Es ist an der Zeit, endlich umzusteuern

Rezension «LuXemburg» ist eine Zeitschrift, die durch Inhalt wie Gestaltung auf sich aufmerksam macht. Dort geht es beispielsweise um die Energiewende und ein solidarisches Europa.

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Unsere Epoche der gesellschaftlichen Brüche und politischen Transformationen wäre eigentlich eine gute Zeit für Zeitschriften, die den anstehenden Veränderungen umfassender als andere Medienprodukte auf die Spur kommen können. Doch leider ist das, wie am Beispiel der deutschen Kommune deutlich wird, die nach bald 30-jähriger Existenz auf Ende 2012 eingestellt werden muss, nicht unbedingt der Fall. Neue Projekte brauchen eine lange Anlaufzeit und entsprechende Ressourcen. Die der LINKEN nahestehende Rosa-Luxemburg-Stiftung verfügt darüber und bringt ihre Zeitschrift LuXemburg bereits im vierten Jahrgang heraus.

Die viermal im Jahr erscheinenden Hefte sind jeweils einem thematischen Schwerpunkt gewidmet. Darüber hinaus verfügen sie über wiederkehrende Rubriken und andere, die das Thema eines früheren Heftes nochmals aufgreifen. So steht zwar jede Nummer für sich, doch zwischen den einzelnen Ausgaben entstehen inhaltliche Bande, die einem work in progress gleichen. Kontinuität wird auch durch jene Autoren und Autorinnen gewahrt, die fortlaufend Beiträge leisten. Das Auffällige daran ist, dass sich die Gruppe der Schreibenden sehr international zusammensetzt. Auf diese Weise wird die Leserin, der Leser nicht nur mit Entwicklungen in Deutschland vertraut gemacht, sondern gewinnt einen Einblick in gesellschaftliche Kämpfe rund um den Globus.

«Energiedemokratie»: Wie geht das?

Genau diese Globalität der Auseinandersetzungen um Fragen der Gerechtigkeit, des Friedens und der Zukunft der Lebensgrundlagen versucht die Zeitschrift bewusst zu machen, ohne alles über einen Leisten, etwa des Klassenkampfes, zu schlagen. Konflikte zwischen Klassen stehen im Hintergrund vieler solcher Auseinandersetzungen, doch sehr oft lassen sich gesellschaftliche Kontroversen nicht einfach darauf reduzieren. Das zeigt sich am Beispiel der «Energiekämpfe», denen die erste Ausgabe des Jahrgang 2012 gewidmet ist. Die Ausbeutung von nicht erneuerbaren Energieträgern wie Gas und Öl kann in den progressiven Regimen Lateinamerikas zu Wohlstandsgewinnen auch für die Massen beitragen, wie dies im Fall von Venezuela nachzuweisen ist – aber sie hat zerstörerische ökologische Folgen. Zudem steht sie in der Logik eines überkommenen Entwicklungsmodells, worauf der baskische Sozialwissenschaftler Luismi Uharte in einem Beitrag hinweist.

Zur Zerstörung von Lebensgrundlagen trägt vor allem der Energiehunger des Nordens bei. Gerade hier wird die Frage der Energiewende zu einem «wichtigen Kristallisationspunkt gesellschaftlicher Kämpfe», worauf der LuXemburg-Redaktor Tadzio Müller aufmerksam macht. Für ihn geht es um das Problem der «Energiedemokratie»: Wie kann der aus ökologischer Sicht dringliche Umbau der Energiesysteme so gestaltet werden, dass nicht die sozial Schwachen die Zeche dafür zahlen müssen, sondern ein gesellschaftlicher Ausgleich möglich wird? Die Schwierigkeiten eines Richtungswechsels hin zu einer sozial-ökologischen Politik beschreibt Andrea Ypsilanti am Beispiel des Wahlkampfes in Hessen im Jahr 2008, bei dem die Sozialdemokratie den Vorrang von erneuerbaren Energien ins Zentrum des angestrebten Machtwechsels stellte, dann aber bei der Regierungsbildung scheiterte. Zu den Gründen zählte nicht zuletzt der Widerstand aus Kreisen der eigenen Partei, die sich gegen ein Bündnis mit der LINKEN sträubten. So rückte auch das Projekt ein rot-grün-roten Verbindung auf Bundesebene in weite Ferne und im Blick auf die deutschen Bundestagswahlen 2013 scheint nach der Nominierung von Peer Steinbrück zum SPD-Kanzlerkandidaten die Chance einer sozial-ökologischen Alternative extrem gering zu sein.

Bruch mit neoliberaler Logik

Dabei wäre es doch an der Zeit, endlich umzusteuern, gerade angesichts der massiven sozialen Verwerfungen, die sich in Europa zeigen. Darum geht es in Heft 2/2012. Die Haltung zur europäischen Integration wird hier thematisiert. Aus linker Sicht erscheinen pro-europäische Positionen manchmal als allzu idealistisch. Dagegen werden europakritische Positionen in der veröffentlichten Meinung immer noch mit einer nationalistischen Politik gleichgesetzt und entsprechend diffamiert. Dabei formiert sich durchaus ein «Europa von unten», welches das Projekt der supranationalen Integration mit sozialen und ökologischen Inhalten neu definieren will.

Eine äusserst kontrovers diskutierte Frage ist jene nach den Institutionen der Europäischen Union: Muss man mit ihrer neoliberalen Logik brechen, wie dies beispielsweise der griechische Soziologe Panagiotis Sotiris in einem Artikel vorschlägt – und was würde das dann konkret bedeuten? Entscheidend wird die Auseinandersetzung um die politische Mitwirkung der Bürgerinnen und Bürger Europas an der künftigen gesellschaftlichen Gestalt des Kontinents sein. Die Zeitschrift LuXemburg liefert fundierte Beiträge zu dieser zentralen Debatte unserer Zeit.

Die Hefte zeichnen sich durch typografische und gestalterische Eleganz aus, ohne protzig zu wirken. Ihnen wäre eine deutlich höhere Auflage als die jetzige von 1500 Exemplaren pro Ausgabe zu wünschen.

LuXemburg. Gesellschaftsanalyse und linke Praxis. Nr. 1/2012: «Energiekämpfe» – Nr. 2/2012: «Europa, links», jeweils ca. 160 S., € 10.- zuzüglich Versand. www.zeitschrift-luxemburg.de

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Seifert

Journalist / Publizist / interessiert an Fragen der sozialen Ökologie

Seifert

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