Dass die Nachdenkseiten jubeln, ist nachvollziehbar. Ich selbst konnte lernen, dass einige Methoden meiner einstigen Unterrichtsversuche noch deutlich ausbaufähig sind und sogar im Team funktionieren. Der Jubel von Stefan Kuzmany bei SPON über die jüngste Ausgabe von "Die Anstalt" verwundert mich aber schon sehr. Entweder ist der Mann zu jung, um sich zu erinnern, dass zumindest der Rententeil in diesem Programm ein vernichtendes Urteil auch über den intellektuellen Niedergang des SPIEGEL bedeutete. Oder er verdrängt eine peinliche und politisch verheerende Vergangenheit: das Ende der „vierten Gewalt“ durch die neoliberale Verhurung der Medien.
Was die Kabarettisten des ZDF in der Nachfolge von Schramm, Priol & Pelzig da nämlich mit 20jähriger Verspätung nachholten, wäre ureigenste Aufgabe der Medien – des SPIEGEL vorneweg – damals wie heute. Dass das politische Kabarett mittlerweile nicht mehr der lustige, sondern der alleinige Vertreter der vierten Gewalt ist, ist denn auch die Bankrotterklärung eines Journalismus, dem das gepflegte Hotelzimmer, das opulente Buffet und dann vielleicht noch die Edelnutte zum Dessert (?) ein wichtigeres Anliegen zu sein scheinen als die Suche nach Wahrheit & Gerechtigkeit. Die lässt man sich scheinbar gerne nebenbei von kellnernden „Experten“ in die Tastatur diktieren. Gerne wohl auch über den Umweg des Politikers, der die komplizierteren Sachverhalte bereits zur Parole vorverdaut hat. Kritisches Denken & Kontrolle gingen anders.
Es war also eine Art Gedenkstunde für den „rheinischen Kapitalismus“ und/ oder die „soziale Marktwirtschaft“, die der Zuschauer am Dienstag Abend im ZDF als Kabarett geboten bekam. Dass das ganze mit einem Auftritt von Norbert Blüm gekrönt wurde, war konsequent. Dass dieses verflossene xte Herz-Jesu-Ersatzrad am flotten Luxuswagen des Helmut Kohl von Teilen des Publikums mit stehendem Applaus begrüßt wurde, sagt mehr über unseren sozialen Niedergang aus als alle Bemühungen der Kabarettisten um Aufklärung. Man wagte in westdeutschen Landen zwar nie an Karl Marx zu denken. Aber dass bereits der homöopathisch verdünnte und nur in christlicher Einfärbung geduldete Rest sozialen Denkens als Messias gefeiert wird – schlimmer will man es sich eigentlich lieber nicht mehr vorstellen.
Sinnvoller erscheint es mir, den falschen Jublern des SPIEGEL bei dieser Gelegenheit Teile ihre eigenen Vergangenheit um die Ohren zu hauen. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit und Repräsentativität. Ich bin schließlich nur ein unbezahlter & unprofessioneller Blogger, keine verwöhnte Edelfeder.
"Schlaraffenland ist abgebrannt. Die Pleite des Sozialstaates“ lautete der SPIEGEL-Titel vom 13.05.1996. Unter der Überschrift „Pleite im Paradies“reihte die Redaktion sich dann in die mediale Einheitsfront gegen den westdeutschen Sozialstaat ein und fuhr eine eigene volle neoliberale Breitseite gegen denselben. Da wurde nicht irgendeine Bresche für den Durchmarsch des Kapitals und seiner willfährigen Marionetten Schröder & Fischer geschlagen. Da wurde das Ende einer kritisch demokratischen SPIEGEL-Tradition besiegelt – was ich zum Anlass nahm, der Redaktion das Ende meiner Leserschaft mitzuteilen
„...Mit wachsendem Unbehagen habe ich Ihre fast schon geil zu nennende Hatz auf Institutionen wie Neue Heimat oder Co Op und auf jeden Oppositionspolitiker verfolgt, der es wagte, aus den schützenden Reihen hervorzutreten. Mit dem SPIEGEL hatte ich eigentlich nicht die Aufgabe verbunden, Helmut Kohl den Weg frei zu machen......Schlimmer noch: dem realen Helmut Kohl ist, im Vergleich zu Ihrem Titel, noch eine gewisse pragmatische Milde zugute zu halten....“
Das Datum ist nur irgendeines, aber für mich war genau damals das Maß voll und die Hoffnung am Ende. Denn nun war der zentrale Konflikt entschieden, der bereits in der Formulierung des Grundgesetzes angelegt war, durch die braune Schuld und den „kalten Krieg“ lange einigermaßen in der Schwebe geblieben war, und nun zum „alternativlosen“ Kapital hin kippte.
Für mich, für den als Beamten dabei keine allzu große Opferrolle zu befürchten war, war die Katastrophe eher „überbaulicher“ Art: mit der Kapitulation des SPIEGEL und der SPD würde es endgültig keine weithin hörbare Kritik am Kippen des Systems mehr geben. Es drohten zügellose, unkommentierte Verheerungen. Und zu Schröder und seiner Politik sah ich ohnehin keine Alternative. Aber die Kapitulation mit Mediengegröhle erst zu fordern und dann ihre in vorauseilender Unterwürfigkeit die Ansprüche des Kapitals überbietenden Ergebnisse zu bejubeln – das war keine Demokratie mehr, das war „Reichsparteitagsstimmung“.
Und so hörte es sich damals im SPIEGEL an:
„Viele Konservative, die in Deutschland gern die Radikalkur einer Maggie Thatcher nachholen würden, sehen ihre späte Chance gekommen. Die FAZ ("Not ist nötig") wütet seit Wochen gegen "die Hasardeure der Umverteilung": "Die Entzauberung ihrer Märchenwelt ist in vollem Gange", freut sich das Blatt: "Endlich!"
SPD und Grüne, die den Reformbedarf nicht länger leugnen, sind verstört. Kommt jetzt der Kapitalismus pur, wie IG-Metall-Chef Klaus Zwickel fürchtet? Wird nun den Bedürftigen, wie der Grüne Joschka Fischer argwöhnt, "der Gürtel enger gezogen, bis sie blau werden, und oben wird der Gürtel weggeworfen"? [Hervorhebungen sg]
Im Nachhinein liest es sich natürlich etwas anders als damals: verstörend sind der prophetische Weitblick von Herrn Zwickel ebenso wie das schmierig verlogene Pathos des Herrn Fischer. Und wenn man die ersten Sätze, in denen Ludwig Erhard zitiert wird, vor dem Hintergrund der Summen liest, die der Staat nach der Weltfinanzkrise den Zockern in den Arsch geschoben hat, kann kann man das tägliche kapitalistische Murmeltür perfide grüßen hören. Mindestens:
„Der Staat ist nicht eine Kuh, die im Himmel gefüttert und auf Erden gemolken wird", teilte der Kanzler den Deutschen mit. Und für die Begriffsstutzigen fügte er barsch hinzu: Ihm sei es ein Ärgernis, daß "wir zuwenig arbeiten"...."Jeder, der bummelt, jeder, der krankfeiert, jeder, der in seiner verkürzten Arbeitszeit nicht seine volle Arbeitskraft einsetzt, bestiehlt im Grunde genommen den Arbeitskameraden."
Aber jetzt, am 13.05.1996, war es wirklich so weit. Nun spricht nicht mehr Erhard, nicht mehr Lambsdorff, nicht mehr Kohl, nicht mehr die FAZ oder gar BILD. Nun spricht der SPIEGEL und damit ist es endlich für alle „wahr“:
„...Schlaraffenland ist abgebrannt.
Überall züngelt es. Die kurzen Arbeitszeiten, die vielen Urlaubstage, der bequeme Vorruhestand - was bleibt davon übrig? Hohe Löhne und sichere Pensionen - wie lange noch? Und was wird aus der staatlich organisierten Versicherung gegen Krankheit, Arbeitslosigkeit und Pflegefallrisiko?
Das Ausland schaut neugierig und nicht ohne Schadenfreude auf das einst bewunderte "paradiesähnliche deutsche System" (International Herald Tribune): "Das Wirtschaftswunder ist zum Mythos geworden", urteilt jetzt der britische Economist: "Das deutsche Modell steckt tief im Schlamassel."
Niemand bestreitet das.“ [Hervorhebungen sg]
Genau. Die Gehirnwäsche war endlich erfolgreich. Und man muss gar nicht auf die Entwicklung der Einkommens- und Vermögensverteilung seitdem und auf die Manipulationsversuche bei einschlägigen Daten zurückschauen, um zu erkennen, um was es in Wahrheit ging. Es war schon lange vor dem „Lambsdorff-Papier“ zu sehen. Jedenfalls für den kritischen Blick. Denn am 12. März 1982 hatte der Mannheimer Politologe Rudolf Wildenmannund Mitbegründer der dortigen Forschungsgruppe Wahlen in der ZEIT verkündet: „Die Elite wünscht den Wechsel“. Und mit „Elite“ meinte er, soziologisch korrekt, „Unsere oberen Dreitausend“, die nach seinen Erhebungen - wenig überraschend - politisch „mehr 'rechts' als 'links'“ standen (und stehen).
Am 1. Oktober 1982 konnte die freie, demokratische Klientelpartei ihren Bossen Vollzug melden, deren Träume sich dann allerdings nicht auf chinesische Art erfüllten. Dazu brauchte es erst noch einen „Macher“ wie Schröder mit dem Moral-Schwätzer Fischer im Schlepptau, der der alternativlosen Vollstreckerin Merkel den Weg frei machte und dabei sicherstellte, dass sie keine sozialdemokratische Opposition mehr zu befürchten braucht. Denn seit Schröder die SPD endlich offen und offiziell zur reinen Partei des Kapitals machte, ist die christlich angemalte CDU allemal im sozialen Wählervorteil.
Und, um zum SPIEGEL zurückzukommen: die Medien sind gleichgeschaltet und liefern gerne auch das passende Geschichts- und Gesellschaftsbild zur Profitmaximierung:
„So entstand nach dem Krieg ein Maximum an Gleichheit zwischen oben und unten. "Einer für alle, alle für einen", war das von Friedrich Wilhelm Raiffeisen, Gründer der Genossenschaften, im vergangenen Jahrhundert vorgegebene Motto.
Doch wieviel Kollektiv will sich die Republik der Individualisten noch leisten? Gilt heute noch das einstige Zauberwort von der Solidarität? Ist der Wohlfahrtsstaat noch immer Schmuckstück oder nur noch Kostenfaktor? Und: Welcher Spielraum ist der nationalen Politik überhaupt noch geblieben, über ihr Gesellschaftsmodell selbst zu entscheiden? …..
…..Das alte Tabu, nach dem alles Soziale als unantastbar galt, scheint gebrochen. Wer die Misere[des Kapitals! - sg] thematisiert, gilt nicht länger automatisch als Reaktionär.
…
Die Kräfte, die den Wohlfahrtsstaat unterspülen, sind heute gewaltig. Sie wirken weltweit, und das schon seit langem.“
Und dann geht es in die Details. Von denAlten (siehe dazu auch hier), über die Kranken bis zu den Arbeitslosen. Erst die „Prognose“:
„Der Generationenvertrag, nach dem die Kinder für Renten und Krankenkosten der Eltern zahlen, kann nicht mehr funktionieren. Seit zwei Jahrzehnten folgen auf drei Erwachsene nur noch zwei Kinder. Der letzte Elternjahrgang, der sich komplett durch Neugeburten ersetzte, wurde 1892 geboren.“ [Hervorhebungen sg]
Und dann sozialdarwinistische Hetze, dezent in quasi Nebenbei-Bemerkungen u.a. versteckt:
„Dieses Gleichgewicht ist gestört. Immer weniger Erwerbstätige müssen immer mehr Pensionäre versorgen. Während die sich auf Mallorca sonnen, zahlen ihre Kinder und Enkel mittlerweile allein für die Rentenversicherung Beitragssätze von 19 Prozent des Lohns. …
Auch die Krankenkassen halten den Ansturm der Alten....nicht mehr aus. Die über 65jährigen verursachen viermal höhere Kosten als die Jüngeren.
…..
Jeder neue Arbeitslose belastet das Sozialsystem doppelt. Er kassiert Versicherungsgeld, statt Beiträge zu zahlen. Und er verteilt die Lasten auf andere: Beim Arbeitgeber erhöht er die Lohnnebenkosten, beim Arbeitskollegen von einst die Lohnabzüge. Beide werden so stranguliert.“ [Hervorhebungen sg]
Dann wird dezent zur Lüge übergeleitet:
„Große Vermögen sind ... schon entstanden. Von Generation zu Generation werden mittlerweile Billionen vererbt, und kaum ein Lebensrisiko muß von diesem Geld bewältigt werden. Der Staat zahlt ja für alles - fürs Alter, für die Tage im Krankenhaus, für die Pflege der Eltern.“
Um schließlich zum von vornherein gewünschten Ergebnis zu kommen:
„Konflikte zwischen denen, die Steuern und Abgaben bezahlen, und denen, die davon leben, scheinen in Zukunft unvermeidlich. Um den drohenden Generationenkrieg zu verhindern, mahnen Wissenschaftler wie Dettling, müsse man heute "den Sozialstaat neu erfinden": effizient und bürgernah, marktwirtschaftlich strukturiert und dennoch gerecht.“
Und deshalb ist die Gleichschaltung der Medien und die Kapitulation des kritischen Denkens nötig:
„Doch eine echte Reformdebatte kommt nur mühsam in Gang. Die Mehrheit von Oppositions- und Regierungspolitikern klammert sich noch immer an den Status quo, der Ideenreichtum des britischen Labour-Chefs Tony Blair ist einem Oskar Lafontaine fremd.
…
Die Lohnnebenkosten müssen runter, sagen Unternehmer und Union. Die Kapitaleinkommen müssen anders verteilt werden, fordern Gewerkschaften und SPD. Andernfalls wird mit Streik und Protestmärschen gedroht. ...“
Ja, wo brutale Arbeitergewalt Unternehmervernunft niederzuwalzen droht, kennt der SPIEGEL keine Parteien mehr, nur noch Unternehmer. Und der Erfolg gab den Medien recht: inzwischen stimmte auch die SPD den Kriegskrediten für Zocker gegen das Gemeinwohl vorbehaltlos zu.
So weit ein kleiner Hintergrund zur gestrigen Kabarettsendung. Natürlich ist die Auswahl der Zitate einseitig, um aus einem für damals vergleichsweise ausgewogenen Artikel dennoch das neoliberale Gift hervorzuheben. Und natürlich kann man leicht überlesen, was so eine kleine, eingestreute Spitze im historsichen Kontext alles bedeuten kann. Deshalb zum Abschluss noch weitere Auszüge aus meinem damaligen Abschiedsbrief an den SPIEGEL (Ungekonnt, weil noch ohne Internet. Dennoch aber ungeschönt):
„...was Sie als miese Rentnerschimpfe vom Villenstammtisch in Ihren Titel gesetzt haben, möchte ich nicht unwidersprochen lassen.....Ihr Mallorca-Rentner … ist eine jener virtuellen Medienwirklichkeiten, die, einmal in den Blätterwald geblasen, so lange darin herumrasen, bis schließlich zumindest die Mehrzahl der Journalisten daran glaubt.
Aber selbst denen, die das Vergnügen in der Sonne suchen, wäre dies möglicherweise zuzugestehen. Denn die älteren unter den heutigen Rentnern – vor allem die Frauen – gehören zu der Generation, die unter den Bedingungen von Krieg, Vertreibung und Hunger sich selbst und ihre Kinder durchzubringen hatte, Verluste an Heimat und Vermögen wegstecken musste – von Bombennächten, Mord und Vergewaltigung ganz zu schweigen -, und die schließlich unter unsäglichen Bedingungen den Wiederaufbau und damit den Reichtum schuf, aus dem heute ihre Renten finanziert werden. Dies bleibt wahr auch angesichts der Schuld, die diese Generation auf sich geladen hat.
Die Generation, die sich jetzt anschickt, in die Rente zu gehen, hat jene unsäglichen Zeiten als Kindheit zu verbuchen. Und wenn beide Generationen sich damals dem Jammern hingegeben hätten, das derzeit die Medien angeblich im Sinne der Beitragszahler veranstalten, dann hätten sie zwar aus gutem Grund gejammert – im Gegensatz zu den heutigen professionellen Jammerern -, aber es gäbe wohl heute es weniger Menschen, die jede Woche 5 Märker für den SPIEGEL berappen könnten.
Falsch ist... auch der Eindruck, es gäbe im Rentensystem eine Einbahnstraße, in die eine Seite den Rubel rollt, der dann von der anderen Seite abkassiert wird. Einmal davon abgesehen, dass Erziehung, Unterhalt und Ausbildung von Kindern den Eltern – vor allem in den oben genannten Zeiten – ein ordentliches Maß an Investitionsbereitschaft abverlangt (hat), so ist es doch in Wirklichkeit eher so, dass eine große Zahl – wenn nicht gar die Mehrzahl – der Rentner ein eher bescheidenes Leben führt und nach wie vor auf die Seite legt, was sie finanziell verkraften können. Und was davon nicht als …..[G]eschenk,...[oder]...Beihilfe ..... im Generationentransfer zurückfließt, bleibt ja schließlich irgendwann einmal als Erbe zurück.
Das Medienbild vom narzistischen greisen Abzocker ist also eine infame Verdrehung der Realität. Und wenn es denn je einen „Freizeitpark Deutschland“ gegeben haben sollte, so zählt die Mehrheit der heutigen Rentner zu denen, die ihn aufgebaut haben, aber sicher nicht zu den eifrigsten Besuchern. Jede noch so kluge „Analyse“ aber, die auf dem virtuellen Medienrentner aufbaut, muss konsequenterweise falsch sein.
….
Kein System taugt für die Ewigkeit und muss der veränderten Wirklichkeit angepasst werden. Eine solche Anpassung funktioniert aber sicher nicht, wenn sie von Wahlgeschenks- oder Sündenbockdenken gesteuert wird.
…...
...was ist denn eigentlich so neu am Generationenvertrag oder an der Doppelbelastung von erwerbstätigen Eltern, die gleichzeitig für die vorausgegangene wie für die nachwachsende Generation, sowie für die kinderlosen Alten aufkommen müssen? War das denn jemals anders? Ist es denn nicht einfach so, dass der staatlich organisierte und verbürgte Generationenvertrag nichts anderes ist als die Fortsetzung dessen, was es schon immer gab – allerdings gerechter in der Verteilung und weniger belastet von Emotionen?
Und ist denn das System, dass die erwerbstätige Generation die anderen versorgt, nicht das sicherste und flexibelste aller denkbaren Systeme? Ist es denn nicht auch das preiswerteste im Vergleich zu Biedenkopfs Blütenträumen von Privatvorsorge – mit entsprechenden Abzweigungen für die Gewinnschatullen der Versicherungsgesellschaften – und einer aus Steueraufkommen finanzierten Grundversorgung, die dann von den Politikern je nach Bedarf mit Subventionen, Diäten, Rüstungskosten usw. verrechnet werden kann, und wo kein Zusammenhang zwischen Ein- und Auszahlungen mehr erkennbar ist?
….
...möchte ich nochmals auf die für mich ärgerliche öffentliche Sozialstaatsdebatte zurückkommen und mich doch etwas darüber wundern, wie wenig öffentliche Menschen es in diesem Lande gibt, die stolz darauf sind, dass wir uns auf relativ intelligente Weise vom Sozialdarwinismus entfernt haben. Und dass es auf der anderen Seite zunehmend mehr sozialpolitische Ignoranten gibt, die es gar nicht peinlich finden, uns … Länder als Vorbild anzupreisen, in denen von der eigenen Presse stellenweise Zustände wie in der sogenannten Dritten Welt ausgemacht werden (USA), oder in denen es schon mal vorkommt, dass Rentner sich aus den Mülltonnen bedienen müssen oder im Winter in ihren Häusern erfrieren, weil ihnen das Geld für die Heizung ausgegangen ist (Großbritannien).
Ist es eigentlich schon mal jemandem in den Sinn gekommen, dass man dort in den höheren Etagen deswegen so gerne über unseren „zu teuren“ ...Sozialstaat herzieht, weil man gerne das ständige Beispiel, dass es auch sozialer geht, endlich weghaben möchte?....[Die kommunistische „Konkurrenz“ war ja schon erledigt. -sg]... Ist es denn so ausgeschlossen, dass die Menschen in den heutigen Billiglohnländern in ein paar Jahren auch Appetit auf Sozialstaat haben und wir, wenn wir unser System jetzt effektiver machen statt uns in frühkapitalistische Zustände [zurück zu katapultieren], dann wieder vorneweg marschieren, während andere ins Schlingern kommen, die es mit Aussitzen und Abzocken probieren?“
….Wie war das doch gleich noch mal mit den Gründen, weshalb die deutsche Wirtschaft bislang vergleichsweise glimpflich durch die Weltfinanzkrise geschrammt ist....? Stichwort "Kurzarbeit" als Sozialstaatsrest......
Man konnte also damals durchaus auch anders denken. Auch die gerade den Hauptseminaren entfleuchten, frisch geföhnten SPIEGEL-Bubis. Aber kritisches Denken hätte ja vielleicht zu hässlich proletarischen Schwitzflecken auf dem Boss-Hemd aus dem Fabrikverkauf führen können? Oder womöglich gar zu Pickeln überm Krawattenkragenrand...?
Kommentare 14
Deutsch?
Nein. Sozialkunde u.a.
Au Mann o Mann, Beamter.
"Die Zivilisation ist eine Verschwörung … Das moderne Leben ist eine stillschweigende Übereinkunft wohlhabender Menschen, den Schein zu wahren."
http://www.neopresse.com/politik/1994-2014-zwanzig-jahre-grossoffensive-gegen-den-sozialstaat/
Lieber seriousguy47, lieber Leo A.,
Ihr Beitrag, lieber seriousguy47 und Ihre Kommentare, lieber Leo A., haben mich leider dazu verleitet, etwas eingehender über diese zweite Folge der „Anstalt“ nachzudenken...
Die Sendung trieb mir die Tränen in die Augen. Allerdings nicht vor Lachen. Das soll die neue „Anstalt“ also sein? So etwa: „Jünger, frischer, schärfer“? Kabarett muss gefährlich sein. Es muss das Publikum verwickeln, verstören, indem es es mit sich selbst konfrontiert; Das Publikum muss sich entscheiden können, es muss es müssen, um sich emanzipieren, um dann – vielleicht – über etwas lachen zu können. Am besten über sich selbst. Und so sich selbst in eigenem Irrtum heiter erkennend.
Diese hof-närrische Konsens-Kabarett-Veranstaltung war unerträglich bieder. Eine Art Frontalunterricht, die das Publikum verschult, ergo: entmündigt als solches. Mit witzigen Lehrern. (Sie beschreiben das eingangs sehr schön, lieber seriousguy47!). Der Beifall des Publikums war den Pädagogen, äh.. - Akteuren gewiss. Nichts, was der Plebs nicht schon wusste oder hätte wissen können. Nur ein bisschen witziger verpackt. Da werden Dinge wiederholt, die man in fast jedem Online-Forum und genau so pointiert formuliert nachlesen kann (Ukraine) – wieso geht man nicht mal eingehend auf den vermutlichen Profiteur (USA), dessen Ziele und Absichten bezüglich EU und Europa („Eurokirse“) in dieser Sache tiefer ein vor lauter Aufklärungswillen? Die Renten-Lüge war ein in ein laienspielhaftes Gleichnis gepacktes Kompendium aus entsprechenden Medienbeiträgen. Nachhilfeunterricht. Und für die uralte Erkenntnis, dass die GroKo und Merkel sich für das, was der Begriff Politik eigentlich meint, nicht interessieren, braucht niemand eine von seiner Rundfunkzwangsabgabe bezahlte Kabarett-Nummer. Eine plastische, sinnlich-konkrete Bühnen-Nummer über das Prinzip Postdemokratie wäre richtig. Aber statt dessen fällt man auf dieses Prinzip selbst herein – und macht mal wieder billige Merkel-Witzchen. Das ist im Ergebnis nicht weniger als staatstragendes Verdummungs-Kabarett.
Als der Kabarettist Timo Wopp aus der Torte stieg und erzählte, dass er der erste neoliberale Kabarettist sei, um die Linken hier in dieser Sendung endlich mal aufzumischen – und sich deswegen in der „Trojanischen Torte“ einschmuggeln musste, als er – als Figur – seine kruden Motivations-Seminar-Sprüche zum Besten gab, konnte man in der relativen Stille angesichts dessen für einen Augenblick die Zahnräder in den Gehirnen des Studio-Publikums knarzen hören. Das lag so etwas wie Hoffnung in der Luft...
„Menschen – Tiere – Sensationen“ war dann der krönende Abschluss dieser Ver-Anstaltung, eine Ver-Unstaltung. Das anfangs der Sendung ironisch zitierte Genre Musical wurde hier zur komplett unreflektierten und überaus peinlichen Realität auf der Bühne. Mit allen Folgen der Verlogenheit pervertierter Gefühle, wenn die mimetische Realität der Bühne auf die Authentizität des Lebens trifft. Dass Norbert Blüm schon etwas älter ist, sich seinen Text nicht mehr richtig merken konnte, unsicher war und definitiv über Null darstellerische Kompetenz in diesem Rahmen verfügte, war für alle sichtbar. Man wurde ungewollt zum Voyeur (Jürgen Busses charmanter Auftritt wurde so konterkarierend degradiert!) Dass – historisch fälschlich – eine Saulus-zu-Paulus-Werdung live zelebriert wurde, ist, gemessen am aufklärerischen Anspruch dieses Anstalts-Unterrichts, eine faustdicke Klitterung, eine unappetitliche Lüge (Blüm wusste, was er seinerzeit sagte und tat; er ist lediglich die joviale Variante von Heiner Geißler). Wie gering das (offensichtlich arg geblähte) Selbstbewusstsein der Macher indes sein muss, zeigt die eklatant falsche Entscheidung, Norbert Blüm „in echt“ auftreten zu lassen. Die obendrein stümperhafte Umsetzung (wenn schon, hätte man ihm helfen und ihn wenigstens 'richtig' und en détail, samt ausgefeilter/m Kamera/Schnitt inszenieren müssen) ist auch ein Hinweis darauf, dass man dort nicht einmal das Kleine Einmaleins der Bühne beherrscht, welches kolporiert besagt: „Lass das! Denn: auf was gucken alle, wenn ich in einem Formel-Eins-Rennen ein echtes Kamel in der Poleposition starten lasse?“ Oder, altertümlicher: „Kinder und Tiere gehören nicht auf die Bühne, sondern in die Manege.“
Alles in allem: Ein rechtwinkeliger, pseudo-wortgewaltiger Sprechautomat mit mutmaßlich aus Internet-Foren geborgten Pointen und ein fahriger, gefönter Schluck-von-Wasser-in-der-Kurve sind würdige Narren am Hofe des Staatssenders ZDF (um es mal etwas affirmativer zu sagen; ich bitte um Verzeihung für meine etwas langatmige, ausfällige, nichtsnützige Tirade).
...Kabarett muss gefährlich sein. Es muss das Publikum verwickeln, verstören, indem es es mit sich selbst konfrontiert; das Publikum muss sich entscheiden können, es muss es müssen, um sich zu emanzipieren, um dann – vielleicht – auch über etwas lachen zu können. Am besten über sich selbst. Und so sich selbst in eigenem Irrtum heiter erkennend...
https://www.youtube.com/embed/qprWBS-NoDI
Liebe mcmac,
vielen Dank für den scharfen und herzlich willkommenen Kommentar.
Ich teile die Schärfe nicht. Und ich würde auch J.Taylor 13.03.2014 | 10:26 in seiner Beurteilung dessen, was das ZDF leisten kann & soll nicht teilen. Ich denke wir sollten nicht vergessen, dass wir und die ganze linke/ kritische Bloggerei eine weitgehend in sich selbst kreisende Kommunikation pflegen, das ÖRF aber alle seine Kunden bedienen muss.
Das ginge dann beim Kabarett über zwei Wege: entweder ein "pluralistisches" Mischmasch. Oder mehrere konkurrierende Sendungen für jeweils andere politische Orientierungen.
Der Mischmasch ist wohl das kleinere Übel - und angesichts der rechten bis konservativen Grundstimmung von Gesellschaft & Medien - wohl auch die einzig realistische Option. Dieter Hildebrandt galt ja zumindest zeitweise beim ZDF als Betriebsunfall und Georg Schramm war das aus Sicht der Verantwortlichen wohl auch. Aber andererseits halt doch auch gut fürs Image.
Und immerhin hebt das ZDF sich ja immer noch positiv von dem selbstverliebten Hofschranzentum des Herrn Nuhr bei der ARD ab, bei dem ich nur noch darauf warte, dass er zu reden aufhört und zu onanieren anfängt. Das wäre dann wenigstens ehrlich und vielleicht sogar sehenswert.
Kabarett heute mit dem (positiv verzerrt erinnerten?) Kabarett von gestern und vorgestern zu vergleichen, scheint mir problematisch, solange man den gesellschaftlichen Hintergrund nicht beachtet. In autoritären Zeiten sind die Anforderungen an politischen Humor (Verschlüsselung) anders als in einer Demokratie (Aufspüren von unentdeckten dunklen Winkeln) und was in der Demokratie notwendig ist, kann in der Diktatur tödlich sein.
In "postdemokratischen", voll gepolsterten Zeiten wiederum muss man erst einmal Ansatzpunkte finden. Und das könnte momentan Kabarett schwierig machen. Vor diesem Hintergrund würde ich dann auch das hilflose Abarbeiten an Merkel sehen wollen. Wenn man ständig zielt und nie trifft, kann das schon mal chronisch werden.
War bei Kohl ja ähnlich. Da lacht man sich dann halt eben die Hilflosigkeit & Ohnmacht weg. Denn es sind ja nicht nur die Personen, die man dabei nicht trifft. Es ist ja auch deren Tun. Und was soll man denn tun, wenn zu Hartz IV längst alles gesagt ist, und das vielfach und sich trotzdem einfach nichts ändert? Das Wählen schon gar nichts?
Zu dem Anstaltsprogramm selbst habe ich bewußt nicht viel gesagt. Anstoß zu meinem Geschreibe war die Rezeption. Insbesondere bei SPON. Mit dem SPIEGEL habe ich noch ein paar alte Rechnungen offen. Eine davon wollte ich hier mal zu begleichen versuchen.
Dass ich das Programm gefährlich nahe an der Volkshochschule empfand, wurde wohl deutlich? Ich bin da sehr skeptisch. Und ich frage mich auch, ob die neuen Macher die Kurve kriegen. Sie scheinen mir noch nicht genau zu wissen, wo es lang gehen soll.
Sie scheinen auch ein Problem damit zu haben, vom Solo-Kabarett zum Team-Kabarett (zurück?)zufinden. Da sind ganz unterschiedliche Qualitäten gefragt. Und ich würde auch meinen, das Solokabarett hat die größeren Chancen für Humorspitzen und macht Spontaneität & Aktualisierungen sehr viel einfacher.
Da gibt es also noch viel Handwerkliches zu bewältigen und ich bin mir nicht sicher, ob die das schaffen. Aber mein Wohlwollen haben sie.
Was den Blüm betrifft, so bin ich ganz anderer Meinung als die anderen Kommentatoren. Ich fand seinen Auftritt als Höhepunkt der Sendung. Missraten war für mich nur, was dann folgte. Man hätte das anders machen sollen, vor allem ohne Worte des Herrn.
Aber der Mann steht ja für etwas. Für etwas, das eigentlich nach Links gehört und dort in klarer und unverfälschter Form. Insofern genügt sein Auftritt, um schlagartig zu beleuchten, was in diesem Lande noch galt, bevor Schröder & Fischer Rot-Grün in eien Flatrate-Puff fürs Kapital verwandelten.
Die Ovationen des Publikums zeigten überdeutlich, dass allein das Erscheinen von Blüm die Botschaft war. Das Publikum hat das offenbar besser verstanden als die Kabarettisten. Aber das kann schon mal vorkommen.
Da hat sich wohl nach der exzellenten Bauch-Idee, störend der Kopf eingeschaltet. Und ich hoffe, dass das ein Einzelgag bleibt und nicht zur Gewohnheit wird.
Im Übrigen hat Blüm ja durchaus Bühnenerfahrung und beschäftigt sich offenbar auch sonst schon mal mit Kabarett.
Sammelantwort hier:
seriousguy47 13.03.2014 | 12:17 ...;)
Sammelantwort hier:
seriousguy47 13.03.2014 | 12:17 ...;)
Danke für den Link.
Und: Verachtet mir die verbeamteten Lehrer nicht! Der Beamtenstatus kann in diesem Beruf freies Denken und positives Abweichen vom Mainstream unterstützen - weil man wegen abweichender Meinung nicht ohne weiteres gekündigt werden kann.
Zur Verachtung des kompletten Berufsstandes mangelt es mir am Dogmatismus. Allerdings sind mir bei vielen (Mehrzahl?) Angehörigen dieses Berufsstandes Dispositionen aufgefallen, die weder mit "frei" - noch mit Denken einwandfrei zu assozieren sind.
So besehen bist du sicherlich eine Zierde dieses Gewerbes.
Das wollte ein Lob werden........
Die pädagogische Botschaft aus der Anstalt fand ich recht ansprechend. In dieser Verpackung sollte auch mal die gemolkene Blödelschar schnallen wie die Abzockerei eingestielt ist?
Ich sag mal so: Man strebt traditionell sicher nicht des freien Denkens wegen in den Beamtenstatus...;) Oder wie es mal ein ausscheidender Religionslehrer formulierte: Also, wie Sie hier anfingen, da dachten wir alle, der ist ja total verrückt....
Aber das Alter, das Alter....;) Die einen werden "verrückt", andere offenbar "normal"....
Solange diese Normalität eine irrsinnige ist, stellt es eine Auszeichnung dar von den eingebildeten "Normalen" als verrückt betrachtet zu werden.
Als Beleidigung empfände ich es, als Normalo angesehen zu werden. Vor diesem Hintergrund betrachte ich die Lehrerschaft weitegehend als "Leerkörper" und spreche sie (mit Vergnügen) auch sehr gern so an.
Das diese persönliche Anrede dann oft als Schmeichelei aufgefasst wird, bedarf regelmäßig der weiteren, hörtechnischen Erläuterung.
Grundsätzlich setzt diese Berufswahl (wie auch die des Pfaffen), für mich, eine Mentalität voraus die anrüchig ist.
"Aus Ilses Buch geht deutlich hervor, dass sich am Ende [Wilhelm] Reichs Geist verwirrte. Der Gedanke daran hat mich nie gequält; viele große Männer sind verrückt geworden - Swift, Nietzsche, Schumann, Ruskin und noch eine ganze Menge mehr. (Ich weiß, dass ich kein Genie bin, weil ich nicht verrückt geworden bin.) Aber es ist eine traurige Welt, in der ein Wilhelm Reich verrückt ist, während ein Ronald Reagan, ein Nixon oder ein Franco als geistig normal gelten." (A.S.Neill 1973/ Neill, Neill, Birnenstiel, Rowohlt 1973, S. 176 f)
Ein Laing-Zitat habe ich gerade nicht zur Hand, musste auch dieses erst aus einer Bücherkiste wühlen. Würde jetzt auch ein bisschen weit führen...;)
Lieber seriousguy47,
vielen Dank für Ihre ausführliche Entgegnung!
Dass Norbert Blüm sich als Kabarettist versuchte, ist mir bekannt. Nichtsdestotrotz fehlte es ihm in dieser Sendung sichtbar an professioneller Kompetenz, weshalb ich in meinem Kommentar ja auch schrieb „in diesem Rahmen“. En passant machen Sie übrigens einen, wie ich finde, ganz erstaunlichen guten Vorschlag, wie man das „Problem Blüm“ künstlerisch hätte lösen können: Indem er zwar auftritt, aber ohne gesprochenen Text geblieben wäre. Auf so etwas müssen aber nicht Sie oder ich kommen. Solche Dinge erwarte ich von Profis der „Anstalt“, die dafür sicherlich auch gut bezahlt werden. Aber das nur am Rande.
Ihre relativierenden Betrachtungen zum Thema TV und dessen (inhomogenen, potenziellen) Publikum kann ich nachvollziehen. Das ist sicherlich etwas, worüber sich TV-Leute Gedanken machen sollen und müssen. Überhaupt habe ich kaum Schwierigkeiten mit dem Inhalt Ihrer Gegenrede...
Als ich, wie gesagt, „angestiftet“ u.a. durch Sie, noch einmal über die Sendung nachdachte, fiel mir auf, dass ich sie anfänglich 'insgesamt' 'eigentlich auch' 'irgendwie' 'mochte'. Aber eben auch nicht mehr. Ich fragte mich dann also etwas genauer, warum nur 'insgesamt' 'eigentlich auch' 'irgendwie' und warum mir beim Lesen der spon-Kritik dann doch langsam der kalte Kaffee hochkam.
Es ist genau dieser Punkt, den auch Sie beschreiben, den Sie jedoch anders bewerten als ich: Das hauptsächlich Furore machende der Sendung bestand darin, dass man sich auf die Bühne stellte und (verpackt in z.T. laienspielhafte Gleichnisse, wie ich fand) Informationen, gepaart mit einem gewissen moralischem Sendungsbewusstsein (sic!) als Wahrheiten verbreitete, was naturgemäß keinen Widerspruch duldet (schließlich handelt es sich um Informationen über Tatsachen!).
Mhmm, das ist m.E. aber eher szenisch aufbereiteter, investigativer Journalismus, als dass es Kabarett wäre. Eine Art Journalismus, dessen Inhalte ich nur zur Kenntnis nehmen kann, wenn ich zur gleichen Zeit zustimme, mir eine moralisch-ethische Pistole an die Schläfe setzen zu lassen. Ich kann hier als Zuschauer lediglich staunen (über die Information, wenn ich es nicht bereits wusste), zustimmen oder aber - genügend Niedertracht oder Dummheit vorausgesetzt - die Macher der Lüge zeihen; ich kann nur „dafür“ oder „dagegen“ sein (und bin ich „dagegen“, oute ich mich - angesichts von Tatsachen - obendrein auch noch als Vollidiot).
Derlei Wahrheiten sind eher der Natur, wie sie etwa Gerichte oder dazu berufene Ausschüsse verkünden. Oder die Naturwissenschaften. Künstlerische Wahrheit aber ist nie eineindeutig (man sollte das nicht mit einer -sehr wünschenswerten- eindeutigen politischen Haltung eines Künstlers verwechseln!). Was überhaupt nicht ausschließt, dass künstlerische Wahrheit ganz konkret ist. Sie sollte sogar so konkret (oder: so scharf formuliert) wie möglich sein. Nur ist sie eben kein abschließendes Urteil oder Axiom. Wäre es so, handelte es sich nicht mehr um künstlerische Wahrheit, sondern schlimmstenfalls gar um Propaganda.
Die besondere Eigenschaft der künstlerischen Wahrheit, nicht eineindeutig zu sein (sondern eindeutig dialektisch, wenn Sie so wollen) macht aber gerade ihre einzigartige Qualität aus: Was aus so einer Wahrheit eventuell folgt, muss ich als Rezipient (oder Zuschauer) nämlich selbst und ganz individuell entscheiden. Das verwickelt mich als Zuschauer in einen aktiven Prozess, an dessen Anfang ich eben nicht mehr genau weiß, was nun eigentlich „richtig“ und was „falsch“ ist. Ich muss den Mut aufbringen, mich meines eigenen Verstandes zu bedienen. So jedenfalls ist gewissermaßen mein Verständnis von (künstlerischer) Aufklärung. Platterdings Informationen zu verbreiten, ist eher, wie Sie es ja auch anmerkten, Volkshochschule. Oder Journalismus.
Ich möchte noch anmerken, dass ich es augenblicklich nicht für nötig halte, dass z.B. das TV-Kabarett die Funktion einer knapp vor dem Totalausfall stehenden Vierten Gewalt übernimmt. Es gab historische Situationen, wo dies unumgänglich war. Heute aber gibt es das Internet. Relevante Informationen werden keinem, der sie wirklich sucht, vorenthalten. Noch zumindest. Es ist aus meiner Sicht so eher eine Frage von Bequemlichkeit, wenn der größere Teil der Gesellschaft (wider besseren Wissens!) diese Möglichkeit nicht nutzt. Die Legitimität oder gar Qualität eines TV-Kabaretts kann sich daraus m.E. nicht ergeben. Jedenfalls z.Z. noch nicht (dass die Verhältnisse mal kippen, dass das so sein könnte, will ich nicht in Abrede stellen).
Ich finde es auch besser, dass es diese Sendung gibt, als andersherum. Und was nicht ist, kann ja vielleicht noch werden. Angesichts eines „Satire-Gipfels“ mit Dieter Nuhr, was in meine Augen die neoliberale Pervertierung von Kabarett ist (ich habe mich dazu hier an dieser Stelle mal lang und breit ausgelassen), ist sie sogar nötig. Aber sie ist aus meiner Sicht quasi die Einäugige unter den Blinden.
Mein Furor entstand vor allem durch die spon-Kritik. Besonders ein Satz ist, vermutlich unfreiwillig, sehr erhellend: „Aber besser wird er zur Zeit nirgendwo sonst bedient, der kleine Sozialist in uns allen.“ Das trifft ins Schwarze, bzw. in diesem Fall: ins Rote. Der kleine Kritiker wird - natürlich im Rahmen dessen, was erlaubt ist, „bedient“. Wäre es da nicht besser, vor allem den „Kleinen Kritiker“ mal damit zu verstören, dass der Kapitalismus fertig hat, weil nicht reformfähig und im Ergebnis nur noch schädlich? Das würfe natürlich neue, weitere Fragen auf. Und das fände ich richtig spannend und produktiv.
Meine harsche Kritik speiste sich auch aus dem Verlangen, angesichts der vielen Hymnen auf diese zweite Folge der „Anstalt“ mal festzustellen: „Leute, bitte, das ist ein Meter“, also zu sagen, was der (künstlerische) Maßstab und Anspruch bei politischen Kabarett sein sollte. Damit es nicht zu einem mehr oder minder billigen, placebo&artigen Surrogat seiner selbst wird.
lg-mcmac
PS: Ich habe den Kommentar als Antwort an Leo A. gepostet, weil ich den Eindruck habe, dass ihn das Thema auch sehr interessiert; so wird er informiert, dass die Diskussion hier noch weiter geht. Sie bekommen den Hinweis auf meinen Kommentar als Autor des Beitrags ja auf jeden Fall & sowieso auch.
Anbei - für seriöse Typen aus Stuttgart :))
=> Leo Bassi: THE BEST (der Ankündigungstext ist ziemlich grauenhaft; lassen Sie sich davon aber nicht schrecken)
lg-mcmac
"Auf so etwas müssen aber nicht Sie oder ich kommen. Solche Dinge erwarte ich von Profis..."
Ey, ey, ey! Ich hab mal kurz ein katholisches Internatskabarett gegründet.....und bekomme heute noch Alpträume, wenn ich daran denke...;)