Ungewohnte Signale erreichen uns von jenseits des Atlantiks: Dort gelingt es einem 74 Jahre alten linken Aktivisten, die Sympathien eines vor allem jugendlichen Publikums zu gewinnen. Er ruft zu einer «politischen Revolution» in den Vereinigten Staaten auf und kritisiert das herrschende System, das fern von den Interessen des arbeitenden Volkes agiert und hauptsächlich den Interessen der Konzerne dient. Die rechten Populisten bedienen sich eines vergleichbaren Instrumentariums, indem sie gegen das Establishment in Washington polemisieren – doch im Kern verfolgen sie nichts anderes als die etablierte Politik. In den vergangenen Jahrzehnten haben die «kleinen Leute» fälschlicherweise geglaubt, ihre Anliegen seien bei den rechten Hetzern am besten aufgehoben, weil diese den «american way of life» zu verteidigen vorgeben. Noch heute rennen viele einem Donald Trump hinterher. Doch es scheint sich ein Wandel abzuzeichnen.
Bernie Sanders, der lange Zeit unabhängige, jetzt der Demokratischen Partei angehörende Senator aus dem kleinen Neuengland-Bundesstaat Vermont, zieht eine wachsende Zahl von Menschen an, weil er genau das verkörpert, was er verkündet und wofür er sich engagiert. Sanders ist kein von Beratern stromlinienmässig geformter Repräsentant des politischen Systems, sondern ein seiner Basis treu gebliebener Volksvertreter. Dabei verlief sein Weg keineswegs gradlinig. Eine bereits 1997 erschienene und jetzt mit einem ausführlichen Nachwort versehene Autobiografie macht es möglich, einen etwas genaueren Blick auf seinen Werdegang zu werfen. Sanders wurde 1941 geboren und wuchs in Brooklyn (New York) auf. Seine jüdische Familie lebte in einfachen Verhältnissen. Sanders erklärte später: «Ich habe als Kind gelernt, was es für eine Familie bedeutet, wenn sie wenig Geld hat. Und diese Lehre habe ich niemals vergessen.»
Vergebliche Versuche
Politisiert durch seinen älteren Bruder Larry, begeisterte sich der junge Bernie für sozialistische Ideen. 1959 begann er ein Psychologie-Studium in New York, wechselte dann aber bald nach Chicago. Er trat verschiedenen linken Vereinigungen bei, etwa der «Young People’s Socialist League». In seiner Biografie bekennt Sanders, er habe das reguläre Studium stark vernachlässigt. Lieber widmete er sich den Werken von geschichtlichen Grössen wie Jefferson oder Lincoln und Theoretikern wie Marx, Engels oder Trotzki. 1964 schloss er sein Studium ab. Danach ging er für ein halbes Jahr in einen Kibbuz nach Israel, um dort das Gemeinschaftsleben kennenzulernen. Zurück in den Vereinigten Staaten, liess er sich im ländlichen Vermont nieder, von dem sich zu jener Zeit viele von der «Gegenkultur» der Hippies und Aussteiger Bewegte angezogen fühlten.
Sanders entwickelte vielfältige Fähigkeiten: Er war unter anderem als Zimmermann, Dokumentarfilmer und freier Autor tätig. Nach der Scheidung einer ersten Ehe ging er zunächst nach New York zurück und schlug sich mit Gelegenheitsjobs durch. Schliesslich kam er wieder nach Vermont zurück und engagierte sich in der «Liberty Union Party» (LU), einem Ableger der Bewegung gegen den Vietnamkrieg. Für sie kandidierte er in den 1970er-Jahren für verschiedene politische Ämter – immer wieder erfolglos. Schliesslich verliess er die Partei und war erneut als freier Autor tätig. Sollte er nach diesen Niederlagen noch einmal in die Politik zurückkehren? Ein guter Freund überzeugte ihn davon: Wenn es gelinge, alle zur Verfügung stehenden Kräfte zu sammeln, dann habe er Chancen, Bürgermeister in seiner Heimatstadt Burlington, der grössten Stadt von Vermont, zu werden. Sanders und seine Leute schufen politische Koalitionen mit Nachbarschaftsorganisationen in einkommensschwachen Vierteln der Stadt. Es gelang ihm aber auch, mit seiner Kritik an den bestehenden Steuern auf Wohneigentum bürgerliche Kreise zu erreichen. Sanders schlug stattdessen ein progressives Steuersystem vor, mit dem die öffentliche Dienste und das örtliche Erziehungswesen zu finanzieren wären.
Sozialismus in einer Stadt
Das Wunder gelang. Mit einer hauchdünnen Mehrheit wurde Bernie Sanders zum Bürgermeister gewählt. Die Übernahme der städtischen Behörde, die über Jahrzehnte hinweg von konservativen Demokraten und ihren republikanischen Alliierten kontrolliert wurde, erwies sich als wahrer «Bürgerkrieg», schreibt Sanders in seiner Autobiografie. Mit Programmen zur Entwicklung bislang vernachlässigter Stadtviertel und dem Aufbau einer Progressiven Koalition gelang es allmählich, die städtischen Machtverhältnisse zu verändern. Entscheidend dafür war, dass die Bürger und Bürgerinnen selbst an diesen Veränderungen beteiligt wurden. Hier entstand ein politisches Labor, in dem von den Graswurzeln der Gesellschaft unterstützte Reformprojekte erprobt werden konnten: Ansätze zu einem progressiven Steuersystem, eine effizientere Stadtverwaltung, Förderung von Wohneigentum für Familien mit kleinen Einkommen. Darüber hinaus entwickelte Burlington in den 1980er-Jahren eine eigene Aussenpolitik und unterstützte seinerzeit die sandinistische Regierung in Nicaragua.
In seinem Bürgermeisteramt wurde Sanders dreimal wiedergewählt. Doch er konnte dabei nicht stehen bleiben. Weil Vermont den demokratischen Experimenten auf lokaler Ebene enge Grenzen setzte, wollte Sanders auch auf der Staatsebene eine alternative Politik initiieren. Seine Kandidatur als Gouverneur endete allerdings in einer gewaltigen Niederlage. Auch eine erste Kandidatur für das US-Repräsentantenhaus war ein Fehlschlag. Zu dieser Zeit, Ende der 1980er-Jahre, wurden die Veränderungen des gesellschaftlichen Klimas in den Vereinigten Staaten immer deutlicher: Die Exzesse neoliberaler Politik machten es möglich, dass die Reichen reicher werden konnten, während die Durchschnittseinkommen stagnierten oder sogar sanken. Diese Politik wurde von beiden grossen Parteien, den Republikanern wie den Demokraten, betrieben. Deshalb hielt es Sanders für wichtig, als Unabhängiger so etwas wie eine «dritte Kraft» zu formen.
Revitalisierung der Demokratie
Nach der Wahl 1990 ins Repräsentantenhaus ging es Bernie Sanders vor allem darum, Alternativen im Interesse einer Mehrheit des US-amerikanischen Volkes aufzuzeigen. Immer wieder attackierte er politische Vorhaben, welche die Macht der Konzerne stärken und den Reichtum der Reichen noch weiter vermehren helfen. Seit 2008 gehört Sanders dem Senat an. Das hatte vor ihm noch kein einziger Unabhängiger geschafft. Er verweist auch in seinem aktuellen Kampf um die Präsidentschaftskandidatur der Demokratischen Partei darauf, dass die US-amerikanische Demokratie in den vergangenen Jahrzehnten mehr und mehr zu einer Oligarchie zu werden drohte. Er setzt sich für einen grundlegenden Wandel zur Revitalisierung der Demokratie ein – und er wird dabei von einer breiter werdenden Bewegung unterstützt. Deren Stärke wird kaum ausreichen, um Sanders ins Weisse Haus zu bringen. Doch mit seiner Kandidatur hat er die Initialzündung dafür gegeben, dass das «andere Amerika», das Amerika der Bürgerschaftsinitiativen und der Kritik an einer Politik, welche auf Kosten der Schwachen geht, wieder zu seiner Stimme finden kann.
Bernie Sanders with Huck Gutman: Outsider in the White House. Afterword by John Nichols. London / New York: Verso 2015, 346 S.
Kommentare 5
mit die schangsen isset wie mit die potenziale: schön zu sehen, aber weit wech...
Danke für diesen Beitrag!
Anmerkung zu:
"Er ruft zu einer «politischen Revolution» in den Vereinigten Staaten auf und kritisiert das herrschende System, das fern von den Interessen des arbeitenden Volkes agiert und hauptsächlich den Interessen der Konzerne dient. Die rechten Populisten bedienen sich eines vergleichbaren Instrumentariums, indem sie gegen das Establishment in Washington polemisieren – doch im Kern verfolgen sie nichts anderes als die etablierte Politik. "
Ich denke das ist eher nicht vergleichbar, denn während die rechten Populisten den Zentralsstaat USA, Washington D. C., zumindest relativieren. regionale Interessen bis hin zu Autonomie nach vorne gebracht wissen wollen. scheint es mir bei Bernie Sanders darum zu gehen, die Zentralmacht Washington D. C. im Interesse aller Menschen in den USA nach vorne zu bringen.
Selbst wenn Sanders nicht US- Präsident wird, ist mit ihm und seiner Hausmacht in einer Hillary Clinton Administration ab 2017, dem Bundestagswahljahr in Deutschland, als "Wahlhelfer" in einer heraufdämmernden Nachkriegsordnung des gescheiterten Krieges gegen den sogenannten Internationalen Terrorismus nach Nine Eleven2001 zu rechnen ist
Bernie Sanders steht mit seinen 74 Jahren für mich auch dafür, dass das politisch aktive Leben mit 58- 65 im Einklang mit großen Teilen der Jugend bei weitem nicht zuende ist. Ganz im Gegenteil.
Ja, Sanders macht für uns das andere Amerika sichtbar (so wie vorher in präsidentialen oder Wahlkampfreden Obama, Howard Dean, im Falle Sanders sogar in vorzeigbaren kommunalpolitischen Leistungen), abstrakt-theoretisch wissen wir das ja schon immer. Aber darum auf eine Revolution des US-amerikanischen Systems zu setzen, wäre sehr naiv, dafür ist die Bevölkerung zu desorientiert, gar pathologisiert. Kandidaten für eine Revolution sind Südamerika (trotz der gegenwärtigen Restaurationsphase), Europa, eventuell Asien. Dann wird es entscheidend wichtig sein, daß die imperialen Kräfte in den USA wenigstens vom besseren Amerika neutralisiert werden, nicht ihre mächtigen Geschütze auffahren können. Möge Sanders möglichst viele Gegenstimmen einsammeln.
"... dafür ist die Bevölkerung zu desorientiert, gar pathologisiert ..."
Das ist aber eine nette Umschreibung! :-)
Ich frage mich eher, ob die (aussichtslose) Kandidatur Sanders her zur Radikalisierung des Wahlkampfes beiträgt, und damit eher verantwortungslos ist.
Der aus Sicht der US-Bevölkerung linksradikale/kommunistische Sanders (was er objektiv nicht ist) polarisiert natürlich und generiert für den rechtsradikalen Trump (was er objektiv auch ist) Stimmen, die derzeit noch Clinton fehlen.
Aber das könnte sich schon diese Nacht erledigen, ich gehe jedenfalls davon aus.
Also nicht Trump, sondern Sanders wird vermutlich danach aufgeben.
Sollte sich gegen jede Vernunft Trump bis zum Ende des Wahlkampf behaupten, ist heute schon Clinton die nächste Präsidentin.
Denn so bekloppt ist selbst die US-Bevölkerung nicht (hoffe ich doch), Reagan sollte der letzte Schauspieler gewesen sein, der das Amt als Rolle missverstanden hat.