Die Quittung. Eine Polemik gegen Grün-Rot

Bundestagswahl & S21 Die Grünen in Stuttgart sind entsetzt. Damit zeigen sie sich noch dümmer als befürchtet.

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"Die grün-rote Hütte brennt", kommentiert heute die Stuttgarter Zeitung und „Hochmut kommt vor dem Fall“. Eine der seltenen Aussagen, mit der man sich viel zu selten mit dem Stuttgarter Widerstand einig sein dürfte.

Bei der Ursachenanalyse jedoch scheiden sich die Geister auch schon wieder. Las man sich am Wahlabend durch die Internetportale der Stuttgarter Monopolpresse, dann war die Chiffre „S21“ auffällig unauffindbar. Heute taucht sie immerhin in einer Analyse zum gescheiterten "Erststimmenpakt" auf, von dem immerhin ein SPD-Newcomer profitierte, der seine Skepsis gegenüber S21 bekundet hatte:

...während Özdemir, der mit dem Pakt ein Direktmandat ergattern sollte, und die Grünen mit ziemlich leeren Händen dastehen, zieht der SPD-Kreisvorsitzende Dejan Perc ein zufriedenes Fazit: „Unser Kandidat Nicolas Schäfstoß hat ein mehr als respektables Ergebnis erreicht, die SPD ist wieder zweitstärkste Kraft in der Stadt“…..Der Erststimmenpakt sollte [aber -SG]vor allem bei Özdemir mögliche Stimmenverluste von S-21-Gegnern ausgleichen, die mit dem moderaten Kurs von Ministerpräsident Winfried Kretschmann nicht zufrieden sind und zu den Kandidaten der S-21-Netzwerker oder zu den Linken abwandern könnten. Diese Art der Wählerwanderung wird es aber wohl nur begrenzt gegeben haben – wahlentscheidend war sie nicht, eher haben wohl bürgerliche Wähler den Grünen den Rücken gekehrt und wieder CDU gewählt.“

Dumm gelaufen mit den „bürgerlichen Wählern“, aber vielleicht anders als von der StZ behauptet, und vor allem vorhersehbar, wie u.a. einem Essay von Barbara Supp im neuen Spiegel noch rechtzeitig vor der Wahl zu entnehmen war:

"...Egon Hopfenzitz und seine Frau finden nicht, dass alles richtig ist, wie es ist. Hopfenzitz war Bahnhofsvorsteher im Hauptbahnhof, bis Oktober 1994. Er war der letzte, danach gab es keinen mehr. Da kam bundesweit die Bahnreform, die unter anderem den Bahnhofsvorsteher abschaffte. Und es kam der Plan, den Bahnhof zu vergraben, was Hopfenzitz von Anfang an für "Unsinn" hielt: 8 Gleise statt früher 16, und die sollen auch noch ein Drittel mehr leisten als davor.

Hopfenzitz, Jahrgang 1929, war ein deutscher Beamter, der CDU wählte, und ist nun politisch gesehen ein anderer Mensch.

Er hat die alten Formen der Bürgerbeteiligung erlebt und die neuen auch. Er klagte im Planfeststellungsverfahren und verlor. Er hat diskutiert, demonstriert, stand am schwarzen Donnerstag mit seiner Frau vor den Wasserwerfern im Schlosspark.
Hat bei der Schlichtung seinen alten Bahnhof verteidigt, der mehr konnte als der geplante, aber es nutzte nichts. Hat erlebt, wie die Bahn bei der Volksabstimmung die Kosten für S 21 herunterrechnete und damit gewann. Die Schlichtung, die Volksabstimmung: Beides sind potentiell demokratische Instrumente, wenn Waffengleichheit besteht. Aber Waffengleichheit kann es nicht geben, wenn eine Seite die Macht über die Fakten hat.

Daher die "Verbitterung" in der Stadt....Bürgerbeteiligung funktioniert nicht als Befriedung, das ist die Botschaft von Stuttgart, wenn die beteiligten Bürger den Eindruck gewinnen, dass man sie hintergeht, dass man ihnen Fakten vorenthält, dass man sie gar belügt. Dann schafft Bürgerbeteiligung gerade das Gegenteil von dem, was sie schaffen soll: Misstrauen gegen diesen Staat.

Hopfenzitz rief vor der Landtagswahl 2011 dazu auf, die Grünen zu wählen, neulich nahm er es zurück. Weil Kretschmann, dem er einst vertraut hat, sich an die Volksabstimmung bindet, trotz der Fehlinformationen, auf denen das Ergebnis beruht. ….

Hopfenzitz ist ein pensionierter deutscher Beamter, er will keinen anderen Staat. Aber wenn man ihn fragt, wie er sich entschieden hat bei dieser Wahl, dann deutet er zum ersten Mal, und ausnahmsweise, sagt er, ganz nach links."

[Barbara Supp, Spiegel 39/2013, 21.9.2013, S. 58f , zitiert nach Parkschützer Statements ]

So also war das mit den Grünen und dem „Bürgertum“ in ihrem angestammten Habitat, Stuttgart und Baden-Württemberg. Wen immer Pädo-, Steuer- und Veggie-Kampagne abgeschreckt haben mögen, sie hätten sich auch von jeder anderen Kampagne verführen lassen. Der Kern des hiesigen politisch bewussten Bürgertums aber, der Widerstand gegen S21, wurde von Kretschmann & Co höchst selbst mit Hohn, Spott & Arroganz verjagt.

Man hat den Grünen Brücke über Brücke gebaut. Ingenieure, Juristen und andere haben wieder und wieder unentgeltlich Vorlage über Vorlage erarbeitet, die Grün-Rot dann von wohlbestallten Höflingen mit eiserner Regelmäßigkeit hat um- und weglügen lassen. Trotzdem wurde der Grüne Fritz Kuhn deutlich zum Stuttgarter OB gewählt. Gedankt hat auch er es seinen Wählern nicht.

Und anstatt rechtzeitig zur Bundestagswahl endlich aufzuwachen und auf den Stuttgarter Widerstand zuzugehen, knallte man uns ein Redeverbot über S21 vor den Latz. In all der Zeit, in der ich als Wähler und politisch Interessierter die Politik in diesem Lande beobachtet habe, habe ich noch nie eine solche Frechheit (z.B. Kretschmann), Verlogenheit (z.B. Hermann) und Überheblichkeit (z.B. Untersteller) erlebt, wie von den Grünen unter Kretschmann, der wohl meint, die Wähler könne man genauso verarschen wie das eigene Parteivolk.

Nicht, dass mir die Grünen jemals vertrauenswürdig erschienen wären. Sie waren es weder in jener Zeit pädophiler Podiumsstürmer, noch in der Fischer-Ära oder danach. Ich habe sie nur zweimal gewählt: gegen Mappus und gegen Turner. Bestätigt wurde zweimal, dass ich ihnen zu Recht nie getraut habe.

Und da wären wir dann vermutlich auch schon bei dem großen Missverständnis, das zum grünen Hochmut vor dem Absturz geführt hat. Besoffen von Umfrageergebnissen scheinen die grünen Frösche, die von den Wählern auf den Baum gehievt wurden, weil die einzige Alternative Mappus hieß, zu glauben, jetzt seien sie auch Vögel [Volksparteien] – und klatschten prompt auf Fresse. Manchmal hilft eben ein richtig verstandener Willhelm Busch mehr, als eine falsch verstandene Hannah Arendt.

Dazu kommt noch ein unterirdischer, illoyaler und erpresserischer Koalitionspartner namens SPD, bei deren offenbar total korrumpiertem Führungspersonal einen schon der Brechreiz überkommt, wenn man sie nur von Ferne hört oder sieht – was wohl auch der Grund dafür ist, dass die Herrschaften weithin unsichtbar bleiben und im Hintergrund intrigieren. Allein die Existenz dieses Personals ist schon ein hinreichender Grund, CDU zu wählen – solange der kein Mappus oder Filbinger vorsteht. Oder die Linke. Dann aber noch ohne Aussicht auf politische Mitbestimmung.

Aber das Ende der Arroganz scheint längst nicht erreicht. Von Nachdenklichkeit, geschweige denn Einsicht ist bei Herrn Kretschmann nichts zu spüren. Zum Wahlergebnis befragt, greint er über die Vernachlässigung der „Mitte“, die angeblich verfehlten Steuerpläne der Grünen und über das Image einer „Verbotspartei“ - und erweist sich damit nach seiner Rolle als untertänigster „Herrenknecht“ auch als willfähriger Nachplapperer einer SpringerKampagne, die genau darauf abzielte, die Gefahr einer Ausbreitung der Grünen in bürgerlichen Milieus abzuwehren. Und wenn er dann, so jedenfalls die Überschrift, auch noch meint, man habe nicht genug mobilisiert – wobei er offenbar weniger an die Wähler der Grünen, als an die der CDU denkt -, dann fasst man sich nur noch fassungslos an den Kopf ob solcher verbohrten Dämlichkeit.

Denn es war Kretschmann höchst selbst, der Özdemir öffentlich in die Parade gefahren ist, als dieser in letzter Minute versuchte, zu retten, was noch zu retten schien und neue Hoffnungen auf einen Stopp von S21 bei einem Machtwechsel in Berlin machte: „Mit der Volksabstimmung sei „der Käs gegessen“. Stuttgart 21 werde gebaut“(StZ). Im Wahlkampf Steuererhöhungen anzukündigen, mag taktisch dumm sein, denn zumindest BILD-Leser wollen betrogen werden, was Frau Merkel nicht nur verstanden, sondern auch schamlos betrieben hat. Den eigenen Anti-S21-Wählern aber so arrogant in die Fresse zu hauen, ist saudumm und de-mobilisierend.

.Und nur mal so nebenbei: am 20 April diesen Jahres hat Winfried Kretschmann bei der Verleihung des Theodor Heuss-Preises an Daniel Cohn-Bendit eine Rede gehalten, während draußen gegen tatsächliche oder vermeintliche „Pädophilie“ gebrüllt wurde. Es wäre eine frühe Gelegenheit gewesen, ein unüberhörbar klärendes Wort zu diesem Aspekt grüner Geschichte zu sagen. Er hat es respektabel versucht. Und dass er damit so gar nicht durchgedrungen ist, hätte ihm klar machen müssen, dass er auch medial nicht von Freunden umzingelt ist und umso mehr seine ehrliche Wählerschaft pflegen müsste, anstatt sie auf dem Altar von S21 medialen Schleimern zu opfern.....

Und der Opportunist mit dem falschen Pathos zur rechten Zeit, Winfried Hermann, meint gar, Cem Özdemir, der danach seinen angestrebten Wahlkreis haushoch an den seitherigen Inhaber von der CDU verloren hat, mit dem er sich zuvor angeblich ein Kopf-an-Kopf-Rennen lieferte, vorwerfen zu müssen, er „habe sehr für sich geworben, aber grüne Inhalte hätten nicht auf seinen Plakaten gestanden“. In Wahrheit haben die Kretschisten die grüne Botschaft auf einen Nationalpark im Nordschwarzwald heruntergeplättet, wo Bürgern genau das teilweise aufgezwungen werden soll, was man den Stuttgartern gewaltsam nimmt: Natur. Bravo!

Deutlicher kann man nicht zeigen, wie und mit welchem Tempo die baden-württembergischen Grünen unter ihrem Schein-Heiligen Winfried Kretschmann die Arroganz der Macht entdeckt haben und wie exzessiv sie sie auskosten woll(t)en. Deutlicher kann man nicht zeigen, wie sie die Wirklichkeit ausblenden und auf die Tricks, Lügen und Täuschungsmanöver der S21-Mafia und ihren medialen Hofschranzen eingeschwenkt sind.

Ungeteilte Freude dürfte beim Stuttgarter Widerstand dagegen das Wahlergebnis der FDP ausgelöst haben, verspricht es doch mit dem vermutlichen Ausscheiden des FDP-LobbyistenPatrick Döring aus dem Aufsichtsrat der Bahn nicht nur die Chance, den Platz durch einen kritischeren und verantwortungsbewussteren Parlamentarier besetzen zu können. Es erleichtert womöglich auch eine strafrechtliche Verfolgung der Herren, da zumindest Döring, der nun seine Immunität verliert, in einem Hintergrundgespräch auch schon ausgeplaudert zu haben scheint, dass der Bahnaufsichtsrat bei seiner Entscheidung, S21 trotz der Unwirtschaftlichkeit nicht zu stoppen, aus rein politischer Opportunität abgestimmt hat:

Bei der vertraulichen Spitzenrunde [vor der Sitzung des Aufsichtsrates der DB am 05,034.2013 -SG] mit der Kanzlerin ließ sich die FDP in die Koalitionspflicht nehmen. „Wir werden wegen S 21 nicht ein halbes Jahr vor der Wahl eine Palastrevolution gegen die Union beginnen und damit der ganzen Regierung schaden“, räumt ein Freidemokrat im Hintergrundgespräch ein. Klar sei aber: Für beide Parteien bedeute das Festhalten an einem möglicherweise unwirtschaftlichen Projekt alles andere als einen Kompetenznachweis für ökonomischen Sachverstand, fügt er hinzu.“

[Siehe hierzu auch: http://www.freitag.de/autoren/seriousguy47/post-vom-bahn-aufsichtsrat]

Auch der demnächst erwartete neue Prüfbericht des Bundesrechnungshofes könnte ohne die Einflussmöglichkeiten der FDP eine stärkere Wirkung entfalten.

In Baden-Württemberg wurde der grüne Aufbruch an die Spitze der Macht möglich. Arrogant, verlogen und selbstgerecht hat man die Chance verspielt. Wie es aussieht, wird man die Schrift an der Wand nicht erkennen, denn sie ist wohl nicht bei Hannah Arendt nachzulesen. Aber selbst wenn man nun radikal umkehren würde, könnte am 22.09.2013 auch die nächste Landtagswahl bereits verloren worden sein. Denn: Wer einmal lügt, …..

Ein Chance immerhin bleibt den Grünen noch: eine Koalition mit Merkel unter der Maßgabe eines Stopps von S21. Damit könnte man – bei bekanntem Risiko – eventuell die eigene Zukunft sichern und den Hauptschuldigen für das andauernde S21-Desaster, die hiesige SPD, für all die Erpressungen, Sabotagen und Zumutungen abstrafen. Es wäre ein Auflehnen gegen die Rolle des Sündenbocks, die Kretschmann in der Rolle des „Schmerzensmannes“ so gerne übernommen hat und eine Wiederherstellung der eigenen Würde.

Zur Erinnerung: dies ist eine Polemik, keine wohltemperierte Analyse. Irgendwann muss auch einmal der Kropf gelehrt werden.

Siehe auch:

http://www.heise.de/tp/blogs/6/155012

Wie schon so oft, konnte ich auch bei diesem Beitrag auf die unermüdliche kontinuierliche Vorarbeit der Parkschützer zurückgreifen, deren Lektüre sich (fast) immer lohnt.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

seriousguy47

Anglophiler Pensionär und Flüchtlingsbetreuer aus Stuttgart.

Wehrdienst, Studium ( Anglistik, Amerikanistik, Empirische Kulturwissenschaft, Sozialpädagogik) , Praktikum ( Primärtherapie), Lehramt, Flüchtlingsbetreuung

seriousguy47

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