Altes aus der Anstalt

Kabarett Kabarett als Sozialkundestunde. „Die Anstalt“ macht auf Volkshochschule und Blüm(chen)-Nostalgie. Und kann noch ergänzt werden.

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Dass die Nachdenkseiten jubeln, ist nachvollziehbar. Ich selbst konnte lernen, dass einige Methoden meiner einstigen Unterrichtsversuche noch deutlich ausbaufähig sind und sogar im Team funktionieren. Der Jubel von Stefan Kuzmany bei SPON über die jüngste Ausgabe von "Die Anstalt" verwundert mich aber schon sehr. Entweder ist der Mann zu jung, um sich zu erinnern, dass zumindest der Rententeil in diesem Programm ein vernichtendes Urteil auch über den intellektuellen Niedergang des SPIEGEL bedeutete. Oder er verdrängt eine peinliche und politisch verheerende Vergangenheit: das Ende der „vierten Gewalt“ durch die neoliberale Verhurung der Medien.

Was die Kabarettisten des ZDF in der Nachfolge von Schramm, Priol & Pelzig da nämlich mit 20jähriger Verspätung nachholten, wäre ureigenste Aufgabe der Medien – des SPIEGEL vorneweg – damals wie heute. Dass das politische Kabarett mittlerweile nicht mehr der lustige, sondern der alleinige Vertreter der vierten Gewalt ist, ist denn auch die Bankrotterklärung eines Journalismus, dem das gepflegte Hotelzimmer, das opulente Buffet und dann vielleicht noch die Edelnutte zum Dessert (?) ein wichtigeres Anliegen zu sein scheinen als die Suche nach Wahrheit & Gerechtigkeit. Die lässt man sich scheinbar gerne nebenbei von kellnernden „Experten“ in die Tastatur diktieren. Gerne wohl auch über den Umweg des Politikers, der die komplizierteren Sachverhalte bereits zur Parole vorverdaut hat. Kritisches Denken & Kontrolle gingen anders.

Es war also eine Art Gedenkstunde für den „rheinischen Kapitalismus“ und/ oder die „soziale Marktwirtschaft“, die der Zuschauer am Dienstag Abend im ZDF als Kabarett geboten bekam. Dass das ganze mit einem Auftritt von Norbert Blüm gekrönt wurde, war konsequent. Dass dieses verflossene xte Herz-Jesu-Ersatzrad am flotten Luxuswagen des Helmut Kohl von Teilen des Publikums mit stehendem Applaus begrüßt wurde, sagt mehr über unseren sozialen Niedergang aus als alle Bemühungen der Kabarettisten um Aufklärung. Man wagte in westdeutschen Landen zwar nie an Karl Marx zu denken. Aber dass bereits der homöopathisch verdünnte und nur in christlicher Einfärbung geduldete Rest sozialen Denkens als Messias gefeiert wird – schlimmer will man es sich eigentlich lieber nicht mehr vorstellen.

Sinnvoller erscheint es mir, den falschen Jublern des SPIEGEL bei dieser Gelegenheit Teile ihre eigenen Vergangenheit um die Ohren zu hauen. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit und Repräsentativität. Ich bin schließlich nur ein unbezahlter & unprofessioneller Blogger, keine verwöhnte Edelfeder.

"Schlaraffenland ist abgebrannt. Die Pleite des Sozialstaates lautete der SPIEGEL-Titel vom 13.05.1996. Unter der Überschrift Pleite im Paradies“reihte die Redaktion sich dann in die mediale Einheitsfront gegen den westdeutschen Sozialstaat ein und fuhr eine eigene volle neoliberale Breitseite gegen denselben. Da wurde nicht irgendeine Bresche für den Durchmarsch des Kapitals und seiner willfährigen Marionetten Schröder & Fischer geschlagen. Da wurde das Ende einer kritisch demokratischen SPIEGEL-Tradition besiegelt – was ich zum Anlass nahm, der Redaktion das Ende meiner Leserschaft mitzuteilen

...Mit wachsendem Unbehagen habe ich Ihre fast schon geil zu nennende Hatz auf Institutionen wie Neue Heimat oder Co Op und auf jeden Oppositionspolitiker verfolgt, der es wagte, aus den schützenden Reihen hervorzutreten. Mit dem SPIEGEL hatte ich eigentlich nicht die Aufgabe verbunden, Helmut Kohl den Weg frei zu machen......Schlimmer noch: dem realen Helmut Kohl ist, im Vergleich zu Ihrem Titel, noch eine gewisse pragmatische Milde zugute zu halten....“

Das Datum ist nur irgendeines, aber für mich war genau damals das Maß voll und die Hoffnung am Ende. Denn nun war der zentrale Konflikt entschieden, der bereits in der Formulierung des Grundgesetzes angelegt war, durch die braune Schuld und den „kalten Krieg“ lange einigermaßen in der Schwebe geblieben war, und nun zum „alternativlosen“ Kapital hin kippte.

Für mich, für den als Beamten dabei keine allzu große Opferrolle zu befürchten war, war die Katastrophe eher „überbaulicher“ Art: mit der Kapitulation des SPIEGEL und der SPD würde es endgültig keine weithin hörbare Kritik am Kippen des Systems mehr geben. Es drohten zügellose, unkommentierte Verheerungen. Und zu Schröder und seiner Politik sah ich ohnehin keine Alternative. Aber die Kapitulation mit Mediengegröhle erst zu fordern und dann ihre in vorauseilender Unterwürfigkeit die Ansprüche des Kapitals überbietenden Ergebnisse zu bejubeln – das war keine Demokratie mehr, das war „Reichsparteitagsstimmung“.

Und so hörte es sich damals im SPIEGEL an:

Viele Konservative, die in Deutschland gern die Radikalkur einer Maggie Thatcher nachholen würden, sehen ihre späte Chance gekommen. Die FAZ ("Not ist nötig") wütet seit Wochen gegen "die Hasardeure der Umverteilung": "Die Entzauberung ihrer Märchenwelt ist in vollem Gange", freut sich das Blatt: "Endlich!"

SPD und Grüne, die den Reformbedarf nicht länger leugnen, sind verstört. Kommt jetzt der Kapitalismus pur, wie IG-Metall-Chef Klaus Zwickel fürchtet? Wird nun den Bedürftigen, wie der Grüne Joschka Fischer argwöhnt, "der Gürtel enger gezogen, bis sie blau werden, und oben wird der Gürtel weggeworfen"? [Hervorhebungen sg]

Im Nachhinein liest es sich natürlich etwas anders als damals: verstörend sind der prophetische Weitblick von Herrn Zwickel ebenso wie das schmierig verlogene Pathos des Herrn Fischer. Und wenn man die ersten Sätze, in denen Ludwig Erhard zitiert wird, vor dem Hintergrund der Summen liest, die der Staat nach der Weltfinanzkrise den Zockern in den Arsch geschoben hat, kann kann man das tägliche kapitalistische Murmeltür perfide grüßen hören. Mindestens:

Der Staat ist nicht eine Kuh, die im Himmel gefüttert und auf Erden gemolken wird", teilte der Kanzler den Deutschen mit. Und für die Begriffsstutzigen fügte er barsch hinzu: Ihm sei es ein Ärgernis, daß "wir zuwenig arbeiten"...."Jeder, der bummelt, jeder, der krankfeiert, jeder, der in seiner verkürzten Arbeitszeit nicht seine volle Arbeitskraft einsetzt, bestiehlt im Grunde genommen den Arbeitskameraden."

Aber jetzt, am 13.05.1996, war es wirklich so weit. Nun spricht nicht mehr Erhard, nicht mehr Lambsdorff, nicht mehr Kohl, nicht mehr die FAZ oder gar BILD. Nun spricht der SPIEGEL und damit ist es endlich für alle „wahr“:

...Schlaraffenland ist abgebrannt.

Überall züngelt es. Die kurzen Arbeitszeiten, die vielen Urlaubstage, der bequeme Vorruhestand - was bleibt davon übrig? Hohe Löhne und sichere Pensionen - wie lange noch? Und was wird aus der staatlich organisierten Versicherung gegen Krankheit, Arbeitslosigkeit und Pflegefallrisiko?

Das Ausland schaut neugierig und nicht ohne Schadenfreude auf das einst bewunderte "paradiesähnliche deutsche System" (International Herald Tribune): "Das Wirtschaftswunder ist zum Mythos geworden", urteilt jetzt der britische Economist: "Das deutsche Modell steckt tief im Schlamassel."

Niemand bestreitet das.“ [Hervorhebungen sg]

Genau. Die Gehirnwäsche war endlich erfolgreich. Und man muss gar nicht auf die Entwicklung der Einkommens- und Vermögensverteilung seitdem und auf die Manipulationsversuche bei einschlägigen Daten zurückschauen, um zu erkennen, um was es in Wahrheit ging. Es war schon lange vor dem „Lambsdorff-Papier“ zu sehen. Jedenfalls für den kritischen Blick. Denn am 12. März 1982 hatte der Mannheimer Politologe Rudolf Wildenmannund Mitbegründer der dortigen Forschungsgruppe Wahlen in der ZEIT verkündet: „Die Elite wünscht den Wechsel“. Und mit „Elite“ meinte er, soziologisch korrekt, „Unsere oberen Dreitausend“, die nach seinen Erhebungen - wenig überraschend - politisch „mehr 'rechts' als 'links'“ standen (und stehen).

Am 1. Oktober 1982 konnte die freie, demokratische Klientelpartei ihren Bossen Vollzug melden, deren Träume sich dann allerdings nicht auf chinesische Art erfüllten. Dazu brauchte es erst noch einen „Macher“ wie Schröder mit dem Moral-Schwätzer Fischer im Schlepptau, der der alternativlosen Vollstreckerin Merkel den Weg frei machte und dabei sicherstellte, dass sie keine sozialdemokratische Opposition mehr zu befürchten braucht. Denn seit Schröder die SPD endlich offen und offiziell zur reinen Partei des Kapitals machte, ist die christlich angemalte CDU allemal im sozialen Wählervorteil.

Und, um zum SPIEGEL zurückzukommen: die Medien sind gleichgeschaltet und liefern gerne auch das passende Geschichts- und Gesellschaftsbild zur Profitmaximierung:

So entstand nach dem Krieg ein Maximum an Gleichheit zwischen oben und unten. "Einer für alle, alle für einen", war das von Friedrich Wilhelm Raiffeisen, Gründer der Genossenschaften, im vergangenen Jahrhundert vorgegebene Motto.

Doch wieviel Kollektiv will sich die Republik der Individualisten noch leisten? Gilt heute noch das einstige Zauberwort von der Solidarität? Ist der Wohlfahrtsstaat noch immer Schmuckstück oder nur noch Kostenfaktor? Und: Welcher Spielraum ist der nationalen Politik überhaupt noch geblieben, über ihr Gesellschaftsmodell selbst zu entscheiden? …..

..Das alte Tabu, nach dem alles Soziale als unantastbar galt, scheint gebrochen. Wer die Misere[des Kapitals! - sg] thematisiert, gilt nicht länger automatisch als Reaktionär.

Die Kräfte, die den Wohlfahrtsstaat unterspülen, sind heute gewaltig. Sie wirken weltweit, und das schon seit langem.“

Und dann geht es in die Details. Von denAlten (siehe dazu auch hier), über die Kranken bis zu den Arbeitslosen. Erst die „Prognose“:

Der Generationenvertrag, nach dem die Kinder für Renten und Krankenkosten der Eltern zahlen, kann nicht mehr funktionieren. Seit zwei Jahrzehnten folgen auf drei Erwachsene nur noch zwei Kinder. Der letzte Elternjahrgang, der sich komplett durch Neugeburten ersetzte, wurde 1892 geboren.“ [Hervorhebungen sg]

Und dann sozialdarwinistische Hetze, dezent in quasi Nebenbei-Bemerkungen u.a. versteckt:

Dieses Gleichgewicht ist gestört. Immer weniger Erwerbstätige müssen immer mehr Pensionäre versorgen. Während die sich auf Mallorca sonnen, zahlen ihre Kinder und Enkel mittlerweile allein für die Rentenversicherung Beitragssätze von 19 Prozent des Lohns. …

Auch die Krankenkassen halten den Ansturm der Alten....nicht mehr aus. Die über 65jährigen verursachen viermal höhere Kosten als die Jüngeren.

..

Jeder neue Arbeitslose belastet das Sozialsystem doppelt. Er kassiert Versicherungsgeld, statt Beiträge zu zahlen. Und er verteilt die Lasten auf andere: Beim Arbeitgeber erhöht er die Lohnnebenkosten, beim Arbeitskollegen von einst die Lohnabzüge. Beide werden so stranguliert.“ [Hervorhebungen sg]

Dann wird dezent zur Lüge übergeleitet:

Große Vermögen sind ... schon entstanden. Von Generation zu Generation werden mittlerweile Billionen vererbt, und kaum ein Lebensrisiko muß von diesem Geld bewältigt werden. Der Staat zahlt ja für alles - fürs Alter, für die Tage im Krankenhaus, für die Pflege der Eltern.“

Um schließlich zum von vornherein gewünschten Ergebnis zu kommen:

Konflikte zwischen denen, die Steuern und Abgaben bezahlen, und denen, die davon leben, scheinen in Zukunft unvermeidlich. Um den drohenden Generationenkrieg zu verhindern, mahnen Wissenschaftler wie Dettling, müsse man heute "den Sozialstaat neu erfinden": effizient und bürgernah, marktwirtschaftlich strukturiert und dennoch gerecht.“

Und deshalb ist die Gleichschaltung der Medien und die Kapitulation des kritischen Denkens nötig:

Doch eine echte Reformdebatte kommt nur mühsam in Gang. Die Mehrheit von Oppositions- und Regierungspolitikern klammert sich noch immer an den Status quo, der Ideenreichtum des britischen Labour-Chefs Tony Blair ist einem Oskar Lafontaine fremd.

Die Lohnnebenkosten müssen runter, sagen Unternehmer und Union. Die Kapitaleinkommen müssen anders verteilt werden, fordern Gewerkschaften und SPD. Andernfalls wird mit Streik und Protestmärschen gedroht. ...“

Ja, wo brutale Arbeitergewalt Unternehmervernunft niederzuwalzen droht, kennt der SPIEGEL keine Parteien mehr, nur noch Unternehmer. Und der Erfolg gab den Medien recht: inzwischen stimmte auch die SPD den Kriegskrediten für Zocker gegen das Gemeinwohl vorbehaltlos zu.

So weit ein kleiner Hintergrund zur gestrigen Kabarettsendung. Natürlich ist die Auswahl der Zitate einseitig, um aus einem für damals vergleichsweise ausgewogenen Artikel dennoch das neoliberale Gift hervorzuheben. Und natürlich kann man leicht überlesen, was so eine kleine, eingestreute Spitze im historsichen Kontext alles bedeuten kann. Deshalb zum Abschluss noch weitere Auszüge aus meinem damaligen Abschiedsbrief an den SPIEGEL (Ungekonnt, weil noch ohne Internet. Dennoch aber ungeschönt):

„...was Sie als miese Rentnerschimpfe vom Villenstammtisch in Ihren Titel gesetzt haben, möchte ich nicht unwidersprochen lassen.....Ihr Mallorca-Rentner … ist eine jener virtuellen Medienwirklichkeiten, die, einmal in den Blätterwald geblasen, so lange darin herumrasen, bis schließlich zumindest die Mehrzahl der Journalisten daran glaubt.

Aber selbst denen, die das Vergnügen in der Sonne suchen, wäre dies möglicherweise zuzugestehen. Denn die älteren unter den heutigen Rentnern – vor allem die Frauen – gehören zu der Generation, die unter den Bedingungen von Krieg, Vertreibung und Hunger sich selbst und ihre Kinder durchzubringen hatte, Verluste an Heimat und Vermögen wegstecken musste – von Bombennächten, Mord und Vergewaltigung ganz zu schweigen -, und die schließlich unter unsäglichen Bedingungen den Wiederaufbau und damit den Reichtum schuf, aus dem heute ihre Renten finanziert werden. Dies bleibt wahr auch angesichts der Schuld, die diese Generation auf sich geladen hat.

Die Generation, die sich jetzt anschickt, in die Rente zu gehen, hat jene unsäglichen Zeiten als Kindheit zu verbuchen. Und wenn beide Generationen sich damals dem Jammern hingegeben hätten, das derzeit die Medien angeblich im Sinne der Beitragszahler veranstalten, dann hätten sie zwar aus gutem Grund gejammert – im Gegensatz zu den heutigen professionellen Jammerern -, aber es gäbe wohl heute es weniger Menschen, die jede Woche 5 Märker für den SPIEGEL berappen könnten.

Falsch ist... auch der Eindruck, es gäbe im Rentensystem eine Einbahnstraße, in die eine Seite den Rubel rollt, der dann von der anderen Seite abkassiert wird. Einmal davon abgesehen, dass Erziehung, Unterhalt und Ausbildung von Kindern den Eltern – vor allem in den oben genannten Zeiten – ein ordentliches Maß an Investitionsbereitschaft abverlangt (hat), so ist es doch in Wirklichkeit eher so, dass eine große Zahl – wenn nicht gar die Mehrzahl – der Rentner ein eher bescheidenes Leben führt und nach wie vor auf die Seite legt, was sie finanziell verkraften können. Und was davon nicht als …..[G]eschenk,...[oder]...Beihilfe ..... im Generationentransfer zurückfließt, bleibt ja schließlich irgendwann einmal als Erbe zurück.

Das Medienbild vom narzistischen greisen Abzocker ist also eine infame Verdrehung der Realität. Und wenn es denn je einen „Freizeitpark Deutschland“ gegeben haben sollte, so zählt die Mehrheit der heutigen Rentner zu denen, die ihn aufgebaut haben, aber sicher nicht zu den eifrigsten Besuchern. Jede noch so kluge „Analyse“ aber, die auf dem virtuellen Medienrentner aufbaut, muss konsequenterweise falsch sein.

….

Kein System taugt für die Ewigkeit und muss der veränderten Wirklichkeit angepasst werden. Eine solche Anpassung funktioniert aber sicher nicht, wenn sie von Wahlgeschenks- oder Sündenbockdenken gesteuert wird.

…...

...was ist denn eigentlich so neu am Generationenvertrag oder an der Doppelbelastung von erwerbstätigen Eltern, die gleichzeitig für die vorausgegangene wie für die nachwachsende Generation, sowie für die kinderlosen Alten aufkommen müssen? War das denn jemals anders? Ist es denn nicht einfach so, dass der staatlich organisierte und verbürgte Generationenvertrag nichts anderes ist als die Fortsetzung dessen, was es schon immer gab – allerdings gerechter in der Verteilung und weniger belastet von Emotionen?

Und ist denn das System, dass die erwerbstätige Generation die anderen versorgt, nicht das sicherste und flexibelste aller denkbaren Systeme? Ist es denn nicht auch das preiswerteste im Vergleich zu Biedenkopfs Blütenträumen von Privatvorsorge – mit entsprechenden Abzweigungen für die Gewinnschatullen der Versicherungsgesellschaften – und einer aus Steueraufkommen finanzierten Grundversorgung, die dann von den Politikern je nach Bedarf mit Subventionen, Diäten, Rüstungskosten usw. verrechnet werden kann, und wo kein Zusammenhang zwischen Ein- und Auszahlungen mehr erkennbar ist?

….

...möchte ich nochmals auf die für mich ärgerliche öffentliche Sozialstaatsdebatte zurückkommen und mich doch etwas darüber wundern, wie wenig öffentliche Menschen es in diesem Lande gibt, die stolz darauf sind, dass wir uns auf relativ intelligente Weise vom Sozialdarwinismus entfernt haben. Und dass es auf der anderen Seite zunehmend mehr sozialpolitische Ignoranten gibt, die es gar nicht peinlich finden, uns … Länder als Vorbild anzupreisen, in denen von der eigenen Presse stellenweise Zustände wie in der sogenannten Dritten Welt ausgemacht werden (USA), oder in denen es schon mal vorkommt, dass Rentner sich aus den Mülltonnen bedienen müssen oder im Winter in ihren Häusern erfrieren, weil ihnen das Geld für die Heizung ausgegangen ist (Großbritannien).

Ist es eigentlich schon mal jemandem in den Sinn gekommen, dass man dort in den höheren Etagen deswegen so gerne über unseren „zu teuren“ ...Sozialstaat herzieht, weil man gerne das ständige Beispiel, dass es auch sozialer geht, endlich weghaben möchte?....[Die kommunistische „Konkurrenz“ war ja schon erledigt. -sg]... Ist es denn so ausgeschlossen, dass die Menschen in den heutigen Billiglohnländern in ein paar Jahren auch Appetit auf Sozialstaat haben und wir, wenn wir unser System jetzt effektiver machen statt uns in frühkapitalistische Zustände [zurück zu katapultieren], dann wieder vorneweg marschieren, während andere ins Schlingern kommen, die es mit Aussitzen und Abzocken probieren?“

.Wie war das doch gleich noch mal mit den Gründen, weshalb die deutsche Wirtschaft bislang vergleichsweise glimpflich durch die Weltfinanzkrise geschrammt ist....? Stichwort "Kurzarbeit" als Sozialstaatsrest......

Man konnte also damals durchaus auch anders denken. Auch die gerade den Hauptseminaren entfleuchten, frisch geföhnten SPIEGEL-Bubis. Aber kritisches Denken hätte ja vielleicht zu hässlich proletarischen Schwitzflecken auf dem Boss-Hemd aus dem Fabrikverkauf führen können? Oder womöglich gar zu Pickeln überm Krawattenkragenrand...?

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Geschrieben von

seriousguy47

Anglophiler Pensionär und Flüchtlingsbetreuer aus Stuttgart.

Wehrdienst, Studium ( Anglistik, Amerikanistik, Empirische Kulturwissenschaft, Sozialpädagogik) , Praktikum ( Primärtherapie), Lehramt, Flüchtlingsbetreuung

seriousguy47

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