Gott, war das alles schrecklich. Erst die große Hoffnung: "Hung Parliament". Eine Garantie für Wochen voller heißer Krisen- und Untergangsstories. Dann die Ernüchterung: die können miteinander. Sch...! Dann machen die auch noch ganz fix ganz ordentliche Regierungspläne. Sch...!
Jetzt endlich die Erlösung: "Spesenbetrug
Erster Skandal für neue britische Regierung" titelt z.B. ZEIT Online. Puuuh. Das war knapp ( www.zeit.de/politik/ausland/2010-05/cameron-spesen-skandal ).
Solange alles erfolgreich lief, solange man hätte bewundern können, mit welchem Tempo und welch angenehmen Umgang miteinander Clegg und Cameron das neue Regierungsprojekt stemmten (Sieh mal an: die Briten!), war die Sache schnell uninteressant geworden. Die ZEIT berichtete zwar durchaus umfangreich und mit erkennbarem Wohlwollen der Autoren ( www.zeit.de/politik/ausland/2010-05/grossbritannien-koalition-konservativ-liberal?page=all
http://www.zeit.de/2010/21/Grossbritannien-Koalition
www.zeit.de/2010/21/Grossbritannien-Waehrung-Finanzkrise ). Aber dann war auch schon Schluß. Gutes zu berichten lohnt auf Dauer nicht. Diese Woche also nur noch eine eher peinliche Erwähnung durch einen Jung-FDPler.
Und jetzt das: Der Finanzstaatsekretär, eine zentrale Figur im Kabinett, bei den LibDems und bei Entwicklung und Durchsetzung der Finanz-Krisen-Agenda hat nicht nur dubios herum-gespest, sondern das auch noch heimlich mit einem schwulen Lobbyisten. Pfui Deibel aber auch!
Seit 2006 ist es Mitgliedern des Parlaments verboten, Spesen mit Lebenspartner(inne)n abzurechnen. (?) David Laws, der sich in seinen Vermieter - bei dem er wohnte - verliebte, tat es dennoch. Er rechnete die Kosten für seine Zweitwohnung in London als Spesen ab - obwohl er seinen Vermieter (Betonung auf "r") liebte. Klar doch: der muß weg. Und zwar schleunigst.
Nun, wenn das, was Laws selbst sagt stimmt, dann ist dies seine erste (große, schwule) Liebe überhaupt, woraus man auf eine gewisse Unerfahrenheit schließen könnte. Zum andern ist es für ihn eine Liebesbeziehung, aber ausdrücklich keine Lebenspartnerschaft. Vielleicht haben die beiden darüber einfach noch nicht nachgedacht. Muss man ja als Schwule noch viel weniger, denn als Heteros. Und schließlich scheint ihm diese Beziehung unendlich peinlich gewesen zu sein. Er wollte offenbar möglichst wenig darüber nachdenken. Und schon gar nicht darüber reden( www.independent.co.uk/news/uk/politics/david-laws-statement-in-full-1986527.html ).
Wenn das also ein eher harmloserer Spesenskandal sein sollte - meine persönliche Einschätzung -, dann ist es zumindest genauso Folge der Bigotterie einer Gesellschaft, für die schwule Liebe in der Vergangenheit Bäh!Bäh! war und irgendwie ja wohl untergründig immer noch ist. Ich schätze mal, da könnte man vielleicht am Ende bei "der werfe den ersten Stein" verbleiben. Aber vielleicht fördern die eingeleiteten Untersuchungen ja tatsächlich einen echten Skandal zutage. Schließlich könnte man ja durchaus Parallelen zur Causa Westerwelle sehen...
Dennoch habe ich Gründe, mich in dieser Sache spontan sehr weit aus dem Fenster zu lehnen. Zufällig wurde die Sache von genau der Zeitung an die Öffentlichkeit gebracht, die gleich zu Beginn der liberal-konservativen Zusammenarbeit säuerlich eine Fortsetzung von New Labour diagnostiziert hatte ( blogs.telegraph.co.uk/news/edwest/100032325/david-camerons-big-society-looks-suspiciously-new-labour-to-me
www.telegraph.co.uk/news/newstopics/mps-expenses/7781993/MPs-Expenses-David-Laws-should-stand-aside-says-Standards-Commissioner.html ).
Zufällig auch wurde die Nachricht just in dem Moment lanciert, als konservative Hinterbänkler gegen eine Erhöhung der Kapitalertragssteuer und ein mögliches neues Wahlrecht zu rebellieren begannen ( www.guardian.co.uk/politics/2010/may/28/cameron-cable-capital-gains-tax
www.independent.co.uk/news/uk/politics/cameron-faces-revolt-on-electoral-reform-1986192.html ). Da wäre es doch ein Fest, könnte man eine zentrale Figur der LibDems aus der Macht schießen und gleichzeitig den bisher guten Nimbus der Partei dauerhaft beschädigen....
Warum sehe ich in David Laws, von dem ich bis jetzt gar nichts wußte, eine ganz zentrale Figur? Die Antwort passt nicht zu einem Linken: Er hatte eine Blitzkarriere als Investmentbanker bei JP Morgan und Barclays de Zoete Wedd hinter sich, als er 2001 für die LibDems ins Parlament ging. Er war da bereits Millionär. Das heißt: er hat die Expertise, die all unseren Politikern derzeit in höchstem Maße abgeht.
Aber er ging in die Politik, das könnte heißen, er hat mehr im Hirn als die chronifizierten Zocker, die die Welt nur noch mit professionellem Tunnelblick wahrnehmen. Und er hat mehrere Abwerbeversuche der Konservativen abgelehnt. Das spricht doch schon mal für Charakter.
Und noch eins: er ist durch sein Zwangsouting als Schwuler nicht mehr gezwungen, irgendeinen Finanz-Macho zu geben. Und hat eine schmerzliche menschliche Erfahrung gemacht, aus der man gereift hervorgehen kann.
Könnte es sein, dass wir im Moment genau so einen dringend gebrauchen? Zumindest reden sollte man vielleicht darüber, anstatt mit Pawlowschem Schäumen gleich SKANDAL! zu schreien....?
Hoppla! Da spricht sich ein notorisch nörgelnder Wähler für einen zwielichtigen Politiker aus? Na sowas aber auch.
Notwendiger Nachtrag:
Sollte sich herausstellen, dass in Laws Beziehung neben Liebe auch Lobbyismus strömt; oder sollte sich herausstellen, dass er im Kabinett nicht für eine langfristige Lösung der Finanzmarkt-Probleme arbeitet, sondern für eine Durchsetzung der Interessen der Finanzindustrie - DANN wäre er zu Recht politisch fällig.
Lhttp://www.google.com/favicon.icoeider versaut mir das System hier ständig meine Links. Sorry, aber jetzt gebe ich auf.http://static.smarterfox.com/media/popup_bubble/oneriot-favicon.ico
Kommentare 3
Erster Rücktritt in britischer Regierung
David Laws ist nach konservativer Kampagne gegen ihn zurückgetreten. Sein Spesenvergehen hat dem Gemeinwohl mit Sicherheit nicht geschadet, sein Rücktritt könnte es durchaus. denn die Regierung verliert bereits nach drei Wochen einen fähigen Mann. 1:0 für den Telegraph
news.bbc.co.uk/2/hi/uk/10191524.stm
naja, ich gebe dir ja recht, er ist sicherlich persönlich sympatischer als mancher andere, und um ein großes Wort zu benutzen, von zivilgesellscahftlicher relevanz ist es auch: sicherlich haben es Schwule da schwerer, gleichwohl sollte man sich hüten vor Vor-freisprechungen - und außerdem: der Telegraph wird nicht gegen die regierung schießen, im gegenteil, man wird auf der true-blue tory seite aufgeatmet haben dass man sie im Boot hat, die Lib-dems. da wird das kürzen nämlich leichter gehen, wenn s ein lieber seriöser wie Laws das verkündet dann doch erst recht .... ;)
Ich stimme voll und ganz zu - außer, dass es auf konservativer Seite kein Interesse gäbe, die Regierung abzuschießen. Wie man bei FDP, rechter CDU und CSU sehen kann, darf man bei Politikern nicht auf Rationalität bei der Durchsetzung der Interessen setzen, für die sie von ihren Förderern "gehalten" werden.
Bei der neuen Regierung wäre es tatsächlich rational, die LibDems knallharte Sparbeschlüsse durchsetzen zu lassen und sie dann bei der nächsten Wahl von den Wählern in den Orkus schicken zu lassen. David Laws hat diese Rolle auch gleich bereitwilligst übernommen und an den ersten Sparbschlüssen maßgeblich mitgearbeitet und sie auch öffentlich vertreten - nicht der konservative Minister.
Laws scheint - nach meinem Mediensurf - auch nicht sozialliberal zu sein, wie die es die LibDems ursprünglich waren, sondern eher "liberal" in der konservativen Interpretation. Auf diese Linie hat er anscheinend dann die LibDems gebracht und offenbar auch mit seinen Forderungen dafür gesorgt, dass eine Koalition mit Labour nicht möglich war. Er scheint brilliant genug, um zumindest ein führender Kopf bei den LibDems zu sein. Von daher hat er eine große Definitionsmacht auf deren Politik.
Und es gab offenbar auch mehrere Abwerbeversuche von den Konservativen, die er zurückwies. Es wird gemutmaßt, dass da einige reaktionäre Positionen in punkto Homosexualität bei den Konservativen ausschlaggebend waren. Er selbst scheint sich auf einer Schiene zu sehen, die sein Elternhaus vorgab, wo ein Elternteil konservativ gestimmt war, der andere zu Labour neigte.
Auch von daher scheint er sich als der "Brückenbauer" zu sehen, der er bei der neuen Regierung dann offenbar auch war.
Schließlich war er offenbar ein brillianter Student in Cambridge, der bereits mit 22(?) ein Vize bei JP Morgan war und mit 28 Multimillionär. Er verfügt also nicht nur über herrausragende intellektuelle Kapazitäten, sondern auch über das professionelle Know How eines erfolgreichen Investmentbankers. Um die Vereinnahmung dieser Fähigkeiten zu kämpfen, lohnt sich für Sozialliberal wie Konservativ gleichermaßen. Ich persönlich wünschte mir, einen solchen Mann für eine echte sozialdemokratische Politik gewinnen zu können - nicht zuletzt, um den Amis etwas entgegensetzen zu können, auf deren wirtschaftspolitische Regierungsposten ja seit langem Wall Street abonniert ist.
Iinteressen an einer Entmachtung von Laws könnte es also bei Labour wie bei sozialdemokratischen LibDems geben. Bei der konservativen Rechten aber eben auch, denn denen könnte Cameron als gefährlich werden, wenn er die LibDems nutzt, um seine eigenen Reformpläne für eine Liberalisierung und Modernisierung der Konservativen umzusetzen. Wer die Koalition sabotieren kann, sabotiert diesen Reformversuch. Und Laws ist ein ganz zentraler Pfeiler dieser Koalition.
Schließlich rückte der Telegraph gestern damit heraus, dass er eine Kampagne gegen eine neue Kapitalertragssteuer der Regierung angezettelt hat und Chancen sieht, dass Labour und rechte Konservative sich gegen das Vorhaben verbünden. Wobei es den konservativen Abweichlern um den Schutz des Großkapitals geht, Labour um die Interessen der kleineren Sparer. Einen argumentationsstarken Sprecher für die Regierungspläne vorher mudtot zu machen, ist sicher sehr hilfreich, will man die Interessen der kleinen Leute dazu beutzen, um unter deren Banner die Interessen des Großkapitals durchzusetzen.
Was die "schwule" Seite betrifft, so scheint mir mittlerweile doch sehr deutlich zu werden, dass das Zwangsouting von Laws, vor allem auch das seines Freundes ganz gezielt als Brandbeschleuniger eingesetzt wurde. Mir scheint das - noch gar nicht offizielle festgestellte - Spesenvergehen von Laws vergleichsweise banal - auch wenn ich mich - wie bei Käßmann - frage, wie man so dumm sein kann...
Laws zog 2001 (?) in die Wohnung eines Freundes, der ebenfalls bei den LibDems ist. Da war wohl Sympathie. Nach eigenen Angaben aber enstand die schwule Liebe/ Beziehung erst nach etwas 2 Jahren. Das hieße, die Abrechnung der Wohnungskosten war ursprünglich nicht nur vollkommen ok, sondern für den Steuerzahler womöglich auch viel günstiger als es bei einer eigenen Wohnung gewesen wäre. Ein Gschmäckle könnte man ab dem Zeitpunkt sehen, wo die Beziehung entstand. Vorschriftswidrig aber wurde es erst ab 2006! 2009 schließlich, als es den Spesenskandal gab, nahm sich Laws eine eigene Wohnung.
Dass er in den 3 Jahren dazwischen weiter abrechnete, anstatt als Multimillionär einfach auf die Peanuts zu verzichten, könnte man dadurch erklären, dass er, um ein Outing zu vermeiden, seinen Freund weiter offiziell als Vermieter führen wollte. So jedenfalls erklärt es ein schwuler Kommentator im Telegraph.
Allerdings kommt hinzu, dass man bei seinem Freund noch die Verquickung von beruflichen Interessen und privat-politischen Kontakten vermuten könnte, die allerdings bereits durch sein Mitgliedschaft bei den LibDems gegeben waren.
War jetzt ein bißchen viel Text ohne jeglichen Beleg. Aber zu Letzterem reicht es leider aus Zeitgründen überhaupt nicht. Also bitte: Ohne Gewähr und nicht zitierfähig!