Respekt: Eine Erwiderung an Schmidt-Salomon

Schmähfilm-Debatte Ist Respekt in der Schmähfilm-Debatte unangebracht? Und um welchen Respekt geht es eigentlich? Ist Respekt gegenüber Religiösen gar feige? Unterwürfig? Unaufgeklärt?

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Respekt? Wovor denn?“, fragt Michael Schmidt-Salomon auf Zeit Online angesichts der neuerlichen Islam-Schmähungen und „hält es für falsch, auf die Befindlichkeiten von Gläubigen groß Rücksicht zu nehmen.“ Einen „bedingten Reflex“ diagnostiziert er, der in Politik und Medien immer dann eintritt wenn, wenn irgendwo Muslime wieder einmal meinen, sich beleidigt fühlen zu müssen. Da hat er nicht ganz Unrecht, würde er nur nicht gleich auch einen blinden Fleck offenbaren. Denn ein solcher „Reflex“ tritt noch viel öfter und viel stärker ein, wenn irgendwo „Antisemitismus“ gewittert werden kann. Wenn schon „bedingte Reflexe“ diagnostiziert werden, dann bitte doch überall dort, wo sie auftreten....

Unter dem Anspruch einer genaueren Betrachtung kommt dann Erstaunliches zum Vorschein, nämlich die Behauptung, dass Respekt diametral gegen die Streitkultur der Aufklärung verstößt, auf der der moderne Rechtsstaat gründet. "Mehr Respekt bitte!" ist ein Totschlagargument, das jede vernünftige Debatte zum Erliegen bringt.“ Einer der klugen Sprüche im Neuen Testament, der mir dazu einfällt, lautet sinngemäß: An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. Und unter den Kommentaren zu Schmidt-Salomons Beitrag finden sich dann „Früchte“ wie diese;

„856. [...]

Entfernt. Bitte verzichten Sie auf Kommentare, die lediglich der Provokation dienen. Die Redaktion/ls“

http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2012-09/religion-ideologie-respekt/komplettansicht?commentstart=849#comments

Merkwürdig. Aber vielleicht wird sich der Autor in dieser Sache ja noch an die zensierende Redaktion wenden und auf den eklatanten Widerspruch zu seinen Thesen hinweisen, schließlich sind in seinen Augen Provokation und Beleidigung ja ein Grundpfeiler aufklärerischer Streitkultur, und in Schmidt-Salomons Logik tötet die Redaktion mit solcherlei Totschlagargumenten jede vernünftige Debatte ;)

Als Beschneidungsdebatten-Geprügelter sehe ich das allerdings anders. Kritiker des Kölner Urteils haben da nämlich in meiner Wahrnehmung kein Totschlagargument (vulgo: Beleidigung, Herabsetzung usw.) ausgelassen um die Befürworter des Urteils zum Schweigen zu bringen, vorneweg Jörg Lau von der ZEIT.

http://blog.zeit.de/joerglau/2012/07/17/islamophobie-und-antisemitismus-vereint-gegen-beschneidungen_5642

Respekt ist für mich demgegenüber gerade in solchen Kontexten kein Totschlagargument, sondern grundlegende Voraussetzung einer jeden Debatte - wie eines jeden Rechtsstaates. Fehlt der Respekt vor den anderen, vor ihrer Würde, vor dem Recht, dann sind wir bei Wildwest und Lynchjustiz – also genau da, wo sich derzeit mal wieder durchgeknallte Horden befinden, die sich auf Mohammed berufen, aber eher Hitler, Stalin, Pol Pot usw. meinen. Respekt ist , so verstanden, auch und gerade notwendig, damit eine aufklärerische Streitkultur überhaupt erst möglich wird. Wo er fehlt, blühen die Metadebatten, in denen anstelle der Sache der Gegner im Mittelpunkt steht, den es niederzuringen gilt.

Was uns also von den tobenden und mordenden Horden unterscheiden sollte, ist eben der Respekt als unverzichtbarer Teil von Frieden und Zivilität. Was dagegen Schmidt-Salomon meint, ist nicht Aufklärung, sondern (Gegen-)Kreuzzug – womit er spiegelverkehrt genau das betreibt, was die von ihm attackierten Horden andernorts betreiben. Sein agnostisches Pharisäertum ist zwar nicht mörderisch, wie das quasi-religiöse Schäumen solcher Horden, sondern vornehm arrogant. Heuchlerisch und doppelzüngig ist es allemal. Um noch einmal sinngemäß auf das Neue Testament zurückzugreifen, Schmidt-Salomon gleicht dem Pharisäer, der betet: Herr, ich danke dir, dass ich nicht so bin wie jene.

Natürlich weiß oder spürt der Autor, dass er sich mit seinen als „genauere Betrachtung“ etikettierten Pauschalisierungen und Schwarz-Weiß-Malereien beim Bildungsbürgertum angreifbar macht. Nachdem er also die Pauschalisierung erst einmal gesetzt hat, rudert er nun flugs (scheinbar) zurück:

"Respekt" (von lateinisch "respectus": Zurückschauen, Rücksicht) bezeichnet eine Form der Achtung und Ehrerbietung gegenüber einer anderen Person, ihren Handlungen oder Überzeugungen. Keine Frage: Für aufgeklärte Zeitgenossen ist es eine pure Selbstverständlichkeit, Menschen als Menschen wertzuschätzen.“

Alles gut also? Mitnichten. Der nächste Trick folgt nämlich sogleich:

Doch gilt dies auch für alle Überzeugungen, die Menschen an den Tag legen? Ganz gewiss nicht.“

Rhetorisch funktioniert das so: erst wird der entscheidende Teil der Definition fallen gelassen, die Person nämlich. Gerade der Agnostiker müsste sie doch aber in den Mittelpunkt stellen, ist "Gott" für ihn doch nichts weiter als eine Erschaffung des Menschen.

Dann fallen die Handlungen unter den Tisch, denen gegenüber pauschaler Respekt gerade angesichts des aktuellen Beleidigens, Brennens und Mordens nun wirklich fehl am Platze wäre. Und schließlich wird der einzig verbleibende Rest, die Überzeugungen, noch passend zurecht gestutzt – womit sich der ganze, mit Latein prahlende, Definitions-Paragraph eigentlich erübrigt, denn er nimmt nichts zurück, sondern spitzt, gut getarnt, weiter zu.

Und dann wird es vollends populistisch, plump und unscharf:

Wie etwa könnten wir aus einer aufklärerischen Perspektive heraus Glaubensüberzeugungen respektieren, die noch immer – im 21. Jahrhundert! – gegen Schwule und Ehebrecherinnen agitieren?“

Der kleine Trick hier: als „Glaubensüberzeugungen“ (denke: unverzichtbare Glaubensinhalte) wird etwas ausgegeben, was des aufklärerischen Dialogs genauso bedarf, wie einst die Erde als Scheibe oder der Hase als Wiederkäuer. Ein solcher Dialog ist aber kaum möglich, wenn man solcherlei unaufgeklärten Unsinn benutzt, um den Glauben insgesamt zu bekämpfen. Er ist, wenn überhaupt, nur möglich, wenn man das Gegenteil von dem tut, was der Autor betreibt: differenzieren nämlich.

Im Übrigen kann man beispielsweise die offizielle katholische Position in diesen beiden Punkten durchaus auch als kritischen Stachel betrachten, der den Zeitgeist zwingt, auch scheinbare Gewissheiten weiterhin in Frage zu stellen, ohne sich damit gleich einer Bevormundung durch die Religion insgesamt zu unterwerfen.

Schließlich fährt Schmidt-Salomon dann die ganz großen Geschütze auf, die „einschlägigen Stellen“ nämlich, die zwar der Mehrheit der Gläubigen nicht unbedingt bekannt sein müssen, von Gläubigen und Ungläubigen aber immer wieder gerne zum Aufgeilen gelesen werden. Ich möchte darauf nicht weiter eingehen, denn ich vermag nicht zu erkennen, weshalb ich mich z.B. intolerant behandelt fühlen soll, wenn mir ein paar Irre mit Höllenqualen im Jenseits drohen, weil ich nicht vor ihren Gottesphantasien auf die Knie falle. Das existiert in anderen Köpfen, nicht aber in meinem. Und schon gar nicht in meiner Realität.

Die säkulare Gesellschaft insgesamt wäre natürlich gefragt, wenn sich Erwachsene anschicken, solchen krank machenden Sch.... gewaltsam in kindliche Köpfe zu pflanzen. Aber diese Tüte will ich hier nicht wieder aufmachen. Lieber möchte ich darauf hinweisen, dass solche Gewaltphantasien auch noch andere Funktionen haben könnten: Elenden die Hoffnung zu geben, dass ihre Peiniger dereinst werden bezahlen müssen. Und Peinigern Druck zu machen, sich anständig zu verhalten. Ansonsten ist es eine innerreligiöse Angelegenheit, die keinesfalls dazu berechtigt, pauschal allen einzelnen Gläubigen, unabhängig von ihren Taten, den Respekt zu verweigern.

Und damit wären wir wieder beim eigentlichen, zentralen Punkt, um den es beim Respekt geht: dem Respekt nämlich gegenüber gläubigen Menschen und ihren Taten – sofern diese denn Respekt verdienen. Und hier möchte ich die Eingangsfrage des Autors mit zwei Beispielen beantworten.

Zunächst möchte ich von einem Muslim aus Nordafrika sprechen, der in einem Altenheim der katholischen Caritas als Putzmann arbeitete. Er war den BewohnerInnen nach meinem Eindruck der beliebteste Mitarbeiter. Dies bestätigte auch die Heimleitung. Man habe ihm sogar angeboten, sich zur Pflegekraft fortbilden zu lassen. Er habe abgelehnt. Von mir dazu befragt, sagte er, als Putzmann könne er sich besser um die alten Leute kümmern. Als Pflegekraft würde er dazu keine Zeit mehr haben. Er tue dies, weil seine Religion es von ihm verlange.Glaubensgenossinnen im Hause, die mit den Alten weniger menschlich umgingen, habe er versucht, ins Gewissen zu reden. Da die ihr Verhalten aber nicht ändern wollten, rede er nicht mehr mit ihnen.

Als zweites Beispiel möchte ich eine einstmals allein erziehende katholische Oma anführen. Das Kind, mit dessen Familie sie nun im großen gemeinsamen Eigenheim zusammenlebt, soll – so wurde mir von Dritten erzählt – durch unfreiwilligen Sex zustande gekommen sein. Danach habe sie mit Männern nichts mehr zu tun haben wollen. Das Leben als allein erziehende Mutter versuchte sie zunächst als Kellnerin, später als angelernte Arbeiterin zu meistern. Ohne Krisen und Abstürze ging das auch im Sozialstaat nicht immer. Gefragt, wie sie es dennoch geschafft habe, sagte sie: Wenn es mal nicht mehr weiterging, bin ich in die Kirche gegangen und habe zu meinem Herrgott gebetet. Ohne den hätte ich es nicht geschafft.

Meine Antwort auf die Frage, wovor man in Sachen Religion denn Respekt haben solle, lautet also: Davor.

Nachtrag:

Was Schmidt-Salomon als „Therapie“ vorschlägt, ist demgegenüber dumm und gemeingefährlich. Von Spinnenphobie spricht er da, die man überwinden müsse, indem man sich der Angst konfrontiert. Dass die Betroffenen dies freiwillig tun müssen und es unter Zwang eher den gegenteiligen Effekt haben könnte, unterschlägt er. Würde ja sonst nicht mehr passen.

Dann schwafelt er von systematische[r] Desensibilisierung: Wir sollten sie daher mit so viel Kritik und Satire versorgen, bis sie irgendwann von selbst erkennen, wie irrsinnig es ist, wegen einer harmlosen Zeichnung in die Luft zu gehen oder schlimmer noch: andere in die Luft zu sprengen." Mit Verlaub, Herr Superklug, aber was Sie da verzapfen ist das Gegenteil von Desensibilisierung und wird auch genau den gegenteiligen Effekt haben. Von den unschuldigen Opfern, die der Herr dabei offenbar für die Reinheit seiner Meinungsfreiheit in Kauf zu nehmen gedenkt, ganz zu schweigen....

Und wenn dann schließlich auch noch pauschal von einer „Kritikphobie“ der Mäßiger gesprochen wird, dann scheint es mir an der Zeit, einmal den Begriff der Souveränität einzuführen. Da nämlich liegt der eigentliche Hund begraben. Ferngesteuert von den durchgeknallten Mordbuben sind nicht nur die, die sich scheinbar wegducken und unterwerfen, sondern auch die, die schäumend dagegen halten und damit fügsam den Plan B der Durchgeknallten befolgen. Frei vom Diktat dieser Horden, souverän also, ist der, der darüber steht und klug und unabhängig den Weg sucht, der am wenigsten Unheil anrichtet.

http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2012-09/religion-ideologie-respekt/komplettansicht

https://www.freitag.de/autoren/seriousguy47/meinungsfreiheit-oder-masochismus

Update 24.09.2012, 13:00 Uhr:

http://www.taz.de/Konservative-Muslime-gegen-Eiferer/!102233/

http://www.sueddeutsche.de/politik/libyen-auf-dem-weg-in-die-demokratie-in-der-stillen-masse-lebt-die-revolution-fort-1.1476279

http://www.tagesspiegel.de/medien/interview-mit-guenter-wallraff-die-medien-mit-religions-karikaturen-ueberschwemmen/7166300.html

http://www.welt.de/debatte/article109418144/Eine-Religion-fuer-alle-bleibt-ein-frommer-Wunsch.html


Erwiderung auf einen Beitrag von Michael Schmidt-Salomon auf ZeitOnline vom 12.09.2012

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

seriousguy47

Anglophiler Pensionär und Flüchtlingsbetreuer aus Stuttgart.

Wehrdienst, Studium ( Anglistik, Amerikanistik, Empirische Kulturwissenschaft, Sozialpädagogik) , Praktikum ( Primärtherapie), Lehramt, Flüchtlingsbetreuung

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