Meinungsfreiheit oder Masochismus?

Mohammed-Schmähfilm Sind „Meinungsfreiheit“ und „Toleranz“ angemessene Begriffe, um sich mit öffentlichen Schmähungen und Beleidigungen auseinander zu setzen?

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Henryk M. Broder hat – wie so oft – die passenden Worte gefunden. Bei Einladungen zu Brunches oder Tee, schreibt er in der Welt, frage er vorsichtshalber, ob auch Eltern beziehungsweise alleinerziehende Mütter und Väter mit ihren Kindern dabei sein würden. Bei einer Antwort "ja", bedanke er sich und bleibe daheim. Denn er ahne, wie der Brunch oder der Tee am Nachmittag verlaufen würde:

Eine Handvoll schlecht erzogener Kinder wird mit dem Essen um sich werfen, über und unter den Tischen toben, die Erwachsenen mit Gebrüll terrorisieren, die ihrerseits nichts unternehmen werden, was die Kleinen in die Schranken weisen könnte, denn dann würden sie nur noch heftiger toben, noch lauter brüllen und noch mehr Schaden anrichten.“

Damit wäre zu den Urhebern des besagten Schmähfilms, den Charly-Hebdo-Karikaturen oder dem geplanten Mohammed-Cover bei "Titanic" einiges treffend gesagt. Allerdings wäre Broder nicht Broder, würde er damit nicht einseitig auf die gewalttätig reagierenden Muslime zielen. Titanic bescheinigt er gar in einer Sprache, derer Verfehltheit er sich offenbar gar nicht bewusst ist, sie versuche doch „nur, mit einem Streichholz einen dunklen Tunnel auszuleuchten.“. Nun, wenn man in einen Benzinkanister schaut, kann man das schon mal für einen Tunnel halten. Es ist aber keiner. Benzinkanister bleibt Benzinkanister.

http://www.welt.de/kultur/article109261025/Wie-unerzogene-Kinder-aus-dem-7-Jahrhundert.html

http://www.welt.de/debatte/henryk-m-broder/article109355168/Fanatischer-Islamismus-weckt-Global-Angst.html

Wenn sich nun aber einer – ob „ungezogener“ Balg oder durchgeknallter Erwachsener, um im Jargon zu bleiben, - mit einem Streichholz einem Benzinkanister nähert, dann sind nicht Toleranz und Aufgeklärtheit gefragt, sondern Vernunft. Und insofern meine ich, dass die Debatte, die Medien, Politik und Blogger gerade führen, ziemlich verfehlt ist, soweit sie sich einseitig auf eben solche Meinungsfreiheit und Toleranz bezieht – bei denen der Begriff „Verantwortung“ bezeichnenderweise wieder einmal fehlt. Z.B.:

https://www.freitag.de/autoren/karl-justus/schmaeh-video-mohamed-braucht-keinen-raecher

https://www.freitag.de/autoren/kunibert-hurtig/die-unschuld-der-muslime

http://www.spiegel.de/politik/ausland/mohammed-film-wem-nuetzt-die-welle-der-wut-in-der-islamischen-welt-a-856233.html

Natürlich hat Broder recht, wenn er unter dem zweiten Link fragt:

Haben Filme oder Karikaturen den US-Botschafter in Libyen getötet oder ein zorniger Mob?“ Er geht nach meiner Einschätzung aber typisch westlich fehl, wenn er dann fortfährt: „Aus schierer Angst, überrollt zu werden, lässt sich das ach so aufgeklärte Abendland von Fanatikern versklaven.“ Und er reiht sich in die Front ein, wenn er daraus dann auch noch gleich den Kampf der Kulturen beschwört:

Wenn das alles Äußerungen sind, die 200 Jahre nach Voltaire, Kant und Hegel den Zustand des aufgeklärten Abendlandes wiedergeben, dann ist das Abendland nicht zu retten, dann hat es sich nicht aus seiner "selbstverschuldeten Unmündigkeit" befreit, sondern ist dabei, an einer selbstverschuldeten Abhängigkeit von Fanatikern zugrunde zu gehen, denen die "aufgeklärten" Abendländer umso bereitwilliger entgegen kommen, je brutaler und rücksichtsloser sich diese aufführen.

Dahinter steckt natürlich nicht der Respekt vor religiösen Gefühlen, sondern die schiere Angst, überrollt zu werden. Aus der "German Angst" vor dem Atomtod und dem Waldsterben ist eine "Global Angst" vor einer gewalttätigen Ideologie geworden, die das Erbe des Kommunismus und des Faschismus angetreten hat.

Der Islamismus will nicht seine Anhänger befreien, er will die Welt versklaven...“

http://www.welt.de/debatte/henryk-m-broder/article109355168/Fanatischer-Islamismus-weckt-Global-Angst.html

Man kann es auch anders sehen. Man kann z.B. fragen, um was handelt es sich denn bei jenem Film oder bei Mohammed-“Karikaturen“? Um Meinungen? Um Aufklärung? Um Denkanstöße? Um Kunst? Um künstlerische Provokation? Oder einfach um schlechte Erziehung, psychische Verkorkstheit, Lust am Ärgern und Stören? Um gezielte Beleidigung? …. Die suggestiven Fragen beantworten sich selbst.

Ich meine also, die Frage nach dem „Cui bono“, die Augstein hinsichtlich der Gewalt stellt, stellt sich ebenso hinsichtlich der vorausgehenden Provokation. Und wenn da einige einfach Lust haben, mit dem Feuer zu spielen, dann meine ich, können sie sich nicht von vornherein und ganz selbstverständlich auf die Meinungsfreiheit nach Art 5 GG berufen. Das mindeste, was da nötig wäre, wäre eine juristische Klärung, ob es sich denn überhaupt um einen Fall handelt, den Art 5 meint.

Denn dieser Artikel enthält auch folgendes:

(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.“

http://www.artikel5.de/

Und da wird – in meinen Augen – das Thema Verantwortung angesprochen. Wer darauf verzichtet, handelt verantwortungslos. Und wenn verantwortungslose Provokateure meinen, auf bereits laufende Gegengewalt noch Provokationen drauf setzen zu müssen, dann ist das Zulassen solcher Provokationen keine Toleranz, sondern verantwortungsloser Masochismus. Schon vollends, wenn es bereits Tote gegeben hat.

Wie man an der Möglichkeit eines Parteienverbotes und an dem in Art 20 GG ausdrücklich genannten Widerstandsrechtes sehen kann, versteht zumindest unsere Verfassung unsere Demokratie als eine streitbare. Und ich meine, streitbar sollte sie auch sein, wenn jemand meint, unter dem Mäntelchen der Meinungsfreiheit, nackte und kalkulierte Provokation von Gewalt betreiben zu dürfen.

Ob das nun platte intellektuelle Gewalt ist, wie in dem Schmähfilm oder jene typisch bürgerlich-arrogante Heuchelei, die andere die sich nicht anders zu wehren wissen, süffisant gezielt zur Weißglut bringt und dann „Hilfe“ schreit, macht prinzipiell keinen Unterschied.

Dies ist kein Plädoyer für Zensur, Unterwerfung, Erpressbarkeit oder Angst. Sondern eines für Klugheit, Verantwortung und ein Minimum an Sozialverhalten.

Zur Debatte um Meinungsfreiheit, Toleranz und Religion anlässlich des Mohammed-Schmähfilms.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

seriousguy47

Anglophiler Pensionär und Flüchtlingsbetreuer aus Stuttgart.

Wehrdienst, Studium ( Anglistik, Amerikanistik, Empirische Kulturwissenschaft, Sozialpädagogik) , Praktikum ( Primärtherapie), Lehramt, Flüchtlingsbetreuung

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