Die Bombe tickt - Ein Kommentar

Präsident Trump Zu lange haben die "Eliten" weggeschaut und schön geredet. Jetzt ist die zu erwartende Saat des Neoliberalismus aufgegangen: Donald Trump.

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Als ich als Student vor der Wahl stand, mein Auslandssemester in Iowa oder den Midlands des UK zu verbringen, riet mir eine linke Komilitonin die als Austauschschhülerin in den USA gelebt hatte, dringend vom Heartland der USA ab: Du hast eine völlig falsche Vorstellung von den Amis. Du wirst das dort als Linker nicht aushalten. Ich ging nach Nottingham. Für Linke damals kein schlecter Platz.

Das war 1969/ 70. Und ich leide immer noch unter jener fundamentalen Unkenntnis amerikanischer Heartland-Mentalität und der traditionellen politischen Zwangsvorstellung, die Amerikaner (die amerikanische Demokratie) werde das schon wieder richten. Nein, einen Präsidenten Trump hatte ich nicht auf dem Schirm.

Jetzt also heißt es, das Undenkbare zu denken. Und es war ja genug Zeit, sich darauf einzustellen. Und es gibt genug Material, um über Ursachen und Konsequenzen nachzudenken.

Angetalkt ist auch der instinktive Reflex "Es wird schon nicht so schlimm kommen" . Und in der Tat muss eine Bombe, die tickt, nicht in jedem Fall explodieren. Vielleicht ist die Tatsache, dass da einer (angeblich) ohne Stallgeruch , jedenfalls einer, der sich selbst als Außenseiter behauptet, dass so einer also Präsident der USA wird, tatsächlich eine Chance, nicht nur die Scheinwelt der herrschenden Kasten für einen Moment zerplatzen zu lassen. Vielleicht ist es auch die Chance, der gesellschaftlichen Wirklichkeit ins Auge zu sehen und verdrängte Probleme endlich anzugehen.

Leider spricht vieles, wenn nicht alles dafür, dass Lösungen, wenn überhaupt, bestenfalls im "more of the same" gesucht werden - oder solche der faschistischen Art sein könnten. Denn Donald Trump ist der legitime Erbe von Ronald Reagan. Und die faschistische die einzige "Lösung", die neoliberaler Kapitlaismus zulässt, wenn die Verhältnisse explodieren.

Nun rächt sich, dass nach dem zweiten Weltkrieg der linke Weg im "Westen" ,systematisch undenkbar gehalten und in der Praxis blockiert wurde. Dass linkes Denken im Ost-West-Konflikt als Haupt- und Staatsverbrechen galt. Nirgendwo mehr als in den USA und in der BRD.

Während im Ostblock linkes Denken bis zur Unkenntlichkeit entstellt wurde, war es im Westen undenkbar. Alternativen konnten auf beiden Seiten nicht entwickelt werden. Und wo sich dennoch Fenster zu öffnen schienen, wurden sie brutal zugeknallt. Chile und Prag mögen andeuten, was ich meine.

Seit der Staats-"Sozialismus" schließlich fiel, galt der Kapitalismus alternativlos. Und als ob das alles noch nicht schlimm genug gewesen wäre, meinte auch noch die Sozialdemokratie, sich als Kapitalismus-Partei in Reinkultur umdefinieren zu müssen.

Dass es sehr wohl immer noch den nur zaghaft tabuisierten rechten Weg gab, wurde geradezu systematisch übersehen.

Medial beschwätzt, in Wahrheit aber systematisch ignoriert oder arrogant verschärft blieben die zunehmenden gesellschaftlichen Probleme - ein Wort, das bereits selbst verschämt verschweigt, dass es von menschlichem Elend spricht. Den bei allen Lebenschancen zu kurz Gekommenen wurde das Leben rücksichtslos immer weiter erschwert, damit der Casionokapitalismus umso mehr profitablen Spaß haben konnte.

Bis jetzt. Und bis jetzt hatten die besser Gestellten - auch ich - immer wieder versucht, durch "kleinere Übel" Zeit zu gewinnen, in der Hoffnung, die tief verwurzelten rechten Prädispositionen könnten sich irgendwann, irgendwo, irgendwie auflösen und einem freien Denken Platz machen. Ein linker Weg könnte sich dennoch auftun. Die Verhältnisse könnten endlich wenigstens ein bisschen ins Lot gebracht werden.

Jetzt hat ausgerechnet ein faschistoider Casinokapitalist den Konsens aufgekündigt, das feine Gespinst aus verlogenen Begründungen für immer neue soziale Kahlschläge, medialem Zuschwätzen von realen Problemen und institutionalisierter Verachtung und Benachteiligung der sognannten "Verlierer" durchschlagen und die Schleußen der angestauten Wut geöffnet.

Jetzt ist passiert, was die herrschende Kaste und das sich für aufgeklärt haltende Bürgertum für undenkbar hielten und wogegen es keine Vorkehrungen gibt. Wir sind dem weiteren Lauf der Dinge mehr oder weniger unvorbereitet ausgeliefert.

Das bürgerlich-liberale Spiel ist aus. Alles hängt nun von Donald Trump ab, der, wie es aussieht, durchregieren kann. Oder von den Republikanern, die ihm das parlamentarische Bein stellen können. Das aber setzt voraus, dass sie sich von ihrem seit der Clinton-Präsidentschaft eingeschlagenen Kurs radikal abwenden, der geradewegs zu der Situation führte, in der die USA sich jetzt befinden.

Eines steht fest: der Westen hat aus der faschistischen Katastrophe nichts gelernt. Die Frage ist, ob es jetzt noch möglich ist, dies nachzuholen. Oder ob ich am Ende meines Lebens doch noch das erleben muss, was ich glaubte, qua Geburt, vermieden zu haben.

p.s.

Selbst wenn sich ein Präsident Trump als Glücksfall für die Amerikaner erweisen sollte, ist seine Wahl dennoch eine Katastrophe. Denn die BoBotschaft wäre dann ja: du kannst jeden Rattenfänger wählen. Es wird schon nichts passieren. Und das ist keine gute Aussicht für unsere Zukunft.

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Geschrieben von

seriousguy47

Anglophiler Pensionär und Flüchtlingsbetreuer aus Stuttgart.

Wehrdienst, Studium ( Anglistik, Amerikanistik, Empirische Kulturwissenschaft, Sozialpädagogik) , Praktikum ( Primärtherapie), Lehramt, Flüchtlingsbetreuung

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