S21: Nachbereitung Schlichtung 3

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"Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen / Den Vorhang zu und alle Fragen offen."

Bertholt Brecht: Der gute Mensch von Sezuan ( www.geo.de/GEOlino/kreativ/60784.html?p=3 )

Der dritte Schlichtungstag war kein guter Tag für den Bürgerprotest. Das ist aber insofern ohne Bedeutung, als es unserem Protest in der Sache um Bahnhof und Schlossgarten geht – und darüber hinaus um Demokratie und Mitbestimmung -, nicht um die Neubaustrecke Wendlingen-Ulm. Vielmehr ist ja genau die zwanghafte Verknüpfung dieser Strecke mit S21 durch die Befürworter ein zentraler Kritikpunkt, weil zwar der Maulwurfsbahnhof die Strecke, die Strecke aber nicht den Maulwurfsbahnhof benötigt.

Die Neubaustrecke ist dagegen eher ein Thema für die ganze Republik. Denn neben der Schweiz, die – trotz geltender Verträge - auf ihre Zubringerstrecke für den Gotthardtunnel warten muss, wird die gesamte Republik für das Stuttgarter Prestigeprojekt bezahlen und unter der Geldverschwendung leiden.

Und der heutige Tag ist auch eine Chance, wenn die Kritiker, für die es bislang offenbar zu gut gelaufen ist, nun aufwachen und sich für die kommenden Termine weitaus besser präparieren. Wenn!

Drei Gründe fallen mir auf Anhieb dafür ein, weshalb es heute nicht so gut gelaufen ist.

1. Die Neubaustrecke steht nicht im Fokus der hiesigen Kritiker. Darunter litten wohl Konzentration und Vorbereitung.

2. Die Art und Weise, wie die Kritiker ihre Argumente vortrugen war nicht dazu geeignet, ein Laienpublikum zu überzeugen. Die Vorträge waren rhetorisch unzureichend und schlecht strukturiert. Das Fehlen von Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer machte sich schmerzlich bemerkbar.

3. Es wird ständig parallel auf zwei unterschiedlichen Ebenen argumentiert. Die Kritiker argumentieren einerseits auf der Basis einer grundsätzlichen Gesamtstrategie, in die sie Stuttgart und die NBS eingebettet sehen wollen. Andererseits kritisieren sie auch Einzelpunkte, die von den Befürwortern vorgetragen werde.

Die Befürworter vermeiden in der Diskussion die Einbettung in ein Gesamtkonzept und beschränken sich auf einen jeweils möglichst engen Ausschnitt, heute: Wendlingen-Ulm und Personen-Schnell-Verkehr, soweit planfestgestellt.

Dadurch entsteht für den Beobachter Verwirrung statt Struktur und dies umso mehr, je häufiger zwischen den Details hin und her gesprungen wird. Daraus ergibt sich dann auch die Gefahr, dass zentrale Punkte untergehen.

1. Ein Hammer war zum Beispiel die Auskunft von Herrn Kefer (DB), dass die europäische Magistrale Paris-Bratislava, die von den Befürwortern bis hin zur Kanzlerin gebetsmühlenartig beschworen wird, um die „Alternativlosigkeit“ zu behaupten,"völlig irrelevant" für Stuttgart 21 sei. Kein Mensch würde diese Strecke insgesamt nutzen. Die Magistralen seien lediglich ein europäisches Projekt, dass der Durchsetzung einheitlicher Zugleitsysteme (ETCS) in den beteiligten Ländern dienen solle. (Aber offenbar halten sich bereits jetzt einige nicht daran.) Bei S21 plus gehe es lediglich um die Verkürzung der Reisezeit zwischen Mannheim-Ulm oder Stuttgart und Ulm/ München.

Interessant hierbei: dies wurde erst in dem Moment eingeräumt, als Herr Rössler erhebliche Problemstellen im gesamten Verlauf der Magistrale aufgezeigt hatte, die den Anspruch einer Hochgeschwindigkeitsmagistrale vollkommen lächerlich erscheinen ließen. Auch hier wieder das bereits bekannte Muster der Befürworter: wird eine Sachwachstelle offengelegt, heißt es plötzlich „April, April“, war alles nicht so gemeint. Oder: reichen wir noch nach. Oder man versucht, das Thema abzublocken. Oder man verweist auf einen späteren Termin. Oder man geht einfach nicht darauf ein. Oder.....

2. In den Wirtschaftlichkeitsberechnungen der Bahn wurde bei der Neubaustrecke offenbar von einem Mischverkehr mit sogenannten leichten Güterzügen ausgegangen, die es auf absehbare Zeit aber gar nicht gibt. Damit wäre eigentlich die so ermittelte Wirtschaftlichkeit hinfällig – und damit auch die Finanzierungsfähigkeit durch den Bund.

3. Problematisch scheint auch die Mitfinanzierung durch das Land zu sein. Hier wurde von Herrn Kretschmann die Frage der Verfassungsmäßigkeit aufgeworfen und durch Frau Gönner erwartungsgemäß abgeschmettert.

4. Sichtbar wurde aber auch eine neue Strategie der Befürworter, nämlich der (perfide?) Versuch, von den Kritikern ein Alternativkonzept einzufordern. Erstens gibt es für die Neubaustrecke kein Alternativkonzept von den Kritikern, da es den Projektgegnern derzeit um eine andere Gesamtrategie geht, nicht um eine konkret geplante Strecke. Diese andere Strategie sieht vor, die 2,9 Milliarden Euro sinnvoller in die Fläche zu investieren und solche Projekte , die wesentlich mehr Nutzen versprechen bzw. deutlich billiger zu realisieren sind, zum Beispiel eine Streckenertüchtigung zwischen Ulm und Augsburg statt durch und über die Alb.

Zweitens geht es beim Bürgerprotest insgesamt zentral um den Bahnhof. Dem sollte sich die Schlichtung eigentlich auch widmen. Die Neubaustrecke ist nur insofern relevant, als ohne sie der neue Bahnhof nicht funktionieren kann. Wohl aber die Neubaustrecke ohne den neuen Bahnhof. In Hinblick auf die Neubaustrecke liegen die Positionen der Kritiker aber teilweise auseinander, weshalb es ein gemeinsames Gegenkonzept auch gar nicht geben kann.

Schließlich aber wäre dies eine Debatte gewesen, die an den Anfang des Prozesses gehört hätte. Nachdem aber das Konzept von Bahn und Land bereits teilweise planfestgestellt ist, kann es ein ähnlich detailliert ausgearbeitetes Gegenkonzept gar nicht geben. Von den dafür erforderlichen finanziellen Ressourcen ganz zu schweigen.

An diesem Punkt habe ich auch ganz heftige Kritik an Heiner Geißler, der das offenbar gar nicht kapiert und die Diskussion daher auch nicht entsprechend organisiert. Der „alte Fuchs“ ist offenbar voll auf die Verwirrungsstrategie der Befürworter hereingefallen. Auch den Trick von Herrn Bitzer, einen Alternativvorschlag zu phantasieren, um ihn dann unter Mobilisierung der Ängste von Anwohnern zu zerpflücken, hat Geißler nur ansatzweise durchschaut.

Dabei hat gerade Bitzer mit seinem Vorgehen sehr erhellend offenbart, dass die Befürworter offenbar nicht nur kein offenes „Brainstorming“ zu Beginn ihrer Planungen vorgenommen haben, sondern noch nicht einmal wissen, was das ist. Sonst hätten sie erkennen müssen, dass Rössler genau das getan hat: alle denkbaren Optionen zu sammeln, bevor man in die eigentliche Planung geht. Und in diesem Zusammenhang erscheint auch die Einlassung von Prof. Heimerl sehr fragwürdige, man habe alle Alternativen geprüft und nur die günstigste weiter verfolgt. Vor allem, wenn man bedenkt, dass die unterirdische Stuttgarter Lösung für ihn sozusagen ein Lebensthema ist.

5. Prof. Bodack brachte einen weiteren, ganz entscheidenden Einwand gegen die Neubaustrecke vor: die zu erwartenden hohen Trassen- und Stationsgebühren, an denen die Ausweitung des Bahnverkehrs auf der Neubaustrecke – also auch der von der Bahn versprochene Halbstunden-Takt für den Betrieb auf der Neubaustrecke Wendlingen-Ulm - scheitern könnte.

Ministerin Gönner zeigte daraufhin entweder ziemliche Unbedarftheit oder Raffiniertheit, als sie davon sprach, die Leistungen würden doch unter den Mitbewerbern ausgeschrieben, und da fände sich sicher ein preiswerter Dienstleister. Es stehen aber keine alternativen Schnellbaustrecken zwischen Wendlingen und Ulm zur Verfügung, deren Betreiber sich gegenseitig unterbieten könnten. Die Zugbetreiber aber können die Streckenkosten nicht senken. Sie haben sie schlicht zu bezahlen. Allenfalls das, was darüber hinaus an Betriebskosten anfällt bietet Spielraum. Das aber spricht nicht gegen die Richtigkeit von Bodacks Aussage. Außerdem wäre dabei zu beachten, dass das Schienennetz einem Tochterunternehmen der Bahn, der DB Netz gehört.....

Blieben noch die Fakten der DB zum Checken: Hat es heute endlich welche gegeben? Oder wieder nur als Fakten verkleidete PR?

Und so schätzt Winfried Kretschmann die heutige Schlichtung ein:

www.youtube.com/watch?v=MYNKIF62Xr0&feature=player_embedded#at=45

Für diese Darstellung habe ich mich bei Blogger dk1893 ( stuttgart21.blog.de/2010/11/04/dritte-schlichtungsrunde-total-verzettelt-9915109/

) und Bloggerin jayne ( www.freitag.de/community/blogs/jayne/schnellbahnstreckenzauber---3-schlichtungsrunde-in-stuttgart

) bedient. Ich danke.

Aber nicht nur in der Schlichtung greifen die Befürworter mit vollem Rohr an, es scheint jetzt auch eine Stammtischkampagne gegen den Protest anzulaufen. So wird jetzt, nach dem Versuch, Walter Sittler zu diskreditieren, offenbar auch versucht, Boris Palmer abzuschießen. Außerdem scheint man sich auf die im Schlossgarten ausharrenden Parkschützer einzuschießen, um dort möglichst schnell freie Bahn zu bekommen. Dazu folgende Links:

www.swp.de/ulm/nachrichten/suedwestumschau/art4319,695226

www.spiegel.de/media/0,4906,24694,00.pdf

www.stuttgarter-zeitung.de/stz/page/2694648_0_1414_-heftige-kritik-am-ob-aus-der-eigenen-stadt.html

www.bild.de/BILD/regional/stuttgart/aktuell/2010/10/30/stuttgart-21/s21-schlossgarten-wird-muellhalde-cdu-politiker-entsetzt.html

Und Stefan Mappus wedelt mit dem grünen Feigenblatt – bzw. verweist auf die Phantasie-Taube auf dem Dach:

www.suedkurier.de/region/kreis-konstanz/radolfzell/-bdquo-Stuttgart-21-ist-das-groesste-Oeko-Projekt-des-Landes-ldquo-;art372455,4560968

Zusätzliche Informationen gibt es z.B. hier:

Live-Ticker des Stern:

www.stern.de/politik/deutschland/-live-tickerstuttgart-21-schlichtung-der-dritte-tag-ist-beendet-1620500.html

Stichwortprotokoll der Parkschützer (bislang nur bis zur Mittagspause):

www.bei-abriss-aufstand.de/2010/11/04/protokoll-der-3-faktenschlichung/

Die Videos von Phoenix:

www.youtube.com/phoenix

Materialien bei Phoenix:

www.phoenix.de/content//334795

Zum Beispiel die Vorträge von der Schlichtung am Donnerstag, den 04.11.10

*
Die Original-Präsentation von Klaus Arnoldi

Auch die Vorträge von der Schlichtung am Freitag, den 29.10.10

PRO

CONTRA

http://www.phoenix.de/l.gifUnd schließlich noch Vorträge von der Schlichtung am Freitag, den 22.10.10

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

seriousguy47

Anglophiler Pensionär und Flüchtlingsbetreuer aus Stuttgart.

Wehrdienst, Studium ( Anglistik, Amerikanistik, Empirische Kulturwissenschaft, Sozialpädagogik) , Praktikum ( Primärtherapie), Lehramt, Flüchtlingsbetreuung

seriousguy47

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