140m² gegen das Vergessen

Hanau Die Initiative 19. Februar Hanau hat einen Ort geschaffen, um aktiv gegen das Vergessen zu kämpfen

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Die Namen, die Gesichter der Ermordeten dürfen niemals vergessen werden
Die Namen, die Gesichter der Ermordeten dürfen niemals vergessen werden

Foto: David Gannon/AFP via Getty Images


Wie viele Quadratmeter sind genug, um nicht zu vergessen? Wie viele Tage, Monate, Jahre sind genug, um nicht zu vergessen? Wie viele Blumen, Kerzen und Tränen sind genug, um nicht zu vergessen?

Eingebetteter Medieninhalt

Am Dienstag, den 5. Mai 2020 eröffneten wir, die Initiative 19. Februar Hanau, unseren so
liebevoll genannten “Laden” in der Krämerstraße 24 in Hanau.
Aber natürlich ist es kein Laden, wir verkaufen nichts.
Es hat sich bei uns allen so eingebürgert, dass wir es unseren "Laden” nennen.

Es sind nicht nur die 140m², in die wir jeden Tag unser Leben mitnehmen und versuchen,
von dort aus noch irgendwie klar zu kommen. Es sind die 140m², in denen die Tür von
morgens bis abends offen steht, in die die Mütter und Väter, Brüder und
Schwestern, Töchter und Söhne der am 19. Februar Ermordeten zusammenkommen und
ihren Schmerz ohne Worte teilen können. Denn wie findet man die richtigen Worte für einen derart unbeschreiblichen Schmerz?

Wir, die Initiative 19. Februar Hanau, haben diesen Ort, diesen Raum, dieses neue Zuhause
gemietet, um den Hinterbliebenen und Trauernden und allen Menschen, die sich von dieser
schrecklichen Tat bewegt und berührt fühlen, gefunden, gemietet und eröffnet.
Hier kommen Angehörige und Betroffene mit genau demselben Schmerz, demselben Trauma,
demselben tiefen, niemals zu füllenden Loch zusammen und ehren ihre Verlorenen in so
vielen verschiedenen Formen – und das alles ohne ein Wort verlieren zu müssen. Sie fühlen alle dasselbe, sie fragen sich alle dasselbe, sie sehnen sich alle nach demselben.
Nach ihren Kindern, die sie verloren haben. Der Raum fühlt sich für sie bereits an, wie das neue Zuhause ihrer Kinder. Wenn sie hier sind, sagen sie, sind sie bei ihnen zu Besuch.

Sie schenken dem "Laden", dem Heumarkt, dem Ort, an dem diese Horrornacht ihren Anfang fand, neues Leben. Wir wollen unsere Stadt und ihre Menschen nicht der Trauer und der Angst überlassen. Wir wollen das Geschehene nicht tatenlos stehen lassen. Hanau ist nicht Terror. Hanau ist nicht Rassismus. Hanau ist nicht tot. Wir wollen uns nicht mehr als Opfer sehen, wir wollen nicht mehr schweigen und schon gar nicht wollen wir uns verstecken.

Die Tür ist immer offen. Wir sind immer da. Wir machen keine Termine. Jeder, der kommen
will, der jemanden zum Reden braucht oder der sich einfach nur Fotos seiner Schwester,
seines Bruders, seiner Tochter oder seines Sohnes ansehen oder aufhängen will; jeder, der einfach helfen, unterstützen
oder ein unterstützendes und motivierendes Wort aussprechen will, kann kommen.

Wir haben am 5. Mai erstmals offiziell eröffnet, doch die Tür steht seit dem 1. April offen für
alle. Wir haben die letzten Wochen mit Schweiß und Tränen, mit den Vätern und Müttern,
den Brüdern und Schwestern der Opfer gemeinsam einen Ort errichtet, der nicht nur den
Heumarkt, der nicht nur Hanau, sondern uns alle daran erinnern soll, dass unsere Stadt seit dem 19. Februar 2020 nicht mehr dasselbe sein wird. Ein Ort, der den Angehörigen und Hinterbliebenen und allen Betroffenen einen Raum bieten soll, in dem man
sich sicher fühlt, in dem man aktiv werden kann und Solidarität mit seiner gesamten Präsenz
zum Vorschein bringen oder auch einfach nur einen Çay mit uns trinken kann.

Nicht nur unsere Tür ist offen, wir sind es auch. Was auch immer sich die Angehörigen unter
Erinnerung, Tribut, Trauer und Widerstand, unter Stärke und Kraft vorstellen, das alles
können sie mitbringen und hier mit Gleichgesinnten teilen.
Es ist nicht nur ein Raum des Zusammenkommens, es ist ein Raum des Zusammenseins
und des Zusammenbleibens. Denn wir bleiben. Wir vergessen nicht, wir schauen nicht weg,
wir sind da. Einfach da. Zu jeder Zeit und für Jeden.

Für das Bleiben brauchen wir Unterstützung. Wir sind und bleiben unabhängig und der Erhalt des Ladens ist auf Spenden angewiesen.

Wir sind für jede Spende dankbar.

Spendenkampagne "140m² gegen das Vergessen" - Initiative 19. Februar Hanau

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden