Sozial-"Wissenschaft" nach Prof. Salzborn

Augstein-Debatte Der Politikwissenschaftler Prof.Dr. Samuel Salzborn schafft es, in der WELT und auf Publikative.org die von ihm gelehrte Wissenschaft zu desavouieren.

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Prof.Dr. Samuel Salzborn, Politikwissenschaftler an der Universität Göttingen, mit Studium auch in Soziologie, Psychologie und Rechtswissenschaft schafft es, durch unwissenschaftliches und ideologisiertes Zitieren in der WELT und auf Publikative.org zwar nicht Augstein, aber alle von ihm studierten und gelehrten Wissenschaften zu desavouieren.

Es sieht gerade ganz so aus, als ob der Springer Konzern mit Jakob Augstein das versucht, was ihm bei Joschka Fischer misslungen ist. Mein Eindruck ist jedenfalls, dass, seit die veröffentlichte Meinung sich mehrheitlich hinter Augstein gestellt hat, die WELT in Sachen Augstein von der kritischen Berichterstattung zu einer Kampagne übergegangen ist und diese verschärft.

Dass Deniz Yücel in der taz fleißig mitzieht („ Mit fettarschiger Selbstzufriedenheit“), muss man nicht zwingend als „linken“ Konkurrenzkampf sehen, denn der Mann könnte als missratener Broder-Klon durchgehen. Aber es ist eine weitere unappetitliche Note.

Zurück zur WELT, die sich jetzt mit der wissenschaftlichen Autorität eines veritablen Herrn Professors bewaffnet hat, um endlich einen finalen Schuss landen zu können. Der erweist sich spätestens dann als Rohrkrepierer, wenn man diesen Satz Salzborns bei Publikative.org liest:

Mit Blick auf das Jahr 2012 ist ohne Frage ein Radikalisierungsprozess zu attestieren, der sowohl quantitativ, wie qualitativ erfolgt ist: nimmt man mit der Beschneidungsdebatte und der Diskussion um das „Gedicht“ von Günter Grass nur die beiden prominentesten Fälle, dann ist die Intensität im Sinne einer Verdichtung im Vergleich zu den Jahren davor extrem hoch; zugleich spricht es aus dem Jargon der Barbarei immer offener und in medialen Debatten wird die Feststellung, dass jemand sich antisemitisch äußert, mit dem Hinweis auf einen angeblichen Antisemitismusvorwurf verniedlicht, zugleich wird allenthalben und von fast allen Medien – zahlreiche Publikationen aus dem Springer-Verlag sind davon löblich auszunehmen Antisemitismus faktisch hofiert, da er nicht als grundsätzlich im Widerspruch zu den verfassungsrechtlichen Grundwerten gekennzeichnet wird, sondern zu einer Meinung, die neben anderen tolerierbar sei, verkommt.“ [Hervorhebungen von mir.]

Kein Wort also davon, dass die Beschneidungsdebatte durch ein Kölner Urteil ausgelöst wurde, das in der kindlichen Zwangsbeschneidung eine Grundrechtsverletzung sah.Stattdessen soll diese Debatte ein Beleg für eine Radikalisierung und Zunahme eines von Salzborn hier erst einmal nur behaupteten deutschen Antisemitismus sein, dem dann allerdings zu Recht attestiert wird, er verstoße – sofern es tatsächlich Antisemitismus ist - gegen das Grundrecht auf Meinungsfreiheit. Dann wird die Beschneidungsdebatte mit dem „Grass-Gedicht“ zusammengerührt, das weder damit, noch mit dem „Judentum“ etwas zu tun hat, sondern sich gegen israelische Politik richtet. Und schließlich wird ausgerechnet der Medienkonzern als „rühmliche Ausnahme“ proklamiert, der wie kein anderer durch BILD-Hetze reich geworden ist. Die „Diagnose“ „Die eigene, nicht aufgearbeitete NS-Vergangenheit wird nun ... auf die Juden projiziert“wird aber noch nicht einmal als kritische Frage an diesen Konzern oder seinen Begründer gerichtet, sondern als Problem der Jakob Augstein & Co dekretiert.

Wer da aus der WELT-Konkurrenz warum dazu gehört, also mit getroffen werden soll, wurde bereits vorher enthüllt:

Was ist los in einem Land, in dem antisemitische Ressentiments nicht nur in Nazi-Postillen gedruckt werden, sondern bei meinungsführenden Medien wie der Süddeutschen Zeitung (Günter Grass) oder dem Spiegel (Jakob Augstein) als intellektuelle Debattenbeiträge wohlfeil geboten werden? Es ist noch gar nicht lange her, da folgten auf antisemitische Ausfälle auch reihenweise Contra-Stimmen aus Politik, Gesellschaft und Wissenschaft. Aber, so haben Werner Bergmann und Wilhelm Heitmeyer vor wenigen Jahren konstatiert, the boundaries are shifting – die Grenzen des sagbaren in Sachen Antisemitismus haben sich verschoben. Etwas schärfer im Ton, aber sachlich genauso treffend schrieb Salomon Korn, dass die „Schonzeit“ für Juden in Deutschland vorbei sei. Seit den öffentlich nur mangelhaft sanktionierten antisemitischen Äußerungen von Walser 1 (Paulskirchen-Rede) und Walser 2 („Tod eines Kritikers“), Möllemann und Hohmann fühlen sich die Antisemiten in Deutschland immer mehr bemüßigt, ihre Ressentiments öffentlich zu kommunizieren.“[Hervorhebungen von mir.]

Hier werden Augstein, die SZ und der SPIEGEL – interessanterweise nicht die FAZ oder der deutsche Journalistenverband – behutsam desensibilisierend über Walser (Die Gene?) und Möllemann in Richtung Hohmann geschoben, um von da aus dann die gedankliche Verbindung von Wort zu Tat herbeizuzwingen:

Es ist kein Zufall, dass es in den letzten Jahren einen Zuwachs an antisemitischen Straftaten gibt, der Weg vom antisemitischen Denken der Gewalt zur Gewalt gegen Sachen und Menschen ist ein kurzer – noch zumal, wenn man sich nicht mehr in der Minderheit wähnt.“

Wetten, dass da der normale Leser einfach darüber hinweg liest? Vielleicht nicht zustimmt, aber es doch nicht überprüft – also zumindest auf brüchiger Basis ablehnt? Wetten, dass selbst der normale Leser dieses Beitrags – sofern ihn überhaupt jemand liest, da scheint es ja einen Boykott zu geben (?) - die bereits mitgelieferten Links trotzdem nicht anklickt?

Und wer fragt schon, wer solche Attacken gegen jüdische Mitbürger denn eigentlich verübt? Und wer fragt schon, ob diese Täter mit den erwähnten Personen/ Medien überhaupt etwas zu tun haben, also von ihnen überhaupt beeinflusst werden konnten?

All das zu überprüfen und zu klären wäre eigentlich die vornehmste Aufgabe von Wissenschaft. Also auch von Herrn Salzborn. Der aber fabuliert und ideologisiert, stärkt dabei die WELT in ihrem Überlebenskampf gegen die Konkurrenten und wettert schließlich auch noch gegen die eigene wissenschaftliche Konkurrenz – natürlich nicht, weil die Augstein verteidigt hat:

...Zentrum für Antisemitismusforschung in Berlin, kurioserweise überhaupt die einzige universitäre Forschungseinrichtung zum Thema im Land der Täter, widmet sich in jüngster Zeit nicht mehr vordringlich der Analyse des aktuellen Antisemitismus, sondern stärker dem Phantasma einer angeblichen Islamophobie; übersehend, dass die Begriffsgenese gerade auf eine Nivellierung von muslimischem Antisemitismus hinausläuft und dass es zwar ohne Zweifel massiven Rassismus in Deutschland gibt, der sich aber vor allem deshalb gegen Muslime richtet, weil sie von Rassisten als Ausländer wahrgenommen werden.“

Entlarvend für das Demokratieverständnis scheint mir schließlich, was Salzborn von der „Elite“ fordert:

sie muss öffentlich klar Position beziehen und darf sich nicht gemein machen mit Antisemiten, ob sie in Blog-Einträgen anonym oder in auflagenstarken Tageszeitungen prominent hetzen – die Grenze muss klar sein, weil die Basis antisemitischer Artikulation letztlich ein autoritäres Weltbild ist, das sich auf eine pathische Projektion gründet und insofern aufklärungsresistent ist.“

Der Herr Professor, der Politikwissenschaft, Soziologie, Psychologie und Rechtswissenschaft studiert hat, wirft also – liest man alles im Zusammenhang – Grass, Augstein, der SZ, dem SPIEGEL und den Kritikern kindlicher Zwangsbeschneidung ein autoritäres Weltbild und Aufklärungsresistenz vor, fordert aber von der „Elite“ autoritäre Eingriffe in die Meinungsfreiheir bei Themen, die er für dafür geeignet hält. Und attestiert indirekt bibelwedelnden Beschneidung-Missionaren Aufgeklärtheit.

Das ist keine Wissenschaft und schon gar keine freie. Das ist bornierte, feige Intoleranz, die freies Denken nur dann tolerieren möchte, wenn es konform ist und mögliche Fehler panisch vermeidet. Wenn man so etwas heute in Deutschland unter „Grundlagen der Sozialwissenschaft“ versteht,...... oh je.....Bei solcherlei Wissenschaftsverständnis würde jedenfalls die Erde noch heute als Scheibe gelten.

Wie sich Salzborn durch selektives und kontextloses Zitieren Augsteins Texte zurecht biegt, wäre einen eigenen Beitrag wert – der in jedem Fall „wissenschaftlicher“ sein müsste als das, was der Herr Professor in der WELT feilbietet.

Ergänzendes Update:
Zum "3D-Antisemitismus Test", den das SWC seinem "Rating" zugrunde legt, hat crumar einen Merinungsbeitrag geschrieben.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

seriousguy47

Anglophiler Pensionär und Flüchtlingsbetreuer aus Stuttgart.

Wehrdienst, Studium ( Anglistik, Amerikanistik, Empirische Kulturwissenschaft, Sozialpädagogik) , Praktikum ( Primärtherapie), Lehramt, Flüchtlingsbetreuung

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