Das Buch des englischen Literaturwissenschaftlers, Marx-Kenners und Linkskatholiken Terry Eagleton kommt genau zum richtigen Zeitpunkt: Nach den fürchterlichen Terroranschlägen in Paris, die mit «9/11»in den USA verglichen werden, stellt sich wieder einmal die Frage, wie wir uns gegen den sogenannten Islamischen Staat und andere jihadistische Organisationen verteidigen können. Gegenwärtig geht die Diskussion um die Ausweitung polizeilicher und militärischer Aktionen. Die Auseinandersetzung darum, ob wir denn dieser Auseinandersetzung mit einem kriegerischen Fundamentalismus islamistischer Prägung geistig und möglicherweise auch spirituell gewachsen sind, wird viel seltener geführt.
Mit dem Nachweis, der Jihadismus habe mit dem eigentlichen Islam wenig bis gar nichts zu schaffen, ist es noch nicht getan. Viel eher muss gefragt werden, was jihadistische Ideologien vor allem für junge Männer, aber auch junge Frauen mit einer Migrationsgeschichte so attraktiv macht. Weshalb finden sie Lebenssinn in Lehren, die auf die Zerstörung der «ungläubigen» Welt setzen? Tiefergehende Analysen weisen darauf hin, dass diese jungen Menschen Erfahrungen des Ausschlusses aus der sie umgebenden Gesellschaft gemacht haben und sich an ihr rächen wollen. Für sie scheinen die Versprechungen von Demokratie, Erfolg & Wohlstand nicht zu gelten.
Krise – geistig und spirituell
Tatsächlich produziert die kapitalistisch geprägte Gesellschaft massenhaften Ausschluss, während sie die Ideale von «Freiheit, Gleichheit. Brüderlichkeit» hoch hält. Die Ansprüche des einst revolutionären Bürgertums auf die universelle Geltung des Menschenrechts werden noch in Feierstunden deklamiert, doch die Wirklichkeit spricht eine andere Sprache. Das aktuelle Exempel ist der Umgang Europas mit der Flüchtlingsfrage.
Die geistige Krise des Westens ist auch spiritueller Art. Diesem Aspekt geht Terry Eagleton in seinem kürzlich erschienenen Buch Der Tod Gottes und die Krise der Kultur nach. Es ist ein Parforce-Ritt durch die europäische Ideengeschichte der letzten dreihundert Jahre, den er hier absolviert – fokussiert auf die Frage, welche Rolle der Religion beigemessen wurde bzw. was an deren Stelle rücken sollte. Die Aufklärer waren einst angetreten, um den in ihren Augen barbarischen Glauben zu zivilisieren. Sie wandten sich gegen eine Geistlichkeit, welche die Laien geistig klein halten wollte. Zugleich waren sie sich der politischen Funktion der Religion bewusst: Sie ermöglichte es den Herren, ihre Untergebenen im Glauben zu lassen, dass die bestehende Ordnung die von Gott gegebene sei. So kam es zu einer «doppelten Wahrheit»: Die aufgeklärte Intelligenz leistete sich ihren Skeptizismus, während die «da unten» im Aberglauben gelassen wurden.
So tun als ob
Mit dem Aufkommen der kapitalistischen Wirtschaftsweise und dem Siegeszug der Naturwissenschaften zersetzte sich der Glaube an ein höheres Wesen – denn dem Menschen schien nun möglich zu sein, was vorher Gott allein gehörte. Damit ging nun aber eine «Entzauberung» der Welt einher, auf die der Soziologe Max Weber so eindringlich hingewiesen hat. Damit fehlt auch eine Vision, welche die Herzen und Köpfe der Menschen erreicht und einen gesellschaftlichen Zusammenhalt überhaupt erst ermöglicht. Eagleton bezeichnet dies als eine «ironische Situation: Das System, das die Religion mit seinem säkularen Verhalten diskreditiert, benötigt auch besonders dringend jene symbolische Einheit, die eigentlich nur die Religion bieten kann.»
In der Blütezeit des Kapitalismus bot sich die Kultur als Religionsersatz an – doch sie hält nicht, was sie verspricht. Es sind vor allem drei Namen, die mit den Entmystifizierung der Kultur der Moderne in Verbindung gebracht werden können: Friedrich Nietzsche, Karl Marx und Sigmund Freud. Nietzsche war es, der den Tod Gottes verkündete, zugleich aber auch auf die Heuchelei jener verwies, die Gott entsorgt haben. In Eagletons Worten heisst das: «Sie glauben nicht an ihn, leben aber in der Notwendigkeit, so zu tun als ob.» Oder um es mit dem slowenischen Philosophen Slavoj Žižek zu sagen: «Wir wissen, dass Gott tot ist, aber weiss er es auch?»
Eine Kultur ohne Tiefe
Terry Eagleton hält fest: Der entscheidende Bruch mit der Theologie finde bei Nietzsche nicht statt. Das Konzept des Übermenschen, der «mehr als nur einen Hauch des Göttlichen» an sich habe, «sein autonomer, selbstbestimmter Supermensch ist auch nur ein neuer Versuch einer gefälschten Theologie». Eagleton weist darauf hin, dass der Tod Gottes – nämlich in Gestalt von Jesus Christus am Kreuz – eine «traditionelle christliche Lehre» darstelle. Dieser Tatsache sei sich Nietzsche offenbar gar nicht bewusst gewesen. Der Autor arbeitet heraus, dass im Christentum der Tod Gottes «nicht gleichbedeutend mit seinem Verschwinden» ist. «Im Gegenteil, er ist der Moment seiner deutlichsten Anwesenheit.»
Mit einem solchen Gott, dem die Zeichen von Erniedrigung und erlittener Gewalt anhaften, kann unsere Zeit wenig anfangen. Während aber die Moderne noch mit dem Tod Gottes ringt, ihn als Grund zum Kummer wie auch zum Jubeln empfindet, erlebt die Postmoderne gar nichts, denn es fehlt ihr nichts Wichtiges mehr, seitdem sie sich von den «grossen Erzählungen» verabschiedet hat. Die Postmoderne sei eine Kultur «ohne Tiefe», meint Eagleton. Wenn man Gott loswerden wolle, müsse man auch die «Vorstellung von Subjektivität» neu fassen. Das versuche die Postmoderne – und es falle ihr umso leichter, «weil das kapitalistische System gerade den Übergang vom Subjekt als Produzenten zum Subjekt als Konsumenten vollzieht», das sich durch Passivität, diffuse Erscheinung und Vorläufigkeit auszeichne. Ein solches Subjekt gleiche in keiner Weise mehr Gott und «die Entstehung des Ewigen Konsumenten kann nicht einmal Gott überleben», hält der Autor ironisch fest.
Spiritueller Bankrott als Hoffnung
Doch genau zum Zeitpunkt einer scheinbar definitiven Verabschiedung von Gott entstehen neue Formen eines religiösen Fundamentalismus – und dies übrigens nicht nur in islamischen Gesellschaften, sondern auch im angeblich so aufgeklärten Westen. Hier macht sich zudem ein sogenannt neuer Atheismus breit, eine «Billigvariante der Aufklärung». Eagleton vermutet, dass dieser als «neue, militante Verteidigungsstrategie für die westliche Zivilisation angesichts der Bedrohung aus dem Osten» benötigt werde. Der neue Atheismus à la Alain de Botton macht auch gerne Anleihen bei der traditionellen Religion. Seine Vorstellung vom Glauben habe allerdings «nicht das Geringste mit dem Propheten gemein, der von imperialen Mächten gefoltert und hingerichtet wurde, weil er der Gerechtigkeit seine Stimme geliehen hatte».
Für Terry Eagleton ist der «spirituelle Bankrott der kapitalistischen Ordnung» offenkundig. Damit verknüpft er aber eine Hoffnung: Ist der religiöse Glaube als gesellschaftlicher Kitt überflüssig geworden, könnte er seinen wahren Zweck wiederentdecken – die Kritik an einer Ordnung, die auf Ungerechtigkeit beruht. Die spirituelle Leere würde so zum Ort der Geburt von etwas Neuem.
Terry Eagleton: Der Tod Gottes und die Krise der Kultur. Aus dem Englischen von Ulrike Strerath-Bolz. Pattloch Verlag: München 2015, 288 S., € 19.99.
Kommentare 22
Terry Eagleton hält fest: Der entscheidende Bruch mit der Theologie finde bei Nietzsche nicht statt. Das Konzept des Übermenschen, der «mehr als nur einen Hauch des Göttlichen» an sich habe, «sein autonomer, selbstbestimmter Supermensch ist auch nur ein neuer Versuch einer gefälschten Theologie». Eagleton weist darauf hin, dass der Tod Gottes – nämlich in Gestalt von Jesus Christus am Kreuz – eine «traditionelle christliche Lehre» darstelle. Dieser Tatsache sei sich Nietzsche offenbar gar nicht bewusst gewesen. Der Autor arbeitet heraus, dass im Christentum der Tod Gottes «nicht gleichbedeutend mit seinem Verschwinden» ist. «Im Gegenteil, er ist der Moment seiner deutlichsten Anwesenheit.»
Ich weiß nicht, wie Terry Eagleton das sieht, aber diese Rezension unterschlägt, dass der Katholizismus ein entscheidender Teil des Problems ist. Beginnend mit Kirchenvätern, wie zum Beispiel, Irenäus von Lyon, der ca. 150 Jahre nach dem Tod Christi, zum Teil sehr verbreitete christliche Schriften und Glaubensansätze nach eigenem menschlichem Gutdünken als häretisch aus dem Kanon der heiligen Schrift verbannte und so entscheidend bestimmte, was diese Religion, die sich als göttliche Offenbarung inszeniert, ausmacht. Das Thomasevangelium, das Judasevangelium, das Evangelium der Maria, das Christus in ein Verhältnis zu Maria und damit zur Sexualität stellt. Die Gnostiker, von denen sich viele als Christen empfanden, wurden als Ketzer ausgeschlossen. Dabei ging es nicht um göttlich empfangene Wahrheit, sondern um weltliche Macht, die in ein System gebündelt werden sollte und wurde. Die katholische Kirche war in erster Linie immer auch säkulare Macht. Vor allem seit Konstantin, auf dessen Eingriff hin der bis dahin selbst in Kirchenkreisen nicht entschiedene Streit über die Gottgleichheit Christi per Dekret zugunsten der Version festgelegt wurde, die heute von jedem Katholiken als Wort Gottes angesehen wird. Und die die Basis für all das ist, was sich dann bis in die Neuzeit an westlich geprägter Kultur entwickelt hat. Einschließlich der Punkte, die auch Terry Eagleton kritisiert. Die Entstehung des Islams, der sich ja bis hin zu Abraham auf die gleichen Wurzeln beruft ist nicht zuletzt dieser katholischen Machtpolitik und Dogmatik geschuldet. Z.B. besteht das Thomasevangelium aus genau 114 Logien, so wie der Koran aus 114 Suren besteht. Vielleicht ist das nur ein Zufall. Der entscheidende Punkt bleibt auch, dass Jesus für die Moslems eine sehr wichtige und entscheidende Figur war und ist, die sie, im Unterschied zu den Beschlüssen des ersten christlichen Konzils von Nicäa aber eben nicht als Mensch gewordenen Gott, sondern einfach nur als Marias Sohn verstehen.
GOTTES EIGENES KONZIL
"Der Kaiser (Konstantin) hatte die Priester zu einer Konferenz zusammengerufen, die heute als das erste ökumenische Konzil der christlichen Kirche gilt. Der Kaiser wünschte, daß ein Glaubenstreit, der unter den christlichen Priestern ausgebrochen war, ein für allemal durch eine endgültige Regelung behoben werde. Zwar schien dem Kaiser, daß es bei dem Streit letztlich um "Lappalien" ging (ob Christus dem Gottvater "wesensgleich" sei oder nicht), aber er meinte, das Problem sei doch aus politischen Gründen wichtig genug, es auf einer Konferenz zu klären."
Wenn man Nietzsches Versuch einer neuen Selbstbestimmung als "gefälschte Theologie" bezeichnet, sollte man jedenfalls die Fälschungen der katholischen Theologie nicht anders behandeln. Und von dieser Pflicht kann man sich m.E. auch nicht befreien, indem man marxistische Theorie und den, mit all seinen unseeligen Früchten auf menschlichem Acker gewachsenen Katholizismus zu so etwas wie "Linkskatholizismus" verbindet. Das ist wie ein "authentisches Fischgericht" aus dem Maggi Kochstudio...
Heute gibt es übrigens eine ARTE Doku mit dem Titel "Jesus und der Islam". Die bringt vielleicht etwas, hoffentlich auch für interessierte Laien verständliches Licht in diese, wie ich meine wichtige Angelegenheit.
Kompliment, ein profunder Kommentar.
Zum Thema zu empfehlen: Prof. em. Dr. Horst Herrmann, "Befreit Gott von den Gläubigen"
Was zum Teufel ist ein "Linkskatholik"? Das hört sich ja an wie ein veganer Steakliebhaber :-)
Ich meine, wenn man sich einig ist, den Himmel den Engeln und Spatzen zu überlassen und hier auf Erden schon das Himmelreich zu errichten wie es einst Heine genial fomulierte, braucht man doch kein ewiges Leben mehr, oder.
Also das ist "links", "katholisch" dagegen glaubt an einen allmächtigen Gott, der hinter allem steht.
Wenn ein anständiger Linker stirbt und tatsächlich auf Gott trifft, haut er diesem Ungeheuer eins aufs Maul für all sein Unheil :-)))
Vielen Dank für die Blumen; auch für den Link zu Dr. Herrmann!
Tja, man kann jedem, der einen Zugang hat nur Mut machen, sich nicht durch die Einschränkungen abschrecken zu lassen, die alle etablierten Religionen in ihrer kanonisierten Form mit sich bringen. Und weil das so individuell ist, lässt das sich eigentlich auch nur schwer systematisieren. Aber etwas nur deswegen nicht zuzulassen, kaputt zu machen, oder auszugrenzen, weil es dem kircheninternen Dogma nicht entspricht, ist einfach wirklich das Letzte! Und leider tut sich gerade die katholische Kirche, trotz dieses Ausnahmepapstes nach wie vor sehr schwer. Wie lange wird es noch dauern, bis auch die Weltreligionen die wirklich historische Dimension der Herausforderung, vor der sie stehen fassen und angemessen auf die Globalisierung reagieren? Indem sie diese nicht ale Bedrohung, sondern als eine Chance begreifen, den engen Horizont ihrer eigenen Dogmatik zu spirituellen Zugängen zu erweitern, die in der Sprache und dem spirituellen Vorstellungsvermögen dem entspricht, was sich kulturell und evolutionär auf der Welt ereignet hat und gerade zu ereignen scheint? Immer wieder hat es Menschen gegeben, für die diese Grenzen kein Hindernis dargestellt haben, die dabei auch in das System ihrer eigenen Religion bestens integriert waren. Für die katholische Kirche sei hier beispielhaft der Mönch Thomas Merton genannt. (z.B. Weisheit der Stille) Wer sich für das Verhältnis von Nietzsche, Nihilismus, Heidegger, deutschem Idealismus und Religion interessiert, dem sei hier noch einmal wärmstens das Buch "Was ist Religion" von Nishitani Keiji empfohlen. (Leider nur noch im Antiquariat)
Danke auch für die fruchtbare, umfassende Antwort!
«Für Terry Eagleton ist der «spirituelle Bankrott der kapitalistischen Ordnung» offenkundig. ( ... ) Die spirituelle Leere würde so zum Ort der Geburt von etwas Neuem.»
Von der Naturreligion bis zur abstrakten Religion einer Monade diente Religion den Menschen als Gesetz. Die unendliche Zahl an Religionsgesellschaften, Sekten und Interpretationen zeigt, daß Juristen am Werkeln waren und sind - allesamt Winkeladvokaten.
In der Schule hatte ich einmal im letzten Jahrtausend gelernt, daß die Westgoten (von der Ostsee kommend und über das Schwarzmeergebiet, den Balkan und Italien nach Iberien gewandert) nach einem Sieg über die iberischen Eingeborenen, zum Christenthum bekehrt wurden - soweit die katholische Sicht der Dinge, die sich seinerzeit, in die evangelische Religion hineingeboren, über mich ergossen hatte.
Tatsächlich waren die Westgoten bereits arianische Christen mit einer völlig anderen Gottessicht, als die Katholiken. Die orthodoxe Sicht der Religion unterscheidet sich ebenfalls von der katholischen; die ist auszumachen am Filioquestreit, der nicht einvernehmlich gelöst werden konnte.
Auch der Islam ist nicht aus dem luftleeren Raum entstanden, sondern baut als Religion der Spätantike auf den bisher bekannten Religionen und ihren Interpretationen auf - siehe Arius und Mohammed.
Wenn Religion den Menschen als Gesetz diente und weiterhin dienen soll, ist der Mensch mit seiner Lebenswirklichkeit in den Mittelpunkt der Betrachtung zu stellen:
- Was ist?
Neoliberalismus durch das Geld-System.
- Was ist wirklich?
Ausbeutung durch das Politik-System.
- Warum soll ich?
Ich will das NICHT !
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PS: Heute ist der 8. Dezember 2015, Maria Empfängnis; die Geburt ist dann am 30. August 2016 und nicht am 24. Dezember :-)
ad P.S.
Wenn Sie Marias Geburt meinen, liegen Sie richtig, denn bei "Maria Empfängnis" handelt es sich um die Conceptio der Maria selbst.
Danke für den sehr guten Beitrag, der auch gut zu meinem eben ins Netz gestellten Beitrag „Ode an den Tod“ paßt.
Abgesehen davon und mehr nebenbei finde ich die Stelle interessant, wo Du „die Entstehung des Ewigen Konsumenten“ erörterst. Da würde ich gegen Eagleton einwenden, daß hinter dem so genannten Konsumenten ja der Träger des Bedürfnisses steht – das dann in der vorhandenen Ökonomie nur als „Bedarf“ zur Geltung kommt – und es doch nicht angeht, ihm, dem Bedürfnisträger, grundsätzliche Passivität zuzuschreiben. Im gegebenen System ist er passiviert, ja, da ist es aber auch der Arbeiter trotz seiner Produktionstätigkeit. Aktivität würde doch vor allem ökonomische Entscheidungs- oder Richtlinienkompetenz bedeuten. Die aber, meine ich, kommt den Arbeitern in ihrer Eigenschaft, Bedürfnisträger zu sein, zu, nicht umgekehrt.
Stimmt, das wird gern verwechselt, darum habe ich daraus einen Scherz konstruiert, der dem abstrakten Konstrukt des Katholizismus angemessen ist.
Lieber Michael, herzlichen Dank für deinen Kommentar! Das, was Terry Eagleton bezüglich des «Ewigen Konsumenten» schreibt, verstehe ich als polemische Zuspitzung. Es geht nicht darum, Bedürfnisse zu verumglimpfen, sondern um Kritik an einem System, das Menschen auf eine Konsumentenrolle zu reduzieren versucht.
Die übrigen Kommentare zu meinem Beitrag scheinen die These zu bestätigen, dass vielen Menschen nach dem «Tod Gottes» nicht einmal mehr dessen Fehlen zu Bewusstsein kommt.
"Die übrigen Kommentare zu meinem Beitrag scheinen die These zu bestätigen, dass vielen Menschen nach dem «Tod Gottes» nicht einmal mehr dessen Fehlen zu Bewusstsein kommt."
Dazu fällt mir nichts mehr ein. Außer, dass ich es traurig finde. Ist es wirklich so, dass die Zukunft unserer spirituellen Debatten auf dieser Ebene stattfinden wird? Ich muss sagen, das ich mich vor diesem offenbar grundsätzlichen Mangel an Verständnis oder zumindest der Bereitschaft, sich dafür zu öffnen mindestens genau so fürchte, wie vor radikalisierten Fundamentalisten oder desorientierten Jugendlichen. Weil ich glaube, dass das die Basis für deren deren Enwicklung war und ist und weil ich wirklich davon überzeugt bin, dass diese Verständnislosigkeit eine echte Reform der Weltreligionen unmöglich macht. Das macht mir Angst, weil ich davon ausgehe, dass es in allen Kulturkreisen haufenweise Menschen gibt, die sich professionell mit diesen Dingen auseinander setzen und gar nicht anders können als so zu reagieren, weil sie nie etwas anderes wahrgenommen haben als die Dogmen, die sie von ihrem Gott, als dem einzig wahren und möglichen überzeugt sein lässt. Egal, ob das dogmatische Katholiken, oder Moslems oder Hindus oder, wie jetzt in Burma auch Buddhisten sind. Das empfinde ich wirklich als traurig und ich hoffe, dass mich mein Eindruck täuscht. Gleichzeitig habe ich das Gefühl, dass das, in der Form jedenfalls, wirklich nicht mehr mein persönliches Problem mit dem Glauben ist. Wie schön!
Inquisition
die Scheiterhaufen brennen noch
sie stehn in Fukushima
in Harrisburg und Tschernobyl
vergiften sie das Klima
der Glaube an die Machbarkeit
mit Geld und Gottes Segen
DAS Top Produkt der Christenheit
und allem überlegen
was sonst nicht zu bekehren ist
an Kadern und Gebräuchen
die glauben gern und halten fest
und gehen über Leichen
Der zweite Absatz ist schlichtweg rotzig unverschämt.
Zustimmung!
«Es ist eigentlich gar nicht meine Art, «rotzig unverschämt» aufzutreten, doch in manchen Fällen kann ich wohl nicht anders.
Religionskritik in Ehren, doch sie sollte zur Sache sprechen, sonst ist sie eben die billige Form der Aufklärung, die Terry Eagleton in seinem Buch seziert.
Es gibt Menschen, die machen sich über eine Bezeichnung wie «Linkskatholik» lustig. Stellen Sie sich vor: Es gibt sogar einen «religiösen Sozialismus», der in der Tradition der «Reich Gottes»-Idee steht. Dabei geht es um eine radikale Kritik der Herrschenden und um die Hoffnung auf einen «neuen Himmel», eine «neue Erde», wo Frieden und Gerechtigkeit ihren Ort haben werden. Religiöse Sozialistinnen und Sozialisten setzen sich dafür ein. Hier geht es nicht um Dogmen, sondern um den Dienst an einer sich von Unrecht und Unterdrückung befreienden Menschheit! Diese Sichtweise nicht nur des christlichen Glaubens ist Verächtern und Verächterinnen von «Religion» offenbar keinen Gedanken wert.
« ... dass vielen Menschen nach dem «Tod Gottes» nicht einmal mehr dessen Fehlen zu Bewusstsein kommt.»
Um eine spirituelle Debatte zu führen, bedarf es keines Todes Gottes, weil bisher nicht bekannt ist, wer oder was Gott eigentlich ist, dieser darum im Reich der Märchen und Fantasy·Welten beheimatet ist.
Spirituelle Erfahrungen bedürfen des aktiven menschlichen Tuns und sind darum vom Menschen her zu denken, nicht von einem transzendenten Gott.
"Es gibt Menschen, die machen sich über eine Bezeichnung wie «Linkskatholik» lustig."
Da hört der Spaß natürlich auf. Den Spaß, den wir an andernorts als Satire oder freie Meinungsäußerung verteidigen. Klar, dass man da schon mal rotzig werden kann, ohne sich inhaltlich zu äußern. Ich finde das auch verständlich, schließlich geht es um "radikale Kritik der Herrschenden und um die Hoffnung auf einen «neuen Himmel», eine «neue Erde», wo Frieden und Gerechtigkeit ihren Ort haben werden." Aber eben im Zeichen des richtigen Gottes, weshalb auch der Zorn und die Rotzigkeit ihre Richtigkeit hat. Nicht wie der Zorn dieser radikalisierten Jugendlichen, die gar nicht bemerken wollen, wie sehr ihnen der rechte Gott fehlt und irgendwelche Botschaften anzünden, nur weil jemand einen Witz über ihren Götzen gemacht hat.
Lassen Sie uns die Diskussion ein anderes Mal weiterführen. Ich habe nicht den Eindruck, mich bei Ihnen verständlich machen zu können. Um mich zu erklären, müsste ich mehr Zeit haben, die mir im Moment fehlt.
Die Hoffnung auf ein besseres Jenseits kann doch nur funktionieren, wenn das schlechte Diesseits als unveränderlich akzeptiert wird. Im extremen Fall hoffen Selbstmordattentäter auf ihre 72 Jungfrauen, nur diese Hoffnung lässt sie einen grässlichen Tod in Kauf nehmen.
Davon lebt aber auch jede Religion. Und dadurch diente Religion schon immer den Herrschenden, die ja nie die Welt verändern wollen, leben sie doch wie die Maden im Speck.
Das ist doch ganz durchschaubar.
Wer die Welt verändern möchte zum Guten, kann gar nicht religiös sein.
Selbst wenn es einen Gott gäbe und derjenige, der sich bemüht hat auf Erden das Gute um des Guten selbst Willen zu tun ( kann man sich ja mal vorstellen) und er steht dann neben einen Gläubigen vor dem Richterstuhl und derjenige preist seine eigene Frömmigkeit, indem er Gott bestätigt die geforderte Eitelkeit des ersten Gebotes "Du darfst keine anderen Götter haben neben mir" eingehalten zu haben, das habe er immer getan... fünfmal täglich gebetet und so.
Und dann steht der arme Gute daneben und sagt, ich habe nie an dich geglaubt, aber den Menschen versucht, ein besseres Leben auf Erden zu ermöglichen, wo ich nur konnte.
Ich habe zumindestens Vorschläge gemacht.
Wie würde denn da der "Allmächtige" urteilen?
Ich wollte niemanden mit "Linkskatholik" beleidigen, aber ein guter Katholik müsste sich dadurch beleidigt fühlen, das geht nämlich nicht, ansonsten macht er sich etwas vor.
Interessierte Buchbesprechung. Danke. Ich überlege ernsthaft, mir das Werk zu kaufen.
Mein Kommentar kommt wohl „nach Toresschluss“ – aber ich schreibe ihn trotzdem noch.
Was mich erstaunt an einer Diskussion über Religion und insbesondere über Gott (besser: Vorstellung von Gott) ist, dass sie weithin geführt wird
als ob es keine Religionsgeschichte und vor allem keine Religionspsychologie gäbe;
als ob es keine Evolution und ihre Folgen gäbe;
als ob es kein altes und neues Weltbild und deren Konsequenzen gäbe – gerade auch für eine - letztlich immer noch in vielem anthropomorphe Gottesvorstellung;
als ob – und das scheint mir heute der entscheidende Fehler zu sein – als ob die Menschheit (oder eine kleine "Elite" von ihr) die Möglichkeit habe, es noch einmal zu probieren. http://www.zeit.de/wissen/2015-07/kepler-452b-nasa-planet-entdeckung
Die „Als ob …Reihe“ lässt sich wohl noch verlängern.
Ich denke, wenn überhaupt ein Ansatz heute sinnvoll ist, nicht endgültig im Nihilismus zu Grunde zu gehen, dann kann er eigentlich nur darin bestehen:
Das Erbe von Religion und Gottesglaube im evolutionären Rückblick zu erkennen – und zu entdecken - dass es nämlich nur dem Menschen als vermutlich letzter und geistig höchstentwickelter Lebensform dieses Planeten angemessen war, eine Gottesvorstellung zu entwickeln und zwar in seiner anthropozentrischen Form als „jenseitiges Wesen“. Das begann ja lange vor den Hochreligionen. Man könnte auch sagen, dass im Verlauf dieses Prozesses nach manchen Umwegen der Mensch Gott wurde.
Im orthodoxen (nicht konfessionell verstanden) Christentum geschah das in der Vergottung des armen Jesus aus Nazareth zum Sohn Gottes – sitzend zur Rechten Gottes (Trinität). Dagegen steht nur der schwache Strang der Überlieferung, der sich komprimiert in der Ansage: „Gott wurde Mensch“. Das gleichsam als eine Wieder-holung (im Sinn von zurückholen) der Verantwortung des Menschen für das Wohl und Wehe dieser seiner Erde als seine Wohnstätte. Man könnte auch sagen: Dieser Umweg war nötig, um den Menschen dazu zu befähigen.
Etwas einseitig zugespitzt könnte ich auch sagen: gleichsam eine „List der Vernunft“. Allerdings eben auch mit der Möglichkeit, dass der Mensch diese „zweite Chance“ verfehlt. Das würde ganz aktuell z. Zt. passieren, wenn die Menschheit keine Lösung für den absehbaren Wärmetod dieses schönen blauen Planeten findet.
Fände sie eine – dürften die Nachkommen gerne sagen: Gott sei Dank.
Nachtrag zu :
als ob – und das scheint mir heute der entscheidende Fehler zu sein – als ob die Menschheit (oder eine kleine "Elite" von ihr) die Möglichkeit habe, es noch einmal zu probieren. http://www.zeit.de/wissen/2015-07/kepler-452b-nasa-planet-entdeckung.....der
Sowie der Artikel von Lethe
LETHE 11.12.2015 | 14:25
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Selbstvernichtung jetzt! Mensch-Experiment der Evolution: gescheitert?