich die sonst übliche Futurzwei-Erzählweise diesmal nicht ganz durchhalten lässt. Der von Welzer beschworene Kulturwandel, den die 82 Porträtierten schon leben, soll ja in allen Gesellschaftsschichten virulent werden, indem er in einer optimistischen Erzählhaltung und nicht mit Verzichtsdogmen daherkommt. Doch wenn die Mitherausgeberinnen Dana Giesecke und Luise Tremel in ihrem lesenswerten Essay den ganzen Wahnsinn entfalten, der in unserem Verbrauch von Material oder in den globalen Produktionsketten liegt, dann wird klar: Ohne Verzicht wird es nicht gehen.
Schon klar, Verzicht ist nicht gleich Verzicht – ein Leben mit mehr Zeit und weniger Zeug ist ein besseres Leben, als wir es heute führen. Doch die Semantik des Verzichts ist noch immer viel zu negativ; und für die Profiteure des heutigen, expansiven Kulturmodells ist es noch viel zu leicht, eine Gesellschaft jenseits des Wachstums als Schreckgespenst zu diffamieren.
Vielleicht braucht es darum gar einen rigorosen Verzicht auf das Wort Verzicht – im nächsten Zukunftsalmanach und in allen anderen noch zu erzählenden Geschichten des Gelingens.
Info
FUTURZWEI Zukunftsalmanach 2015/16. Geschichten vom guten Umgang mit der Welt Harald Welzer, Dana Giesecke, Luise Tremel (Hg.), Fischer 2014, 544 S., 16,99 €
Kommentare 2
Guter Gedanke, dieses Futurzwei. Gut, es uns als Lesefutter vorzustellen, Herr Puschner, auch wenn mich der Titel immer an Skinner und Konditionierung erinnert (Walden II). Dabei geht es hier doch um die formvollendete Zukunft.
In den späten 70ern und Anfang der Achziger des letzten Jahrhunderts gab es, nach der Veröffentlichung des von Jimmy Carter in Auftrag gegebenen Global 2000 Reports, mit seiner Auflage von ca. 1, 5 Mio. , eine Flut an Find- und Praxisbüchern, wie es mit der Ecology weiter gehen könne. Dort, wo heute Silicon Valley liegt, kamen damals die besten Ideenbücher her. Ich erinnere mich, aus einem solchen Werk die Bauanleitung für eine simple Warmwasser- Solaranlage, die aus alten Lamellen-Heizkörpern gebaut wurde, gezogen zu haben.
Was nun die organischen Grundstoffe angeht, die so viel besser für Kunststoffe und Werkmaterialien wären, so wird doch derzeit viel Öl und hoffentlich bald auch Kohle, durch die erneuerbaren Energien Wind und Solar eingespart. Diese schon aufgeschlossenen Pflanzenüberreste sind letztlich zu schade, sie zu verheizen oder zu verstromen, ganz abgesehen von der Treibhausbilanz.
Bleibt von ihnen noch viel in besserer Lage übrig, weil die Energie zunehmend aus den regenerativen Quellen stammt, dann reichte ein Bruchteil für die Materialproduktion.
Hinzu tritt die von Welzer ja ebenfalls propagierte Recycling- und Einsparwirtschaft.
Mit einer solchen Welt, können auch 9 Milliarden Menschen glücklich und luxuriös leben, weil dann große Flächen für die Nahrungmittelproduktion frei bleiben, die heute für die nur bedingt regenerativen Energiestoffe und die Massenproduktion von Industrieeiweiß aus Tieren gebraucht werden, oder dem Luxusexport dienen.
Ich erinnere mich allerdings, dass auch in den Hochzeiten des ökologischen Optimismus, über Langlebigkeit, Recycling, Ernährung, Kleidung und Materialeinsparung handbuchartig und in Form von Readern geschrieben wurde, aber jedes Mal eine finanzwirtschaftliche und produktionstechnische Revolution, z. B. in der Automobilindustrie oder bei den technischen Konsumgütern und bei der Produktion von Textilien, die Nachhaltigkeitsgewinne in diesen Bereichen wieder überspielte.
Ob es so bleibt, entscheidet sich vielleicht auch mit der Frage, wer ökonomisch das Sagen hat. Bleibt die Macht beim Finanzmarkt, dann werden auch gute Vorsätze und Beispiele nur Nischengewinne auslösen.
Derzeit kann man das an der ökologischen Landwirtschaft gut nachvollziehen, die einen neuen Marktanteil bei Ernährung, Energie, Kleidung und Materialien stellt, aber doch nur um 5% der Produktion umfasst.
Das färbt ja sogar auf die politischen Ökoparteigänger ab, die es zufrieden sind, wenn die Konsumgesellschaft ihrer Klientel genügend ethische Produkte zur Verfügung stellen kann, die Bio sind und sie die Ratgeber dazu schreiben dürfen.
Beste Grüße und weiter
Christoph Leusch
Oder doch eher: Warum Gras aus Plastik die Zukunft ist.
Im Profifußball gewiss und im gepflegtenVorgarten erspart es doch manche Müh', wo wir doch bald fast alle Rentner oder Pensionäre sein werden, wenn man den Cassandren der Demographie sein schwerhöriges Ohr leiht.