Ein blutiges Erbe

Rote Khmer Waren das nicht die Verfechter eines barbarischen Steinzeitkommunismus? Das Buch eines Asienwissenschaftlers wirft einen Blick hinter die Schlagworte

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Ein blutiges Erbe

Foto: Sjoberg/AFP/Getty Images

Ältere Zeitgenossinnen und -genossen mögen sich daran erinnern, dass vor bald 40 Jahren vietnamesische Truppen das Nachbarland Kambodscha besetzten, um das Regime der Roten Khmer unter Pol Pot zu stürzen. Handelt es sich um eine humanitäre Befreiungsaktion oder nicht vielmehr um einen aggressiven Akt gegenüber einem souveränen Staat, lautete die damals heiss diskutierte Frage – nicht nur unter Linken. Schliesslich galt die von den Roten Khmer zusammen mit dem einstigen Herrscher des Landes, Prinz Sihanouk, gebildete Widerstandsregierung als legitime Vertreterin des Landes. Kritik an deren Position nährte sich durch die seit Mitte der 1970er Jahre verbreiteten Berichte in westlichen Medien über die Gewaltherrschaft der Roten Khmer und ihre «Killing Fields» – mit hunderttausenden von Menschenopfern. Um den Massakern ein Ende zu setzen, sei die vietnamesische Intervention gerechtfertigt, wurde seinerzeit argumentiert.

Allerdings brachte diese Intervention genau jene Kader an die Macht zurück, die bereits zuvor zum System der Roten Khmer gehört hatten. Deren Vorteil bestand einzig darin, dass sie sich rechtzeitig vor dem Fall des Regimes in Phnom Penh absetzten und zu den Vietnamesen überliefen. Nun konnten sie mit Hilfe fremder Truppen die Herrschaft im Land neu übernehmen. Wie kam es aber zur Entzweiung der einstigen Bündnispartner Vietnam und Kambodscha im Kampf gegen den US-Imperialismus? Das lässt sich nur begreifen, wenn die Bedingungen des Kalten Krieges und die Auseinandersetzungen zwischen der Volksrepublik China und der Sowjetunion zur Kenntnis genommen werden.

Folgen des Krieges

Hier ein Schnellgang durch die jüngere Geschichte: Bald nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs machte der vietnamesische Befreiungskampf Schluss mit dem französischen Kolonialreich in Indochina. An dessen Stelle traten die USA, die Südvietnam zu ihrem militärischen Vorposten ausbauen wollten. Kambodscha unter Prinz Sihanouk versuchte lange Zeit, einen Kurs der Neutralität gegenüber den Parteien des Vietnamkriegs zu verfolgen, obwohl das Land seit Ende der Sechzigerjahre immer stärker in die Kriegshandlungen – vor allem durch Bombardements der US-Luftwaffe – hineingezogen wurde. 1970 entledigten sich die führenden kambodschanischen Kreise des Prinzen, der daraufhin eine Exilregierung ins Leben rief. Dabei stützte sich Sihanouk auch auf die Roten Khmer, deren Einfluss im Land deutlich gewachsen war. Die kambodschanischen Kommunisten orientierten sich an Maos Konzept einer vorwiegend bäuerlichen Aufstandes und spitzten dieses noch weiter zu: Die Bauernschaft sei die alleinige treibende Kraft der Revolution, behaupteten sie.

Mit dem Einmarsch in Phnom Penh im April 1975 hatten die Roten Khmer ihr erstes Ziel, den Sturz der unter US-Einfluss stehenden Regierung, erreicht. Der Umbau des durch den Krieg schwer versehrten Landes mit Hilfe der Volksrepublik China war eine wesentlich schwierigere Aufgabe, an der sie schliesslich scheiterten. Anders als Vietnam, das den sowjetischen Weg ging und den Aufbau eines industriellen Sektors ins Zentrum stellte, wollte die Khmer-Führung die Landwirtschaft zur Grundlage der ökonomischen Entwicklung des Staates machen. Nicht zuletzt deshalb wurden die Städter auf die Dörfer umgesiedelt. Diese Politik führte zu grossen Grausamkeiten und viele Menschen starben an Hunger und Krankheiten, weil es an Nahrungsmitteln und medizinischer Versorgung fehlte.

Eine egalitäre Utopie

Die Behauptung, die Roten Khmer hätten so alle Gebildeten ausrotten wollen, hält der Asienwissenschaftler Daniel Bultmann allerdings für einen Mythos. Auch das vielfach verwendete Bild des «Steinzeitkommunismus» treffe nicht zu. Die Roten Khmer wollten das Land vielmehr in eine industrielle Zukunft befördern, ist der Autor überzeugt. Ihr Vierjahresplan von 1976 habe auf eine «mit der Landwirtschaft verwobene Industrialisierung» abgezielt. Dafür arbeiteten Zehntausende an gigantischen Dammbauprojekten, «die die Basis bilden sollten zur Bewässerung dieser Utopie».

Ihr egalitär-kollektivistisches Denken hinderte die Roten Khmer allerdings daran, mit «Widersprüchen im Volk», wie Mao dies formulierte, in konstruktiver Weise umzugehen. Überall – insbesondere aber innerhalb des Macht- und Kontrollapparats – sah die Führung potenzielle Gegner und Feinde der Revolution. Diese mussten entdeckt und im Interesse des vermeintlichen Gemeinwohls vernichtet werden. Die Roten Khmer wollten einen «neuen Menschen» schaffen und zerstörten mit den traditionellen Familienverbänden und der im Volk verwurzelten Religiosität ein gesellschaftliches Gewebe, ohne das nichts Neues entstehen konnte. Deshalb war das Land angesichts der Eroberung durch die vietnamesischen Truppen auch nicht mehr in der Lage, substanzielle Gegenwehr zu leisten.

Die Rolle der Gewalt

Angesichts des Kalten Krieges und der verschärften Auseinandersetzungen zwischen der Sowjetunion sowie den USA und China auf der anderen Seite konnte sich die Exilregierung der Roten Khmer noch einige Zeit als Gegengewicht zu Vietnam halten. Mit dem Ende des Sowjetreiches wurde auch diese Rolle obsolet. Das internationale Kambodscha-Tribunal versucht seit Jahren, die Verbrechen von einst juristisch zu klären. Welche Begriffe sind dafür angemessen und wie können die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden? Diese Fragen werden von Bultmann ausführlich diskutiert und er fügt die Fakten zusammen, die für deren Beantwortung wesentlich sind.

Genügt eine rein juristische Aufklärung? Wohl kaum. Zum Beispiel bleibt die Frage offen, welche Rolle Gewalt in Revolutionen spielt und wie legitim diese ist. Entscheidend bleibt angesichts des blutigen Erbes der Roten Khmer die Auseinandersetzung darüber, wie revolutionäre Gewalt – wenn sie denn nötig sein sollte – eingehegt werden kann, damit sie nicht ihre eigenen Kinder frisst.

Daniel Bultmann: Kambodscha unter den Roten Khmer. Die Erschaffung des perfekten Sozialisten. Paderborn: Verlag Ferdinand Schöningh 2017, 265 Seiten

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Geschrieben von

Seifert

Journalist / Publizist / interessiert an Fragen der sozialen Ökologie

Seifert

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