Die irre Republik (3): Merkel spart Gauck

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Merkel hat vermutlich eine Jahrhundert-Chance verspielt und damit endgültig bestätigt, dass Schröder recht hatte als er ihr in jener Wahlnacht, in der er seine Kanzlerschaft zerbrüllte, sagte, sie könne es nicht. So paradox es ist: indem er dies zutreffend formulierte, machte er sie zur Kanzlerin. Er konnte es also am Ende auch nicht. Zu viel Basta (oder Testosteron? Oder Alkohol?) bei ihm. zu wenig bei ihr. Und beide Beispiele zeigen, dass es in der Politik nicht immer und unbedingt auf Leistung ankommt. Und/ oder auf Sachkompetenz. Am Ende siegt auch schon mal die bessere Taktik. Die bessere PR sowieso.

In der Präsidentenfrage lag beides bei Rot-Grün. Was für eine wuchtige Chance. Da tritt unerwartet und ohne Vorwarnung der Präsident in einem Moment zurück , in dem die Welt und das Land sich in einer schweren Krise befinden, die Regierung längst nicht mehr weiter weiß und in NRW die Ideologen ihre Betonburgen bauen. Es ist der Moment für eine psychologische Erschütterung, die die eingefahrenen neuronalen Bahnen öffnen kann. Und für einen Innovations- und Motivations- Schub. Für Querdenken. Einen Überraschungscoup. AberMerkel, schon ganz auf Sparflamme und Sparprogramm, spart sich das, verwaltet bieder vor sich hin als sei nichts gewesen und setzt brav ein Häkchen hinter den obersten Namen auf ihrer Bewerberliste fürs Präsidentenamt. Dann noch eine Kurz-SMS an Gabriel, dessen Kandidatenvorschlag sie wohl gar nicht kapiert hat. Und erledigt.

Wie weiland Honnecker im Endstadium der DDR: Den Sozialismus in seinem Lauf halten weder Ochs noch Esel auf. Wozu Kreativität? Wozu PR? Wozu Überraschungscoups? Es ist doch ohnehin alles wie es ist. Alternativlos. Kann man nichts machen. Man verwaltet eben so vor sich hin und es kommt ohnehin wie's kommt. Und wenn's keiner versteht, dann verkündet man eben, man habe entschieden, dass es so seine Richtigkeit hat. Die Partei hat immer recht.Politik nach DDR-Alltagserfahrung und -Lebensgefühl.

Nicht erst heute frage ich mich, ob jene westdeutschen Journalisten , die uns seit Jahren einzuschreiben versuchen, Merkel sei in Wahrheit ganz anders, habe Pläne, Visionen und was weiß ich...sie könne es nur nicht rüber bringen... aber, wenn erst einmal der richtige Moment da ist....ob die also überhaupt kapiert haben, was diese Frau steuert. Könnte es sein, dass es eine DDR-geprägte Wahrnehmung von Politik ist, die in der westlichen Medien-Demokratie mit ihren Lust-, Begründungs- und Motivations-Erfordernissen nie wirklich angekommen ist? Die Parteienpluralismus nicht sauber von Blockflötokratie zu trennen weiß? Die die Veränderbarkeit von Realität ein bißchen zu eng sieht?

Könnte es sein, dass Merkel nie wirklich gestalten wollte, Macht ausüben wollte? Dass sie einfach immer nur gerade zufällig da war, wenn Veränderung passierte? Beim Fall der Mauer, beim Fall von Kohl, beim Fall von Schröder? Stand sie halt immer gerade zufällig dabei und man griff irgendwie zu, weil es so bequemer war, als das Suchen nach der oder dem Besten? Mit all dem Streit, der Unsicherheit, den Hahnenkämpfen? Und eine Frau war sie auch. Das war doch schon mal was. Damit konnte man auch international punkten. Was zählte es da schon, dass niemand so genau wußte, wer und was diese Frau eigentlich war. Was sie eigentlich wollte und konnte. Gott, sie stand halt gerade so geschickt da.....

Und dann gab es ja noch die SPD. Die hatte sich die Hörner in Rot-Grün abgestoßen, stand noch voll in der Regierungsroutine und schmiss den Laden doch gern aus der zweiten Reihe. Opposition ist Mist. Dann doch lieber so als gar nix. Und Mutter Merkel blickte stumm auf dem ganzen Tisch herum. Bis Guido und Horst kamen. Mehr ist zu diesem Punkt nicht zu sagen. Außer: Mutter Merkel blicket stumm auf dem ganzen Tisch herum. Zum Rest siehe die Geschichte vom Zappel-Philipp. Aber nicht vergessen: mit x multiplizieren ( de.wikisource.org/wiki/Der_Struwwelpeter/Die_Geschichte_vom_Zappel-Philipp )!

So weit, so entlastend. Aber sind wir nicht alle Merkel? Haben wir da nicht gerne mitgemacht? Hatten wir's nicht gern so bequem, so verträumt, so selbst-belügend, so verantwortungs- und gedankenlos wählend?

Nein, wir sind nicht Merkel, denn in einem Punkt unterscheiden wir uns: Gauck. Während Merkel auch drogenmäßig in einer Mangelwirtschaft aufwuchs und gelernt hat, sich mit der Nüchterheit zu arrangieren, brauchen wir unsere Droge, unseren Gauck, der uns über die triste politische Realität erhebt, die wir uns bei den Wahlen selbst eingebrockt haben. Besoffen von Gauck wollen wir diese Legislaturperiode überstehen, um dann wieder irgendeinen Sch.... zu wählen und das Spiel von vorne zu beginnen. Bitte keinen Entzug! Wir brauchen eine volle Dröhnung mit der "Macht des Wortes"! Ist doch egal, ob es etwas verändert. Hauptsache, wir fühlen uns gut.

Braucht sie das Land auch? Oder braucht es vielleicht doch eher einen Bundespräsidenten? Einen, der die Gesetze einigermaßen versteht, die er zu unterzeichnen hat? Einen, der bei seinen internationalen Kontakten unsere Wirtschaftsinteressen rüberbringen kann und möglichst wenig mit humanitärem Pathos verschreckt? Einen, der einigermaßen einschätzen kann, wer einen Orden verdient und wer eine Begnadigung? Einen netten, aufgeschlossenen Notar also? Einen wie Wulff vielleicht?

Wenn ihr aber schon unbedingt Gauck wollt, dann bitte richtig: Gauck als Bundeskanzler, Merkel als Präsidentin. Dann kann Wulff bleiben, wo er ist und sich weiter auf eine Kanzlerschaft vorbereiten. Und auch das Kabinett könnte bleiben wie es ist. Nur eine kleine Änderung: Guttenberg wird Außenminister und Westerwelle Verteidigungsminister. Dort hat er dann endlich einen Aufgabenbereich, in dem er sich auskennt: Männer.

Teil 1: Realitätsflucht

www.freitag.de/community/blogs/seriousguy47/die-irre-republik--1--realitaetsflucht

Teil 2: Educating Guido

www.freitag.de/community/blogs/seriousguy47/die-irre-republik-2-educating-guido

Zwischen-Exkurs: Elterngeld

community.zeit.de/user/seriousguy/beitrag/2010/06/14/gunnar-heinsohn-fordert-ende-des-elterngeldes

Links zum Vertiefen:

www.sueddeutsche.de/politik/2.220/bundespraesidentenwahl-das-gaucksche-gesetz-1.960060

www.faz.net/-00q7bh

www.welt.de/politik/deutschland/article7913010/Wie-Wulff-wirklich-zum-Kandidaten-wurde.htmlhttp://www.faz.net/-00uqee

www.faz.net/-00ynh3

www.faz.net/-00zlfc

www.faz.net/-00zngr

www.faz.net/-00xalo

www.faz.net/-00zejn

www.taz.de/1/politik/deutschland/artikel/1/danke-dass-es-sie-gibt/

www.taz.de/1/debatte/sonntazstreit/artikel/1/ein-gruessonkel-fuer-30-millionen/

www.welt.de/politik/deutschland/article7930052/Buerger-und-Medien-favorisieren-Joachim-Gauck.html#reqRSS

www.welt.de/politik/deutschland/article7921661/Die-schwarz-gelbe-Angst-vor-einem-Wulff-Debakel.html

www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,698870,00.html

de.wikipedia.org/wiki/Bundespr%C3%A4sident_%28Deutschland%29

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Geschrieben von

seriousguy47

Anglophiler Pensionär und Flüchtlingsbetreuer aus Stuttgart.

Wehrdienst, Studium ( Anglistik, Amerikanistik, Empirische Kulturwissenschaft, Sozialpädagogik) , Praktikum ( Primärtherapie), Lehramt, Flüchtlingsbetreuung

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