Wahrheit ist ein großes Wort. Vor allem in der Politik, wo es im alltäglichen Klein-Klein – das in Wahrheit häufig eher ein Groß-Groß ist – darum geht, tragfähige Kompromisse zwischen geringsten Übeln zu finden. Aber Herr Geißler ist mit großen Worten und der großen Geste eines „Baustopps“ in diese Schlichtung gegangen und gleich einmal als Bettvorleger der Herren Grube und Mappus gelandet. Für jeden anderen hätte dies das Medien-Aus bedeutet. Nicht für Herrn Geißler, der es im Verlauf der Schlichtung trefflich verstand, mit seiner Dominus-Attitüde und seinen Anekdötchen die unausgesprochene Marke „Geißler-Show“ zu etablieren und damit alle TV-Talks auf einen Streich auf die hinteren Ränge zu verbannen.
Dabei war viel Rede von etwas Neuem in der Demokratie, hinter das man in der Politik nicht mehr zurück könne: «Es ist ein Experiment, es ist noch nie da gewesen», hatte der ehemalige CDU-Generalsekretär Geissler zu Beginn gesagt. Die öffentliche Debatte solle dafür sorgen, dass die interessierte Bevölkerung in der Lage sei, «selbständig zu denken und sich aus der eigenen Unmündigkeit zu befreien» (1). Oder: „Wir haben das Gegenteil von dem gemacht, was bisher üblich war, wir haben alles öffentlich gemacht. Nur so kann man künftig Projekte für die Zukunft entwickeln“(2). Und von Transparenz war die Rede. Von Augenhöhe. Von „alles auf den Tisch“.
Konnte man Herrn Kefers „Jobangebot“ an Boris Palmer noch als „Augenhöhe“ interpretieren, sein widerwärtiger Geschäftsschädigungsversuch gegenüber Herrn Vieregg war es gewiss nicht. Und von „alles auf den Tisch konnte bei der DB schon gar keine Rede sein. Nichts auf den Tisch wäre näher dran. Also auch hier wenig mehr als Bettvorleger. Aber keiner will es mehr sehen. Zu schön war die Geißler-Show. Zu melancholisch ihr Ende. Womit sollen die alternden Singles nun ihre Tage verbringen? Woher sollen die Journalisten – trotz aller Mängel – in Zukunft so viele Informationen mit so wenig Recherche-Arbeit bekommen? Da sieht man doch gerne über Vertuschung, Vernebelung und Intransparenz hinweg. Ist man ja auch gewohnt.
Und Neues, hinter das man nicht mehr zurück könne? Geißler selbst hat es noch vor der siebten Schlichtung wieder zurückgenommen, indem er der Presse steckte, was er in seinem „Schlichterspruch“ zu sagen vorhabe. „Mein Votum wird auch stark davon abhängen, ob die zu bebauenden Grundstücksflächen bis zum Jahr 2020 vor Immobilienspekulation geschützt werden können“, hieß es bereits am 25.11.2010 vorauseilend in der FAZ . Sein Vorschlag zur Schlichtung werde möglicherweise Nachbesserungen an „Stuttgart 21“ enthalten. Damit seien abermalige Mehrkosten nicht ausgeschlossen (3).
Und damit auch keine Unklarheiten darüber entstehen mögen, woher der neue, alte Wind weht, versäumt es Herr Soldt von der FAZ nicht, zu erwähnen, dass Ministerpräsident Mappus zu Beginn der Woche angekündigt hatte, durch die Schlichtung entstehende Mehrkosten mitzutragen. Auch verwies er auf Gerhard Heimerl, den Erfinder der ICE-Trasse von Wendlingen nach Ulm, der für mindestens vier Stellen des neuen Schienennetzes Nachbesserungen in Form von zusätzlichen Gleisen empfohlen hatte.
Wieder mal einer jener Zufälle, mit denen uns in den letzten beiden Schlichtungsrunden so einiges erklärt werden sollte – auch wenn es bei den Wasserschutzzonen in Stuttgart „Gott“ genannt wurde (4)? Oder perfekte Teamarbeit? Der neue Wind jedenfalls, von dem sich Geißler spätestens seit dem Vortrag der Wirtschaftsgutachter am 7. Schlichtungstag willig treiben lässt, weht aus Richtung Arroganz der Macht. Und von der sollte diese Republik sich ja unter anderem durch die Schlichtung verabschieden.
Ich jedenfalls hatte während der letzten beiden Schlichtungstage des öfteren den Eindruck, dass Geißler zumindest anfangs sehr genervt reagierte, wenn die S21-Kritiker Schwachpunkte des Projektes aufzeigten und sie konsequenterweise auch einige Male abblockte. Erst später schien er sich den unerwünschten neuen Erkenntnissen nicht mehr vollständig entziehen zu können. Da geriet die „Skizze“ wohl vorübergehend ins Wanken.
Ich selbst habe mir die Schlichtung auf die Sachargumente hin angeschaut und mein subjektives Resümee ist eindeutig: K21 besticht in der Summe, S21 steht ziemlich nackt da. Geißler hätte also die Chance, mit einer sachlichen Auflistung von Pro und Contra für beide Projekte der „mündigen“ Öffentlichkeit die Chance zu bieten, sich ein einigermaßen objektives Bild zu machen. Dazu noch die Empfehlung, die Meinung der Mehrheit einzuholen, und die Schlichtung hätte mehr erreicht, als man anfangs erwarten konnte.
Damit aber hat solches gar nichts zu tun: „Ich bin nicht der Heilige Geist und als Tröster geeignet.“ Und dies halte ich schlichtweg für eine falsche Aussage: “Durch die Versachlichung der Thematik müssten beide Seiten klar sehen, dass es nicht möglich ist, S 21 mit dem neuen Tiefbahnhof und K 21 mit der Modernisierung des bestehenden Kopfbahnhofes auf einen Nenner zu bringen"(7). Denn, wenn man sich anschaut, was die Schlichtung an Ergebnissen erbracht hat, dann bietet sich ein Kompromissvorschlag nach üblichem politischen (Koalitionsverhandlungs-)Brauch ohne viel Nachdenken an.
Klar dargelegt wurde die Überlegenheit des bestehenden Kopfbahnhofs, dessen „Ertüchtigung“ allerdings längst überfällig ist – und wohl auch im Falle von S21 nötig wäre, will man kein Sicherheitsrisiko eingehen. So schnitten im Vergleich sowohl das Betriebskonzept wie der mögliche Fahrplan bei K21 eindeutig besser ab. Dass die Spitzenkräfte der Bahn die politischen Vorgaben von S21 in all den Jahren nicht besser in die Praxis umsetzen konnten, spricht nicht gegen diese Fachleute, sondern gegen die unsinnigen Vorgaben, die offenbar nicht in befriedigende Bahnpraxis umzusetzen sind.
Extrem überlegen ist der Kopfbahnhof in den Bereichen Sicherheit im Katastrophenfall und Behindertengerechtigkeit, was wohl auch erklärt, weshalb diese beiden Punkte selbst in Zeiten von Terrordebatten von den unterstützenden Medien pflichtschuldigst totgeschwiegen werden.
Ein eweitere Überlegenheit ergibt sich daraus, dass K21 mit und ohne Neubaustrecke funktioniert. Das bedeutet für die Neubaustrecke (NBS) mehr Freiheit bei der finanziellen und zeitlichen Ausgestaltung. Und schließlich sprechen die geringeren Kosten und die zahlreichen Optionen bei K21 für dieses Projekt, sowie die Möglichkeit der stufenweisen Umsetzung, die auch für die Bauindustrie günstiger wäre, da Arbeitsplätze über einen längeren Zeitraum gesichert würden.
Auch der Schlossgarten und der Hauptbahnhof müssten nicht weiter zerstört werden und die Belastung der ohnehin bereits überlasteten Stuttgarter Innenstadt durch die Baumaßnahmen wäre weniger massiv.
Für S21 sprechen – neben einem massenhaften Gesichtsverlust - eigentlich nur der größere Flächengewinn und die weitgehend abgeschlossene Planung. Allerdings ist hier, wie bei K21 auch, die Finanzierung noch nicht gesichert, da die Finanzierung der NBS eine Lücke aufweist und S21 ohne die NBS nicht geht. Und die Kosten sind höher und schränken damit die Finanzierung anderer, notwendigerer Bahnprojekte in Baden-Württemberg ein.
Die Kompromisslinie unter Berücksichtigung des Gemeinwohls scheint also klar. Gebaut werden könnte die NBS für ca. 2,9 Mrd (Kostenvorstellung der DB). Das wäre zwar teuer und nicht unbedingt rational, hätte aber wenigstens einen behaupteten geringfügigen Nutzen für größere Teile Baden-Württembergs und die Fahrgäste im europäischen Fernverkehr. Dieser Preis würde den Befürwortern gezahlt.
Die Gegner bekämen dafür K21 für geschätzte 2,5 Mrd Euro. Geht man davon aus, dass der Tiefbahnhof mindestens 4,1 Mrd (DB) plus mindestens 500 Mio Euro für die von Heimerl und Geißler für notwendig gehaltenen Nachbesserungen kostet und [Update] bis 2020 ca. 340 Mio Euro Ersatzinvestitionen in die oberidischen Anlagen erforderlich sind (5), ergäbe sich daraus eine theoretische Ersparnis von ca. 2, 5 Mrd Euro, die dann, dritter Teil des Kompromisses, für andere notwendige Bahnprojekte in Baden-Württemberg eingesetzt werden müsste. Die Grünen nennen dafür einen Investitionsbedarf von ca. 5 Mrd Euro. Davon könnte, je nach Höhe der Ausstiegskosten (600 Mio - 1,5 Mrd ?), durch diesen Kompromiss zumindest ein Teil aufgebracht werden (6).
Dieser mal eben so aus dem hohlen Ärmel geschüttelte Kompromissvorschlag käme einer Win-Win-Win-Situation gleich. Umso mehr verwundert es, wenn der „Schlichter“ nun sagt: „Es ist sehr schwer, beide Positionen auf einen Nenner zu bringen. Ja, es ist nicht möglich".Und dass ein Volksentscheid zwar prinzipiell etwas Richtiges sei – und im konkreten Fall auch die einfachste Lösung. Aber bei Stuttgart 21 fehle dafür eine rechtliche Basis und der Landtag habe eine Volksabstimmung abgelehnt. Als Schlichter könne er aber nichts vorschlagen, was unrealistisch sei (7). Unrealistisch, Version CDU, müsste es wohl korrekt heißen.Mut und Unparteilichkeit sehen anders aus. Und selbst wenn man einräumt, dass Geißler sichtbar wegen seines Alters nicht alles in der Schlichtung so richtig mitbekommen hat, so sind seine jüngsten Erklärungen doch aus dem Schlichtungsprozess selbst nicht mehr erklärbar und es stellt sich der Verdacht ein, dass da einer wieder einmal den „Rebellen“ gibt, um anschließend vor der Parteiräson den Schwanz einzuziehen.
Und die FAZ nährt diesen Verdacht geradezu unverfrohren: „Geißler ist 1930 in Oberndorf am Neckar geboren. Mit dem späteren Ministerpräsidenten Erwin Teufel baute er die örtliche Organisation der Jungen Union auf. Seine politische Karriere begann er als Büroleiter des Landessozialministers Joseph Schüttler...Mit Teufel ist er bis heute befreundet.“ Und Teufel ist bekanntlich einer der Väter und heftigsten Beförderer von S21.
Legendär ist auch der Ausfall des heutigen Attac-Mitglieds gegen die Friedensbewegung: „Als CDU-Generalsekretär handelte er sich den zweifelhaften Ruf ein, der „schlimmste Hetzer“ des Landes zu sein. Das war zur Hochzeit der Friedensbewegung. Geißler hatte gesagt, der Pazifismus der dreißiger Jahre habe den Holocaust erst möglich gemacht, und eben mal Appeasement-Politik mit Pazifismus gleichgesetzt.“ Für einen gläubigen Katholiken nicht unbedingt überraschend, für den Sohn eines Zentrumspolitikers aber vielleicht doch etwas deplatziert (2). Jedenfalls zeigt das Beispiel wie schamlos weit Geißler für die Zwecke seiner Partei damals zu gehen bereit war.
Und heute? Am Dienstag wissen wir voraussichtlich mehr.
Update Ausstiegskosten: 29.11.2010, 10:00 Uhr
Quellen:
(1)www.nzz.ch/nachrichten/international/schlichtung_um_stuttgart_21__und_was_dann_1.8451145.html
www.stern.de/politik/deutschland/stuttgart-21-schwere-fehler-in-der-bibel-1627395.html
(5) www.bei-abriss-aufstand.de/wp-content/uploads/2010/11/2010-11-26_Frageliste.pdf
(6) http://gruene-gegen-stuttgart21.de/s21-wurde-auf-41-milliarden-euro-schon-gerechnet/1121/
(7) www.badische-zeitung.de/weder-einigung-noch-volksentscheid
Siehe auch:
Kommentar
Presseerklärung der Parkschützer
www.bei-abriss-aufstand.de/2010/11/28/presseerklaerung-kantersieg-fuer-s21-gegner/
Grundsätzliches (Herbert Marcuse 1965 über repressive Toleranz, deutsche Übersetzung)
www.marcuse.org/herbert/pubs/60spubs/65reprtoleranzdt.htm
Aus der Ergänzung 1968:
www.marcuse.org/herbert/pubs/60spubs/65repressivetolerance.htm
„UNDER the conditions prevailing in this country, tolerance does not, and cannot, fulfill the civilizing function attributed to it by the liberal protagonists of democracy, namely, protection of dissent. The progressive historical force of tolerance lies in its extension to those modes and forms of dissent which are not committed to the status quo of society, and not confined to the institutional framework of the established society. Consequently, the idea of tolerance implies the necessity, for the dissenting group or individuals, to become illegitimate if and when the established legitimacy prevents and counteracts the development of dissent. This would be the case not only in a totalitarian society, under a dictatorship, in one-party states, but also in a democracy (representative, parliamentary, or 'direct') where the majority does not result from the development of independent thought and opinion but rather from the monopolistic or oligopolistic administration of public opinion, without terror and (normally) without censorship.“
Kommentare 19
Ich kann Ihrem Beitrag teilweise zustimmen - aber nur teilweise. Die mangelnde Transparenz von Seiten der Bahn war eine große Enttäuschung, man kann Herrn Geißler aber nicht vorwerfen, das nicht sehr deutlich moniert zu haben.
Mir erschien Herr Geißler auch des Öfteren ungeduldig - am Freitag und gestern morgen erschien er mir jedoch vor allem müde. Diese Sitzungen sind sehr anstrengend und der Mann ist achtzig, das sollte man auch nicht ganz vergessen. Ich hatte auch den Eindruck, dass er der Diskussion manchmal nicht ganz folgen konnte. Die unberechtigten Rüffel, die hierdurch resultierten, richteten sich jedoch gegen beide Seiten. Man erinnere sich nur an die für die Bahn desaströse erste Sitzung.
Was den Schlichterspruch betrifft, sollten wir einfach mal abwarten. Die Mehrkosten-Geschichte kann auch eine andere Folge haben. Herr Mappus kann reden was er will, es gibt ein Haushaltsrecht und dies besagt, dass unterhalb einer NKV von 1.0 nicht gebaut werden darf. S21 (der Bahnhof) hat lt. Herrn Kefer eine NKV-Grenze von 4,8 Mrd. Euro Kosten. In den Verträgen ist eine "Sollbruchstelle von 4,5 Mrd. Euro. Im StZ-Artikel von heute ist die Rede davon, dass die Nachbesserungen bis zu 1 Mrd. Euro kosten könnten. Das könnte für das Projekt durchaus das "Aus" durch die Hintertür bedeuten.
Zu K21: Ich sehe mich in Moment außerstande, einzuschätzen, inwieweit das Konzept eine gute Alternative wäre. Das liegt vor allem an der Bahn, die Herrn Palmer argumentativ einfach nicht gewachsen ist und sich ein ums andere Mal rhetorisch ausmanövrieren lässt.
schon am freitag operierte man medienseitig mit seltsamen andeutungen, die m.e. eher der verunsicherung der kritiker des projekts dienten ...
Muß aber Deinen text noch mal in ruhe lesen, ehe ich mich ausführlicher äußere.
@ nevermore
Ich gebe gerne zu, dass mich die Medienberichte über Geißlers vermeintliche Schlichtungsabsichten ziemlich wütend gemacht haben. Denn würde er tatsächlich versuchen, sich auf die Seite der S21er zu schlagen und die Gegner mit faulen Zusatzangeboten zu ködern , die überdies noch mit höheren Kosten zu Buche schlagen würden, für die man die Verantwortung, um sich zu legitimieren, den Kritikern in die Schuhe schieben würde, dann wäre das der Gipfel der Volksvera.....
jaynes Gedanke, dass womöglich die Medien hier versuchen - vielleicht von interessierter Seite gesteuert? - Geißler in eine bestimmte Richtung zu drängen, ist mir selbst nicht gekommen. Aber ich finde ihn sehr interessant. Auch damit könnte man die anderen konzertierten Begleitaktionen erklären.
Wie immer man den "Kompromiss", den ich aus dem Ärmel geschüttelt habe beurteilen mag, er soll einfach zeigen, dass Kompromisse tatsächlich möglich sind, wenn man nur offen dafür ist. Das aber war in der Öffentlichkeit nie der Fall. Vielmehr kam man immer mit dem blöden Argument, ein Bahnhof könne nur oben oder unten sein. Das ist erkennbar eine Publikumstäuschung oder ein Tunnelblick auf nur eine Lösung: S21.
Wenn Geißler nun dem folgen würde, hätte man sich die Schlichtung sparen können. Was nützen mir die "Fakten", wenn sie keinen Einfluss auf die Entscheidung haben? Um genau dem entgegen zu wirken hat man doch die Schlichtung gemacht!
Was Geißlers Verhandlungsführung betrifft, so sehe ich natürlich, dass er ein alter Mann ist und dieser Marathon eigentlich unzumutbar für ihn war. Andererseits hat er es freiwillig gemacht. Und habe ich mich eben sehr oft darüber geärgert, dass er in meinem Namen ("die Leute draußen") interveniert hat, wo mir eine Unterbrechung überhaupt nicht behagte. Ich schätze, er hat sein schlechteres Hörvermögen gelegentlich hinter "den Leuten" versteckt.
Durch die Decke aber ging ich, als er auf dieses Dreisatz-Märchen des Herrn Kefer abfuhr und es zuließ, dass dieser in einer unverantwortlichen Weise über Herrn Vieregg herfiel, obwohl er - wie sich später herausstellte - in Wahrheit weniger Ahnung von den "Fakten" hatte. Das schien mir eindeutig Parteilichkeit zu sein. Und erstab hier begann ich, seine Rolle kritisch zu sehen. Auch fand ich seine Anti-Attitüde gegen die "Wissenschaft" der Sache nicht besonders dienlich.
Es geht mir also nicht darum, Geißler wegen seines Alters niederzumachen. Ich fände es nur furchtbar, wenn wegen solcher menschlicher Schwächen eine Chance vertan würde.
Siehe meinen Kommentar zu nevermore.
Ich wollte Ihnen auch nicht unterstellen, dass Sie Herrn Geißler wegen seines Alters niedermachen wollten. Keineswegs. Ich finde nur, dass Sie mit Ihren Schlussfolgerungen ein wenig vorschnell sind. Ich mag mich irren und Sie mögen voll und ganz Recht haben, aber das werden wir am Dienstag sehen.
Herr Geißler deutete auch an, dass die Zeitungsberichte nicht wirklich dem entsprechen, was er im Interview gesagt hat.
Mir gefiel auch nicht, wie Sie seine früheren Äußerungen verwendet haben, um seine derzeitige Haltung zu beurteilen. Ich bin 44 und habe den Mist, den er damals verzapft hat, als Mitglied der Friedensbewegung miterlebt. Ich habe mich maßlos über den Mann aufgeregt. Aber wir sind hier nicht bei Harry Potter, wo man irgendwann unwiederruflich in eine Schublade einsortiert wird und Menschen sich nicht ändern können. Menschen können sich ändern und Herr Geißler hat sich nach meinem Dafürhalten unzweifelhaft geändert.
Insofern bin ich gnädiger mit ihm, und ich bin wirklich der Meinung, dass vieles, was er monierte, dem Alter und der Erschöpfung anzulasten war. Vielleicht hat er die Strapazen der Schlichtungsverhandlungen unterschätzt. Ich konnte oft seine Kritik im Hinblick auf "nicht verständlich" nicht nachvollziehen. Das gilt aber für beide Seiten. Das mit Kefers Rechnungen hat er im ersten Anlauf nicht kapiert, aber sehen Sie sich nochmal die Diskussion um das ETCS an, in einer der ersten Runden. Insofern sehe ich die Frage als berechtigt an, ob er der geeignete Schlichter ist, aber nicht, weil ich seine Integrität anzweifle. Meine Zweifel betreffen eher die Frage, ob er den Verhandlungen vollumfänglich folgen kann. Ich bin jedoch zuversichtlich, dass er die Schlichterspruch-Entscheidung nicht alleine, ohne irgendwelche Berater hinzuzuziehen, treffen wird.
Ich sehe bei Herrn Geißler keine Sympathie für die Pro-Seite. Dazu hat er die Bahn viel zu heftig zusammengeschissen, als es um die Offenlegung der Unterlagen ging. Es wurde generell eher kritisiert, dass er parteiisch für die Kritiker sei.
Er wird natürlich nicht sagen, "baut K21". Das kann er unter der derzeitigen Informationslage nicht. Dazu müsste K21 viel intensiver geprüft werden. Er kann aber einen Spruch treffen, der eine gründliche Überprüfung und Nachbesserung von S21 erzwingt, und das würde ich mit Blick auf die Möglichkeit "Aus durch die Hintertür" als Erfolg werten.
Die K21-Vertreter in der Schlichtung haben der DB einen sehr interessanten und aufschlussreichen Fragenkatalog zur Wirtschaftlichkeitsberechnung des S21-Bahnhofs zukommen lassen:
www.bei-abriss-aufstand.de/wp-content/uploads/2010/11/2010-11-26_Frageliste.pdf
An ein "Aus durch die Hintertür" glaube ich nicht. Das würden sich Bahn und CDU/FDP wie gehabt zurecht drehen.
Zugegeben, der Verweis auf Geißlers Vergangenheit könnte etwas demagogisches haben. Aber meine Befürchtung ist tatsächlich, dass er sich nicht geändert hat, sondern einfach schon lange nicht mehr gefordert war, sich in stürmischem Wetter zu seiner Partei zu bekennen. Das ist jetzt anders. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass er, sollte er jetzt wieder der CDU zuarbeiten, noch bei Attac willkommen ist.
Sollte er am Dienstag seine öffentliche Autorität in die Waagschale werfen und einen Kompromiss in der von mir angedeuteten Richtung vorschlagen, würde er echten Mut beweisen, weil er die "Augenhöhe" bis in den Spruch hinein durchhalten würde, anstatt sich am Ende wieder der CDU-"Realität" zu unterwerfen. Dann wäre er für mich erst der, als den er sich seit Jahren ausgibt.
Damit für heute: Gute Nacht!
@ seriousguy47
Diesen Blogeintrag von ihnen möchte ich ausdrücklich loben, auch wenn wir was das Projekt betrifft unterschiedlicher Meinung sind. Sie sind hier um Sachlichkeit bemüht, und zeigen durchaus interesante Aspekte und Gedankengänge auf.
bedenkenswerter beitrag heute auf den nachdenkseiten: "protest gegen stuttgart 21 ist schon halb verschaukelt": www.nachdenkseiten.de/?p=7563
Sie deuten es schon an, seriousguy47: Sollte anstelle des von Ihnen skizzierten Kompromisses eine Nachbesserung von S21 verfolgt werden, stünde mit großer Wahrscheinlichkeit am Ende ein perverser Kompromiss: K20 (saniert) plus unfertige NBS plus S21 als Soda-Bahnhof.
Insgesamt ist es erschreckend, welche Schwächen die K21-Befürworter „dem besten Bahnhof der Welt“ nachweisen konnten. Darüber müssten selbst die glühendsten S21-Fans sehr froh sein. Wird jetzt das Allgemeinwohl einen Außenseitersieg über den Planfeststellungsbeschluss erringen? Mit Heiner Geißlers Alter verbinde ich in erster Linie die Hoffnung, dass es ihm Unabhängigkeit verleiht.
Hallo ISIHAC,
Unabhängigkeit ist nicht zuletzt das, was man sich selbst davon zugesteht. Und wenn ich als eindeutig "Parteiischer" in der Lage bin, mal eben so eine mögliche Kompromiss-Skizze aus dem Ärmel zu schütteln, dann müsste es einem "unparteiischen" Heiner Geißler und seinem Mitarbeiterstab umso leichter fallen. Treffen allerdings die Vorabmeldungen der Medien seit Donnerstag zu, dann versucht er das noch nicht einmal, sondern versucht lediglich, den Widerstand zu "kaufen".
Was im Übrigen meinen Vorschlag betrifft, so ist dies nicht das, was ich mir wünsche, sondern das, was mir einfällt, wenn ich mich in die Rolle eines Schlichters versetze. Und ich bin auch überzeugt, dass man daraus, würde man es mit gutem Willen und gemeinsam durchchecken, eine sehr gute und sehr kostengünstige Lösung entwickeln könnte.
Aber ich bin halt auch nicht in der CDU, sondern parteiungebunden.
Hallo jayne,
falls Sie unter zu niedrigem Blutdruck leiden sollten, kann ich Ihnen auch was empfehlen: den wohl dümmsten Artikel des Jahres - oder soll ich sagen Jahrhunderts? Wg. Jahrhundertbauwerk?
www.welt.de/debatte/kommentare/article11269772/Zukunftsfaehigkeit-Deutschlands-steht-auf-dem-Spiel.html
Haha danke für den Link ich hätte es nicht besser schreiben können! Gegen alles und jedes sein, alles besser wissen und selbst das kleinste Detail noch anzweifeln- das sind die Gegner! Pro Stuttgart 21!
Haha danke für den Link ich hätte es nicht besser schreiben können! Gegen alles und jedes sein, alles besser wissen und selbst das kleinste Detail noch anzweifeln- das sind die Gegner! Pro Stuttgart 21!
Noch ein Update zum Grundsätzlichen (Herbert Marcuse über repressive Toleranz):
www.marcuse.org/herbert/pubs/60spubs/65reprtoleranzdt.htm
@ mandelbrot
Extra für Sie noch ein kleines revolutionäres Schnäppchen von Herbert Marcuse:
„UNDER the conditions prevailing in this country, tolerance does not, and cannot, fulfill the civilizing function attributed to it by the liberal protagonists of democracy, namely, protection of dissent. The progressive historical force of tolerance lies in its extension to those modes and forms of dissent which are not committed to the status quo of society, and not confined to the institutional framework of the established society. Consequently, the idea of tolerance implies the necessity, for the dissenting group or individuals, to become illegitimate if and when the established legitimacy prevents and counteracts the development of dissent. This would be the case not only in a totalitarian society, under a dictatorship, in one-party states, but also in a democracy (representative, parliamentary, or 'direct') where the majority does not result from the development of independent thought and opinion but rather from the monopolistic or oligopolistic administration of public opinion, without terror and (normally) without censorship.“
www.marcuse.org/herbert/pubs/60spubs/65repressivetolerance.htm
Wovon der aufklärerische Aspekt durch den Stuttgarter Widerstand bis zu dem Punkt bewiesen wurde, wo die Schlichtung ein Mehr an Öffentlichkeit herstellte. Und wovon Geißlers Schlichterspruch, nach Medienerwartung - den repressiven Teil belegen wird.
Lieber seriousguy47, leider gibt es berechtigte Zweifel, inwieweit die DB Interesse an einer kostengünstigen Lösung hat. Wie sagte Herr Grube bereits: „Wenn alle anderen Projektträger kommen und sagen, sie wollen’s nicht machen, ja dann kann ich nicht allein losziehen und sagen ich mach’s trotzdem. Aber dann habe ich ’ne Rechnung und die muss bezahlt werden.“ Daneben ist für die DB AG die Neubaustrecke wahrscheinlich ohnehin das lukrativere Projekt (minimaler Eigenanteil und Mehrkostenrisiko beim Bund). Hier wird der Bund einen hohen Preis zahlen müssen, was angesichts des Boykotts der Schlichtung seitens des Bundesverkehrsministeriums konsequent, in Anbetracht vieler Engpässe im Schienennetz dennoch schädlich wäre. Aber der Prozess hieß ja auch „Schlichtung“ und nicht „Optimierung“...
Heiner Geißler bewies ein hohes Mass an "innerer Unabhängigkeit" bei seinem Auftreten, blieb m.E. aber immer auch der staatsnahe CDU-Politiker, der er nun mal eben auch ist.
Insoweit gehe ich nicht davon aus, dass sein Schlichterspruch auf Ablehnung von S 21 hinausläuft. Maximal wäre schon, wenn er es fertig bringen würde, die Vorteile von K 21 rundum anzuerkennen.
Das wiederum würde aber bedeuten, dass er sich gegen die "Spätzleconnection" Pro S 21 stellen müsste. Das aber wird er nicht machen wollen/können.
Man darf auf morgen gespannt sein.
@seriousguy47,
für den Artikel ein Lob. Da ich schon vor Beginn die ganze Schlichtung als Einlullungsversuch seitens der S21-Befürworter gesehen habe und Geißler (seinem Alter und Herkunft entsprechend) überfordert bleibt Morgen dem aufgeklärten Bürger nur ein Augenreiben, der Mehrheit der CDU-Wähler das ohnehin einprogrammierte Abnicken der "Obrigkeits"beschlüsse. Von wegen gelebte Demokratie, diese stünde am Anfang der Gedankengänge zu solchen Projekten gut zu Gesicht. Aber wir leben in einer Verwaltungsdiktatur engumschlungen von Wirtschaftsinteressen in der Politiker wie bekannt nur Marionetten für das Volk zum Austauschen sind beim "Demokratiemenschärgeredichnichtspiel" sind.