Der Oscar und der alte Mann

Meinung Erneut sind die Oscars ziemlich männlich und sehr, sehr weiß. Es ist Zeit, dass die Kritik daran radikaler wird und Zeichen gesetzt werden.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Die Nominierten für die Oscarverleihung stehen fest. Aber einen Grund zum Jubeln gibt es nun wahrlich nicht. Die Kategorie Beste Regie ist auch dieses Jahr fest in den Händen von Männern. Die tolle Greta Gerwing wird leer ausgehen. Lulu Wang (“The Farewell”) und Alma Har’el (“Honey Boy”) ebenso. Here we go again: Kritik wird laut und wird übergehen in sehnsuchtsvolles Hoffen, dass die nächste Verleihung 2021 weiblicher sein werde. Und hoffentlich auch more diverse, denn auch people of color sind im Jahrgang 2020 kaum repräsentiert. Lediglich Cynthia Erivo ist als beste Haupdarstellerin für “Harriet” nominiert. Lupita Nyong’os Leistung in "Wir" wurde ebenso wenig berücksichtigt, wie das Comeback von Eddie Murphy (“Dolemite Is My Name”).

Wieder einmal. Über so lange Zeit schon – wieder einmal. Die Kritik an dieser umfassenden Benachteiligung ist mehr als verständlich. Sie ist notwendig. Denn wir sprechen von einer Ungerechtigkeit in der Repräsentation künstlerischer Leistungen, die – wenn es um die Rolle der Frauen geht – allein darin ihren Ausdruck findet, dass bislang lediglich die Regisseurin Kathryn Bigelow mit dem Oscar ausgezeichnet wurde - wohlgemerkt im Jahr 2010 für "Tödliches Kommando - The Hurt Locker". Man bedenke: Die erste Verleihung der Academy Awards fand 1929 statt. Seitdem (!) hat auch kein schwarzer, asiatischer oder hispanischer Regisseur gewonnen.

Gerne ziehen sich die Verteidiger der Preisverleihung hinter dem Argument zurück, dass es bei den Nominierungen einzig und allein um die Qualität der Leistungen ginge. Das mag sicherlich im Einzelfall zutreffen. Dass Qualität jedoch seit über 92 Verleihungen mehrheitlich weiß und männlich sein soll, kann nur schwerlich behauptet werden. Die Oscars sind ein Spiegel der Gesellschaft und mit ihrer Strahlkraft stabilisieren sie eine frauenfeindliche und rassistische Gesellschaftsordnung. Jede Preisverleihung, die von Männern und Weißen dominiert wird, affirmiert eine bestimmte Aufteilung des Sinnlichen: Jeder hat seine Rolle, seine sozialen Räume und seine Sicht- und Unsichtbarkeiten und erhält dieser Aufteilung zufolge den Anteil an Repräsentation. In den Augen der Mehrheit erscheint es vollkommen normal, dass Frauen und people of color andere gesellschaftliche Räume besetzen, weniger sichtbar und benachteiligt sind. Denn immerhin gibt es dafür ja Preise. Also alles ganz normal. Anders gesagt: Die Oscars haben eine fatale tiefenpsychologische Wirkung.

Wie jedes Jahr gab es auch dieses Mal einen Aufschrei der Kritik. Und wie jedes Jahr werden die meisten auf das nächste Jahr hoffen. Immerhin hat die Academy ja angekündigt, dass die geschlechtliche und ethnische Zusammensetzung der Wahlberechtigten (circa 8000 Filmschaffende) verändert werden soll. Eigentlich sollten sich die Zustände bereits 2020 gebessert haben. Davon sieht man wenig. Aber die Hoffnung, die Hoffnung: Irgendwann muss es ja besser werden mit den Frauenund der Diversität. Vielleicht ist es an der Zeit diese passive Hoffnung fahren lassen und tiefer in den Abgrund der Strukturen blicken, mehr zu fordern.

Denn seien wir mal ehrlich – am Ende bestimmt immer noch das Geld. Und das kommt aus den großen Studios, die teure Kampagnen für ihre potentiellen Gewinner-Filme auffahren. Dort haben Frauen und people of color allerdings wenig bis nichts zu sagen. Nach wie vor bestimmen die weißen Männer den Lauf der Dinge in Hollywood. Und weil die Oscars ein Preis der Macht sind, wird es zwar bei der Verleihung am 10. Februar die obligatorischen, kritischen Dankesreden geben - wir durften diese ja bereits bei den diesjährigen Emmy Awards erleben. Doch kein Star wird die Chuzpe haben, trotz einer Nominierung der Verleihung fernzubleiben und dem System den Finger zu zeigen. Es wäre ein Zeichen. Doch natürlich geht um viel zu viel Geld, Werbeverträge und das Image. Da wird dann selbst die kritische Haltung zum Werbemittel; die schwarzen Kleider bei der Verleihung 2018, um auf #metoo aufmerksam zu machen, waren nicht mehr als kluges Marketing. Der Feminismus einer Lena Dunham ist lediglich ein Markenzeichen. Um dem System ein Punch zu versetzen, hätten die Stars sich besser in Boykott geübt. Die Kritik aber, die sich die Oscars als Plattform nimmt, ist mit jeder Silbe eingepreist und treibt die Aufmerksamkeit in die Höhe.

Wenn sich wirklich etwas ändern soll, dann müssen die Oscars endlich als Struktur begriffen und ebenso kritisiert werden. Die Verbannung eines Kevin Spaceys ist dann lediglich eine Oberflächenkorrektur. Und am großen Bild ändert auch eine Verurteilung von Harvey Weinstein herzlich wenig. Dem (alten) weißen Mann (als Struktur begriffen) muss die Aufmerksamkeit entzogen werden, nach der das Showbiz so sehr giert. Er wird so lange weiterleben, wie er seine (Kultur)Produkte verkaufen darf und die Oscars von allen ernst genommen werden. Schluss damit!

Ein erster Schritt wäre es, die Oscarverleihung ihrer Ausstrahlung zu berauben. Jeder Preis der Welt lebt nur von der Wichtigkeit, die ihm beigemessen wird. Veranstaltungen wie die Oscars haben einen großen Einfluss, den man nicht kleinreden kann. Sie normalisieren Unsichtbarkeiten, indem sie eine symbolische Ordnung festsetzen, die sich in die Wahrnehmung der Menschen einschreibt: Die Oscars suggerieren, dass Qualität weiß und männlich ist. Männer sind Siegertypen und setzen sich durch. Eine solche Sichtweise zieht sich bis in unsere Kulturbranche; auf dem Regiestuhl (und auch auf den Stühlen der anderen Gewerke) einer deutschen Tatort-Produktion nehmen fast nur Männer Platz. Will man am Rassismus und der Benachteiligung der Frauen in der Gesellschaft etwas ändern, müssen auch die lange tradierten Praktiken und visuellen Regime attackiert werden. Solange Frauen und people of color bei diesen Veranstaltungen keine Rolle spielen, so lange sollte man diese ignorieren.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Sebastian Seidler

Schreibt über Kino, Kultur und Politik. Liebt düstere Musik, Filme, die einem etwas abfordern und liest zu wenig Romane - was aber auch egal ist.

Sebastian Seidler

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden