S21-“Stresstest“: Geißlers ultimative Volksverarschung

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Stuttgart unter Schock. Eine schwere Explosion hat das Areal um den Stuttgarter Tiefbahnhof erschüttert. Rauchwolken und Flammen steigen aus dem Tunnel auf", so könnte es in BILD im Jahre 2030 stehen. Und der Text könnte so fortfahren:

Chaos in Stuttgarts Innenstadt! Eine schwere Explosion verwüstete im Bahnhofsareal von Baden-Württembergs Hauptstadt den Tiefbahnhof und mehrere Gebäude. Darunter eine Schule und ein Hotel. Die Straßen sind übersät mit Scherben und Trümmern. Auf den Bürgersteigen werden Verletzte versorgt. Der Tunnelbahnhof steht in Flammen. Feuerwehr und Technisches Hilfswerk versuchen bislang vergeblich, ins Innere des Tunnels vorzudringen......“

In dem, was uns Bahn und assoziierte Medien gerade als „Stresstest“ zu verkaufen versuchen, kommt das, was so ähnlich gerade in Oslos Regierungsviertel passiert ist, was 2005 als Bombenanschlag auf die Londoner U-Bahn und einen Bus durch die Medien ging, kommen die Terroranschläge auf Madrider Bahnhöfe 2004 usw. usw. schlicht und einfach nicht vor. Wie immer es nennen mag, ein Störfall oder Stressor scheint es in den Augen der Bahn jedenfalls nicht zu sein. Also muss man auch nicht testen, in welchem der beiden Alternativen, dem derzeitigen Kopfbahnhof oder dem für zig Milliarden geplanten Tunnelbahnhof eine solche Katastrophe besser beherrschbar wäre – wenn ich diesen Begriff in diesem Zusammenhang mal verwenden darf........

www.bild.de/news/ausland/explosion/die-bilder-des-terrors-19007522.bild.html

de.wikipedia.org/wiki/Terroranschl%C3%A4ge_am_7._Juli_2005_in_London

wsws.org/de/2004/mar2004/madr-m12.shtml

......Und damit zurück ihn die Realität: "Four legs good, two legs bad!", auf diese Parole lässt George Orwell die Führer der revolutionären Animal Farm die ursprünglich 7 Gebote für die Tiere reduzieren, denen diese 7 Gebote zu kompliziert sind. Dies hatte den angenehmen Nebeneffekt, dass das komplexe politische System auf ein schlichtes Schwarz-Weiss Schema vereinfacht wurde, das sich im Laufe der Zeit nahezu unbemerkt in sein Gegenteil verkehren ließ: "Four legs good, two legs better!"

en.wikipedia.org/wiki/Animal_Farm

Diese reibungslose Umwandlung eines gemeinsamen revolutionären und demokratischen Prozesses in ein totalitäres Unterdrückungssystem funktionierte unter anderem deshalb so reibungslos, weil zuvor das Schwarz-Weiss-Denken in simplen Parolen hinreichend eingeübt und habitualisiert worden war. Wessen Wahrnehmung genügend grob geworden ist, der hört den Unterschied zwischen „bad“ und „better“ nicht mehr. Und wenn er ihn schließlich fühlt, ist es zu spät.

Die PR-Fritzen der Bahn denken sicherlich nicht bewusst an die Errichtung eines totalitären Systems. Sie wollen – spätestens seit dem Napola-Schüler Heinz Dürr - nur ihre Vorstellungen möglichst ohne Widerstand durchsetzen. Das aber funktioniert in einer Demokratie nicht. Es sei denn, man übt die Bürger intensiv ins Schwarz-Weiss-Denken und den Gebrauch simpler Parolen ein. Und dazu braucht man hinreichend willfährige, denkfaule oder verblödete Journalisten, wie wir sie inzwischen in ausreichender Zahl zur Verfügung zu haben scheinen.

Über die Ursachen dafür mag man spekulieren. In einer Gesellschaft, in der bei Kindern Frustrationserlebnisse, Schwierigkeiten und Langeweile systematisch weggeräumt werden, und daher auch keine Lernerfahrungen damit, vor allem aber keine Erfahrung mit ihrer Überwindbarkeit, gemacht werden können, mag es am Ende zu einer Art erlernter Hilflosigkeit ähnlich der kommen, die der amerikanische Psychologe Martin Seligman 1975 definiert hat.

de.wikipedia.org/wiki/Erlernte_Hilflosigkeit

bit.ly/qzZOMk

Im TV kann Langweiliges oder Unangenehmes weggezappt werden, am PC kann man es wegklicken. Was die erlernte Hilflosigkeit gegenüber dem Stress und den Mühen noch verstärkt, die mit dem Alltag üblicherweise verbunden sind.

Auf der politischen Ebene schließlich fand sich der so präparierte zuständige Journalismus in der Ära Kohl in einer Situation der völligen Ohnmacht gegenüber der CDU/FDP-Herrschaft wieder. Man konnte recherchieren, aufdecken und analysieren, was und wie viel man wollte. Es hatte einfach keine Wirkung. Das bewirkte zum einen, dass die sogenannte „Vierte Gewalt“ ihre Kontrollfunktion aufgab, die nur Frust mit sich brachte, und sich aufs tumbe, aber weniger schmerzhafte Nachplappern beschränkte. Zum andern entdeckte man einen lustvolleren Weg des journalistischen Arbeitens: das wohlige Ankuscheln an die Mächtigen. Und während man sich der Macht prostituierte und sich mit ihr identifizierte, fand man schließlich auch noch ein Objekt, dem man seine Verachtung zeigen, und an dem man seine Wut auslassen konnte: den Bürger. Den nunmehr gemeinsamen Feind von Medien und Politik.

Die PR der Bosse im allgemeinen und die der Bahn im Besonderen haben sich dies zunehmend zunutze gemacht, um den weithin herunter gekommenen Journalismus für ihre Zwecke einzusetzen. "S21 gut, K21 schlecht" lautete folglich die erste Parole. Das klappte dann aber nicht, weil Mappus am 30.09.2010 mit seinen Schlägertrupps dafür sorgte, dass plötzlich alle nachzudenken begannen. Nachdem sie das während der großen Geißler Show dann bis zur Erschöpfung getan hatten, war dann aber wieder Schluss damit.Und „Stresstest bestanden!“ brüllt die Medienmeute schon wieder fröhlich nach.

Eigenartig dabei ist, dass es überhaupt keinen Stresstest gab. Das sagt selbst die mit der Überprüfung der diesbezüglichen Fahrplan-Simulation der Bahn betraute SMA:

Der Begriff „Stresstest“ ist zu einem Modebegriff verkommen. …..Wir verwenden deshalb in der Folge den Begriff „Eisenbahnbetriebswissenschaftliche Simulation“. Eine Simulation ist ein mit IT-Methoden programmierter Ablauf eines heutigen oder zukünftigen Eisenbahnbetriebs auf bestehenden und neuen, heute noch nicht vorhandenen Anlagen.“

Diese Simulation enthielt, ebenfalls laut SMA, zwar kleinere, „Störungen“ genannte Vorkommnisse, wie sie im alltäglichen Bahnbetrieb üblich zu sein scheinen, jedoch ausdrücklich keine wirklichen Stressoren:

Weil der Eisenbahnbetrieb täglich kleinere bis mittlere Störungen erlebt, werden in einem Simulationsmodell auch Störungen eingegeben und damit die Robustheit des Fahrplangeschehens überprüft......Notfälle oder schwere Störfälle, wie z.B. eine Weichenstörung oder das Liegenbleiben eines Zuges sind dadurch charakterisiert, dass das geplante Betriebsprogramm nur noch mit Zugausfällen oder Umleitungen produziert werden kann. Für derartige Störfälle werden im Vorfeld der Betriebsaufnahme sogenannte Notfallszenarien entwickelt und den Disponenten als Handlungsanweisungen zur Verfügung gestellt. Es ist unmöglich, eine abschließende derartige Liste aufzustellen. In solchen Fällen entscheiden die zukünftigen Disponenten entsprechend ihrem Sachverstand und ihrer Erfahrung.“

de.auditplag.wikia.com/wiki/Schlussbericht_Seite_008

Also kommt das Wetter in dieser Simulation schon mal nicht vor. Und das, was am 22.07.2011 am Stuttgarter Hauptbahnhof passierte und einigermaßen anständig bewältigt werden konnte, wurde für S21 auch nicht getestet:

Ein entgleister Nachtzug aus Amsterdam hat am Donnerstagmorgen den Verkehr im Stuttgarter Hauptbahnhof teils erheblich beeinträchtigt. Weil vorübergehend drei Gleise ausfielen, mussten einige tausend Reisende in Regionalzügen zwischen Esslingen und Stuttgart auf S-Bahnen ausweichen.....Erst zweieinhalb Stunden nach dem Unfall konnten die Regionalbahnen auf den betroffenen Gleisen ihre Reise wieder fortsetzen.“

bit.ly/oIgVQc

Auch dies also ist kein Stress in den Augen von Bahn und SMA. Was in so einem Fall im Tunnelbahnhof und seinem Einzugsbereich passiert, es interessiert genauso wenig wie ein Vergleich mit dem, was im Kopfbahnhof tatsächlich passierte. Was die Wünsche und Phantasien der obersten Drückerkolonne der Gelddruckmaschine Bahn stört, wird verdrängt, verschleiert, geleugnet. Wie man es bereits bei den Kosten tut. Oder beim Grundwasser. Oder bei der Geologie im allgemeinen. Oder bei den gummigefederten Radreifen, die zu der Zugkatastrophe bei Eschede führten. Es hätte damals eine andere Lösung gegeben, aber die war dem bei S21 so spendierfreudigen Heinz Dürr bei der Sicherheit der Menschen zu teuer. Und dennoch gibt es durchaus auch einiges, das mit S21 vergleichbar ist:

Der zuständige Direktor für die Zulassung von Reisezugwagen wies im November 1991 darauf hin, dass vor der Zulassung in der Serie noch zahlreiche Versuche und Erprobungen notwendig seien, die sich über einen Zeitraum von etwa zwei Jahren hinziehen würden. Im Februar 1992 wurde ein Riss an einem der getesteten Reifen festgestellt. Nach weiteren Tests vereinbarten die zuständigen Ingenieure im Sommer 1992, die bisherigen Versuche als ausreichend anzusehen. Die Entscheidung ging, nach einer Telefonnotiz, letztlich auf eine Entscheidung von Bahnvorstand Heinisch zurück. Am 5. Oktober 1992 präsentierte das Vorstandsmitglied dem Gremium eine Beschlussvorlage zur Einführung der neuartigen Räder in der gesamten ICE-Flotte.“[Hervorhebung vom Autor]

de.wikipedia.org/wiki/ICE-Unfall_von_Eschede

Ja, und wer ist nun der Nachfolger des hierfür Verantwortlichen? „….. folgte ihm Volker Kefer nach.“ Na, dann kann ja nichts schief gehen. Da macht man sich doch keinen Stress mit einem richtigen Stresstest. Das macht man einfach wie bei den Radreifen von Eschede. Die Methode hat sich in der Praxis schließlich bewährt. Man kann also ganz einfach wieder vereinbaren, dass die bisherigen Simulationen als ausreichend anzusehen sind. Und der Kefer grinst dazu.

de.wikipedia.org/wiki/Roland_Heinisch

Der Stresstest ist also kein Stresstest. Und natürlich ist auch das Gutachten kein Gutachten. Der Titel der SMA-Broschüre heißt völlig korrekt: „Audit zur Betriebsqualitätsüberprüfung Stuttgart 21 Schlussbericht“. Ja, und wo die Medien nun ohnehin schon über etwas berichten, das es gar nicht gibt, da macht es auch nichts mehr aus, dass es das, was es eigentlich gar nicht gibt, eigentlich erst ab 26.07.2011 nicht geben soll. Man schreibt trotzdem schon mal am 21.07.2011 darüber: „Stresstest bestanden“. Wie es die Bahn befahl.

Denn nicht, was drin steht ist wichtig. Auch nicht, ob das, was drin steht überhaupt stimmt und überhaupt Sinn macht. Wichtig ist, dass der Bürger das Denken vergisst. Wie es Schuster, CDU, FDP und die hiesige SPD-Führung seit Jahren vormachen. Er soll nur hören: „Stresstest bestanden.“ Und er soll es aus allen Ecken und Enden hören. Er soll es so lang und so oft hören, dass es sich ihm einbrennt. Dass er es für die Wirklichkeit hält. Dass es ihm schließlich so auf die Nerven geht, dass er nur noch seine Ruhe haben will. Sollen sie doch das verdammte Ding bauen. Soll es doch kosten, was es will. Soll doch davon profitieren, wer will. Soll doch drin krepieren, wer will. Soll die Bahn doch gelogen und betrogen haben. Sollen Schuster und die anderen das doch zum Schden des Landes billigend in Kauf genommen haben. Soll doch das Geld anderswo fehlen. Soll es doch die Staatsverschuldung noch krimineller machen als sie ohnehin schon ist. HAUPTSACHE, ES IST ENDLICH RUHE!

Womit ich hoffentlich Stefan Kuzmany von DEM Spiegel korrekt zusammengefasst habe.

www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,775788,00.html

Kurz und billig macht es Jörg Hamann in den Stuttgarter Nachrichten: Stresstest: Das Ergebnis zählt...Unterm Strich zählt nur das nackte Ergebnis: Stuttgart 21 hat den Stresstest bestanden.“ JAWOLL ABER AUCH!

bit.ly/n5wrc5

Wer sich darüber hinaus noch dafür interessiert, warum SMA mitnichten so einfach als „unabhängig“ verstanden werden kann, kann sich hier schlau machen:

bit.ly/oxNmTL

www.wiwo.de/unternehmen-maerkte/stresstest-unter-freunden-471613/

bit.ly/oJCU2q

Wer erfahren möchte, dass weder die Bahn-Simulation noch das Urteil von SMA dazu einer genaueren Überprüfung standhalten, kann versuchen, dies zu verstehen:

www.swr.de/nachrichten/bw/-/id=1622/nid=1622/did=8356932/zsp8s3/index.html

bit.ly/r5OHbA

bit.ly/pBLuGM

bit.ly/oCHf5u

freepdfhosting.com/9bf1a242cc.pdf

www.dradio.de/dkultur/sendungen/interview/1501437/

Stefan Weidelich trägt hier noch ein paar Dinge zum Verständnis des Ganzen bei:

railomotive.com/2011/07/sma-distanziert-sich-von-testergebnis-und-fordert-umsetzung/

railomotive.com/2011/07/die-journalistenmeute-bevorzugt-weiter-meinung-statt-recherche/

Und Boris Palmer erinnert nochmals an den großen Geißler-Schlichtungs-Betrug und liest bei SMA nicht die Note, sondern den Text:

bit.ly/qDKw4K

www.dradio.de/dkultur/sendungen/interview/1510136/drucken/

Und hier gibt es den, das, ja was denn nun.....:

Stresstest – Teil 1: bit.ly/j1P7Zn

Stresstest – Teil 2: bit.ly/mQdesV

Stresstest – Teil 3: bit.ly/iGSat0

Aber bitte beachten: Lektüre ist erst ab 26.07.2011 erlaubt, wenn Heiner Geißler ….Hokuspokus Simsalabim.....WOW.....!

Und für die Days Before:

www.freitag.de/community/blogs/mcmac/s21---1622-uhr-sprengstoff-in-einem-politthriller

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

seriousguy47

Anglophiler Pensionär und Flüchtlingsbetreuer aus Stuttgart.

Wehrdienst, Studium ( Anglistik, Amerikanistik, Empirische Kulturwissenschaft, Sozialpädagogik) , Praktikum ( Primärtherapie), Lehramt, Flüchtlingsbetreuung

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