Insolvenz. Die SPD-Rechte hat es endlich geschafft

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Die "Schmidt-SPD" (ZEIT) ist am Ziel, der linke SPD-Flügel ist bis zur Unkenntlichkeit gestutzt. Dumm nur, dass genau er die SPD ausmachte. Die Operation ist also gelungen - und der Patient liegt seit der letzten Teil-OP 2008 in Hessen im Koma. Und im Koma lässt es sich schlecht (wahl-)kämpfen.

Wann immer be- und geschnitten wurde, war man sich des Beifalls der Medien und der Machteliten gewiss. Wann immer man Neues im Bereich Links oder Grün versuchte, hagelte es Prügel. So ließ man sich dressieren und wähnte sich auf gutem Weg. Zweimal durfte man sogar ran, weil die Konservativen am Ende waren und neues Denken gefragt war. Beflissen versuchte man, sich den Machteliten in Wirtschaft und Medien anzubiedern - auch in dem man Querdenken in den eigenen Reihen unterband. Einer Funktionärspartei ist so etwas eben zutiefst suspekt. Zuletzt, in der Großen Koalition, übernahm man gerne die unangenehmen Aufgaben wie Gesundheit, Rente, Arbeitnehmerrechte. Man selbst machte die Arbeit. War es unpopulär, übernahm man selbst dann die Verantwortung, wenn die Union die Stinkbomben platziert hatte. Kam es an, kassierte gerne die Kanzlerin. Zumindest kam es so bei den Wählern an.

Aber, wie immer, wenn der rote Mohr seine Schuldigkeit getan hatte, wurde er auch diesmal anschließend abserviert. Mit angemessenem Trauerflor, versteht sich. Herr di Lorenzo zündete dem Patienten bereits vorbeugend artig in der ZEIT ein Online-Kerzchen an. Auch beim Massaker wahrt der wahre Bourgeois gerne die Etikette.

Dabei hatte man es im Endspurt doch so redlich versucht. Mannhaft hatte man um die Rettung von Opel gekämpft. Weder GM noch SUPERFREIHERR konnten Steinmeier & Münte aufhalten. Und der Deutschland-Plan ist ja gewiss um Längen besser als die Angebote der siegreichen Konkurrenz. Aber das Image ist weitaus verheerender als es das von Opel war. Und bei Opel hatte die Basis für die Produkte und die Firma gekämpft - auch gegen die Führung in Detroit. Bis jetzt sieht es so aus, als ob man sich so selbst in einer tiefen Krise gemeinsam wieder aufrappeln kann.

Die Politik der SPD sah ganz anders aus. Seit der Kanzlerschaft von Helmut Schmidt - seit drei Jahrzehnten also - bekämpft die Führung der SPD verbissen und erfolgreich ihre Basis und jede innovative Idee von unten, sei sie nun grün oder links. So hat man es geschafft, ganze Teile der begeisterten Anhänger, die sich um Willy Brandt versammelt hatten, aus der "Firma" zu drängen. Nun punkten sie mit innovativen Ideen (Grün) oder mit linkem Traditionalismus (Linke) und befriedigen damit Wählerwünsche, für die die SPD seit langem das Gespür verloren hat.

Adenauer hatte es besser gewusst. Alles, was sich an Kleinparteien irgendwie aufsaugen ließ, saugte er auf und legte damit das Fundament, auf dem die CDU nun als letzte überlebende Volkspartei agieren kann. In der SPD dagegen beendete man das Experiment "Volkspartei", das Willy Brandt in Richtung Sozialliberal gestartet hatte, schnell wieder. Man wollte die kompetentere CDU werden, aber ein Helmut Schmidt und seine Funktionäre machen noch keine Partei. Sie aber nahmen das neue, kreative Potential in der Partei allenfalls als lästige Störerei war. Erhard Eppler z.B. war der Ur-Grüne. Werden durfte er nur eine Randfigur. Hermann Scheer ist es heute. Und während Schmidt so in den Rauchschwaden seines Weltwirtschaftskuckucksheims schwebte, verlor die SPD ihre Zukunft und Kohl zog erfolgreich seine Strippen.

Bis ihm auch die Einheit nicht mehr weiter half. Schröder oblag es, die letzten linken und kreativen Reste zu entsorgen, indem er Lafontaine vergraulte. Nachdem er so weit die Tore für eine völlig überzogene Deregulierung geöffnet hatte und endlich ungehemmt den "Autokanzler" geben konnte, machte er sich erfolgreich daran, mit seiner "Agenda" auch noch Basis und Wählerschaft zu vergraulen.

Offenbar glaubt die Führung der SPD, man müsse nur selbst überzeugt sein, dass man im Besitz der "richtigen" Konzepte sei, dann könne man diese auch rücksichts- und diskussionslos mit "Basta" durchpeitschen. Man hat offenbar nie kapiert, dass solches Machtgebaren in der eigenen Organisation mit all ihren wechselseitigen Abhängigkeiten eine Zeit lang funktionieren mag, eine zunehmend größere Gruppe von Wählern sich aber längst nicht mehr in der babylonischen Gefangenschaft ideologisch begründeten Stammwählertums sieht.

Auch der politische Kunde will gewonnen und überzeugt werden. Mit nüchternen Designerprodukten aus der Volkswirtschaftslehre, die ihn überdies noch teuer zu stehen kommen, gewinnt man ihn nicht. Und mit den immer gleichen Parolen auch nicht. Daran haben aber offenbar weder Schmidt noch Schröder viele Gedanken verschwendet. Die Agenda 2010 mag angesichts der realen Machtverhältnisse unumgänglich und volkswirtschaftlich einigermaßen vernünftig gewesen sein. Aber gerade um unangenehme "Wahrheiten" muss gestritten werden, sollen sie am Ende von allen mitgetragen werden. Gestritten aber wurde nur unten an der Basis. Oben setzte man auf die eigene Macht und Popularität, peitschte durch . Und die SPD verlor darüber vorhersehbar ihre Zukunft.

Zum demotivierenden Desaster innerhalb der Partei kommt der desaströse Umgang mit der "befreundeten" Konkurrenz, die eigentlich ohnehin in den eigenen Reihen verortet sein müsste, wollte man dem Anspruch einer Volkspartei tatsächlich genügen. Was dabei am Ende heraus kommt, zeigt beispielhaft das jüngste Wahlergebnis im traditionell schwierigen Wahlrevier Baden-Württemberg.: SPD 19,3%, FDP 18,8%, Grüne 13,9% Linke 7,2%. Die SPD ist nichts weiter als eine Kleinpartei unter vielen. Einzige "Volkspartei" bleibt die CDU mit 34,4%. Zählt man die "Lager" zusammen, sind die Verhältnisse zwar immer noch eindeutig: 53,2% für die "Bürgerlichen", 40,4% für RotRotGrün. Aber psychologisch wirken 40,4 % doch sehr anders als 19,3% & Friends. Zum Wiederwählen lädt das nicht ein.

Auf der Ebene der Erststimmen tappte man darüber hinaus auch noch in sämtliche Fallen des immer irrealer wirkenden Wahlrechts. Beispiel Stuttgart II: CDU 34,5%, SPD 26,3%, FDP 10,5%, Grün 16,8%, Links 8,6%. Bei den Linken trat der Ex-SPDler Ulrich Maurer an. Er gehörte logischerweise mit in die SPD-Zahl. Dann hätte man 34,9% für die SPD-Kandidatin bei 34,5% für die CDUlerin. Zählt man die Lager zusammen, wird es noch eindeutiger: 51,7% für RotRotGrün, 45% für "Bürgerlich". Anstatt aber die Wählerstimmen zu bündeln, zersplitterte man sich. Ergebnis: Sieg für die CDU.

Noch interessanter ist Stuttgart I: CDU 34,4%, Grün 29,9%, SPD 18%, FDP 10,3%, Links 4,7%., Hätten sich SPD, Grüne und Linkspartei auf Cem Özdemir hier und Ute Kumpf in Stuttgart I geeinigt, hätte der RotRotGrüne Kandidat auf 47,9% kommen können (vor 44,7% für den "Bürgerlichen"). So gewann ein völlig unbekannter CDUler und Özdemir ist noch nicht einmal auf der Landesliste abgesichert.

Aus blanker Borniertheit hat man so zwei Wahlkreise vergeigt. In einem Kernland der CDU, wo erstmals eine gute Gewinnchance bestand, da die Regierung Oettinger gerade durchhängt. Und obwohl abzusehen war, dass die CDU wegen der Zweitstimmenkampagne durch und für die FDP jede Menge Überhangsmandate gewinnen würde. Und obwohl gerade in Stuttgart der Einsatz der SPD-Prominenz für das unpopuläre Projekt "21" bereits in den Europa- und Gemeinderatswahl dazu geführt hatte, dass die Grünen die SPD überholt hatten. Und die besondere Pointe dabei: Steimeier selbst soll Cem Özdemir gegenüber gegenseitige Wahlempfehlungen abgelehnt haben. Der Chef hat es also offenbar höchstselbst verbockt (StZ vom 29.09.09). Statt grüner Prominenz und einer "alten" SPD-Häsin gehen nun also zwei völlig unbekannte CDU-Neulinge nach Berlin.

Auch diese Borniertheit hat Tradition. 1996 weigerte sich der OB-Kandidat der "Schmidt-SPD" Rainer Brechtken, im zweiten Wahlgang zu Gunsten des Grünen Rezzo Schlauch zu verzichten, obwohl dieser mit 30,6% weit vor ihm (22,6%) und dicht am CDU-Kandidaten (35, 2%) lag. Trotz dieser SPD-Blockade verlor Schlauch am Ende nur knapp mit 4,6% Rückstand. Matschie (Thüringen) lässt grüßen.

(Nur mal so nebenbei: diesem Desaster war bereits ein anderes vorausgegangen. Nach einer Großen Koalition mit der Landes-CDU (1992-1996) hatte die SPD eine krachende Wahlniederlage erlebt und ihr Chef Dieter Spöri hatte resigniert, anstatt sich durch eine Kandidatur für das Amt des Stuttgarter OB zu rehabilitieren. Bereits damals bestätigte sich, dass in Großen Koalitionen der stärkere Partner zum Vampir am Zweiten werden kann, gerade wenn dieser erfolgreich und engagiert gearbeitet hat. Im Bund haben wir gerade eine Neuauflage erlebt.)

Nicht nur im Inneren also treibt die "Schmidt-SPD" betonkopfig die politische Selbstzerstörung voran (auch von den Vorgängen um die Nicht-Aufstellung von Niels Annen in Hamburg wäre hier zu reden, die offenbar ebenfalls zu einem Desaster geführt hat!), sondern auch im Konkurrenzkampf mit befreundeten Rivalen wird alles nur mögliche Porzellan zerschlagen.

Verloren aber wurde diese Wahl bereits 2008 in Hessen. Anstatt endlich aus der Vergangenheit zu lernen und Neuem eine Chance zu geben, verbündete man sich mit dem medialen Verleumdungsfeuer gegen Andrea Ypsilanti und veranstaltete vor Ort und an der Spitze ein Massaker, in dem Wahn, ausgerechnet so könne man noch ein paar Prozentchen gewinnen. (Ob die SPD-Linke da glücklich agiert hat, darf natürlich ebenfalls bezweifelt werden. Vielleicht wäre es besser gewesen, zunächst einmal Roland Koch auflaufen zu lassen.)

In einem Leserbrief an DIE ZEIT nach der vergeigten OB-Wahl in Stuttgart 1996 habe ich folgendes geschrieben: "Wenn die SPD verhindern will, dass sie in Zukunft nur noch als linke FDP (=Zünglein an der Waage) hinter CDU und Grünen rangiert, dann sollte sie aufhören, eifersüchtig an den grünen Erfolgen zu leiden und sich stattdessen schleunigst auf die Jagd nach politischen Talenten machen, die noch nicht parteipolitisch eingebunden sind . Diese sollte sie mit attraktiven Angeboten an sich binden...nur durch das Einbeziehen von verlorenen Söhnen kann es der SPD wohl noch gelingen..." Stattdessen hat man Talente nun auch noch zur Linken abwandern lassen.

Die Quittung für diese Unfähigkeit, gemeinsam Neues zu wagen gab es gestern. Glückwunsch!

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

seriousguy47

Anglophiler Pensionär und Flüchtlingsbetreuer aus Stuttgart.

Wehrdienst, Studium ( Anglistik, Amerikanistik, Empirische Kulturwissenschaft, Sozialpädagogik) , Praktikum ( Primärtherapie), Lehramt, Flüchtlingsbetreuung

seriousguy47

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