"Ein kleines Herrenvolk sieht sich in Gefahr: man hat Arbeitskräfte gerufen, und es kommen Menschen." Max Frisch war es, der diesen treffenden Satz formulierte. Er wurde 1965 geschrieben – in Zeiten der Hochkonjunktur, da man dringend der "Fremdarbeiter" bedurfte und zugleich die Angst vor ihnen schürte. Viele jener Männer und Frauen, die in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts in die Schweiz kamen, sind geblieben. Sie tragen ihre individuelle wie die gemeinsame Geschichte einer ganzen Generation mit sich. Zu diesem kollektiven Geschehen gehört für die älteren Italiener und Italienerinnen der Name "Schwarzenbach". Der 1976 in Winterthur geborene Angelo Maiolino schreibt: "Für die italienische Gemeinschaft in der Schweiz symbolisierte der Name Schwarzenbach den Inbegriff von Xenophobie und Rassismus."
James Schwarzenbach, Mitglied der industriellen Aristokratie der Schweiz, repräsentiert wie kein Zweiter den Kampf gegen die "Überfremdung", der das 20. Jahrhundert geprägt hat und bis ins 21. Jahrhundert hineinreicht. Als junger Mann sympathisierte er in der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg mit der "Nationalen Front", welche die Eidgenossenschaft in Hitlers "Neues Europa" einordnen wollte. Auch nach dem Krieg vertrat er ein autoritär-elitäres Gedankengut. 1961 übernahm Schwarzenbach die Schweizerischen republikanischen Blätter und machte seinen Republikaner zum Organ der so genannten Ausländerfrage. 1967 kandidierte er für die "Nationale Aktion gegen die Überfremdung von Volk und Heimat" (NA) und wurde als einziger Vertreter dieser rechtsextremen Partei in den Nationalrat, die grosse Kammer des Parlaments, gewählt. Als Parlamentarier setzte sich Schwarzenbach für die Lancierung einer Volksinitiative ein, die den Ausländeranteil auf zehn Prozent begrenzen wollte (mit Ausnahme des Kantons Genf, für den eine 25-Prozent-Hürde vorgesehen war). Wäre die Volksinitiative angenommen worden, dann hätten etwa 300‘000 Menschen die Schweiz verlassen müssen.
Gesellschaftliche Widersprüche
Schwarzenbach machte sich eine Stimmung zunutze, die angesichts der raschen Veränderungen in vielen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens von der Angst um den Verlust des "Eigenen" geprägt war. Die Ursache dafür wurde nicht in den Umwälzungen der materiellen Grundlagen (Produktion, Konsum, Verkehr, etc.) gesehen, sondern mit den "Fremden" identifiziert, welche die schweizerische Identität infrage zu stellen schienen. Soziale Unsicherheit konnte – und kann noch immer – auf diese Weise kanalisiert werden. Kein Wunder, dass auch in der Arbeiterschaft und in Gewerkschaftskreisen die Furcht vor der "Überfremdung" verbreitet war. Hinzu kommt, dass die schweizerischen Arbeiter seit dem Friedensabkommen in der Metall- und Maschinenindustrie von 1937 weitgehend ruhiggestellt worden waren. Die italienischen Proletarier hingegen zeigten eher Bereitschaft, für ihre Interessen zu kämpfen – und viele von ihnen verfolgten gespannt die Auseinandersetzungen im "heissen Herbst" 1969, als in den industriellen Zentren Italiens massenhaft Betriebe besetzt wurden. So bestand die konkrete Befürchtung, die so genannten Gastarbeiter könnten zu einer Radikalisierung der schweizerischen Arbeiterschaft beitragen.
In diesem Umfeld fand am 7. Juni 1970 die Volksabstimmung über die Schwarzenbach-Initiative statt. Mit lediglich 54 Prozent Nein-Stimmen wurde sie verworfen. Das Abstimmungsergebnis "entblösste den xenophoben Untergrund, auf dem die schweizerische Öffentlichkeit stand", schreibt Maiolino. Die Besonderheit seines Buches besteht darin, dass erstmals analysiert wird, wie sich die italienische Gemeinschaft in der Schweiz gegen diesen Angriff auf ihre Anwesenheit im Land organisierte und welche Argumente sie entwickelte, um der Schwarzenbach-Initiative entgegentreten zu können. Seine Untersuchung konzentriert sich dabei insbesondere auf die Aktivitäten der "Federazione delle Colonie Libere Italiane in Svizzera" (FCLIS). Die Besonderheit der "Federazione" bestand darin, nicht die ethnisch-kulturellen Gesichtspunkte in den Vordergrund zu stellen, wie dies die Schwarzenbach-Initiative tat, sondern die Bedeutung der sozialen Interessen zu betonen. Auf diese Weise wollte sie die Arbeiterklasse im Ganzen ansprechen, die durch das Gift des Nationalismus betäubt und durch eine rassistische Politik gespalten worden war. In ihrer Zeitschrift Emigrazione konnte man beispielsweise lesen, "dass wir nicht kämpfen, weil wir Einwanderer sind, sondern weil wir ausgebeutet werden". Diese klassenkämpferische Linie fand in der Schweiz wenig Echo, aber sie zeigte, dass eine andere Deutung gesellschaftlicher Widersprüche möglich ist.
Behinderte Integration
Der Ungeist der Xenophobie wirkt immer noch weiter. Die "Herrenvolk"-Mentalität kommt nicht mehr so grobschlächtig daher wie zu den Zeiten von Max Frisch. Geblieben ist eine Vorstellung vom Exklusivität – nach dem Motto: Wir bestimmen, wer zu uns gehört. Die anderen, die nicht Teil dieses "Wir" sind, leben möglicherweise schon Jahrzehnte hier, wie dies bei den Angehörigen der ersten Migrationsgeneration nach dem Zweiten Weltkrieg der Fall ist. Ihre soziale Integration wurde erschwert bis verunmöglicht. Die Folgen zeigen sich heute in den individuellen Schicksalen älterer Migrantinnen und Migranten, die materiell wie gesundheitlich zumeist schlechter gestellt sich als ihre schweizerischen Altersgenossinnen und -genossen. Das ist nicht das Thema von Angelo Maiolino, doch er macht die Geschichte dieser Generation besser verständlich.
Noch eine Bemerkung zum Titel des Buches: "Tschinggen" ist eine wenig freundliche Bezeichnung für die Italiener. Heute wird dieses Wort in der Deutschschweiz kaum mehr verwendet.
Angelo Maiolino: Als die Italiener noch Tschinggen waren. Der Widerstand gegen die Schwarzenbach-Initiative. Zürich: Rotpunktverlag 2011, 288 Seiten
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.