BRD 21: „Ein verkaufter Mercedes wiegt ...mehr als ein Leben.“

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Man kann den Eindruck haben, das Blut Elisabeth Käsemanns klebt auch an den Händen von Genscher und Schmidt. Die deutsche Studentin und Tochter eines Tübinger Theologieprofessors wurde – wie schätzungsweise 30 000 argentinische und hundert deutschstämmige Junta-Opfer - vom Regime verhaftet, gefoltert und und in der Nacht vom 23. auf 24. Mai 1977 ermordet. Die im Titel verkürzt zitierte Einschätzung ihres Vaters darf man wohl als Urteil über den negativ engagierten Einsatz der deutschen Politik und Diplomatie für die junge Frau betrachten, der, so scheint es, die Wirtschaftsbeziehungen (u.a. glänzende Waffengeschäfte) und die von der Diktatur engagiert vertretenen Prinzipien „westlicher Zivilisation“ mehr wert waren als das Leben einer linken 68erin – deren Vater als Pfarrer der Bekennenden Kirche während des Nazi-Reiches wegen einer Predigt im Gefängnis gesessen hatte.

Die Worte, mit denen Professor Käsemann seinen letzten Vortrag in Tübingen im Juni 1996 schloss klingen heute überraschend aktuell und erklären das Ansehen, das er bei den Tübinger 68ern genossen hatte:

Résistez! Denn die Nachfolge des Gekreuzigten führt notwendig zum Widerstand gegen Götzendienst an jeder Front und dieser Widerstand ist und hat zu sein das wichtigste Merkmal christlicher Freiheit.“(1)/ (2)

Die Geschichte der Causa Käsemann ist eine Geschichte deutscher Schande, ganz besonders sozialliberaler Schande und eines der vielen Symptome, die überdeutlich zeigen, wie wenig der Faschismus und seine menschlichen Verwerfungen hinter dem öffentlichen Schuld-Pathos damals überwunden waren - auch und gerade bei führenden sozialliberalen Politikern in der damaligen Regierung. Der Ausstellungskatalog der Koalition gegen Straflosigkeit des Nürnberger Menschenrechtszentrums schildert das Verhalten von Politik und Diplomatie mit hinreichender Deutlichkeit:

Die Deutsche Botschaft ist ihrer Hilfspflicht einer deutschen Staatsbürgerin gegenüber nicht nachgekommen. Ganz im Gegenteil: alle Bemühungen der Eltern wurden ignoriert und mit Gleichgültigkeit behandelt. Diese Tatsache spricht Bände über die Unfähigkeit der deutschen Diplomatie und das fehlende Interesse von Politikern und Beamten der Bundesregierung, dieser Gewaltwelle Einhalt zu gebieten. Auch schenkte die Bundesregierung eher dem argentinischen Militär Glauben, welches behauptete, Elisabeth Käsemann sei am 24. Mai 1977 in einem Feuergefecht getötet worden. Die deutsche Diplomatie hat im Fall Elisabeth Käsemann versagt.

Im Gegensatz dazu gibt es Fälle von irischen, britischen oder italienischen Staatsbürgern, die dank der schnellen und energischen Intervention ihrer Regierungen aus den Fängen des Militärs gerettet wurden....

Ein lukratives Atomgeschäft und Waffenverkäufe in großem Umfang ließen die Politiker und führenden Wirtschaftskräfte in der Bundesrepublik darüber hinwegsehen, dass in ArgentinienMenschen „verschwanden“. Mit der Militärdiktatur wurden „freundschaftliche Beziehungen“gepflegt, um die, teils durch Bundesanleihen abgesicherten, Geschäfte der bundesdeutschen Privatwirtschaft nicht zu gefährden.“ (2)

Ein SPIEGEL-Bericht arbeitet die unterschiedlichen Chancen von Inhaftierten und deutschen und anderen Staatsangehörigkeiten noch etwas deutlicher heraus als der oben zitierte Ausstellungskatalog:

Auch die amerikanische Freundin von Elisabeth Käsemann wurde entführt. Als sie verhört wurde, hörte sie deren Stimme und Schreie im Nebenzimmer. Die Freundin wurde entlassen, Elisabeth Käsemann nicht. Sie wurde in das Lager "El Vesubio" gebracht, in dem Durán Saenz Chef war.

...

Die Inhaftierten wurden geschlagen, mit Elektroschocks gefoltert, viele Frauen vergewaltigt. Einige mussten sehen, wie ihr Partner vor ihren Augen misshandelt wurde. Es habe nach Angst, verbranntem Fleisch und Erbrochenem gerochen.

Unter solchen Bedingungen erlebte Elisabeth Käsemann ihren 30. Geburtstag. Jene, die sie in dem Lager "El Vesubio" erlebt haben, beschreiben sie als sehr dünn, von der tagelangen Folter schwer verletzt. Eine Gefangene erinnerte sich später, wie sie der Deutschen begegnete. Käsemann flüsterte ihr die Adresse ihrer Eltern zu, fast tonlos. Eine andere Gefangene will gesehen haben, wie sie in der Nacht zum 23. Mai 1977 gefesselt und, mit einer Kapuze über dem Kopf, in die Küche des Lagers gebracht wurde. Das war das letzte Mal, dass sie die Deutsche sah. (3)

Aber es kommt noch dicker. Was der bereits zitierte Ausstellungskatalog nämlich sonst noch berichtet, bringt einen fast zum Kotzen:

Der Tod Elisabeth Käsemanns wurde von General Jorge Videla in einer Pressekonferenz am 1. Juni 1977 bestätigt. Die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Buenos Aires hatte jedoch wenig Interesse daran, die Todesnachricht vor dem für den 4. Juni 1977 in Buenos Aires angesetzten Freundschaftsspiel der Fußballnationalmannschaften Argentiniens und Deutschlands bekanntzugeben. So hatte sich der Präsidentdes Deutschen Fußball-Bund (DFB), Hermann Neuberger, mit der Deutschen Botschaft darüber geeinigt, das Freundschaftsspiel zu absolvieren, welches plangemäß stattfand. Erst am 6. Juni 1977 gab die Deutsche Botschaft die Ermordung von Elisabeth Käsemann öffentlich bekannt. Zu diesem Zeitpunkt hatte die deutsche Nationalmannschaft Argentinien bereits wieder verlassen..

Kaum zu ertragen war die stille deutsche Akzeptanz der Anschuldigung als „linke Terroristin“ durch die argentinische Junta. Gerade vor dem Hintergrund der in diesen Jahren sich zuspitzenden und seitens der Bundesregierung mit besonderer Schärfe ausgetragenen Auseinandersetzung um den innerdeutschen „Terrorismus“, war dies eine schamlose Diffamierung Elisabeths wie letztlich auch der Opfer der argentinischen Militärdiktatur insgesamt. Andererseits wurde damit auch die Untätigkeit der Bundesregierung gegenüber den schweren Menschenrechtsverletzungen der argentinischen Militärs kaschiert, handelte es sich bei den Opfern doch „nur um linke Terroristen“. Zweckmäßig war dies auch für das Vorhaben der Bundesregierung, die ab 1976 abgeschlossenen umfangreichen Geschäfte mit der Junta ungestört abzuwickeln.“ (2)

Wie hartleibig Sozialliberal da war zeigt auch ein paralleler Fall von damals:

Im Falle des ebenfalls "verschwundenen" Münchener Studenten Klaus Zieschank konnte nicht einmal ein öffentlicher Hungerstreik der Mutter auf dem Marktplatz in Bonn die Bundesregierung zu entschiedenerem Auftreten bewegen.“ (4)

Zieschank , der sowohl deutscher wie argentinischer Staatsangehöriger war und an der TU München studierte, engangierte sich im Widerstand gegen Augusto Pinochet. „Im März/April 1976 wollte er ein vierwöchiges Industriepraktikum bei der Firma Buxton in der Provinz Buenos Aires absolvieren und flog deshalb über Chile nach Argentinien. In Chile überbrachte er der Familie eines in Deutschland lebenden Flüchtlings finanzielle Unterstützung, wodurch wahrscheinlich der argentinische Geheimdienst auf ihn aufmerksam wurde.,,,Zieschank begann sein Praktikum am 22. März 1976. Zwei Tage später, am 24. März, putschte das Militär. Am 26. März wurde der damals 24-jährige in Buenos Aires von argentinischen Militärs entführt. “ (5)

Auch hier ist der Wikipedia-Eintrag ein einziges Dokument der Schande. Und die beiden Hauptverantwortlichen der BRD von damals werden heute als weise alte Männer gehandelt. Weiterer Kommentar nötig?

Jetzt ist der Mord an Elisabeth Käsemann - soweit überhaupt noch möglich – in Argentinien juristisch „gesühnt“. „Viel zu spät“, wie die taz kommentiert. Diese Kritik wiederum ist das mindeste, was dazu zu sagen ist.(6)

In der Stuttgarter Zeitung erschien am 14. Juli 2011 ein ausführlicher Bericht im Vorfeld des erwarteten Urteils. Offenbar ist er zu gut, als dass man ihn online lesen lassen möchte. Ich konnte ihn jedenfalls nicht finden. Also hier ein paar abgetippte Stichworte:

Die Wände der Folter-Villa Vesubio „waren mit Hakenkreuzen und dem Schriftzug „Viva Hitler“ versehen, und... Häftlinge jüdischer Herkunft [sollen] besonders sadistisch gequält [worden sein]...“

„Außenminister ….Genscher schaltete sich nie persönlich ein“

„Bundeskanzler Schmidt hatte die Kritik an der Lieferung von Kriegsschiffen und U-Booten mit dem Hinweis auf die Arbeitslosenquote in Cuxhaven abgebügelt.“

„Die Regierung lag im Kampf mit der RAF, und nicht wenige zogen Parallelen zwischen Gudrun Ensslin und Elisabeth Käsemann. Pfarrerstochter aus Schwaben. Linke Gedanken. Terroristin. Es sei diffamiert worden nach dem Motto, irgendwas an den Vorwürfen sei schon dran.“Ja, wenn man halt auch bei den Dutschkes aus und eingegangen war.......(Stuttgarter Zeitung vom 14.07.2011).

Ach so, in einer Radiosendung hieß es - nach meiner Erinnerung - kurz, dass der Boschaftsmitarbeiter, der mit dem Fall betraut war, im Dienste der Junta stand.....

(1) de.wikipedia.org/wiki/Elisabeth_K%C3%A4semann

(2) mission-einewelt.org/uploads/media/kleinAusstellung-E_Kaesemann.pdf

(3) www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,772209,00.html

(4) www.sonntagsblatt-bayern.de/archiv02/09/woche2.htm

(5) de.wikipedia.org/wiki/Klaus_Zieschank

(6) www.taz.de/1/politik/amerika/artikel/1/endlich-gerechtigkeit/

www.taz.de/1/debatte/kommentar/artikel/1/viel-zu-spaet/

www.taz.de/1/politik/deutschland/artikel/1/der-unwille-zu-helfen/


Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

seriousguy47

Anglophiler Pensionär und Flüchtlingsbetreuer aus Stuttgart.

Wehrdienst, Studium ( Anglistik, Amerikanistik, Empirische Kulturwissenschaft, Sozialpädagogik) , Praktikum ( Primärtherapie), Lehramt, Flüchtlingsbetreuung

seriousguy47

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden