Kritik der Gewalt

Rezension Das Konzept des bewaffneten Widerstands in den Metropolen ist längt ad acta gelegt worden – doch zum Begreifen der Geschichte der linksradikalen Gewalt fehlt noch vieles.

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Am Anfang stand die Frage nach der Legitimität staatlicher Gewalt: Die weltweiten Proteste gegen den Krieg der USA in Vietnam waren der Auslöser dessen, was wir heute die «Achtundsechziger-Bewegung» nennen. Rund um den Globus gingen Hunderttausende von vor allem jungen Menschen auf die Straße, weil sie in den Mitteln barbarischer Zerstörung den angeblichen Zweck des kostspieligen Unternehmens nicht erkennen konnten: die Rettung der Demokratie. Sie nahmen ihr Recht auf freie Rede und Versammlung unter freiem Himmel in Anspruch – und wurden mit Staatsapparaten konfrontiert, denen solche Erscheinungsformen der Freiheit nicht gelegen kamen und die mit Repression dagegen vorgingen.

Vor allem in jenen Ländern, wo eine Generation zuvor der Faschismus geherrscht hatte – Italien, Deutschland und Japan – radikalisierten sich Teile der Bewegung so stark, dass sie selbst zu den Waffen griffen, um dem «System» Paroli zu bieten. Dies ist gewiss kein Zufall, denn in diesen Ländern kam die Befreiung hauptsächlich oder fast ausschließlich von «außen»: dank den alliierten Truppen. Wie das Beispiel Deutschlands zeigt, war der Bruch mit dem niedergegangenen Regime keiner, der ganz in die Tiefe der Gesellschaft gereicht hätte: Abgesehen vom Personal der obersten Führungsebene fanden die alten Nazis durchaus Verwendung in der jungen Demokratie und gestalteten so die neue Bundesrepublik mit.

Ein gescheitertes Konzept

In den Unterdrückungsmaßnahmen gegen die Achtundsechziger-Bewegung schien der alte Faschismus wieder zum Vorschein zu kommen. Jene, die sich der «Roten Armee Fraktion» und anderen Gruppen der «Stadtguerilla» anschlossen, wollten unter Einsatz von Gewalt dafür sorgen, dass der grundlegende Bruch mit der Vergangenheit nun endlich vollzogen würde. Ihre Aktionen hatten allerdings zur Folge, dass Polizei und Justiz massiv aufgerüstet und «modernisiert» wurden. Viele «Militante» verschwanden im Knast. Der Kampf der noch in Freiheit Befindlichen konzentrierte sich hauptsächlich darauf, die Haftbedingungen zu kritisieren sowie Gefangene zu befreien, was allerdings nur anfänglich glückte. Die politische Dimension des bewaffneten Aufstands verschwamm immer mehr und spätestens nach dem «Deutschen Herbst» 1977 wurde deutlich, dass das Konzept der «Stadtguerilla» gescheitert war.

Es dauerte dann allerdings nochmals 20 Jahre, bis die RAF im April 1998 ihre Auflösung bekanntgab. Einige der «Terroristen» von einst saßen weiterhin im Gefängnis und die juristische Aufarbeitung ihrer Aktionen war – und ist – noch nicht abgeschlossen. Trotzdem gehört der linksradikale bewaffnete Widerstand der Geschichte an. Jetzt ist also Gelegenheit, einen zweiten Blick auf die Ereignisse jener Jahre zu werfen, nach den Gründen für das Handeln der Militanten wie des Staatsapparates zu fragen und dabei auch die Reaktionen jener Teile der Gesellschaft zu untersuchen, die weder mit der einen noch der anderen Seite direkt in Verbindung standen.

Im Kontext der Zeitgeschichte

Das Haus der Geschichte in Stuttgart hat den Versuch gewagt. «RAF – Terror im Südwesten» heißt der etwas reißerisch geratene Titel einer Ausstellung, die noch bis Februar 2014 zu sehen ist. In den frühen Jahren der RAF waren deren Aktionen vor allem auf den Südwesten konzentriert. Sie richteten sich beispielsweise gegen die in Karlsruhe befindlichen obersten Justizbehörden des Bundes sowie gegen das Heidelberger Hauptquartier der US-Armee in Europa. Später kam dann noch Stuttgart-Stammheim hinzu: In der dortigen Justizvollzugsanstalt wurden RAF-Mitglieder seit 1974 in Untersuchungshaft gehalten und hier fand auch der grosse Prozess gegen die «Baader-Meinhof-Bande» statt.

Die Ausstellung bemüht sich darum, die Aktionen der RAF im Kontext der weltgeschichtlichen Ereignisse der Sechziger- und Siebzigerjahre des vorigen Jahrhunderts zu zeigen. Das Kapitel «Aufruf zur Gewalt» macht die Verbindung zwischen den gewaltsamen Aufbrüchen in der Dritten Welt und dem Selbstverständnis der RAF-Aktivisten deutlich. Diese erklärten: «Ob es richtig ist, den bewaffneten Widerstand jetzt zu organisieren», sei «praktisch zu ermitteln». Das Konzept der antiautoritären Bewegung von Rudi Dutschke und anderen, politische Aufklärung über Verhältnisse des Unrechts und der Ungerechtigkeit mit Aktionen gegen die herrschenden Verhältnisse zu verbinden, sollte gemäß den Vorstellungen der RAF radikaler gefasst werden.

Unruhe in der Kleinstadt

Wie kam zur Radikalisierung? Die Ausstellung versucht die Frage am Beispiel von Christian Klar zu beantworten. Sein Weg in die RAF führte über verschiedene Stationen, die im Katalog genauer unter die Lupe genommen werden. Ausgangspunkt war Lörrach, gleich an der Schweizer Grenze gelegen – genauer: das dortige Hans-Thoma-Gymnasium. Hier wirkte Christian Klars Vater Alfred als Direktor, zunächst ein aufklärerisch gesinnter Sozialdemokrat, der mit der aufkommenden Unruhe an seiner Schule allerdings höchst autoritäre Charakterzüge enthüllte.

Diese Unruhe war ein Reflex der Ereignisse an anderen Orten: Der Tod des Studenten Benno Ohnesorg, der vom Polizisten Karl-Heinz Kurras am Rande einer Demonstration gegen den Schah am 2. Juni 1967 in Westberlin erschossen wurde, löste in der südwestdeutschen Kleinstadt nicht unmittelbar Proteste aus, setzte aber auch hier bei einigen aufmüpfigen jungen Leuten (zu denen ich gehörte) einen Prozess des Nachdenkens und der Kritik in Gang. Das Attentat auf den Exponenten der Außerparlamentarischen Opposition (APO), Rudi Dutschke, am Gründonnerstag des Jahres 1968 bewirkte, dass sich Linke unterschiedlicher Ausrichtung zusammenfanden, um den Republikanischen Club als Plattform ihrer Aktivitäten zu schaffen.

Der Weg des Christian Klar

Die Lörracher APO sollte während zwei, drei Jahren das Geschehen am Hans-Thoma-Gymnasium ganz wesentlich bestimmen. In diesem Umfeld politisierte sich auch Christian Klar – und geriet damit zunehmend in Widerspruch zu seinem Vater. Es wäre allerdings verfehlt, sein Radikal-werden auf einen Vater-Sohn-Konflikt zu reduzieren. Es gab genügend Gründe, um den vorherrschenden Geist der bundesrepublikanischen Gesellschaft jener Jahre zu kritisieren und das politische Handeln der etablierten Kreise zu hinterfragen.

Weil Alfred Klar in der Bildungsverwaltung Karriere machte, zog die Familie 1971 in die Nähe von Karlsruhe, wo Christian dann auch mit dem Abitur abschloss. Dort fand er Kontakte zu Leuten, die gegen die Haftbedingungen von RAF-Gefangenen protestierten. In den «Komitees gegen Isolationsfolter» bildeten sich die Kader der neuen RAF-Generation heraus. Christian Klar ging Ende der Siebzigerjahre in den «Untergrund», war an verschiedenen Gewaltakten beteiligt und wurde im November 1982 verhaftet. Nach 26-jähriger Haft kam er im Dezember 2008 frei. Sieben Jahre zuvor, im Dezember 2001, war ein TV-Interview des Journalisten Günter Gaus mit Christian Klar ausgestrahlt worden. Klar erklärte dort, sein Schritt in die Gewalt sei bewusst erfolgt, da nur so aus einer «Minderheitenposition» heraus die Machtfrage hätte gestellt werden können.

Bemerkenswert ist hier der Vergleich mit einem anderen Interview, das Gaus mehr als 30 Jahre zuvor geführt hatte. 1967 antwortete ihm Rudi Dutschke auf die Frage nach der Gewalt, der hoch entwickelte Herrschaftsapparat der «Konterrevolution» sorge dafür, dass die revolutionären Kräfte die Gesellschaft nur auf dem Weg der Überzeugungsarbeit und der Gewinnung von Mehrheiten verändern könnten.

Befreiung durch Gewalt?

Die Stuttgarter Ausstellung gibt der Auseinandersetzung um die Rolle von (revolutionärer) Gewalt in der Geschichte zumindest einen Raum – und betrachtet sie nicht nur unter einem kriminalistischen Blickwinkel. Beispielhaft dafür steht ein Ausschnitt aus dem 1988 gedrehten Dokumentarfilm «Rudi Dutschke – aufrecht gehen» von Helga Reidemeister. In dieser Sequenz wird ein Streitgespräch zwischen Karola Bloch, der Frau des Philosophen Ernst Bloch, und dem Theologen Helmut Gollwitzer gezeigt, die mit Rudi Dutschke freundschaftlich verbunden waren. Für die Kommunistin Bloch gab es keinen Zweifel daran, dass Gewalt ein manchmal unverzichtbares Mittel im Kampf um die Befreiung darstellt. Gollwitzer dagegen beharrte auf der Bedeutung des gewaltfreien Widerstandes und verwies auf die Gefahren der Gewaltanwendung: Aus dem Befreiungskampf könne neue Unfreiheit erwachsen.

Wie reagierte die bundesdeutsche Gesellschaft auf den «Krieg» zwischen RAF und Staat? Einige Dokumente machen deutlich, dass es in den frühen Jahren des «Terrorismus» an den von Vertretern der staatlichen Organe erwünschten Identifikation des Volkes mit eben diesem Staatswesen mangelte. Dem sollte beispielsweise durch Machtdemonstrationen des staatlichen Gewaltmonopols abgeholfen werden. In einem Konzept des baden-württembergischen Innenministeriums von 1975 heißt es: «Der Staat kann seine Ordnungsfunktion nur dann entschlossen wahrnehmen, wenn es gelingt, die Bürger innerlich wieder enger mit unserem Staat zu verbinden.»

Der Kampf geht weiter

Ende der 1970er-Jahre entstanden in der Bundesrepublik mit dem Widerstand gegen Atomkraftwerke sowie gegen die verstärkte militärische Aufrüstung neue gesellschaftliche Bewegungen: die ökologische und die Friedensbewegung, in denen die früheren Kontroversen um den «bewaffneten Widerstand» kaum noch eine Rolle spielten. Die durch die Verhaftung führender Kader stark geschwächte RAF versuchte in den Achtziger- und frühen Neunzigerjahren vergeblich, sich nochmals in das politische Geschehen einzuschalten. Der Ausstieg aus der Sackgasse der «Stadtguerilla» zog sich lange und höchst mühsam dahin. Initiativen zum «gesellschaftlichen Dialog» wurden ergriffen – und scheiterten aus unterschiedlichen Gründen, zu denen sicher nicht alleine die mangelnde Gesprächsbereitschaft der RAF gehörte. Wichtige Impulse gingen vom FDP-Politiker Klaus Kinkel aus, der von der Notwendigkeit eines «neuen Denkens» im Umgang mit den RAF-Tätern überzeugt war.

Inzwischen findet so etwas wie eine «Musealisierung» der Roten Armee Fraktion statt. Damit scheint die Frage nach den Gründen, weshalb Menschen den Weg in den militanten Untergrund gingen, überholt zu sein. Doch Gewalt – in offener oder sublimer Form – bestimmt die Welt noch immer. Auch der Kampf um Befreiung aus der Bevormundung geht weiter: in Ägypten, Brasilien, der Türkei und anderswo. Diese Auseinandersetzung wird heute in erster Linie mit Worten und der öffentlichen Präsenz der Vielen geführt. Hat die Menschheit bereits eine neue Bewusstseinsstufe erreicht, um der Gewalt endlich zu entsagen?

Haus der Geschichte Baden-Württemberg (Hrsg.): RAF – Terror im Südwesten. Katalog zur Ausstellung im Haus der Geschichte Baden-Württemberg, Stuttgart, 14. Juni 2013 bis 23. Februar 2014. Stuttgart (Haus der Geschichte Baden-Württemberg) 2013, 160 S., € 19.90

Link zur Ausstellung: www.raf-ausstellung.de

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Geschrieben von

Seifert

Journalist / Publizist / interessiert an Fragen der sozialen Ökologie

Seifert

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