S21: Huhu, haha, die Demokratie ist da! (1)

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Ein Gespenst geht um in Baden-Württemberg. Sein Name ist Demokratie. Und Erwin Teufel, längst abgehalfterter Ministerpräsident des Landes kann das alles gar nicht mehr verstehen:

Die Ratlosigkeit ist ihm ins Gesicht geschrieben, etwas ist ins Wanken gekommen, was längst geregelt schien. "Das war unumstritten, und dann explodiert alles", sagt er und klingt hilflos. "Man muss doch zumindest den Politikern vertrauen, die man lange Jahre kennt." (1)

Fast 60 Jahre lang lief doch alles wie geschmiert, hat die CDU bei Bedarf gelogen, betrogen, gefilzt und die Verfassung gebrochen. Die Bürger wussten, woran sie waren und was sie erwartete. Wie konnte es nur zu dieser verdammten Panne bei der Landtagswahl kommen, zu diesem völlig unerklärlichen Vertrauensentzug?

Ratlos steht Erwin Teufel auf dem Tuttlinger Bahnhof, „der wahrlich eine Aufwertung gebrauchen könnte“ und gibt die „Lokomotive, seine Zugkraft hat er nie verloren.... Er zieht die Blicke an, wird bejubelt, voller Ehrfurcht.“ Zumindest von den 200 Bürgern, die der Autor ausgemacht hat: Sie

verlieren sich auf dem großen Bahnhofsvorplatz. Weniger Publikum und mehr Politprominenz geht kaum. Alle sind sie da, um für S 21 zu werben: Grube, der Landtagspräsident Guido Wolf, der Sozialdemokrat Schmiedel, Volker Kauder, Lokalmatador und Chef der CDU/CSU-Bundestagsfraktion......Stuttgarts Oberbürgermeister Wolfgang Schuster, der CDU-Fraktionsvorsitzende Peter Hauk, sein SPD-Kollege Claus Schmiedel und all die anderen“..[Sie] spielen [aber]nur Nebenrollen.... Grube ist der Stargast “ (1)

Grube – demokratisch betrachtet – also allein zu Haus. Bei den Teufels in Tuttlingen. Macht aber nix, denn um den Bürger geht es auch gar nicht bei dieser S21-Werbetour in der von Bürgern gründlich gesäuberten Bürgerbahn. Allenfalls um die, die böse Zungen die Dummen nennen. Die nur Bahnhof verstehen und ihre Stimme bei der Volksabstimmung nur dafür abgeben wollen, um endlich Ruhe zu haben.

Werden Sie aber nicht kriegen, wenn Sie Nein stimmen, wie ihnen Grube plus Entourage weismachen wollen. Den Ärger wird man nämlich nur mit Ja los. Einem Ja zu den besseren Argumenten und dem besseren Bahnhof nämlich. Sonst geht genau das weiter, worüber sich eine Minderheit ärgert. Und es ist schon erstaunlich, wie durchsichtig, inkonsistent und dümmlich da an etwas tiefer liegende Instinkte appelliert wird, z.B. auf Wahlplakaten oder beim CDU-Kreisverband Freudenstadt:

Mal ehrlich: Können Sie die endlosen Debatten noch hören? Haben Sie noch Lust jeden Montag im Stau zu stehen, wenn wieder einmal gegen einen neuen Bahnhof demonstriert wird? Wollen Sie jeden Tag in den Nachrichten neue Scheindebatten zu Stuttgart 21 hören? Wir nicht. Jetzt ist die Chance, einen Schlusspunkt zu setzen.“

Abgesehen davon, dass die Montagsdemos in Stuttgart stattfinden und nicht in Freudenstadt, und abgesehen davon dass die Scheindebatten seit 15 Jahren von den Befürwortern geführt werden, ist das – aus Sicht z.B. der Autofahrer - gar nicht mal so falsch.Nur, wie passt dazu dann die Schlussfolgerung bzw. - empflehlung:

Wenn sich beim Volksentscheid keine Mehrheit für Stuttgart 21 findet und das Land nach dem Volksentscheid vertragsbrüchig werden, geht der Ärger weiter. Denn dann wird in den nächsten 20 Jahre weiter debattiert und diskutiert, weiter geplant und verworfen. Es werden gigantische Geldmengen verbrannt – und es passiert nichts.

Nur ein klares Nein am 27. November bedeutet: Schluss mit dem Ärger und endlich fertig bauen.“ (2)

Umgekehrt wird in Wahrheit ein Schuh draus.Denn Fakt ist doch dies: es wird beim Weiterbau erst so richtig Stau und Stress geben. Und zwar durch Baufahrzeuge. Täglich. Ganztägig. Auf Jahre hinaus. Und mit hoher Wahrscheinlichkeit auch weitere Montagsdemos für die bessere Alternative und gegen die Zerstörung des Herzens der Stadt. Der Einzelhandel und der Berufsverkehr werden den Notstand erleben. Da wird man sich nach den ein- bis zweistündigen Montagsdemos zurücksehnen.

Und gigantische Geldmengen werden doch wohl beim Weiterbau verbrannt, auch wenn das bis zur Abstimmung weiter eifrig weggelogen werden wird.....SPD-Justizminister Stickelberger jedenfalls kann sich durchaus vorstellen, dass am Ende de facto nichts auch nichts kostet:

Zu den im Raum stehenden Forderungen der Bahn für den Fall eines Scheiterns des Projektes erklärte Stickelberger, dass er keine Schadensersatzpflicht für das Land sehe, wenn dieses bei einem entsprechenden Volksentscheid aus "berechtigtem Grunde" die Verträge kündige. Es sei durchaus möglich, mutmaßte der Minister, dass ein eventueller Schadenersatz sogar gegen Null gehe. Schließlich habe die Bahn auch erhebliche Summen von der Stadt Stuttgart erhalten.“ (3)

Nun müsste man meinen, es muss doch auch Argumente für S21 geben. Die aber meiden die Befürworter wie der Teufel das Weihwasser. Aus „guten“ Gründen, wie man nicht nur dem Stickelberger-Zitat entnehmen kann. Das sah selbst der frühere evangelische Prälat Martin Klumpp in seiner Rede auf der 99. Montagsdemo am 14.11.2011 in Stuttgart so.Warum bloß? Weil sich im Laufe der Zeit so ziemlich alles als Lug und Trug herausgestellt hat, wie Klumpp ebenfalls konstatierte? (4) Zuletzt und ganz aktuell das angebliche Bestehen des angeblichen Stresstests. Laut Hannes Rockenbauch, ebenfalls auf der gestrigen Montagsdemo, hat nämlich sogar die Nahverkehrsgesellschaft Baden-Württemberg jetzt quasi amtlich bestätigt, dass der derzeitige Kopfbahnhof heute schon 50 Züge pro Stunde schafft, also mehr als S21 (49). 56 Züge seien ebenfalls möglich, wenn kleine, machbare Zusatzmaßnahmen durchgeführt würden.

Und mit dem Stichwort Lug und Trug sind wir dann auch wieder bei Grube & Co und dem „Bürgerbahn-Tag“:

Parallel zu Stuttgart21, das bis 2020 für maximal 4,5 Milliarden Euro gebaut sein soll, werde die eingleisige Gäubahn auf drei Abschnitten zweigleisig. Dazu müsste der Bund allerdings bis 2020 genügend Geld zur Verfügung stellen, und die Bahn müsste zügig planen. Zwischen Horb und Neckarhausen tut sie es jetzt - mit Hilfe des Landes, das 800 000 Euro Planungskosten vorfinanziert. "Ich engagiere mich für Gäubahn, Südbahn und Rheintalbahn genauso wie für Stuttgart21", versprach der Bahn-Chef den Landräten, Geld aus Berlin zu sichern.“ (5)

Da muss man schon genau zuhören bzw. lesen, um zu merken, dass da nichts, aber auch gar nichts zugesagt,aber ziemlich viel untergejubelt wird. So etwas offenbart, für wie dumm die Bahn die Politiker hält. Und die liefern prompt den Beweis dafür, dass die Bahn mit ihrer Einschätzung richtig liegt. Denn es werden offenbar keine Nachfragen gestellt oder Einwände erhoben. Wüsste man nicht längst, wie die „demokratisch legitimierten“ und „juristisch bestätigten“ Entscheidungsprozesse abliefen, man könnte es jetzt ahnen – und sich peinlich berührt fühlen ob solch dümmlicher Repräsentanten, die auf solchem Niveau Milliardenentscheidungen treffen. Die natürlich nicht sie am Ende bezahlen, sondern wir.

Das „Argumentations“-Niveau muss schon abgrundtief sinken, bevor dann doch nachgehakt wird:

Von Böblingen aus, so Grube, könne man mit S 21 den Hautbahnhof in elf Minuten erreichen. Damit aber war Grube zu flott unterwegs. Böblingens Landrat Roland Bernhard korrigierte. "In elf Minuten zum Flughafen, in weiteren sechs geht es zum Hauptbahnhof." In den 17 Minuten ist die Haltezeit am Airport aber nicht berücksichtigt. Bernhard räumte auf Nachfrage ein, dass es auf der Gäubahn in diesem Bereich durch S21 keine Beschleunigung geben wird. Das Ergebnis sei "Plusminus null. Aber es gibt keinen Nachteil", so der Landrat.“ (5)

Soviel zur Solidität des gefühlten Gebrauchtwagenhändlers Grube, dem wir unsere Milliarden anvertrauen sollen. Aber das erfahren nur die Leser der Stuttgarter Nachrichten – die dafür wiederum anderes nicht erfahren, das nur in der StZ steht….und im Wahlkampf wird natürlich unverdrossen pauschal mit den schnelleren Fahrtzeiten, den niedrigeren Kosten und der höheren Kapazität geworben....

(1) www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.volksabstimmung-herr-grube-nimmt-den-stuttgart-21-sonderzug.5ab96c5e-8473-46a3-89e6-4066e14838ae.html

(2) www.cdu-fds.de/index.php?ka=13&;ska=70.

(3) www.badische-zeitung.de/efringen-kirchen/fruehschoppen-zu-landespolitik--51339543.html

(4) www.fluegel.tv/beitrag/2887

(5) www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.stuttgart-21-grube:-abstimmung-setzt-schlusspunkt.32821ec0-13d2-4b19-ade5-364768aa72ee.html

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

seriousguy47

Anglophiler Pensionär und Flüchtlingsbetreuer aus Stuttgart.

Wehrdienst, Studium ( Anglistik, Amerikanistik, Empirische Kulturwissenschaft, Sozialpädagogik) , Praktikum ( Primärtherapie), Lehramt, Flüchtlingsbetreuung

seriousguy47

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden