Kämpferische Haltung

Rezension Robert Grimm war ein fundierter Theoretiker und vor allem ein gewiefter politischer Stratege der schweizerischen Linken. Ein Sammelband erinnert an seine Aktualität.

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Die helvetische Linke hat nur wenige Persönlichkeiten hervorgebracht, deren Charisma über die engen Grenzen des Landes hinaus wahrgenommen wurde. Zu ihnen zählt Robert Grimm, der beim Landesstreik im November 1918 an der Spitze des Aktionskomitees stand, das diesen machtvollen Moment der schweizerischen Arbeiter- und Arbeiterinnenbewegung organisiert hatte. Auch wenn sein rasches Ende wie eine schmachvolle Niederlage aussah, so verdeutlichte diese Aktion, dass die Arbeiterschaft aus dem Schatten des herrschenden Bürgertums herausgetreten war und ihre Rechte einforderte.

Robert Grimm, der 1881 geboren wurde und einer Arbeiterfamilie entstammte, geriet nicht zufällig in diese Rolle. Als junger Arbeitersekretär und später als Redakteur der Berner Tagwacht nutzte er das Wissen, das er sich während Lehre und Wanderschaft durch die Lektüre sozialistischer Schriften angeeignet hatte. Dabei entwickelte Grimm eine ganz eigene Form der Dialektik. Hans Ulrich Jost schreibt in Robert Grimm. Marxist, Kämpfer, Politiker, dessen Art habe darin bestanden, «ein theoretisch scharf entwickeltes Prinzip unmittelbar danach im Blick auf die konkrete Anwendung zu relativieren». Ein Argumente durchziehe Grimms politische Diskurse: «Die Prinzipien, Theorien und Fernziele seien den jeweils vorherrschenden Verhältnissen anzupassen und unterzuordnen. Seine Kritiker nannten dies Opportunismus, seine Freunde geschickte Taktik.»

Eine erste Bewährungsprobe für den Arbeiterführer stellte die Auseinandersetzung um die Burgfriedenspolitik der europäischen Sozialdemokratie angesichts des aufschäumenden Nationalismus zu Beginn des Ersten Weltkriegs dar. Grimm machte die Tagwacht zu einem Forum der Kriegskritik und hielt sich an die Parole des Basler Friedenskongresses, dessen 100-jähriges Jubiläum soeben gefeiert worden ist: Könne der Krieg nicht verhindert werden, so müsse er genutzt werden, um «die Beseitigung der kapitalistischen Klassenherrschaft zu beschleunigen». Da traf sich Grimm durchaus mit Lenin, doch dessen Forderung, der Krieg zwischen Staaten müsse in einen Bürgerkrieg der Unterdrückten gegen die herrschenden Klassen verwandelt werden, mochte er nicht akzeptieren.

Mit Kriegswirtschaft zum Sozialismus?

Der Schweizer Sozialist suchte einen dritten Weg zwischen der Mehrheitssozialdemokratie, die im Ersten Weltkrieg ihren eigenen Grundsätzen untreu geworden war, und der Kommunistischen Internationale, die als Werkzeug sowjetrussischer Interessen fungierte. Grimms Bedeutung für die nach dem Ersten Weltkrieg kurzzeitig existierende «Zweieinhalbten Internationale» zentristischer Parteien, zu denen auch die SP Schweiz gehörte, ist bislang noch wenig untersucht worden. Marc Vuilleumier geht dieser Geschichte nach. Auch nach dem Scheitern dieses Versuchs hielt Robert Grimm mit kritischen Worten an die Adresse der europäischen Sozialdemokratie nicht zurück. Er attackierte ihre Anpassungspolitik, die darauf verzichte, an die Kraft der Massen zu appellieren und stattdessen das Bündnis mit der Bourgeoise suche.

Angesichts der faschistischen Machtübernahme in Deutschland und Österreich gab die schweizerische Sozialdemokratie ihre antimilitaristische Politik auf und machte Frieden mit der Landesverteidigung. Damit war auch das Tor zur Integration der Linken ins politische System der Schweiz geöffnet. Grimm stieg zum Berner Regierungsrat auf und übernahm mit der Leitung der Sektion Kraft und Wärme des nationalen Kriegsindustrie- und Arbeitsamtes eine wichtige Position in der Kriegswirtschaft. Ihm ging es darum, die entsprechenden Lenkungsinstrumente über den Krieg hinaus weiterzuführen, «um sie zu gegebenem Zeitpunkt in sozialistischer Richtung umzusteuern», wie Simon Wenger im Beitrag «Zwischen Markt und Plan» festhält.

Kritische Distanz zur Marktwirtschaft

Unter den Bedingungen einer verstärkten Westintegration Europas nach dem Zweiten Weltkrieg plädierte Grimm für eine «dritte Kraft» zwischen den USA und der Sowjetunion. Dafür wollte er den von den Vereinigten Staaten initiierten Marshallplan nutzen: Mit ihm sollte der «Weg zur Gemeinwirtschaft» beschritten werden, der sich von der «blutgetränkte[n] Strasse des Kapitalismus» wie von der «die Freiheit vernichtende[n] Diktatur des bolschewistischen Imperialismus» unterscheide. Jakob Tanner weist darauf hin, dass Grimm in kritischer Distanz zur Mehrheitsströmung der Nachkriegssozialdemokratie geblieben sei, die sich mit der kapitalistischen Marktwirtschaft arrangiert hatte.

Das hier besprochene Buch ist aus einer wissenschaftlichen Tagung zu Grimms 50. Todestag im März 2008 heraus entstanden. Die politische Bedeutung von Robert Grimm besteht darin, dass er – trotz aller Bereitschaft zu Kompromissen – eine kämpferische Tradition der Arbeiterbewegung verkörpert, die bereits zu seinen Lebzeiten gerne vergessen worden war. Manches in Grimms Denken ist nicht mehr zeitgemäss – so seine Vorstellung von der monolithischen Einheit der Arbeiterklasse oder das patriarchale Verständnis von Geschlechterrollen, auf das Caroline Arni aufmerksam macht. Aktuell bleibt Grimm allerdings in seinem Beharren darauf, dass es eine Alternative zum Kapitalismus geben muss.

Bernard Degen, Hans Schäppi, Adrian Zimmermann (Hrsg.): Robert Grimm. Marxist, Kämpfer, Politiker. Zürich: Chronos Verlag 2012, 232 S.

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Geschrieben von

Seifert

Journalist / Publizist / interessiert an Fragen der sozialen Ökologie

Seifert

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