S21 – Ein Jahrhundertbetrug?

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Der S21-Widerstand mit seiner vermeintlichen Baum-Esoterik und dem Juchtenkäfertum nerven. Und das ist gewollt. Darauf zielen seit Jahren Bahn- und Politik-PR und die sie versprühenden Medien. Wie beim Schüren von Fremdenfeindlichkeit, dem (aktuellen) Ossi-Bashing oder der andauernden Neid-Debatte um den Finanzausgleich dienen die vermeintlichen, ungewaschenen und arbeitsscheuen Käferfreaks in Stuttgart dazu, den Volkszorn der eigentlichen Wutbürger von den wahren Ursachen von Problemen abzulenken. Wenn die Bürger damit beschäftigt sind, sich gegenseitig die Köpfe einzuschlagen, kann die herrschende Kaste umso leichter durchregieren. „Divide et impera“ sagt dazu der der humanistisch verbildete Besserverdiener. Teile und herrsche.

Und die Taktik geht immer noch und immer mehr auf. Besonders sichtbar wird dies auch heute wieder. Während aus NRW der Ruf erschallt, den Solidarpakt zu kündigen und sich stattdessen endlich einmal um den Niedergang im Westen zu kümmern, lachen sich die fetten Profiteure im Schwabenland ins Fäustchen. Ist es ihnen doch gelungen, Milliarden, die andernorts dringendst benötigt würden, in eine der reichsten Städte zu saugen, um dort internationale Kultur- und Naturdenkmäler und eine Bahninfrastruktur zu zerstören, von denen man andernorts nur träumen kann.

Und heute nun scheint sichtbar zu werden, dass es sich dabei tatsächlich – wie schon längst vermutet und absehbar – um einen Jahrhundertbetrug handeln könnte. Wie bereits bei der 116. Montagsdemo angedeutet wurde (1) und wie das Eisenbahnjournal (2) heute (22.03.2012) online berichtet, haben die Ingenieure22 jetzt Unterlagen gefunden (3), die eindeutig belegen, dass S21 von Anfang an als Rückbau des Bahnknotens Stuttgart geplant war. Vermutlich, um auf diese Weise Grundstücke versilbern und die Bahn für die geplante Privatisierung aufhübschen und dem bereits von den Nazis verfolgten Ziel der gleisfreien/ autogerechten Innenstadt gerecht werden zu können (4). So würde der Rückbau vielfältigen kapitalistisch-neoliberalen „Sinn“ machen. Auch für die Investoren in die Privatbahn. Denn je weniger Schienenverkehr, desto weniger Kosten fallen für den Unterhalt von Infrastruktur und Zugflotte an.

Zukünftig sollten im Stuttgarter Hauptbahnhof laut der jetzt gefundenen Unterlagen nur noch maximal 30(-32) Züge in der Spitzenstunde verkehren. So die Vorgabe der Bahn im Jahr 1997 für eine von ihr beauftragte Personenstromanalyse. Seitdem gab es keine Änderung der geplanten Bahninfrastruktur von S 21 mehr. Die angebliche Leistungsfähigkeit des Tunnelbahnhofs von bis zu 49 Zügen in der Spitzenstunde ist demnach nichts weiter als eine wissenschaftlich zurecht manipulierte und in unzureichenden Tests mit fehlerhafter Software nur scheinbar bestätigte Propagandalüge zum Zwecke der unlauteren Gelderschleichung (5). Verglichen mit der bereits heute möglichen Leistung des bestehenden, denkmalgeschützten Kopfbahnhofs stellt dies nahezu eine Halbierung der Leistungsfähigkeit des Stuttgarter Bahnknotens dar (6)*:

Besonders pikant: Eben dieses Gutachten gehört zwar zu den Planfeststellungsunterlagen, wurde dem Eisenbahnbundesamt aber trotz mehrmaliger Aufforderung erst im September 2002 zur Verfügung gestellt, offengelegt wurden diese Unterlagen nie, den Trägern öffentlicher Belange wie dem BUND wurden sie nicht zur Verfügung gestellt.

Die Unterlagen, die wir jetzt gefunden haben, belegen eindeutig: Die Bahn hat mit Stuttgart 21 von Anfang an eine erhebliche Verkleinerung des Stuttgarter Bahnhofs geplant”, sagen Dipl.-Ing. Hans Heydemann und Wolfgang Jakubeit von den Ingenieuren22 für den Kopfbahnhof. “Bislang der Öffentlichkeit nicht bekannte Unterlagen aus dem Jahr 1997 belegen: Nur 30 Züge in der Spitzenstunde sind geplant, alles andere ist Werbegeschwätz. Unser Kopfbahnhof hingegen leistet mindestens 50 Züge in der Stunde. Folglich handelt es sich bei S 21 um einen bedenklichen Rückbau von guter, funktionierender und leistungsfähiger Schienen-Infrastruktur – das darf nicht mit Steuergeldern finanziert werden! Zum Skandal wird die Angelegenheit, weil die Bahn diese Unterlagen erst wesentlich verspätet nachgereicht hat, die Öffentlichkeit hat sie nie zu Gesicht bekommen. Bundesverkehrsminister Ramsauer muss jetzt endlich aufwachen und diesen illegalen Rückbau stoppen!”

Nun wird verständlich, dass alle neutralen Untersuchungen zur Leistungsfähigkeit des geplanten Tunnelbahnhofs etwa 30 Züge in der Spitzenstunde ergeben – denn genau das hatte die Bahn ja von Anfang an geplant. Erst als es darum ging, das Projekt politisch durchzusetzen, staatliche Finanzierung zu erlangen und eine Planfeststellung zu bestehen, schnellten die Angaben zur angeblichen Leistungsfähigkeit immer weiter in die Höhe – ohne dass sich am geplanten Bahnhof irgend etwas geändert hätte. Ein Rückbau von Infrastruktur darf aber nicht staatlich finanziert werden! Die massiven Eingriffe in den Denkmalschutz und den Umweltschutz sind unter diesen Umständen nicht zu rechtfertigen – die Planrechtfertigung durch die behauptete Leistungssteigerung ist somit hinfällig!“(2)

Die Vermutung, dass auch andere 21er Projekte der Bahn unter der Zielsetzung eines Infrastruktur-Rückbaus geplant wurden, liegt zumindest nahe (7). Auch liegt diese Zielsetzung so sehr in der Auto-Lobbyisten-Tradition von CDU/CSU/SPD/FDP, dass man davon ausgehen kann, dass dieser Rückbau auch politisch gewollt ist, um auch weiterhin an erster Stelle den Autoverkehr zu fördern (8). Dieser Priorität ist zu verdanken, dass die Bundesrepublik bei der Bahntechnik zunächst ins Hintertreffen geriet. Als andere dann demonstrierten, dass die Hochgeschwindigkeitsbahn attraktiv sein kann, zog man nach – aber offenbar nur, um Hochgeschwindigkeitsprojekte zu fördern. Dem Rest scheint bereits das Abstellgleis zugedacht worden zu sein. Anders ist das Festhalten am Rückbau durch S21 trotz aller Kosten und Risiken nicht rational zu erklären. Und was den Güterverkehr auf der Schiene betrifft, so zeigt ja Ramsauers Versuch, den Gigaliner durchzuboxen, wohin da die Reise gehen soll (9).

Das Abzockprojekt21 ist nur eines unter vielen Projekten, deren praktischer Nutzen nicht erkennbar ist. Aber hier wird zumindest eines deutlich: es werden nicht nur Milliarden verschwendet, die andernorts viel nötigen Nutzen stiften könnten. Hier werden Milliarden auf Konten verschoben, die bereits übervoll sind. Und das mit offenbar betrügerischen Methoden und offenen Gesetzes- und Verfassungsbrüchen. Dass die Medien dies gezielt verschweigen, kleinschreiben und die emotionale Aufmerksamkeit geschickt auf den Stuttgarter Widerstand zu lenken vermochten, ist ein Demokratieversagen allererster Ordnung. Dass selbst „Linke“ immer noch darauf hereinfallen, ist eine politische Katastrophe. Dass jetzt Ossi-Bashing betrieben wird, anstatt dort zu attackieren, wo Milliarden betrügerisch, stadtzerstörerisch und ökologisch in vielfacher Weise schädlich versenkt werden, zeigt, wie korrupt die herrschende Kaste selbst noch dort ist, wo ihr das Wasser bereits bis zum Halse steht.

(1) www.youtube.com/watch?feature=player_detailpage&;;;v=V3UPElNmghw

www.youtube.com/watch?v=8aWM01B9VeE&;;;feature=player_detailpage

(2) www.zughalt.de/2012/03/dokumente-belegen-stuttgart-21-fur-nur-30-zuge-pro-stunde-geplant/

railomotive.com/2012/03/stuttgart-21-db-papier-bestatigt-geplanten-kapazitatsabbau/

www.jungewelt.de/2012/03-24/041.php

(3) bit.ly/GEEftm

(4)Ausführlich dazu Bahnexperte Winfried Wolf in der Jungen Welt:

1. Planziel Autostadt www.jungewelt.de/2010/11-06/082.php

2. Der große Raubzug https://www.jungewelt.de/loginFailed.php?ref=/2010/11-08/001.php?sstr=Winfried

Siehe auch hier:

www.alexander-suessmair.de/fileadmin/lcmssuessmair/Downloads/Fraktion/Sonstige_Publikationen/111201-vz-05-internet.pdf

www.attacmarburg.de/privatisierung/?id=bahn.texte.grundsatz.lang

www.bahn-fuer-alle.de/media/docs/2006/bodack-bsb.pdf

(5) www.radio-utopie.de/wp-content/uploads/2012/03/2012-03-12-WikiReal-Pressemitteilung-Stuttgart-21-Leistungsnachweis-endg%C3%BCltig-gescheitert.pdf

(6) www.mvi.baden-wuerttemberg.de/servlet/is/104632/

*Ein ganz aktueller Beleg dafür, wie gut selbst der heruntergekommene Kopfbahnhof heute funktioniert, ist die Tatsache, dass der Bahnverkehr ohne nennenswerte Störungen abläuft, obwohl am Montag, 19.03.2012, bei den offenbar vollkommen inkompetent betriebenen Abrissarbeiten ein Stützpfeiler des Bahnsteig-Hallendaches demoliert wurde, woraufhin sich dieses absenkte. Seitdem müssen 2 Bahnsteige aus Sicherheitsgründen gesperrt bleiben. Kommentar von Friedhelm Weidelich dazu:

"Und was das abgesackte Bahnsteigdach betrifft: Es gab ernstzunehmende Stimmen, die behauptet haben, dass die beiden abgerissenen Flügel das Hauptgebäude und den Turm auf dem sumpfigen Gelände stabilisierten. Da heutige Ingenieure und Architekten eher geringe Kenntnisse der Natur zu haben scheinen und dem Machbarkeitswahn huldigen, sind beim “bestgeplanten Bauprojekt Europas” noch zahlreiche Überraschungen drin. Das einzige, was bei Stuttgart 21 sicher zu sein scheint, ist die nächste Panne oder Katastrophe."

www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.stuttgart-21-einsturzgefahr-am-bahnsteigdach-nach-abriss-panne.7d61a16f-abcb-4a09-9f7d-03e1c625b10f.html

www.bei-abriss-aufstand.de/2012/03/20/best-geplant-oder-doch-einfach-nur-kein-plan/

railomotive.com/2012/03/stuttgart-21-db-papier-bestatigt-geplanten-kapazitatsabbau/

(7) de.wikipedia.org/wiki/Bahnhof_21

(8) www.spiegel.de/spiegel/print/d-46289918.html

www.spiegel.de/spiegel/print/d-46289916.html

www.spiegel.de/spiegel/print/d-45465289.html

www.spiegel.de/spiegel/print/d-46122767.html

www.spiegel.de/spiegel/print/d-46050118.html

www.spiegel.de/spiegel/print/d-46050021.html

www.spiegel.de/spiegel/print/d-45922096.html

www.spiegel.de/spiegel/print/d-43078625.html

www.spiegel.de/spiegel/print/d-14340898.html

de.wikipedia.org/wiki/Sanfte_Mobilit%C3%A4t

(9) www.sueddeutsche.de/auto/gigaliner-duerfen-auf-deutschlands-strassen-die-riesenlaster-kommen-1.1185332

www.zeit.de/auto/2012-01/gigaliner/komplettansicht

www.spiegel.de/thema/gigaliner/

www.manager-magazin.de/politik/deutschland/0,2828,722890,00.html

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Geschrieben von

seriousguy47

Anglophiler Pensionär und Flüchtlingsbetreuer aus Stuttgart.

Wehrdienst, Studium ( Anglistik, Amerikanistik, Empirische Kulturwissenschaft, Sozialpädagogik) , Praktikum ( Primärtherapie), Lehramt, Flüchtlingsbetreuung

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