Transnationale Perspektiven

Rezension Weltweit begehren Menschen auf. Wohin soll die Reise gehen? Das bleibt oft unklar. Gibt es Synergien? Die Zeitschrift «LuXemburg» widmet sich vielfältigen Aufbrüchen

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Seit bald fünf Jahren gibt die Rosa-Luxemburg-Stiftung, die der LINKEN nahesteht, eine Zeitschrift heraus, die sich von anderen ihrer Art durch Themenvielfalt und vor allem durch aufwändige Gestaltung deutlich unterscheidet. Ab diesem Jahr wird LuXemburg sogar kostenlos erhältlich sein! Möglich macht dies eine Form der Subventionierung politischer Bildungsarbeit in Deutschland, die ihresgleichen sucht. Die Zeitschrift als «Gemeingut» zu konzipieren, die allen zugänglich sein soll, stellt ein Wagnis dar, könnte allerdings auch dafür sorgen, dass mehr Menschen als bisher deren Inhalte zur Kenntnis nehmen.

Das Ende 2013 erschienene Doppelheft mit stattlichen 240 Seiten trägt den Titel «Die Kampfzone ausweiten». Es geht um die sozialen Bewegungen rund ums Mittelmeer: von Spanien über Griechenland und die Türkei bis hin nach Ägypten – und darüber hinaus spielen Vorgänge in Pakistan und Indien, China, Brasilien und Südafrika eine Rolle. Auch die Folgen von Occupy-USA finden hier ihren Platz. Eine ungeheure Vielfalt von spontanen Eruptionen und problematischen Versuchen zur längerfristigen Organisierung des Widerstands, die sich kaum auf einen Nenner bringen lässt! Kann daraus ein Ereignis entstehen, das tatsächlich neue Dimensionen gesellschaftlicher Umgestaltung eröffnet? Mario Candeias, der das Institut für Gesellschaftsanalyse der Stiftung leitet, sieht allenfalls eine Möglichkeit: Sollte es in Griechenland gelingen, durch eine Linksregierung den Bruch mit der bisherigen Austeritätspolitik zu erzwingen, könnte manches ins Rollen kommen. Die herrschenden Mächte in Europa tun selbstverständlich alles, um genau diese Position zu isolieren.

Bündnisse schaffen

Der in Madrid lehrende Soziologe Armando Fernández Steinko sieht Möglichkeiten eines politischen Bündnisses zwischen Portugal, Spanien und Griechenland. Diese könnten zusammen auf eine internationale Gläubiger-Konferenz drängen, die einer Entschuldung ihrer Länder gemäss dem Vorbild Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg den Weg eröffnen müsste. Ein Auseinanderbrechen der Euro-Zone dürfe sich das heutige Deutschland gar nicht leisten, ist Steinko überzeugt: Der Preis dafür bestünde im Abschied vom deutschen «Exportweltmeister»-Titel und dem Zerfall des darauf basierenden gesellschaftlichen Konsenses.

Eine wenig beachtete Seite der Proteste in der Türkei beleuchtet die Sozialwissenschaftlerin Corinna Eleonore Trogisch in ihrem Beitrag «Die Tanten von Gezi». Die Bewegung sei nicht nur von einer bis anhin für «unpolitisch» gehaltenen Jugend getragen worden, sondern auch von vielen Frauen mittleren Alters, die der säkularen Republik ihren sozialen Aufstieg verdankten und heute die Erfahrung massiver Entwertung ihrer Bildungsabschlüsse machen müssten. Zugleich sähen sie sich mit dem «autoritären Feminismus» der Regierungspartei AKP konfrontiert. Das macht sie zu wichtigen Bündnispartnerinnen einer Jugend, die nach der vorläufigen Zerschlagung des Widerstands auf bessere Zeiten hofft.

Gehen wir nach China. In diesem formell sozialistischen Riesenreich lebt die zahlenstärkste Arbeiterklasse der Welt – als Klasse an sich, nur in Ansätzen auch für sich. Klassenkampf im Kommunismus – geht das überhaupt? Immer wieder brechen spontane Fabrikaufstände aus, die aber wenig organisiert sind. Die offiziellen Gewerkschaften gehören zum Staatsapparat. Das Streikrecht wurde nach dem Ende der Mao-Ära aus der Verfassung gestrichen. Es gibt Nichtregierungsorganisationen, die sich für die Rechte von Arbeiterinnen und Arbeitern einsetzen, auch wenn deren Spielräume stark eingeschränkt sind. Der emeritierte Politikwissenschaftler Bodo Zeuner besuchte letztes Jahr China, um potenzielle Partner für internationale Solidarität zu finden.

Fragen aufwerfen

Im Herbst 2011 war die Occupy-Bewegung angetreten, um die Interessen der «99 Prozent» gegen das eine Prozent der Superreichen und Mächtigen in Spiel zu bringen. Selbst in Zürich äusserte sich der Protest auf dem Paradeplatz und anderswo. Die Bewegung ist verschwunden, doch einige Impulse sind geblieben – wenigstens in den USA. Dort gibt es ein Netzwerk, das Zwangsräumungen in der Folge der massiven Immobilienkrise bekämpft. In den Vereinigten Staaten haben bereits fünf Millionen Hausbesitzer ihr Heim durch Zwangsvollstreckung verloren. Weitere elf Millionen Familien sind wegen dieser Krise überschuldet. Dem Netzwerk «Occupy Our Homes» sei es gelungen, die politische Stimmung zu beeinflussen, schreibt der Sozialwissenschaftler Robert Ogman. Inzwischen gibt es auch kommunale Strategien, um überschuldeten Hausbesitzern unter die Arme zu greifen. Die Finanzlobby sei davon «nicht erfreut», hält in Los Angeles lehrende Politikwissenschaftler Peter Dreier fest.

Der Philosoph Alex Demirović fragt nach der Zukunft einer linken Alternative in Deutschland. Sollte es bei der nächsten Bundestagswahl 2017 tatsächlich zu einem Kurswechsel kommen, so müssten innerhalb der Sozialdemokratie deutliche Akzentverschiebungen hin zu einem sozial-ökologischen Projekt in die Wege geleitet werden. Danach sehe es gegenwärtig nicht aus, meint Demirović. Noch immer schreckten viele Linke, bis in die LINKE hinein, vor der Formulierung deutlicher Alternativen zu den herrschenden gesellschaftlichen Verhältnissen zurück. Immerhin gibt es mit LuXemburg ein Forum, in dem Fragen aufgeworfen und mögliche Antworten genauer unter die Lupe genommen werden können.

LuXemburg. Gesellschaftsanalyse und linke Praxis. Heft 3-4/2013: «Die Kampfzone ausweiten», 240 Seiten, € 15.- (kostenfreies Abonnement zu bestellen unter: www.zeitschrift-luxemburg.de/abonnement).

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Seifert

Journalist / Publizist / interessiert an Fragen der sozialen Ökologie

Seifert

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