Entschuldigen Sie sich, Herr Jauch!

Not in my Name Ein notwendiger Nachtrag zur Sendung „Günther Jauch“ vom 15.03.2015.

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Ihre Freitag-Redaktion

Sehr geehrter Herr Jauch,

was Sie und Ihre Redaktion in Ihrer Sendung vom 15.03.2015 geboten haben, war nicht nur professionell unterste Schublade, tendenziöser Journalismus at its best. Es war auch ein Beispiel deutscher „Gastfreundschaft“, für das man sich nur noch fremdschämen kann. Willkommen in der Galerie der „hässlichen Deutschen“. Glückwunsch.

Und es war politisch verantwortungslos.

Die erste Beleidigung des griechischen Finanzministers Varoufakis war bereits die Zumutung, dass Sie ihn offenbar von Anfang an dadurch klein schrumpfen wollten, dass Sie ihn nicht zu einem Interview einluden, sondern als einen Talkgast unter mehreren. Würden Sie das auch mit einem Herrn Schäuble machen? Oder einer Frau Merkel?

Die zweite Beleidigung, nämlich eine der intellektuellen Art, war die Zumutung, die Runde mit Herrn Elitz und auch noch mit Herrn Söder zu bestücken. Dies war ein klares ein Signal, dass es in der Runde nicht um Inhalte und Aufklärung gehen sollte, sondern um Holzen und Plattitüden-Austausch – dass Sie also Herrn Varoufakis gar nicht erst ernst zu nehmen gedachten. Und als Herr Varoufakis, solch unterirdisches journalistisches Niveau offenbar nicht gewohnt, dennoch versuchte, oberhalb von Stammtisch-Lallen zu argumentieren, zeigten Sie keine besonders gute Kinderstube und unterbrachen ihn nicht nur, sondern kehrten ihm den Rücken zu und unterhielten sich ungeniert mit anderen, während er stumm-geschaltet weiter sprach.

Vielleicht ziehen Sie das nächste Mal passenderweise Springer-Stiefel zu Ihrer Sendung an.

Der Höhepunkt für Sie und Ihre Mitarbeiter, der Tiefpunkt für einigermaßen zivilisiert tickende Menschen, war schließlich der nur als bewusst gezieltes Foul zu verstehende „Stinkefinger“, den Sie aus den Tiefen von Youtube gefischt haben und überfallartig gegen Varoufakis einsetzten. Soweit nicht unüblich für selbsternanntes „Hart aber Fair“-Gehabe. Auch nicht, dass man gerne so abseitiges Material verwendet, dass man sicher gehen kann, den „Gast“ aus der Fassung zu bringen. Höflich geht zwar anders, aber der alpha-Journalist stärkt sein Ego ja nicht zuletzt daraus, dass er Menschen, denen er nicht das Wasser reichen kann niedermacht.

Also war ein Filmchen aus dem Jahr 2013, eine Eintagsfliege unter vielen, live, ohne Netz und doppeltem Boden, in dem Varoufakis damals spontan und aus dem Stehgreif Fragen beantwortete, geradezu ideal. Insbesondere eine halbe Geste, die man unwidersprochen als „Stinkefinger“ auslegen kann, obwohl der üblicherweise etwas deutlicher ausfällt.

Hauptsache, man kann einen ungeliebten Gast damit überfallartig konfrontieren und schadenfroh dazu grinsen. Kann man bei einem gestandenen Politprofi auch als Mannbarkeitstest verstehen. Wer den besteht, der kann auch schon mal eine Waffenlobbyisten-Spende von 100 000 Mark aus dem Gedächtnis und aus der Wirklichkeit verschwinden lassen oder sich gesetzeswidrig weigern, Parteispender zu nennen. Oder Blackouts haben. Oder sich von den Medien zu Old Schwurhand adeln lassen......

Wie aber ist es bei einem Polit-Neuling? Wer kann sich schon an jedes Detail aus seinem vergangenen Leben erinnern? Zumal an völlig abseitige Nebensächlichkeiten? Vor allem, wenn der Moderator – Sie nämlich – auch noch wahrheitswidrig den Anschein erweckt, als gehe es um den aktuellen Kontext und ein aktuelles Ereignis?

Dass man das englische „was“ nicht als Vergangenheitsform erkennt, kommt bei schlechten Schülern, also zukünftigen Journalisten, durchaus vor. Auch dass man Griechenland und Italien verwechselt. Ist schließlich alles irgendwie "Süden". Dass man aber ein vergangenes Ereignis einfach mal so in die Gegenwart transferiert und einen Polit-Neuling damit in die Falle laufen lässt, das ist in meinen Augen Nachrichtenfälschung und in der derzeitigen EU-Krise ein Spiel mit der Bombe, politisch verantwortungslos.

Genau das aber haben Sie getan.* Und wenn Sie nicht verstehen, was Sie da getan haben, dann sollten Sie zu Yellow-TV zurückwechseln. Minister Varoufakis hat reagiert wie ein normaler Mensch reagiert, der kein abgebrühter Profi ist: subjektiv ehrlich. Denn ihm ist zu glauben, dass das, was der Film zu zeigen vorgibt, nichts mit dem zu tun hat, was der Minister in der Gegenwart und im aktuellen Kontext denkt und sagt. Unehrlich waren Sie und Ihre Redaktion – auch wenn das die veröffentlichte – und vermutlich auch die öffentliche Meinung - genau umgekehrt sehen dürfte.

Was Sie da getan haben, kennt man aus dem Fußball. Man zischt einem gegnerischen Topspieler muslimischen Glaubens zu: Deine Mutter ist eine Nutte. Und wenn der kein Heiliger ist, holt er sich per Reaktion eine rote Karte. Dem Publikum ist es recht. Hauptsache die eigene Mannschaft gewinnt.

Die letzte Beleidigung sei nur noch fürs Protokoll festgehalten, Ihre Anmaßung, einem ausländischen Minister eine Note erteilen zu müssen: "tapfer".

Und falls Sie nun der Meinung sein sollten, auf Sie treffe all das nun wirklich nicht zu, dann gibt es einen ganz einfachen Weg, das zu beweisen. Tun Sie das, was Ihresgleichen in solchen Situationen üblicherweise nicht tut: Entschuldigen Sie sich. Öffentlich und mit ausführlicher Begründung.

Ansonsten bleibt mir nur an die Adresse von Herrn Varoufakis zu sagen; Das war „Not in my Name“.

Mit sehr reservierten Grüßen

*

http://www.stefan-niggemeier.de/blog/20713/wie-guenther-jauch-die-aussagen-von-varoufakis-verfaelschte/

http://pantelouris.de/2015/03/15/die-sache-mit-dem-finger-varoufakis-bei-jauch/

http://www.ardmediathek.de/tv/G%C3%BCnther-Jauch/Der-Euro-Schreck-stellt-sich-Varoufaki/Das-Erste/Video?documentId=27075316&bcastId=8109878

https://www.youtube.com/watch?v=MEUWxNifJJ8#t=84

https://www.freitag.de/autoren/asansoerpress35/zwei-stinkefinger-von-mir-kommentar

https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/der-freidenker-1

https://www.freitag.de/autoren/marian-schraube/transition-zur-neuordnung

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Geschrieben von

seriousguy47

Anglophiler Pensionär und Flüchtlingsbetreuer aus Stuttgart.

Wehrdienst, Studium ( Anglistik, Amerikanistik, Empirische Kulturwissenschaft, Sozialpädagogik) , Praktikum ( Primärtherapie), Lehramt, Flüchtlingsbetreuung

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