Der Tod als Pointe

Joker Martin Scorsese kann Superhelden-Filmen nur wenig abgewinnen. Dabei zeigt die Comic-Adaption „Joker“ von Todd Phillips, wohin der Weg führen kann. Eine Nachbetrachtung

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Joaquin Phoenix spielt Arthur Fleck, den Joker
Joaquin Phoenix spielt Arthur Fleck, den Joker

Foto: Presse

Nachdem der große amerikanische Regisseur Martin Scorsese ("Taxi Driver", "The Wold of Wall Street") den Marvel-Filmen das Prädikat Kino abgesprochen hat, zogen andere Großmeister des Kinos mit ihrer Kritik an den Comic-Verfilmungen nach. Wenn es nach Francis Ford Coppola ("The Outsiders", "Der Pate", Apocalypse Now") geht, war der gute Martin gar noch zu milde. Abscheulich seien diese Filme. Und auch der britische Regisseur Ken Loach ("KES", Ich, Daniel Blake") kann den Actionabenteuern nur wenig abgewinnen.

Mit "Joker" von Todd Phillips bricht eine Comic-Verfilmung gerade alle Zuschauerrekorde. Das ist insofern erstaunlich, als dass der Film im Wesentlichen ein Film der unheilvollen Ununterscheidbarkeit ist. Inhalt und Form fallen ineinander und man kann die Frage stellen, ob der JOKER nicht immer bloß eine Form, ein Ausdruck gewesen ist - ganz ohne Inhalt, der Welt eine Pointe des Todes entgegenschleudernd. Es ist Zeit für eine Nachbetrachtung, zumal einige deutsche Kritiker_Innen dem Film fehlenden Tiefgang vorgeworfen haben. Vor allem die deutlichen Zitate einiger Scorsese-Klassiker, die klare Orientierung an "Taxi Driver" und "The King of Comedy", wurden Todd Phillips vorgeworfen. Da will jemand einen banalen Comic-Film mit kulturellem Wert ausstaffieren.

Ambivalenzen, überall Ambivalenzen

Der Film ist durchzogen von Furchen und Gräben der Ambivalenz. Das beginnt schon bei der Figur des Clowns selbst, der deshalb ein Musterbeispiel des Monströsen ist, weil sie eine unerbittliche Mehrdeutigkeit entbirgt: Das fixierte Grinsen des Spaßmachers kann den Spaß bedeuten oder ein Abgrund werden, eine Fratze. Das Gesicht des Clowns zeigt, ohne dabei etwas klar lesbares anzuzeigen: Es ist ein unsicherer Grund. Denn hinter der Maske lässt sich alles und nichts verbergen. Diese Maske kann alles bedeuten. Das Gesicht zeigt eine nicht mehr eindeutige Emotion, ist nicht mehr oder in jede Richtung lesbar - stillgestellt.

Dabei gibt es in „Joker“ nicht nur eine Maske. Es gibt ein ganzes Spiel aus Verhüllungen, Einfaltungen und Offenbarungen. Da wäre das geschminkte Gesicht von Arthur Fleck (Joaquin Phoenix), gleich zu Beginn des Films. Die Farbe legt sich wie eine zweite Haut über ihn. Dann gibt die Masken der Revolte – die später die Fußsoldaten des Jokers (wer ist dieser Joker überhaupt?) tragen werden – zumindest sehen sie den Masken aus „The Dark Knight“ sehr ähnlich (vgl. den Banküberfall gleich zu Beginn von Christopher Nolans Film). Mit so einer Maske wird Arthur Fleck im letzten Drittel des Films sein geschminktes Gesicht verdecken, als er in der U-Bahn in der Masse untertaucht, auf der Flucht vor den Polizisten, die hinter ihm her sind. Vorher war er eine Singularität, die sich mit der Maske ein Gesicht gegeben hat, nur um sie dann wieder zu verdecken: Clown auf Clown.

Was hier auf symbolischer Ebene durchgespielt wird, ist die große Tragik der sozialen Identität. Wir durchleben eine soziale Kränkung, wenn wir irgendwan feststellen müssen, dass wir, wie der Soziologe Erwing Goffmann sagt, in den unterschiedlichsten Momenten lediglich Masken tragen und Rollen spielen. Wie Schauspieler spielen wir uns in soziale Räume hinein. In „Joker“ werden diese Rollen zu einer Waffe und gegen die Räume gewandt.

Es gibt nur die Welt von Arthur Fleck

In der Anfangssequenz sitzt Arthur Fleck vor dem Spiegel. Er bereitet sich auf seinen Arbeitstag als mietbarer Clown vor. Er rüstet sich, legt seine Gesichtsrüstung auf. Mit den Händen zieht er seine Mundwinkel zu einem gewaltsam verzerrten Lächeln nach oben. Eine Fratze, kurz vor der Leichenstarre. Er präpariert sich, um seine Rolle spielen zu können und blickt dabei in den Spiegel – aber was sieht er da? Das Spiegelbild zeigt keine Welt und erst recht kein eindeutiges Subjekt. Er wird (und letztlich der Zuschauer) zurückgeworfen auf sich und seine Versuche etwas zu konstruieren, das von Bestand und Wahrhaftigkeit ist.

In diesem Bild liegt bereits der große Trick des Films versteckt. In „Joker“ gibt es kein Außen. Es gibt nur Arthur Fleck. Das Innenleben von Arthur Fleck ist der Film, der seiner ganzen Struktur nach, weniger eine Erzählung, denn ein Ausdruck ist. Das verändert die Rolle der Filmzitate maßgeblich. Alle Filmzitate – von „Taxi Driver“ bis „The King of Comedy“ – verdoppeln diese Suche nach der eigenen Identität auf der Metaebene. Ein brillanter Schachzug, der von einigen Kritikern als schamlose Kopie ausgelegt wurde.

Diese Kritik ist grobschlächtig. Sie übersieht, dass der Film damit ganz bewusst sich seines eigenen Grundes beraubt. Wie sein Protagonist, hat der Film keine Identität, was gleichbedeutend ist mit der Feststellung, der ganze Film ist ein Joker. Zusammengesetzt aus Versatzstücken, die aber auch auf der narrativen Ebene nicht aufgehen werden, sich niemals zu einem Ganzen fügen.

„Joker“ zersplittert auf allen Ebenen. Wir erleben eine Geschichte, deren Wahrheitsgehalt mehr als fragwürdig ist: Keine Szene ohne Arthur Fleck als Zentrum. Wir sehen die Welt, wie er sie wahrnimmt. Man könnte hier das Bild einer Falte aufrufen: Innen und Außen fallen in eins und bilden einen neuen Ausdruck, eine neue (Film)Form. Hervorgehoben dadurch – wie Thomas Groh in seiner vortrefflichen Filmbesprechung hervorgehoben hat – dass die Umwelt von Fleck sehr oft unscharf bleibt. Groh schreibt: „Auffallend häufig ist Arthur Fleck in seiner Joker-Werdung gefangen in einer Welt des schmalen Schärfebereichs, in der seine Umwelt zu einem unlesbaren Spiel von Farbtupfern und Lichtreflexen wird, eine Welt, die er nicht deuten kann, mit deren Mechanismen er nicht vertraut wird (…).“

Man muss hier noch einen Schritt weiter gehen: Diese Umwelt ist Arthur Felcks eigenes unscharf werden. Er hat keine Konturen: Alles fließt ineinander. Wie sich später, in einer schockierenden Wendung herausstellt, hat er sich die glückliche Beziehung zu seiner Nachbarin nur eingebildet. Für sich alleinstehend mag dieser Twist flach sein – man kennt ihn aus unzähligen Filmen, besonders eingeprägt haben dürfte sich dabei David Finchers „Fight Club“. Im Gesamtkontext des Filmes bricht mit dieser Szene jede sichere Bezugnahme, jede sichere Realitätsebene, jede Glaubwürdigkeit zusammen. Wir befinden uns im Inneren einer geschundenen Seele.

Unendliche Gründe für den Wahnsinn

Oh, was für eine läppische Küchenpsychologie! Dieser Ruf wurde nicht selten laut. Schwere Kindheit, Armut und Missbrauch. Kenn wir doch schon alles. Aus diesen Versatzstücken rührt der Film sich einen Charakter zusammen: Einen Psychopathen, mit dem man dann auch noch Mitleid haben soll. Es wird so getan, als gäbe es hier klare Antworten. Thomas Wayne wird von der überpräsenten, anwesend-abwesenden Mutter als Vater präsentiert. Sie habe bei den Waynes gearbeitet und dabei sei es passiert. Eine Affäre, die es unter den Teppich zu kehren galt. Oder war es doch anders? In der Krankenakte seiner Mutter findet er Hinweise, dass seine Mutter unter psychischen Problemen leidet. Also alles nur eine Erfindung? Hat der mächtige Thomas Wayne seine Muskeln aus Geld spielen und die Mutter für verrückt erklären lassen?

Auch wenn später im Film eine alte Fotografie auftaucht, auf deren Rückseite eine vielsagende Widmung von Wayne zu finden ist, gibt der Film bis zum Ende keine Antwort auf die Fragen nach der Ursache. Am Ende gibt es nicht den einen einzigen Grund, warum der Joker so ist, wie er ist. Sein Sein hat unendliche Spuren.

Der Witz hat seinen Witz verloren

Die Witze, die Fleck auf der Bühne erzählt, sind nicht lustig. Es handelt sich nicht mal um Antiwitze. Es sind Notizen aus dem Alltag. Beobachtungen oder autobiographische Oneliner. Der Tod ist die Pointe, das Versagen die Punchline. In diesen Momenten zeigt sich all die Bitterkeit, die sich unter den Armen in Gotham City ausgebreitet hat. Und die Reaktion des Talkshowgastes, dass man darüber wohl nicht lachen könne, dass es sich nicht ziert darüber Witze zu machen, legt die Bigotterie der herrschenden Klasse offen: Da wird der gute Geschmack in Anschlag gebracht, um das nackte, brutale Leben mit seiner Fratze nicht anerkennen zu müssen. Aber über diese Witze soll man auch nicht lachen. Es gibt nichts zu lachen und wenn, dann ist es erzwungen, röchelt gequält aus dem Inneren von Arthurs Körper.

Doch kommen wir zur vielleicht wichtigsten Folgerung: Wenn es stimmt, dass wir keinem Bild in „Joker“ glauben können, dann ist die Erzählung, Arthur sei der heimliche Anführer einer Revolution oder zumindest der Auslöser der Aufstände in Gotham, dann ist dieses Narrativ nicht haltbar. Es ist genauso gut möglich, dass Arthur sich in diese Rolle hineingesteigert hat. Der Auslöser der „Clown-Epidemie“ ist Thomas Wayne, der die Armen und die Demonstranten als Clowns beschimpft. Er, der reiche König der Stadt, will Bürgermeister werden und aufräumen mit all dem Schmutz. Doch dieser Schmutz begehrt auf.

Die Geschichte würde dann so gehen: Arthur erschießt als Clown in der U-Bahn die Wall Street Banker. Ein Unfall, eine Notwehr. Zeitgleich entsteht die Bewegung der Clowns. All das wird zur Stütze einer kranken Seele. Er glaubt nun endlich eine wichtige Rolle zu spielen. Endlich wird er gesehen – als Clown, der er ist. Doch dann wird er nicht der Joker sein. Nicht er. Denn diesen einen Joker gibt es nicht. Nicht in diesem Film. Womöglich führt der „Joker“ einen sozialen, mehrdeutigen Joker ein. Jeder kann sich diese Rolle aneignen, die Gesellschaft ins Chaos stürzen. Der Joker wird zu einer Chiffre für eine Gesellschaft, die vollkommen aus den Fugen geraten ist. Insofern gibt es auch keinen Wutbürger in diesem Film. Es gibt einen Wutkörper, durch den die gesellschaftliche Gewalt hindurchzuckt. DerJoker wäre damit eine Bewegung, ein sozialer Körper oder ein leerer Name, in den sich jeder einschreiben kann. Daher gibt es nicht die eine Geschichte – der Joker hat viele Gesichter. Gotham produziert diese Clowns, gebiert sie aus dem Innersten der Armut und der Demütigung. Das entschuldigt keine Gewalt. Es zu ignorieren, ändert jedoch auch nichts an der Tatsache, dass einzig und allein die Gesellschaft uns zu Individuen formt. Das macht den Film zu einem sehr zeitgemäßen Kommentar.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Sebastian Seidler

Schreibt über Kino, Kultur und Politik. Liebt düstere Musik, Filme, die einem etwas abfordern und liest zu wenig Romane - was aber auch egal ist.

Sebastian Seidler

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