Nach dem Tod Gottes

Rezension Der Westen rüstet moralisch ab, während ihm Gegner erwachsen, die sich auf Metaphysik berufen. Terry Eagleton analysiert die kapitalistische Krise auch als Glaubenskrise

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Das Buch des englischen Literaturwissenschaftlers, Marx-Kenners und Linkskatholiken Terry Eagleton kommt genau zum richtigen Zeitpunkt: Nach den fürchterlichen Terroranschlägen in Paris, die mit «9/11»in den USA verglichen werden, stellt sich wieder einmal die Frage, wie wir uns gegen den sogenannten Islamischen Staat und andere jihadistische Organisationen verteidigen können. Gegenwärtig geht die Diskussion um die Ausweitung polizeilicher und militärischer Aktionen. Die Auseinandersetzung darum, ob wir denn dieser Auseinandersetzung mit einem kriegerischen Fundamentalismus islamistischer Prägung geistig und möglicherweise auch spirituell gewachsen sind, wird viel seltener geführt.

Mit dem Nachweis, der Jihadismus habe mit dem eigentlichen Islam wenig bis gar nichts zu schaffen, ist es noch nicht getan. Viel eher muss gefragt werden, was jihadistische Ideologien vor allem für junge Männer, aber auch junge Frauen mit einer Migrationsgeschichte so attraktiv macht. Weshalb finden sie Lebenssinn in Lehren, die auf die Zerstörung der «ungläubigen» Welt setzen? Tiefergehende Analysen weisen darauf hin, dass diese jungen Menschen Erfahrungen des Ausschlusses aus der sie umgebenden Gesellschaft gemacht haben und sich an ihr rächen wollen. Für sie scheinen die Versprechungen von Demokratie, Erfolg & Wohlstand nicht zu gelten.

Krise – geistig und spirituell

Tatsächlich produziert die kapitalistisch geprägte Gesellschaft massenhaften Ausschluss, während sie die Ideale von «Freiheit, Gleichheit. Brüderlichkeit» hoch hält. Die Ansprüche des einst revolutionären Bürgertums auf die universelle Geltung des Menschenrechts werden noch in Feierstunden deklamiert, doch die Wirklichkeit spricht eine andere Sprache. Das aktuelle Exempel ist der Umgang Europas mit der Flüchtlingsfrage.

Die geistige Krise des Westens ist auch spiritueller Art. Diesem Aspekt geht Terry Eagleton in seinem kürzlich erschienenen Buch Der Tod Gottes und die Krise der Kultur nach. Es ist ein Parforce-Ritt durch die europäische Ideengeschichte der letzten dreihundert Jahre, den er hier absolviert – fokussiert auf die Frage, welche Rolle der Religion beigemessen wurde bzw. was an deren Stelle rücken sollte. Die Aufklärer waren einst angetreten, um den in ihren Augen barbarischen Glauben zu zivilisieren. Sie wandten sich gegen eine Geistlichkeit, welche die Laien geistig klein halten wollte. Zugleich waren sie sich der politischen Funktion der Religion bewusst: Sie ermöglichte es den Herren, ihre Untergebenen im Glauben zu lassen, dass die bestehende Ordnung die von Gott gegebene sei. So kam es zu einer «doppelten Wahrheit»: Die aufgeklärte Intelligenz leistete sich ihren Skeptizismus, während die «da unten» im Aberglauben gelassen wurden.

So tun als ob

Mit dem Aufkommen der kapitalistischen Wirtschaftsweise und dem Siegeszug der Naturwissenschaften zersetzte sich der Glaube an ein höheres Wesen – denn dem Menschen schien nun möglich zu sein, was vorher Gott allein gehörte. Damit ging nun aber eine «Entzauberung» der Welt einher, auf die der Soziologe Max Weber so eindringlich hingewiesen hat. Damit fehlt auch eine Vision, welche die Herzen und Köpfe der Menschen erreicht und einen gesellschaftlichen Zusammenhalt überhaupt erst ermöglicht. Eagleton bezeichnet dies als eine «ironische Situation: Das System, das die Religion mit seinem säkularen Verhalten diskreditiert, benötigt auch besonders dringend jene symbolische Einheit, die eigentlich nur die Religion bieten kann.»

In der Blütezeit des Kapitalismus bot sich die Kultur als Religionsersatz an – doch sie hält nicht, was sie verspricht. Es sind vor allem drei Namen, die mit den Entmystifizierung der Kultur der Moderne in Verbindung gebracht werden können: Friedrich Nietzsche, Karl Marx und Sigmund Freud. Nietzsche war es, der den Tod Gottes verkündete, zugleich aber auch auf die Heuchelei jener verwies, die Gott entsorgt haben. In Eagletons Worten heisst das: «Sie glauben nicht an ihn, leben aber in der Notwendigkeit, so zu tun als ob.» Oder um es mit dem slowenischen Philosophen Slavoj Žižek zu sagen: «Wir wissen, dass Gott tot ist, aber weiss er es auch?»

Eine Kultur ohne Tiefe

Terry Eagleton hält fest: Der entscheidende Bruch mit der Theologie finde bei Nietzsche nicht statt. Das Konzept des Übermenschen, der «mehr als nur einen Hauch des Göttlichen» an sich habe, «sein autonomer, selbstbestimmter Supermensch ist auch nur ein neuer Versuch einer gefälschten Theologie». Eagleton weist darauf hin, dass der Tod Gottes – nämlich in Gestalt von Jesus Christus am Kreuz – eine «traditionelle christliche Lehre» darstelle. Dieser Tatsache sei sich Nietzsche offenbar gar nicht bewusst gewesen. Der Autor arbeitet heraus, dass im Christentum der Tod Gottes «nicht gleichbedeutend mit seinem Verschwinden» ist. «Im Gegenteil, er ist der Moment seiner deutlichsten Anwesenheit.»

Mit einem solchen Gott, dem die Zeichen von Erniedrigung und erlittener Gewalt anhaften, kann unsere Zeit wenig anfangen. Während aber die Moderne noch mit dem Tod Gottes ringt, ihn als Grund zum Kummer wie auch zum Jubeln empfindet, erlebt die Postmoderne gar nichts, denn es fehlt ihr nichts Wichtiges mehr, seitdem sie sich von den «grossen Erzählungen» verabschiedet hat. Die Postmoderne sei eine Kultur «ohne Tiefe», meint Eagleton. Wenn man Gott loswerden wolle, müsse man auch die «Vorstellung von Subjektivität» neu fassen. Das versuche die Postmoderne – und es falle ihr umso leichter, «weil das kapitalistische System gerade den Übergang vom Subjekt als Produzenten zum Subjekt als Konsumenten vollzieht», das sich durch Passivität, diffuse Erscheinung und Vorläufigkeit auszeichne. Ein solches Subjekt gleiche in keiner Weise mehr Gott und «die Entstehung des Ewigen Konsumenten kann nicht einmal Gott überleben», hält der Autor ironisch fest.

Spiritueller Bankrott als Hoffnung

Doch genau zum Zeitpunkt einer scheinbar definitiven Verabschiedung von Gott entstehen neue Formen eines religiösen Fundamentalismus – und dies übrigens nicht nur in islamischen Gesellschaften, sondern auch im angeblich so aufgeklärten Westen. Hier macht sich zudem ein sogenannt neuer Atheismus breit, eine «Billigvariante der Aufklärung». Eagleton vermutet, dass dieser als «neue, militante Verteidigungsstrategie für die westliche Zivilisation angesichts der Bedrohung aus dem Osten» benötigt werde. Der neue Atheismus à la Alain de Botton macht auch gerne Anleihen bei der traditionellen Religion. Seine Vorstellung vom Glauben habe allerdings «nicht das Geringste mit dem Propheten gemein, der von imperialen Mächten gefoltert und hingerichtet wurde, weil er der Gerechtigkeit seine Stimme geliehen hatte».

Für Terry Eagleton ist der «spirituelle Bankrott der kapitalistischen Ordnung» offenkundig. Damit verknüpft er aber eine Hoffnung: Ist der religiöse Glaube als gesellschaftlicher Kitt überflüssig geworden, könnte er seinen wahren Zweck wiederentdecken – die Kritik an einer Ordnung, die auf Ungerechtigkeit beruht. Die spirituelle Leere würde so zum Ort der Geburt von etwas Neuem.

Terry Eagleton: Der Tod Gottes und die Krise der Kultur. Aus dem Englischen von Ulrike Strerath-Bolz. Pattloch Verlag: München 2015, 288 S., € 19.99.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Seifert

Journalist / Publizist / interessiert an Fragen der sozialen Ökologie

Seifert

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden