Von verführerischen Monstern

NSU-Trilogie Der erste Teil der NSU-Trilogie der ARD ist ein sperriger und aufrüttelnder Film geworden. Leider schalten die Zuschauer nicht ein. Das erschreckt.

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Der NSU-Prozess ist noch nicht mal abgeschlossen, das letzte Wort des Rechts nicht gesprochen, da dreht die ARD bereits eine Trilogie über die Verbrechen. Drei Film, drei Perspektiven: Täter, Opfer, Ermittler. Braucht es das wirklich? Mit „Heute ist nicht alle Tage“ war am Mittwoch nun der erste Teil zu sehen. Die Frage ist damit eigentlich beantwortet. Egal wie die anderen Filme werden. Ja, wir brauchen das. Wir brauchen diese fiktive Spekulation, weil wir nur mit dieser an die anderen Schichten, unterhalb der nackten Fakten kommen. Weil wir uns mit uns selbst darin auseinandersetzen müssen. Dafür sorgt der Film nämlich – für Konfrontation. Er ist verführerisch, direkt und durchaus poppig, nur um dann im nächsten Moment die Stufe der Eskalation weiterzudrehen. Seht! Schaut! Die rechte Szene ist auch sexy. Sie bietet einen Sinn. Sie gibt Halt. Das mögen manche Zuschauer verwerflich finden, oder gar als Verharmlosung sehen. Das ändert nichts an der Tatsache, dass die rechte Szene nicht einfach aus dummen Glatzen und Monstern besteht. Wenn, dann sind diese Monster immer auch verführerisch. Schrecklich verführerisch. Neben Blut und Boden ist da immer auch Pop und Zucker. Sicherlich ist es einfacher auf die alten Stereotype und Dämonisierungen zurückzugreifen. Letztlich ist das aber nichts weiter als eine naive Befriedung des eigenen bürgerlichen Gewissens. Dort der dumme Skinhead, hier die aufgeklärte Wertegemeinschaft. Damit es auch schön heimelig bleibt in unserer Mitte. Aber nix da. Die Linien verlaufen nicht mehr gerade. Das ist die Lektion, ohne die wir gar nichts aus der Vergangenheit lernen können, um in der Zukunft etwas zu sehen.

Dieser eisige Blick…

Gemeinsam sein, Pogo tanzen und sogar zu Rio Reiser singen: Wenn ich König von Deutschland wär. So frei flotieren die Zeichen, dass aus links plötzlich rechts wird. Im Osten, dort hinter der Mauer, war es eine Form der Rebellion. Die linke Utopie hat versagt, ist zerfallen, konnte die Regale nicht mehr füllen. Die Wiedervereinigung gab Aussicht auf ein neues, starkes Deutschland, auf blühende Landschaften. Ein psychotisches Aufblühen. Die wieder aus der Taufe gehobene Nation wird umarmt, wild und heftig: Der rechte Arm zum Gruße. Da läuft es einem eiskalt den Rücken herunter, weil der Schrecken und die Verführung so nah beisammen liegen. Der Schwindel steigt einem beinahe sprichwörtlich zu Kopf. Der Fuß wippt im Takt der Melodien, tanzt im Kreis und die Vernunft wehrt sich. Man ist mitten drin im Entstehen von Affekten und Bindungen – und Gegenwehr. Das ist das Faszinierende an diesem Film. Er scheut den Zeigefinger, geht hinein in diese Welt (in diese Wunde), zieht den Zuschauer hinein und zeigt, dass es dort im braunen Sumpf durchaus verführerisch zugehen kann. Keine einfache Distanz und keine braven Bürger, die irgendetwas zurechtrücken. Nur dieser Blick von Zschäpe in die Kamera, der die vierte Wand durchbricht, lässt einen zurückschrecken. Dieser Blick ist doppeldeutig. Einerseits markiert er das geschehen als Fiktion, indem er mit der filmischen Illusion bricht. Andererseits fokussiert er den Zuschauer, wie als würde er fragen: Ist das nicht sexy? Wie weit würdest du gehen? Würdest du einschreiten, unsere Taten verhindern? Ja, was würden wir tun und was tun wir heute und morgen?Damit trifft „Heute ist nicht alle Tage“ ins Mark: Dort draußen lauert das Böse, tief in den Seelen der Zuschauer. Ähnlich wie Haneke bei „Funny Games“ wird hier eine unerbittliche Distanz durch Nähe geschaffen, die den Zuschauer auf sich selbst zurückwirft. Es ist ein Zwang zur Reflexion eingebaut. Man wird ertappt, von der Filmfigur, die sich mit der realen Zschäpe kreuzt. Einfache Erklärungen werden dabei nicht gegeben. Vielmehr werden Spuren gelegt, verweist das Eine auf das Andere usw.: Die Familienverhältnisse, die Gruppendynamik, die Verführung, die Ideologie. Vor allem aber geht es um die Dynamiken einer Gruppe, die sich ineinander drehen, einem Fangnetz gleich, keinen Ausweg mehr zulassen.

Ideologie besiegt Eifersucht

Natürlich ist da eine Spur Bonnie und Clyde. Natürlich sind da Anleihen aus „Clockwork Orange“. Es handelt sich ja auch um keine Dokumentation, sondern um das spekulative Psychogramm der Täter mit den Mitteln des Films. Da gibt es immer Verweiszusammenhänge. Zschäpe (Anna Maria Mühe) wird von der kleinen schüchternen Schülerin, die vor den Scientologen noch beinahe ehrfürchtig erstarrt, zur rechten Femme Fatale. Erst führt sie eine Beziehung mit Mundlos (Albrecht Schuch), nur um sich im nächsten Moment dem Freund Böhnhardt (Sebastian Urzendowsky) in die Arme zu werfen. Kann sie einfach nicht allein sein oder spielt sie mit der Macht der Geschlechterrollen? Man stelle sich nur vor was passiert wäre, hätte Mundlos seine Eifersucht nicht den größeren, mörderischen Zielen untergeordnet? Wäre die Eifersucht dann das Ende des NSU geworden? Es wäre so einfach gewesen, so banal. Die Eifersucht hätte so vielen Menschen das Leben gerettet. Doch der große Ideologe erscheint in diesen Moment dem bloßen Fleisch erhaben zu sein. Mundlos schweißt mit seiner unerbittlichen Disziplin die Gruppe zusammen. Danach geht es in den Untergrund. Es gibt nichts mehr zu verlieren.

Die Zuschauer bleiben aus

„Heute ist nicht alle Tage“ ist ein großartiger, weil verstörender Film, der die Kraft der Spekulation ausnützt, um uns mit Fragen zu konfrontieren, die durch die bloßen Fakten oder den Ausgang des Verfahrens nicht beantwortet werden können. Man muss dem Werden nachspüren, den mikrologischen Momenten, die sich dann auswachsen. Wir sollten das auch heute tun und Pegida und AfD nicht verharmlosen, nur weil sie sich mit Demokratie tarnen. Was gestern noch eindeutig identifizierbar war, kann heute schon unter neuen Masken aufmarschieren. Solche Filme helfen uns, die Augen und Ohren offen zu halten und immer auch das eigene Gewissen zu befragen. Bei uns selbst anzufangen. Wieviel des Films nun die Wahrheit gezeigt hat, spielt keine Rolle. Wichtig ist nur der Diskurs, den wir darüber führen – auch mit uns selbst. Doch die Zuschauer haben nicht eingeschaltet. Das ist das große Drama dieses Mittwochs, der noch größere Schrecken. Was sagt das über die Verfasstheit dieses Landes? Was sagt das über den Rechtsruck, wenn die Menschen sich in so großer Zahl nicht mit diesem Thema auseinandersetzen wollen? Es bleibt das seltsame Gefühl zurück, dass das Ausbleiben der Zuschauer noch mehr über die Gegenwart sagt, als der Film selbst. Nur ohne diesen reflexiven Moment, ohne diesen Blick von Mühe/Zschäpe. Beide Augen fest geschlossen. Niemand hat etwas gesehen. Mal wieder nicht. Bis es wieder brennt.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Sebastian Seidler

Schreibt über Kino, Kultur und Politik. Liebt düstere Musik, Filme, die einem etwas abfordern und liest zu wenig Romane - was aber auch egal ist.

Sebastian Seidler

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