„Wir sind in die Defensive geraten“

Interview Um gegen den Rechtsruck anzukommen, fehlt es an neuen, linken Symbolen, sagt die Antifaschistin und Parlamentarierin Anne Helm
Ausgabe 38/2017

der Freitag: Frau Helm, kehren mit der AfD „Nazis“ in deutsche Parlamente zurück?

Anne Helm: Es hat im Bundestag schon in der Vergangenheit Alt-Nazis, frühere NSDAP-Mitglieder, die nationalistische, faschistische Ideen vertreten haben, gegeben. Das sollten wir heute nicht relativieren. Was aber jetzt neu ist: eine Partei, die in ihrer Gesamtheit so aufgestellt ist. Die derartige Ideen ganz bewusst inkludiert, mit ihnen wirbt und ganz offensichtlich auch dafür gewählt wird.

Was ist der Unterschied zwischen heute und Weimarer Zeiten?

Ich bin mit solchen Vergleichen vorsichtig. Wir haben heute eine ganz andere Demokratie, die eine ganz andere Akzeptanz und Stabilität hat als damals. Damals war dieses „Zurück ins Kaiserreich“ sehr präsent, viele haben sich genau das gewünscht, ohne Glauben an die Demokratie. Dennoch gibt es Parallelen, gerade im Zeichen des antifaschistischen Credos „Wehret den Anfängen“: Diese Form von Rache an angeblichen Eliten etwa, denen es eins auszuwischen gelte, dabei aber gegen die Schwächsten der Gesellschaft zu treten. Die AfD setzt genau auf diese Position, und viele Bürgerliche weisen das zwar weit von sich persönlich, halten es aber für nötig, dass genau das ausgesprochen wird. Diese Leute meiden es, sich vor sich selbst ehrlich zu machen. Sie unterstützen aktiv eine faschistische Bewegung.

Sie haben bald ein Jahr Erfahrung mit der AfD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus. Was war der Tiefpunkt in dieser Zeit?

Die AfD in Berlin ist etwas speziell. Ihr Vorsitzender Georg Pazderski war Offizier und führt die Fraktion auch genau so, sehr strikt. Es gibt da eher die Linie, sich sehr staatstragend zu geben und möglichst mitzuspielen bei dem, was die AfD sonst immer „Kartellparteien“ nennt. Trotzdem dringt die eigentliche Ideologie immer wieder durch, am bemerkenswertesten wohl bei Gottfried Curio, der sehr wahrscheinlich in den Bundestag einziehen wird. In Plenarsitzungen hat Curio immer wieder betont, dass er auf eine Abstammungsstaatszugehörigkeit setzt, also einen rassen- und ethnienbetonten Volksbegriff hat. Er spricht immer wieder vom „Geburten-Dschihad“.

Zur Person

Anne Helm, 31, war zwischen 2009 und 2014 Mitglied der Piratenpartei. Seit 2016 gehört sie der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus an und ist deren Sprecherin für Strategien gegen rechts

Wie verhalten sich die anderen beiden Oppositionsfraktionen, CDU und FDP?

Am meisten enttäuscht mich die FDP-Fraktion. Den gemeinsamen Konsens gegen rechts, den wir im Wahlkampf 2016 miteinander vereinbart hatten, hat sie gebrochen, indem sie gemeinsame Anträge mit der AfD gestellt hat. Das Echo in der Presse war größer, als es die FDP wohl erwartet hatte, also ist sie da wieder etwas zurückgerudert. Aber die vertreten im Allgemeinen die Linie, dass sie grundsätzlich mit jedem reden, wenn es inhaltlich passt, und haben mehrmals deutlich gemacht, dass sie nicht bereit sind, überparteiliche Initiativen zu unterstützen, wenn die AfD dort ausgeschlossen wird.

Im Abgeordnetenhaus gibt es eine Konstellation, wie es sie im Bundestag kaum geben wird: Linke Regierung, rechte Opposition.

Das hat Vor- und Nachteile. Zum einen wissen wir wegen unserer klaren rot-rot-grünen Mehrheit, dass AfD-Initiativen grundsätzlich erfolglos bleiben. Für den Bundestag befürchte ich, dass der Einzug der AfD als Argument benutzt wird, um Oppositionsrechte zu schleifen, und dass auch linke Oppositionelle bedrängt werden, da mitzumachen. Das halte ich für eine große Gefahr. Im Abgeordnetenhaus haben wir die Rechte der Opposition in dieser Legislaturperiode in der Geschäftsordnung gestärkt – wohl wissend, dass die AfD profitieren wird. Aber wir sind überzeugt, dass eine Stärkung der Opposition eine Stärkung des Parlaments und der Demokratie ist. Der Abbau parlamentarischer Rechte leistet der AfD und der Frustration über die parlamentarische Demokratie Vorschub. Andererseits gibt es in unserer Stadtgesellschaft auch eine linke Opposition, die an Rot-Rot-Grün Forderungen stellt – aber sie fehlt in der parlamentarischen Debatte stellenweise. Dadurch gibt es hier und da die Tendenz, sich von einer rechten Opposition treiben zu lassen, die sich als geschlossener Block aufstellt, als dessen Teil die AfD um Akzeptanz werben kann.

Was heißt der AfD-Einzug für die außerparlamentarische Antifa? Die Tribüne im Bundestag kapern und protestieren, wenn Alexander Gauland seinen Rassismus und Revisionismus vorträgt?

Ich fürchte, das wäre wohl nicht sehr erfolgreich, da im Bundestag das Hausrecht sehr strikt ausgelegt wird. Antifaschismus muss vor allem eines sein: erfolgreich. Und darum muss antifaschistische Arbeit auf unterschiedlichen Ebenen unterschiedlich stattfinden, in der parlamentarischen Auseinandersetzung anders als auf der Straße.

Gerade auf der Straße scheinen dem Antifaschismus alte Selbstverständlichkeiten abhandengekommen zu sein: Präsenz und zahlenmäßige Überlegenheit bei rechten Aufmärschen etwa.

Den Eindruck habe ich auch, es gibt eine Form des Ausgebranntseins. Ich muss dazusagen: Na klar, es hat einen Rechtsruck gegeben, das rechte Mobilisierungspotenzial nimmt zu. Aber es ist auch eine klassische rechte Taktik, antifaschistischen Protest überzubeanspruchen und ausbrennen zu lassen, etwa die NPD-Taktik: kurze Kundgebung von 20 Minuten und davon sechs Stück an einem Tag, immer wieder an anderen Orten, wo der antifaschistische Protest versucht hinterherzureisen und für vier NPDler unglaublich viel mobilisieren muss. Ähnlich ist es mit den „Bärgida“-Demos an den Montagen in Berlin: wenige Rechte zwar, aber genug, um das sonstige linke Mobilisierungspotenzial fast lahmzulegen, weil man fast nur noch zu den montäglichen Gegendemos läuft. So schnell werden wir das wohl nicht wieder drehen, fürchte ich. Wir sind durch diesen Rechtsruck ein Stück weit in die Defensive geraten. Wenn wir es nicht schaffen, Bärgida zu blockieren, sollte das vielleicht nicht mehr unser Anspruch sein, dann ist es vielleicht wichtiger, Gegensymbole zu setzen. Mir fehlen eigene, linke, antifaschistische Schwerpunkte, um das Mobilisierungspotenzial wieder auf solche Perspektiven in der Mietenpolitik, in der Asylpolitik zu lenken. Wir sollten versuchen, Abschiebungen zu verhindern. Denn dieser Rechtsruck vollzieht sich ja auch durch den bürgerlichen Diskurs und führt dazu, dass linke Perspektiven gar nicht mehr stattfinden.

Ist diese Defensive Folge dessen, dass der Rechtsrucks bis hin zu Terror reicht? Sie selbst standen auf einer Liste mit Namen, die der mutmaßliche Rechtsterrorist Franco A. im Visier hatte.

Sehen Sie sich die Serie rechter Anschläge in Berlin-Neukölln an. Ich sage das ungern öffentlich, aber die ist inzwischen in der Tat ein Stück weit erfolgreich. Es schüchtert ein, wenn da ein Anschlag nach dem anderen passiert und die Polizei keine Erfolge bei den Ermittlungen hat. Da wendet sich dann irgendwann die Nachbarschaft ab und sagt: Wenn du in deinem Buchladen nicht immer Lesungen gegen rechts machen würdest, dann würde das vielleicht nicht mehr passieren und dann hätten wir hier unsere Ruhe. Das ist das unglaublich Gefährliche. Und: Dadurch, dass es in der rechtsextremen Szene jetzt ein Massenmobilisierungspotenzial gibt, das also nicht mehr nur eine gut organisierte, kleine Schlägertruppe ist, gibt es natürlich auch die Einschüchterung im Netz, wo sich Mobs gezielt organisieren, um einzelne Personen fertigzumachen, private Informationen über sie zu leaken, Hass-Shitstorms zu starten. Das kann Menschen in die Passivität treiben.

Beschleicht Sie manchmal die vermeintliche Hoffnung, dass mit der AfD nun die zehn Prozent Rassisten, die es eben im Land gibt, auch eine parlamentarische Ausdrucksform gefunden haben? Die vielleicht sogar aushaltbar, weil womöglich auf diese Zahl beschränkt ist?

Nein, überhaupt nicht. Denn dieser Rechtsruck bildet sich doch in Regierungshandeln ab, dieses Treiben von rechts findet einen Ausdruck in der gesellschaftlichen Debatte, und das hat konkrete Folgen für die von Rassismus betroffenen Menschen, für Frauen und deren Rechte und für viele andere Felder mehr. Deswegen kann ich da keine Beruhigung finden. Zumal es ja auch nicht mehr funktioniert, einen AfDler identifizieren und aufgrund seiner Zugehörigkeit sagen zu können: Der gehört nicht zu unserem Diskurs. Bei jeder Enttarnung etwa über Äußerungen mit positivem Bezug zum Nationalsozialismus gelingt es ja gar nicht mehr, die AfD zu entzaubern oder auszuschließen, ganz im Gegenteil: Die rufen jetzt zum Marsch durch die Institutionen auf. Und sie scheinen damit auch erfolgreich zu sein.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Sebastian Puschner

stellvertretender Chefredakteur und Ressortleiter Politik

Sebastian Puschner studierte Politik-, Verwaltungswissenschaften und Philosophie in Potsdam und wurde an der Deutschen Journalistenschule in München zum Redakteur ausgebildet. Bei der taz arbeitete er als Redakteur im Berlin-Ressort. 2014 wechselte Sebastian Puschner zum Freitag, wo er den monatlichen Wirtschaftsteil mit aufbaute. Seit 2017 ist er verantwortlicher Redakteur für Politik, seit 2020 stellvertretender Chefredakteur. Er beschäftigt sich mit Politik und Ökonomie, Steuer- und Haushaltsfragen von Hartz IV bis Cum-Ex und Ideen für eine enkeltaugliche Wirtschaft.

Sebastian Puschner

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