Terror und Freiheit

Rezension Was ist von den missglückten Versuchen der Befreiung im 20. Jahrhundert zu halten? Auf jeden Fall könne und müsse die Linke etwas daraus lernen, glaubt Slavoj Žižek.

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Der Publizist Gerd Koenen stellt am Ende seines 2010 erschienenen Buches Was war der Kommunismus? fest, dass "alle alten Fragen, die sich an die antagonistischen Formen einer gesellschaftlichen Reichtumsproduktion knüpfen", heute wieder zur Debatte stehen. Wie kann es da anders sein, als dass auch das Projekt des "Kommunismus" aufs Neue diskutiert wird, und das nicht bloß in obskuren Zirkeln unverbesserlicher Dogmatiker? Neokommunistische Denker wie Alain Badiou oder Slavoj Žižek finden Resonanz bei jungen Intellektuellen und Aktivisten kapitalismuskritischer Bewegungen – selbst wenn bei manchen Alt-Achtundsechzigern ein déjà-vu-Effekt eintreten mag. Es lohnt sich, die Auseinandersetzung mit ihnen zu suchen!

Žižek setzt sich in seinem neuesten Werk, dessen Titel auf ein Wort des Apostels Paulus anspielt, mit den terroristischen Erfahrungen des 20. Jahrhunderts auseinander, um daraus Schlussfolgerungen für ein "linkes Projekt" des 21. Jahrhunderts ziehen zu können. Für liberal Denkende scheint die Sache bereits entschieden zu sein: Man muss dafür sorgen, dass die in sozialen Bewegungen aufschäumenden Gefühle der bislang subaltern Gehaltenen (insbesondere Neid, Hass & Zorn) rechtzeitig eingehegt werden – sonst kommt es zur Katastrophe, die noch einmal in Extremen à la Hitler oder Stalin enden könnte. (Eine neue Erscheinungsform, die sich nicht in das Geschichtsbild des vom britischen Historiker Eric Hobsbawn so bezeichneten "Zeitalters der Extreme" einpassen lässt, wäre dann der gewalttätige Islamismus.)

Der slowenische Marxist hält nichts von liberalen Zeitgeist-Surfern, die "political correctness" predigen, ansonsten aber die Augen vor den himmelschreienden Ungerechtigkeiten in den Armutsregionen der Welt verschließen. Und er hält auch nichts von der Angst vor dem, was da "von unten" aufsteigen könnte. Žižek fragt nach den Bedingungen, unter denen den bislang ausgeschlossenen Massen Gerechtigkeit geschehen soll, und kommt so zur Rolle des revolutionären Terrors von Robespierre bis Mao Zedong. Er fordert, die Linke müsse angesichts dieser terroristischen Vergangenheit schonungslose Selbstkritik betreiben. Zugleich gehe es aber auch darum, den "vernünftigen Kern" des Terrors zu benennen. In diesem Zusammenhang zitiert er zustimmend seinen Freund Badiou: Bis heute sei "kein politisches Subjekt ohne Momente von Schrecken zur Ewigkeit der von ihm entfalteten Wahrheit gelangt".

Maos Dialektik

"Ewigkeit" und "Wahrheit" – das sind Begriffe, vor denen sich der linksliberale Diskurs in aller Regel scheut. Doch Slavoj Žižek schwebt nicht in den Wolken der Metaphysik, sondern wird immer wieder sehr konkret. So, wenn er fragt, was denn exzessiver Radikalismus anderes sei als die Weigerung, "bis zum Ende zu gehen". Im "Terror" der Jakobiner habe sich letztlich deren Unfähigkeit ausgedrückt, an den Fundamenten der Wirtschaftsordnung in Form des Privateigentums zu rütteln. Vor vergleichbaren Problemen standen auch die russischen und chinesischen Revolutionäre: Die Bedingungen für ein postkapitalistisches System waren noch nicht reif, mussten vielmehr erzwungen werden. Dies führte in der Sowjetunion zum zeitweilig durchaus erfolgreichen Versuch nachholender Industrialisierung mit Hilfe einer zu allen Mitteln der Macht und Gewalt greifenden stalinistischen Entwicklungsdiktatur.

Mao Zedong wollte es "anders machen" als Moskau und kritisierte zurecht Stalins Geringschätzung der Eigentätigkeit der Massen. Für den "Grossen Steuermann" folgte aus dieser Kritik am sowjetischen Weg ein Primat des "subjektiven Faktors", der nach Auffassung von Žižek zur Verherrlichung der Bewegung und des "ewigen Kampfes der Gegensätze" geführt hat. Dahinter stehe, so eine der zu diskutierenden Thesen des Buches, Maos mangelndes Verständnis für die Wechselbeziehungen zwischen Basis und Überbau, insbesondere jener zwischen Ökonomie und Politik. Man hat Mao Zedong abschätzig einen "Bauernphilosophen" genannt, doch so trivial bleibt Žižeks Kritik nicht: Er führt mit seinen Überlegungen ins Zentrum revolutionären Denkens, den Gesetzen der Dialektik, deren Begreifen entscheidend für den Erfolg bzw. Misserfolg gesellschaftlichen Handelns ist.

Der chinesische Revolutionsführer sei vom Modell einer "Politik der endlos andauernden Teilung" ausgegangen – wie sie während der zehnjährigen Kulturrevolution zwischen 1966 und 1976 im manchmal desaströsen Detail zu beobachten war. Auf solche Weise werde nie der "Endpunkt des Friedens erreicht", meint Žižek. Der grundlegende Fehler solches Denkens bestehe darin, nichts von der "Negation der Negation" wissen zu wollen. Was ist damit gemeint? Žižek geht auf den Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel zurück. Die Verneinung der Verneinung bedeutet gemäss diesem Meister der Dialektik, dass die alte Ordnung, beispielsweise der Feudalismus, innerhalb der ihr eigenen politisch-ideologischen Form negiert wird – und dann muss diese Form selbst negiert werden (in diesem Fall durch die kapitalistische Produktionsweise). Der wahre Sieg (die eigentliche "Negation der Negation") trete dann ein, wenn der Gegenspieler von einst die eigene Sprache übernehme. "So gesehen ist ein wahrer Sieg ein Sieg in der Niederlage: Er ereignet sich, wenn die eigene spezifische Botschaft als allgemeine Grundlage akzeptiert wird, sogar vom Gegner", so Žižek.

China und das Kapital

Das maoistische Denken habe nichts von einer "dialektischen Synthese", einer Vereinigung der Gegensätze, wissen wollen. Es sei von der Furcht getrieben worden, jede zeitweilige Stabilisierung der Revolution laufe auf eine Wiederherstellung der alten Ordnung hinaus, die nur durch die Verstetigung der Negation gebannt werden könne. Das Paradox der Geschichte besteht für Slavoj Žižek nun darin, dass der Kapitalismus den chinesischen Kommunismus "synthetisiert" hat – und er sieht Mao Zedong durchaus als Wegbereiter dieser Entwicklung. Heute sei China "der ideale kapitalistische Staat", indem er "Freiheit für das Kapital" biete und gleichzeitig die "'Drecksarbeit'" erledige, "indem er die Arbeiter unter Kontrolle hält". Doch es sei zu billig, sich über den chinesischen Marxismus lustig zu machen, denn dieser stelle nicht einfach einen Verrat an der marxistischen Tradition dar. In ihm äussere sich vielmehr ein Symptom: Schon im "ursprünglichen" Marxismus habe es "eine Dimension gegeben, die potentiell zur sklavischen Abhängigkeit der Arbeiter vom 'Fortschritt' (der schnellen Entwicklung der Produktivkräfte) führte; während dieser 'Fortschritt' im Stalinismus noch im Rahmen der zentralisierten Staatswirtschaft organisiert wurde, zieht das heutige China die logische Konsequenz (der effizienteste Entwicklungsmotor sind kapitalistische Verhältnisse)".

Žižeks Ausführungen zur chinesischen Variante des revolutionären Terrors werden hier aus verschiedenen Gründen etwas ausführlicher dargestellt: Zum einen galt einst der Weg der Volksrepublik nicht nur ausgesprochenen Maoisten (zu denen ich mich auch einmal zählte) als Modell einer alternativen Entwicklung – allen Exzessen der dort vorgefundenen Gewalt zum Trotz. Inzwischen richten sich die Blicke der westlichen Welt aus anderen Gründen nach China: Das Riesenreich wirkt heute als Wachstumsmaschine, die den globalen Kreislauf der Güter und des Geldes in Schwung hält. Dabei geraten die gesellschaftliche Widersprüche leicht aus dem Blick oder werden lediglich aus der Perspektive privilegierter Minderheiten wahrgenommen – als ob es die Millionenmassen der geknechteten Arbeiter und Arbeiterinnen gar nicht gäbe.

Gegen den Strom

Was bleibt nach den Niederlagen der Kulturrevolution und vergleichbarer radikaler Experimente der Geschichte? Slavoj Žižek vertritt einen minimalistischen Optimismus: "Die ewige Idee der Kulturrevolution überlebt die Niederlage in der soziohistorischen Wirklichkeit, sie wird das geisterhafte Untergrunddasein gescheiterter Utopien führen, die in zukünftigen Generationen herumspuken und geduldig ihrer nächsten Wiederbelebung harren." In diesem Zusammenhang erinnert er gerne an eine Devise von Samuel Beckett: "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern."

Als Referenz zur Beurteilung revolutionärer Vorgänge wie in Russland oder China gilt für Žižek das Bild, welches Hegel von den Französischen Revolution hatte. Darüber sprach der dialektische Denker in seinen Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte: "Eine erhabene Rührung hat in jener Zeit geherrscht, ein Enthusiasmus des Geistes hat die Welt durchschauert, als sei es zur wirklichen Versöhnung des Göttlichen mit der Welt nun erst gekommen." Seine Begeisterung für den Kampf um die Freiheit hielt Hegel allerdings nicht davon ab, dessen Kehrseite, "den selbstzerstörerischen Schrecken der Revolution", zu analysieren. Dasselbe sollten wir auch in Bezug auf die russische wie die chinesische Revolution tun: "sie waren der Nullpunkt der neuen Gesellschaft, sie setzten die Standards", meint Žižek.

Jenen, die vom Glauben an die Emanzipation des Menschengeschlechts abgefallen sind (oder ihn nie teilten), mögen diese Revolutionen als Relikte einer Vergangenheit erscheinen, von der sie nichts mehr wissen wollen. Sie halten sich gerne an die Behauptungen des so genannt postideologischen Zeitalters, starke Überzeugungen und Ideale seien von Übel. Doch genau eine solche Haltung führt zur zynischen oder bestenfalls resignativen Anerkennung der vermeintlichen Realität. Diese Einstellung sieht Žižek auch unter Linken weit verbreitet: Aus Furcht davor, die sich immer deutlicher abzeichnende ökologische, ökonomische und soziale Krise des kapitalistischen Systems könnte populistisch-fundamentalistischen Kräften Auftrieb geben, hoffe man darauf, dass es schon nicht so schlimm kommen werde. Dagegen glaubt Žižek, dass "der innere Schub unserer historischen Entwicklung in die Katastrophe" führt (ohne dass ein neuer Hitler oder Stalin auftreten muss). Was kann sie noch aufhalten? Diese Frage beschäftigte auch den Philosophen Rudolf Bahro, den Žižek nicht zu kennen scheint. Es gehe darum, das Schicksal anzunehmen, um es vielleicht doch zu wenden. Die Aufgabe bestehe heute darin, "gegen alle Wahrscheinlichkeit zu handeln" und den Kommunismus "noch einmal grundlegend neu zu erfinden". Dazu bedarf es unzähliger Versuche, die ein Handeln gegen den vorherrschenden Strom der Geschichte ermöglichen sollen.

Slavoj Žižek besitzt Züge eines philosophischen Entertainers und tanzt auf mancherlei Hochzeiten, doch die Ernsthaftigkeit seiner Suche nach Wegen, die aus den zerstörerischen Antagonismen unserer Zeit herausführen, lässt sich ihm nicht absprechen.

Slavoj Žižek: Die bösen Geister des himmlischen Bereichs. Der linke Kampf um das 21. Jahrhundert. Aus dem Englischen von Frank Born. Frankfurt/M.: S. Fischer Verlag 2011, 335 Seiten

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Geschrieben von

Seifert

Journalist / Publizist / interessiert an Fragen der sozialen Ökologie

Seifert

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