Es war der S21-Widerstand, ihr Dummschwätzer!

S21-OB-Wahl Die medialen Wahl-“Analysen“ nach der OB-Wahl in Stuttgart bieten viel 0815-Geschwätz und vergessen - natürlich! - das Wesentliche: den S21-Widerstand.

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Ein Gespenst geht um in Deutschland: grauhaarige grüne Männer streben nach langem Marsch durch die schwäbische Provinz und mit ausgetüftelten „Realo“- Strategien zur finalen Ökodiktatur. Dabei schrecken sie nicht einmal vor konservativen Werten zurück, unter deren Banner sie SPD wie CDU gnadenlos niedermetzeln.

Kretschmann und Kuhn heißen die vermeintlichen neuen Masterminds der Grünen. Und der Mainstream wünscht sich diese angebliche CDU light gerne bundesweit. Oder auch nicht. „Taugt das Musterländle als Muster für den Bund?“, wird einhellig gefragt und unterschiedlich beantwortet.

„Thema verfehlt“ müsste man darunter schreiben, denn die Journaille spart sich – wie so oft – die Analyse und den Blick in die Wirklichkeit und beschwafelt wieder einmal nur ihre abgehobenen Polit-Phantasien und Koalitionsträume und hat den Kern dessen, was in Baden-Württemberg passierte und passiert nicht einmal ansatzweise begriffen: nicht Kretschmann und Kuhn haben der CDU mit irgendwelchen konservativen Strategien deren Wähler abgeworben. Die Wähler selbst haben eine staatskapitalistische Ein-Parteien-Herrschaft gestürzt, als und weil diese meinte, auch noch den letzten Schein der „demokratischen“ Fassade weglassen zu können.

Es war das nackte und rücksichtslose Durchregieren des Kapitals bei Stuttgart21, das für den Profit auch noch die letzten Tabus der Stuttgarter Bürgerkultur brach, die selbst die konservativen Bürger auf die Barrikaden trieb. Ohne den breiten bürgerlichen Widerstand gegen S21 - von schreibenden „Fortschritts“-Deppen „Wutbürger“ genannt – gäbe es weder einen grünen Ministerpräsidenten in BW, noch einen grünen OB in Stuttgart. So, wie die CDU-Herrschaft in BW Züge des DDR-Systems aufwies, bewegt sich der Stuttgarter Widerstand in den Pfaden, die 68 im Westen vergeblich versucht und 89 in der DDR von der Bürgerrechtsbewegung erfolgreich beschritten wurden.

Die Montagsdemos in Stuttgart heißen bewusst Montagsdemos, und wer da einen historischen Missbrauch vermutet, hat nicht kapiert, um was es geht. Der Angestellte mit sächsischem Migrationshintergrund, der hier in einer Billig-Bäckerei arbeitet wird jedenfalls wissen, weshalb er sich am Wahlabend eine Flasche Wein genehmigt hat.....

Am 22.10.2012 fand denn auch die 145. Montagsdemo statt. Sie war so gut besucht wie eh und je. Sie machte klar, wer den Machtwechsel vollendet hatte und warum. Und sie machte klar, was von wem erwartet wird und wer wofür bezahlen wird, wenn nicht bald Gesetz, Recht und Gemeinwohl im Zentrum grün-roter (S21-)Politik stehen.

http://www.youtube.com/watch?v=dtCTzMsfzws

http://www.youtube.com/watch?v=wyfb2bJi7nU&feature=youtu.be

http://www.youtube.com/watch?v=dWIa5ToGnDc&feature=youtu.be

[http://www.youtube.com/watch?v=EH3rDPzLbyI&feature=relmfu

http://www.youtube.com/watch?v=8ecv8fRXnt4&feature=relmfu]

Nicht grüne Konservativ-Strategie also hat die Stuttgarter Bürger geködert, die Mehrheit der Stuttgarter Bürger hat die einzig realistische Chance eines Machtwechsels ergriffen und will nun den demokratischen Auftrag, den sie erteilt hat, erfüllt sehen. Dies ist das Kernelement des Machtwechsels in BW und Stuttgart. Gelingen konnte er aber nur, weil sich die Grünen früh gegen S21 positionierten und damit der natürliche parlamentarische Bündnispartner des Widerstandes wurden. Und, weil die Stuttgarter SPD jetzt endlich das tat, was man schon 1996 hätte tun müssen: sie hat den grünen Kandidaten unterstützt und damit endlich zusammengeführt, was zusammen gehört.

Korrigiert wurde damit vor Ort von einem kleinen Kreisvorsitzenden namens Dejan Perc, was Helmut Schmidt in seiner Kanzlerschaft verbockt und Gerhard Schröder korrumpiert hatte: gegen die rechts-bürgerliche Volkspartei CDU formierte sich ein links-bürgerliches Oppositionsbündnis, das allein eine machtpolitische Chance gegen Rechts hat, weil eine „Klassenpartei“ gegen eine Schrebergarten-(Volks-)Partei keine Mehrheit zusammen bekommen kann. Im Gegenzug soll die grüne Klientel in ein paar Wochen in Karlsruhe den SPD-Kandidaten unterstützen.

http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.wahlen-fuer-den-kreisvorsitz-dejan-perc-ist-neuer-spd-chef.1c6156ba-767e-4342-a0ff-2c5a46c6ab13.html

Wie prekär die Stabilität dieses Bündnisses dennoch immer noch ist, zeigt die dummdreiste Anmache des unsäglichen Vorgängers von Perc, Andreas Reißig, der laut StZ vom 23.10.2012 den Parteiaustritt des verdienten linken Parteiseniors und Stuttgarter Widerständlers Peter Conradi aus der SPD gefordert haben soll. Ein Nobody, der als „Qualifikation“ anzubieten hat „Berufliche Qualifikation[:] Studium der Soziologie und Politikwissenschaft[,] Ausgeübte Tätigkeit[:] Pressesprecher, Sozialwiss“, und der einer Hartz IV-Akademiker-Existenz wohl nur dadurch entgangen ist, dass er sich in der SPD hochgedient hat, meint, einem ausgewiesenen Linken, Architekten, Intellektuellen, Ex-Bundestagsabgeordneten (26 Jahre), der im Bundestag bereits gegen den Vietnam-Krieg anredete, als es Reißig noch gar nicht gab, den Parteiaustritt nahe legen zu müssen? Nichts zeigt deutlicher, wie heruntergekommen die Stuttgarter SPD ist. Wäre ich nach der Gosse nicht auch noch im katholischen Internat gewesen, würde ich jetzt sagen: da tönt einer tief aus dem A... von Herrn Schmiedel. Aber natürlich sage ich es nicht.

http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.spd-in-stuttgart-conradi-soll-aus-partei-austreten.61fef827-8933-451e-8c64-d5606ba73535.html

Aber nicht nur gegen die alte Brandt-SPD scheint der Herr Nobody zu wüten, auch die jungen Retter der SPD genießen seine erhöhte Aufmerksamkeit:

Auf die Jusos ist der 37-jährige Reißig nicht gut zu sprechen, seit diese vergangenes Jahr eine Volksabstimmung über das Bahnprojekt Stuttgart 21 fordert. Weil der hoch im Ansehen stehende Erhard Eppler die Idee aufgriff, vermied Reißig offenen Streit. Die "entgiftende Wirkung", die Eppler dem Volksentscheid zuschrieb, ist nicht eingetreten - im Gegenteil. Vollends auf Konfrontationskurs ging die aufmüpfige Jugendorganisation im November mit der Einladung von Oskar Lafontaine. Der rote Nachwuchs wollte mit dem Saarländer über die "Zukunft einer mehrheitsfähigen Linken in Deutschland sprechen". Das muss auf Reißig wie Hochverrat gewirkt haben.“

http://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.spd-stuttgart-scherbengericht-auch-bei-der-spd.9fbdba92-3d26-4a27-9326-065a9bd8c401.html

http://de.wikipedia.org/wiki/Peter_Conradi

http://www.fr-online.de/wirtschaft/portrait-stuttgart-21-gegner-grau-gelockt-und-unbeugsam,1472780,4552582.html

Im Stuttgarter Widerstand legendär ist Reißigs Dummschwätz zu S21:

Einmal angenommen, das Projekt würde tatsächlich noch scheitern (wovon ich nicht ausgehe) -- dann würde plötzlich deutlich, daß in den nächsten 15 Jahren nichts mit dem Schrotthaufen (!) hinterm Bahnhof geschieht und dabei jede (!) Planung im Laufe der Zeit immer kostspieliger würde.....“

http://www.leben-in-stuttgart.de/divers/Reissig-Hopfenzitz.htm

Wir haben mitten in der Wirtschaftskrise die Chance ergriffen, im Herzen unserer Stadt neue städtebauliche, verkehrliche, ökonomische und ökologische Weichen in die Zukunft zu stellen – und auch das ist nur gut so, sondern einmalig in Europa.....Wir wollen Herz und Verstand der Menschen wieder erreichen. Das Projekt hat nach wie vor alle Voraussetzungen dazu.“

http://www.spd-stuttgart.de/index.php?nr=37382&menu=1

http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.kreischef-andreas-reissig-spd-hat-jetzt-eine-vorreiterrolle.15076226-98a8-4d9c-b6e6-6cf3003a4ff9.presentation.print.v2.html

Da ist noch viel zu tun, liebe SPD. Umso mehr als Reißig für sein Totalversagen auch noch mit dem Posten des Pressesprechers des
SPD-Landesverbandes Baden-Württemberg belohnt wurde. Aber die Unterstützung von Fritz Kuhn war schon mal ein guter, wichtiger Schritt.

http://bundespresseportal.de/baden-w%C3%BCrttemberg/item/5514-plagiatsaff%C3%A4re-schavan-cdu-startet-ablenkungsman%C3%B6ver-spd-generalsekret%C3%A4rin-mast-strobl-wirft-mit-nebelkerzen.html

[Update 25.10.2012:

Wie politisch dämlich Reißigs Verbal-Emission ist, erschließt sich, wenn man einen Blick auf den Ausgang des ersten OB-Wahlgangs wirft, wo der Abstand zwischen Kuhn und Turner gerade mal 2 Prozent betrug. Angenommen, diese 2 Prozent wären SPD-Wähler gewesen, die Conradis Aufruf zur Kuhn-Wahl befolgt hätten, dann mag man spekulieren, wie die Sache gelaufen wäre, hätten sie im ersten Wahlgang die SPD-Kandidatin gewählt und Turner wäre als Sieger aus diesem Wahlgang hervorgegangen. Dann wäre nicht auszuschließen, dass diese Sieger-Position zu einer hohen Mobilisierung bei Turners prinzipiellem Wählerpotential geführt hätte. Womöglich hätten wir dann das gewohnte Ergebnis grün-roter Fallenstellerei zu beklagen gehabt: einen CDU-OB. Conradis Aufruf zur Kuhn-Wahl war also politisch klug und eine Aufforderung, diesmal ganz sicher zu gehen.

Sehr vergröbert gesprochen wählten dann beim zweiten Wahltermin fast 90 Prozent der Widerstandswähler von Hannes Rockenbauch und ca. 2/3 der ursprünglichen Wähler der SPD-Kandidatin Kuhn - auch weil der Druck, den Vorsprung nicht zu verspielen, sehr hoch war. Turner wählten die SPD-Hardliner, die etwa noch 1/3 der Wähler der SPD-Kandidatin ausmachten. Dieses Endergebnis hatte im Übrigen eine Umfrage im Auftrag von kontext korrekt vorher gesagt.

http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.wahlanalyse-kuhn-gewinnt-die-meisten-spd-waehler.910125f5-7a1a-456f-aade-48b5ecd76326.html

http://www.kontextwochenzeitung.de/newsartikel/2012/10/vorturner-kuhn/]

Bliebe noch der Blick auf die CDU, die, glaubt man den Medien, plötzlich und unerwartet ein Problem in den Großstädten haben soll. Entschuldigung: wann, bitte, war die CDU die Partei der Großstädte? Und seit wann ist Stuttgart eine Großstadt? ;)

Ohne das jetzt im Einzelnen recherchiert zu haben: in Großstädten scheint mir die CDU erfolgreich gewesen zu sein, wenn sie Kandidaten ins Rennen schickte, die man wegen ihrer Liberalität anderswo nicht gebrauchen konnte. Von Beust, Rommel, Roth scheinen mir da die typischen Beispiele zu sein. Ansonsten, meine ich, waren die Großstädte das natürliche Habitat der SPD – bis der Wohlstand die Arbeiterklasse und das Klassenbewußtsein reduzierte.

Und da begann sich die bürgerliche Bresche zu öffnen, in die die CDU Ausnahme-Individuen aus ihren Reihen schicken konnte, bis die Grünen jenem Bürgertum wieder ein Forum boten, das Brandt und die sozialliberale FDP für kurze Zeit hatten binden können, und das Schmidt und Westerwelle wieder hinaus geekelt hatten. Nun scheint es im rot-grünen/ grün-roten Bündnis wieder eine Alternative für jene Großstädter zu geben, die mit der auf „Fammilje“ und Vereinshuberei gründenden Volkstümlichkeit der CDU weniger am Hut haben.

http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.kommentar-zum-neuen-ob-heimkehr-ins-buergertum.c5a174fe-7e51-4233-bffc-ed73594172e7.html

Darauf beruht der Stuttgarter Machtwechsel. Und auf dem starken bürgerlichen Gestaltungswillen des Stuttgarter Widerstandes. Und damit sind wir jenseits von „Klassenkampf“ und der platten Partei- und Koalitionsarithmetik, an der der derzeitige journalistische Horizont zu enden scheint. Denn das ist ein neues, zusätzliches Element in Stuttgart: hier wurde ein Herrschaftssystem auf friedlich demokratischem Wege gestürzt und nicht nur eine Partei durch eine andere ersetzt. Und schon gar nicht geht hier irgendeine Parteistrategie auf. Kuhn war ein wählbarer Kandidat für den Stuttgarter Widerstand und für konservative Demokraten, die die Nase ebenfalls von der Postdemokratie der herrschenden Kaste voll hatten. So erklärt sich seine Mehrheit. Und deshalb hat er zu Recht gewonnen.

Wenn der Machtwechsel im Südwesten also eine bundespolitische Botschaft hat, dann ganz gewiss nicht die, dass die Zukunft der Grünen bei Cem Özdemir und Boris Palmer liegt und die CDU Großstädte erobert, wenn sie mal eben einen „Arbeitskreis Lebensgefühl“ mit „Frauenfrühstück“ und „Vorleseabenden“ gründet (wie in Stuttgart), sondern darin, dass die kritischen Bürger sich auch da erheben und einen langen Atem beweisen, wo es kein so komfortables Wohlstandspolster und kein so extremes Thema wie in Stuttgart gibt, wenn sie die Verhältnisse ändern wollen. Und dass Parteien, die eine Zukunft haben wollen, sich dort einbringen.

It's the citizens, stupid!

http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.frauenfruehstueck-und-vorleseabende-frauenfruehstueck

http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.landes-cdu-nach-der-ob-wahl-spaetfolgen-von-teufels-spaltung.92ae326c-752f-4ac1-a8e3-a2208b2c9879.html

Update 25.10.2012, 14:00 Uhr:

Arno Klönne schätzt bei Telepolis die Grünen ähnlich ein, als Partei einer "neuen" Bürgerlichkeit:

http://www.heise.de/tp/druck/mb/artikel/37/37872/1.html

http://www.heise.de/tp/foren/S-Gruen-statt-Schwarz/forum-241018/list/e-all/hs-0/

Wie der Stuttgarter Widerstand zu Kuhn steht, bringt Volker Lösch bei kontext wohl relativ repräsentativ auf den Punkt:

http://www.kontextwochenzeitung.de/newsartikel/2012/10/baby-dont-hurt-me-no-more/


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Geschrieben von

seriousguy47

Anglophiler Pensionär und Flüchtlingsbetreuer aus Stuttgart.

Wehrdienst, Studium ( Anglistik, Amerikanistik, Empirische Kulturwissenschaft, Sozialpädagogik) , Praktikum ( Primärtherapie), Lehramt, Flüchtlingsbetreuung

seriousguy47

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