Ein wahrer Aufklärer

Rezension Eugen Drewermann ist einer wichtigsten Theologen unserer Zeit. Eine neue Biografie legt seinen Werdegang als Priester, Therapeut und Exponent der Friedensbewegung dar.

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Dieser Mann füllt Säle. Er ist ein Meister der freien Rede und in der Lage, Herz und Verstand der Zuhörenden zugleich anzusprechen. In einer Zeit, in der Religion allzu oft mit geistiger Enge oder gar Fanatismus gleichgesetzt wird, versteht es Eugen Drewermann, das Befreiende in den religiösen Traditionen ans Tageslicht zu fördern – mit einem Wort: Aufklärung zu betreiben. Im linken Denken wird «Aufklärung» sehr oft als religionskritisch, gar als anti-religiös verstanden. Die «Kritik der Religion» ist allerdings ein dialektischer Begriff: Er meint sowohl die kritische Auseinandersetzung mit einer religiösen Begründung oder Bemäntelung von Herrschaftsverhältnissen als auch die religiös motivierte Kritik an Herrschaft von Menschen über Menschen.

Eugen Drewermann, geboren 1940, ist ein Kind des Krieges. Er kam in einer katholisch geprägten Gegend, im westfälischen Bergkamen, zur Welt. Sein Vater, ein höherer Bergbaubeamter, war Protestant und litt ein Leben lang darunter, dass er von den Amtsträgern der katholischen Kirche in Sachen Religion als Mensch zweiter Klasse behandelt wurde. Dem Naziregime standen Drewermanns Eltern kritisch gegenüber. Dabei zeigte vor allem die Mutter Mut, der Obrigkeit zu widersprechen.

Erfahrung des Krieges

Ein Luftangriff kurz vor Ende des Krieges, den der kleine Eugen im Bunker überlebte, prägte sich ihm tief ein: eine Erfahrung völliger Haltlosigkeit angesichts der Angst der Erwachsenen, die in diesem Moment vollkommen hilflos sind und im Gebet den Zugang zu Gott, dem Ort eines unerschütterlichen Vertrauens, suchen. Später wird er sagen, dass es Aufgabe jeder Religion sei, dieser Erfahrung existenzieller Angst so begegnen zu können, dass der Glaube an den absoluten Wert des Lebens stärker bleibt als jegliche Verzweiflung.

Diese Erfahrung des Krieges prägt auch die Konflikte, die der junge Drewermann mit der katholischen Kirche hat. Sie entzünden sich an der Haltung der kirchlichen Hierarchie in der Frage der Wiederbewaffnung Deutschlands: Die Bischöfe befürworten die Einführung der Wehrpflicht und verneinen ganz eindeutig das Recht, den Wehrdienst zu verweigern. Diese Haltung wird durch Papst Pius XII. bestätigt, der mit Blick auf die Sowjetunion die Notwendigkeit eines «gerechten Krieges» bejaht und den Katholiken die Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen untersagt. Drewermann will das nicht akzeptieren und versucht, bei den katholischen Pfadfindern eine Debatte darüber auszulösen.

Krankheit der Selbstverneinung

Die Auseinandersetzung über die Frage der Wehrdienstverweigerung macht für Eugen Drewermann deutlich, dass man seinem Gewissen folgen muss, selbst wenn die Kirchenoberen das Gegenteil sagen. Trotz solcher Erfahrungen mit der Amtskirche will er Theologie studieren, weil er hofft, dass es möglich sei, eine Reform dieser Kirche in einem humanen Sinne zu bewirken. Als junger Priester merkt er, dass die Theologie alleine nicht genügt, um die Nöte der Menschen zu begreifen und ihnen zu helfen. Durch eine intensive Auseinandersetzung mit der Psychoanalyse wird ihm bewusst, dass das von den kirchlichen Amtsträgern geforderte «Sein für andere» zur Selbstverneinung führen muss. An dieser Krankheit leide die Kirche, hält er in seinem Kleriker-Buch fest, das 1989 erscheint und zu einem Bestseller wird.

Bereits zuvor war es zu Kontroversen mit seinen Vorgesetzten gekommen. Drewermann ist beispielsweise mit der kirchlichen Verdammung von Geschiedenen und Wiederverheirateten nicht einverstanden. Er beharrt darauf, dass es im christlichen Glauben um die Kraft der Liebe gehe, die Befreiung möglich mache. Insofern steht Drewermann der lateinamerikanischen Befreiungstheologie nahe, auch wenn er manche Akzente anders setzt. Er erlebte ähnliche Repressionen wie deren Exponenten. Im Oktober 1991 entzog Erzbischof Degenhardt die Lehrbefugnis und wenig später auch die Befugnis zur Predigt. Im März 1992 erfolgte dann die Suspension vom Priesteramt. Degenhardt warf ihm vor, den Glauben an die Jesu Geburt durch eine Jungfrau sowie an Jesu Auferstehung von den Toten nicht in einem physikalischen Sinne zu verstehen. Drewermann hingegen sieht das Besondere an Jesus nicht in der vermeintlichen Überwindung von Naturgesetzen, sondern in einer zuvor nie erlebten Weise, die vorbehaltlose Liebe Gottes den Menschen nahezubringen.

Übersetzung in unsere Zeit

Mit dem Ausschluss aus dem Apparat erreichte die Amtskirche das Gegenteil des von ihr Gewünschten: Eugen Drewermann verschwand nicht in der Versenkung, sondern ist als Schriftsteller und Redner weiterhin präsent. Die Liste seiner Veröffentlichungen umfasst mehr als 100 Buchtitel. Drewermann hat in den vergangenen 30 Jahren weit über 1000 Vorträge gehalten. Er tritt auch an Friedensdemonstrationen und Kirchentagen auf und erreicht als Talkshow-Gast sowie auf YouTube sein Publikum. Drewermanns jüngstes Projekt besteht in einer dreibändigen Auseinandersetzung mit dem Thema «Kapital und Christentum», das es wert ist, in einer eigenständigen Besprechung ausführlich vorgestellt zu werden.

Worin besteht die Bedeutung Drewermanns? Er übersetzt die biblischen Texte und die in ihnen enthaltenen Bilder in unsere Zeit und macht damit deutlich, dass es unsere existenziellen Fragen sind, die dort zur Sprache kommen. Damit macht er diese religiösen Schriften zugleich wieder anschlussfähig an aktuelle philosophische, ethische und gesellschaftswissenschaftliche Debatten über die Fragen des Zusammenlebens in einer globalisierten Welt.

Noch etwas zur Biografie selbst: Sie ist sehr materialreich, doch an manchen Stellen zeigt sich der Autor Matthias Beier als zu detailversessen. So kann es geschehen, dass der Leser, die Leserin gelegentlich den Faden verliert. Angesichts der Fülle von Fakten und Zusammenhängen wäre ein Register hilfreich gewesen.

Matthias Beier: Eugen Drewermann. Die Biografie. Ostfildern: Patmos Verlag 2017, 518 S.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Seifert

Journalist / Publizist / interessiert an Fragen der sozialen Ökologie

Seifert

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