„Wir müssen die Eigentumsfrage neu stellen“

Interview Hans-Jürgen Urban ist Vorstandsmitglied der IG Metall und will über Vergesellschaftungen sprechen
Ausgabe 39/2019
„Arbeitslos? Das ist in der Hartz-IV- Republik eben keine Lappalie“
„Arbeitslos? Das ist in der Hartz-IV- Republik eben keine Lappalie“

Foto: Hahn + Hartung für der Freitag

Naturschützer gehen mit Gewerkschaftern für eine ökologisch-soziale Transformation auf die Straße: Beim Klimastreik war das nicht zum ersten Mal der Fall. Überwindet da etwa die gesellschaftliche Linke gerade ihre tiefen Gräben?

Das wäre ganz im Sinne Hans-Jürgen Urbans, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall seit 2007, beim Gewerkschaftstag im Oktober stellt er sich wieder zur Wahl. Seit Jahren arbeitet er emsig daran, die Linke zu verbinden, statt sie zu trennen – so etwa im Band Neosozialismus, in dem er eine „Mosaiklinke“ skizziert, die trotz all ihrer Konflikte gemeinsam für eine Alternative zum gegenwärtigen Kapitalismus kämpft. Im VSA-Verlag ist nun sein neues Buch Gute Arbeit in der Transformation erschienen.

der Freitag: Herr Urban, sollten SUVs verboten werden?

Hans-Jürgen Urban: Das ist wohl weder realistisch noch die Lösung aller Probleme.

Ich war neulich in Eisenach, bei Opel: Die Belegschaft feierte den Start der Produktion eines neuen SUV-Modells und forderte noch mehr Modelle in noch mehr Schichten.

Produktion bedeutet Beschäftigung! Zugleich ist offensichtlich, dass der gegenwärtige Trend, immer größere und verbrauchsstärkere Fahrzeuge zu bauen, in die Sackgasse führt. Wir brauchen ein Mobilitätskonzept, das ökologische Nachhaltigkeit mit sozialen Perspektiven für die Belegschaften verbindet. Für uns ein Muss.

Dass Beschäftigte befürchten, eine ökologische Transformation gehe zu ihren Lasten, ist nachvollziehbar. Wie groß aber ist in den Betrieben die Überzeugung, dass sie überhaupt notwendig ist?

Die Belegschaften wissen, dass wir die verbindlichen Klimaziele im Interesse des Erhalts natürlicher Lebensgrundlagen einhalten müssen. Aber sie stecken in einem Dilemma – es geht um Klimaschutz, aber zugleich um ihre Arbeitsplätze, Beschäftigung und Einkommen. Zumal viele Unternehmen die Gunst der Stunde nutzen und auf Restrukturierung und Standortschließungen setzen – nicht aus Umweltgründen, sondern um exorbitante Renditen zu halten. Diese Konflikte erzeugen mitunter Ängste; und die Gefahr, sich in strukturkonservativen Haltungen zu verschanzen: Lieber das Bewährte verteidigen als sich auf das riskante Neue einlassen. Arbeitslosigkeit ist in der Hartz-IV-Republik keine Lappalie! Dem müssen wir mit offensiven Problemlösungen begegnen – die Dekarbonisierung der Industrie ist unverzichtbar.

Zur Person

Hans-Jürgen Urban, 58, wurde 1961 in Neuwied geboren, sein Vater war Straßenpflasterer, seine Mutter Hausfrau. Urban studierte Politologie, VWL und Philosophie in Bonn, Gießen und Marburg, wo er 2003 seine Promotion abschloss. 2014 Habilitation an der Universität Jena, deren Kolleg Postwachstumsgesellschaften er nun als Permanent Fellow angehört. Urban ist seit 1984 Mitglied der IG Metall und gibt seit 2009 die Jahrbücher Gute Arbeit mit heraus

Wo die Transformation bisher am spürbarsten ist, wie in den Kohleregionen, ist die Zustimmung zur AfD mit am höchsten.

Der Rechtspopulismus wittert hier seine Chance. Er bietet keinerlei Lösungen an, sondern schürt Verunsicherung und lenkt Ängste auf Sündenböcke, etwa auf Geflüchtete. Deshalb müssen wir den Kampf um die Köpfe in den Betrieben führen. Und da würde ich die jüngsten Betriebsratswahlen durchaus als demokratiepolitischen Erfolg werten.

Aber die Rechten haben doch Mandate gewonnen!

Ich will wirklich nichts kleinreden, die Lage ist ernst genug. Aber der rechte Durchmarsch, wie wir ihn etwa bei Kommunal- oder Landtagswahlen erleben, konnte bisher verhindert werden – durch eine offensive Gegenaufklärung sowie durch eine beteiligungs- und diskursorientierte Mobilisierung. Vielleicht könnten die hier gemachten Erfahrungen auch für die außerbetriebliche Mobilisierung gegen rechts hilfreich sein.

Reden wir über den Diskurs in der IG Metall. Wenn Sie sich für den baldigen Gewerkschaftstag ein Thema aussuchen dürften, über das Sie mit den Delegierten reden mögen, welches wäre das?

Vorstände tun gut daran, sich da zurückzuhalten – die Delegierten bestimmen, was auf ihrem Gewerkschaftstag diskutiert wird. Aber ich bin mir sicher, dass die sozialökologische Transformation von großer Bedeutung sein wird. Und ich bin sicher – das würde mich sehr freuen –, dass über die Demokratisierung wirtschaftlicher Entscheidungsprozesse diskutiert wird. Denn es ist ja offensichtlich, dass Eigentums- und Profitregeln einer unregulierten Marktwirtschaft eher als Blockaden denn als Unterstützung einer verträglichen Transformation wirken.

Wie finden Sie denn, was Juso-Chef Kevin Kühnert zuletzt über die Vergesellschaftung von BMW und über die Begrenzung von Immobilieneigentum gesagt hat?

Nun ja, er hat wohl etwas in die Gegenwart zurückholen wollen, was zum Traditionsbestandteil der Sozialdemokratie wie der Gewerkschaften gehört: nämlich die schlichte Erkenntnis, dass ökonomisches Privateigentum gesellschaftlich unverträgliche Folgen zeitigt, wenn es ungebremst privaten Profitinteressen folgt. Und dass deshalb immer wieder darüber nachgedacht werden muss, wie die Belange der Gesellschaft – heute würden wir hinzufügen: und der Natur – gegen diese Interessen ins Spiel gebracht werden können.

Gut so?

Klar, es war mal bis in die gesellschaftliche Mitte hinein akzeptiert, dass selbst in einer „sozialen Marktwirtschaft“ öffentliches, genossenschaftliches und privates Eigentum von Nutzen ist. Drei Jahrzehnte neoliberaler Privatisierungswahn haben dieses Wissen verschüttet. Es wird Zeit, sich von diesen neoliberalen Denkblockaden zu befreien. Die negativen Erfahrungen mit der Privatisierung öffentlicher Güter wie Wasser, U-Bahnen oder Wohnungen bieten nun wahrlich Anlass genug, die Eigentumsfrage neu zu stellen.

Wie textsicher sind Sie in Bezug auf die Satzung der IG Metall – „Aufgaben und Ziele“, Punkt 4?

Sie spielen wohl auf die Forderung nach der Vergesellschaftung der Schlüsselindustrien an.

Ja. Ein Ziel dort: „Überführung von Schlüsselindustrien und anderen markt- und wirtschaftsbeherrschenden Unternehmungen in Gemeineigentum“.

Dahinter steckt die historische Erfahrung, dass die Konzentration von ökonomischem Eigentum in der Weimarer Republik zu politischer Machtkonzentration führte, die den Faschisten den Weg an die Macht bahnte. Zudem, dass die deregulierte Marktwirtschaft Massenarbeitslosigkeit und soziale Not hervorbrachte, was die faschistische Machtübernahme ebenfalls unterstützte. Der krisengeschüttelte Kapitalismus erwies sich als Totengräber der Demokratie. Dagegen sollte die neue Demokratie geschützt werden, auch mit Eingriffen in die Eigentumsordnung. Auch der Sozialbindung des Eigentums im Grundgesetz liegt ja diese Intention zugrunde. Heute halte ich die Diskussion, wie die Demokratie gegen die unkontrollierte Macht von Großkonzernen geschützt werden kann, für aktueller denn je. Der Verweis auf Amazon, Google & Co. möge genügen.

Als lautester Antagonist zu Kevin Kühnert in Sachen Vergesellschaftung trat damals nicht etwa der Arbeitgeberpräsident auf, sondern der Betriebsratsvorsitzende von BMW. Warum?

Das sollten Sie ihn selber fragen.

Wie virulent ist Nachdenken zum Beispiel über Vergesellschaftung heute in der IG Metall?

Es gibt in den Gewerkschaften konkrete Vorschläge für mehr Mitbestimmung, aber keine entwickelte Debatte über Alternativen zum kapitalistischen Markt. Doch auch bei uns wird vielfach argumentiert, dass eine Ökonomie, die auf dem Profitprinzip und einem daraus resultierenden Wachstumszwang fußt, kaum in der Lage sein wird, die großen Menschheitsprobleme zu lösen: etwa die ungerechte Verteilung des Wohlstands und die Zerstörung von Gesellschaft und Natur. Aber die große Frage lautet ja: Wie denn dann? Darauf hat die gesamte Linke bisher keine hinreichende Antwort.

Da denkt keiner drüber nach?

Doch, in der kritischen Wissenschaft, aber auch in anderen Kreisen wird über eine postkapitalistische Ökonomie nachgedacht: Wie könnte ein Entwicklungsmodell aussehen, das die Defizite der kapitalistischen Ökonomie überwindet, ohne sich die Probleme bisheriger „postkapitalistischer“ Modelle einzuhandeln? Und welche Rolle sollte ökonomisches Wachstum darin spielen?

Wir müssen schlicht auf Wachstum verzichten, sagen manche.

Das Motto „Nie wieder wachsen“ halte ich für genauso falsch wie das Gegenteil – dass die Probleme schlicht durch mehr Wachstum gelöst werden können. Solange Wachstum soziale Ungleichheit und Umweltzerstörung befördert, ist es Teil des Problems, nicht die Lösung. Es geht darum, anders zu wachsen! Und das führt uns wieder zum Demokratiethema: Wie sich die Wirtschaft, wie sich die Gesellschaft entwickeln soll, muss nach demokratischen Spielregeln durch die Gesellschaft selbst und nicht durch Profit- und Wachstumszwänge entschieden werden. Ich plädiere dafür, das zum Kern einer neuen wirtschaftsdemokratischen Debatte zu machen.

In Berlin geht eine Initiative daran, Deutsche Wohnen & Co. zu enteignen, um Räten aus Mietern, Beschäftigten, Politik wie Bürgern das Sagen zu geben.

Ich freue mich über diese Bewegung und darüber, dass viele Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter dabei sind. Die Forderung nach einer Enteignung der großen Wohnungsbaukonzerne bringt die Ernsthaftigkeit zum Ausdruck, mit der man dieses Thema anpacken will. Gut so. Welche konkreten Maßnahmen zielführend sind, bleibt zu diskutieren, milliardenschwere Entschädigungen für die Konzerne sind es sicherlich nicht.

Die IG Metall denkt auch konkret an Räte – es gibt da eine mit dem Naturschutzbund und dem BUND verfasste Erklärung.

Ja, wir denken an Transformationsräte vor Ort, wo Leute zusammenkommen und diskutieren, wie die Transformation in ihrer Region aussehen sollte. Was wäre nötig, um den ÖPNV auszubauen, welche Ansiedlungen, auch industrielle, sind gewünscht und wie sind Umweltinitiativen und Belegschaften einzubinden? Unternehmensentscheidungen, die das Leben ganzer Regionen prägen, müssen sich gesellschaftlich rechtfertigen.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Sebastian Puschner

stellvertretender Chefredakteur und Ressortleiter Politik

Sebastian Puschner studierte Politik-, Verwaltungswissenschaften und Philosophie in Potsdam und wurde an der Deutschen Journalistenschule in München zum Redakteur ausgebildet. Bei der taz arbeitete er als Redakteur im Berlin-Ressort. 2014 wechselte Sebastian Puschner zum Freitag, wo er den monatlichen Wirtschaftsteil mit aufbaute. Seit 2017 ist er verantwortlicher Redakteur für Politik, seit 2020 stellvertretender Chefredakteur. Er interessiert sich besonders für Politik und Ökonomie von Hartz IV bis Cum-Ex sowie für Fragen zu Geopolitik, Krieg und Frieden.

Sebastian Puschner

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