Der Mob schlägt Links

G20-Gipfel Ein Fest für alle Konserativen: Die Ausschreitungen in Hamburg werfen linke Bewegungen um Jahre zurück. Nun heißt es wieder: Linke Politik bringt nur Gewalt.

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Unter dem Spahnholz die Leere
Unter dem Spahnholz die Leere

Foto: Christof Stache/Getty Images

Die Straßenschlachten in Hamburg sind ein wahres Fest. Sie sind eine Augenweide für die konservativen Kräfte, die nach der harten Hand des Rechtsstaates rufen und sich nun bestätigt sehen. Hamburg, das ist eine self-fulfilling prophecy. Der Geruch von verbrannten Autos lag bereits in den Wochen vor dem Gipfel in der Luft. Die Eskalation wurde herbeigerufen - auf jeder Pressekonferenz im Vorfeld. Man wird sich auf Randale einstellen müssen. Überraschung! Überraschung!

Geliefert werden eben nun jene Bilder, die jede Form von progressiver linker Politik unter sich begraben werden. Geliefert werden sie von einer kollektiven Dummheit linker Melancholie. Es gilt die Straßen zu erobern. Wer die Straßen in der Hand hat, der steht kurz vor der Revolution. Doch die Straßen sind nicht mehr der Ort, der den Herrschenden zusetzen kann. Die wesentlichen Infrastrukturen sind die Zeichen, ist das Bild und natürlich die Codes und Algorithmen. Das Stichwort der Gegenwart: Marketing. Die Straße selbst ist die Bühne für das Nullsummenspiel Polizei vs. schwarzer Block geworden. Und in eben jenes Spiel hat sich dieser radikale Block mal wieder hineintreiben lassen – ein bisschen Krieg, ein bisschen Guerilla. Herrlich.

Das Kapital jubelt. Die Medien können ihre Sondersendungen mit dem Spektakel der brennenden Autos füllen. Eigentlich ist alles so eingetreten wie es eintreten musste. Den G20-Gipfel in Hamburg abzuhalten war nicht nur ein Fehler. Es war eine Provokation. Nun wird überall die Rede sein von der Linken. Alle in einen Topf. Linke Zentren werden unter Zugzwang gebracht, Demonstration gleichgesetzt mit Krawall und der unbedarfte Bürger fühlt sich wohl in der ihm zugewiesenen Mitte: Dort ist es sicher und wohlig warm. Es lebe der Status Quo der goldenen Trias: Wachstum, Innovation und Profit. Alles andere könnte Arbeitsplätze kosten und damit schöne Leben in der westlichen Welt bedrohen. Aber es gilt auch: Brennende Autos, wahllos entfacht, ändern nichts an der Struktur des Kapitalismus. Die Autos brennen im Inneren des Systems. Nichts ändert sich.

Radikale linke Forderungen – die meistens nur deshalb radikal sind, weil sie an der Wurzel des bestehenden Systems ansetzen - jenseits des einfachen Kompromisses evozieren nach Hamburg wieder mehr denn je den Aufzug des sogenannten Schwarzen Blocks. Es riecht nach grenzenloser Anarchie. Dann doch lieber die oligarchische Ordnung wählen, die sich den drängenden Fragen entzieht, um abends in der Elbphilharmonie Beethoven zu lauschen. Danach gibt es lecker essen und das ZDF berichtet darüber wie über eine Adelshochzeit. Die Form steht, der Inhalt ist austauschbar: Hier sehen wir den amerikanischen Präsidenten und gleich schalten wir Live in die Elbphilharmonie.

Alles Rufe nach Differenzierung werden ungehört bleiben. Es interessiert nicht, dass der Schwarze Block ein kleiner, leider sehr lauter Teil der Linken ist oder sich auch nur selbst als Teil einer wahrhaften Bewegung sieht, die das Übel im Kompromiss sieht. Den Preis für diese naive und männliche Kraftmeierei zahlt nun der Rest der Linken – oder sagen wir: der Rest der Systemkritiker. Man hat den Kampf um die Bilder verloren und damit auch die Zustimmung der Mehrheit. Anstatt die Staatsmacht durch radikalen zivilen Ungehorsam – große Menschenmengen, die sich anketten – in ein Dilemma zu bringen, hat man sich nun den Mantel der Gewalt überstreifen lassen. Mit großer Mithilfe des randalierenden Mobs. Da hilft auch nicht der Hinweis, dass die Polizei die erste Demo - durchaus mit Kalkül – bereits nach wenigen Metern gestoppt hat. Man hätte sich diesem Kalkül widersetzen müssen. Es aushebeln. Nun ist man aber reingelaufen. Das wirft linke Bewegungen um Jahre zurück. Kein Vertrauen für den linken Niemand. Die kapitalistische Ordnung feiert derweil munter weiter.

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Geschrieben von

Sebastian Seidler

Schreibt über Kino, Kultur und Politik. Liebt düstere Musik, Filme, die einem etwas abfordern und liest zu wenig Romane - was aber auch egal ist.

Sebastian Seidler

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