Streik gegen Hitler: Übersehener Widerstand

Mössingen 31.01.1933 „Rommel oder Stauffenberg“, das ist bis heute sozusagen die mediale Kernfrage zum deutschen Widerstand gegen Hitler. Weniger „feine“ Leute interessieren eher nicht.

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Vergessener Widerstand“ lautet der Titel eines Beitrags von Hermann G. Abmayr in der aktuellen Ausgabe der Kontext:Wochenzeitung, der sich mit einem lange beschwiegenen und immer noch weithin unbekannten Kapitel des Widerstandes gegen Hitler beschäftigt:

...Verehrt hat die Mehrheit der Deutschen in den 50er-Jahren vor allem eine Propagandaerfindung von Josef Goebbels, einen Held des Ersten und Zweiten Weltkriegs: Erwin Rommel.... „Rommel oder Stauffenberg? Das war ...[später]... die Frage. An die renitenten Mössinger Arbeiter war [damals wie heute] gar nicht zu denken. Auch der Handwerker Georg Elser sollte viele Jahrzehnte lang nicht geehrt werden. Der Mann, der ganz in der Nähe von Rommels Geburtsort Heidenheim aufgewachsen ist und es beinahe geschafft hätte, Hitler zu ermorden. Zwei Monate nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs und fünf Jahre vor den Attentätern des 20. Juli. Während es über Rommel und Stauffenberg zahlreiche Spielfilme gibt, hat es Elser bisher nur zu einem gebracht, die Mössinger zu keinem...Warum auch? Für ein großes deutsches Drama sind die Mössinger Rebellen ungeeignet. 80 von ihnen landeten zwar wegen Landfriedensbruch im Knast, einige sogar wegen Hochverrat, doch es gab keinen Schuss, keine Märtyrer und keinen, der wie Rommel in den Tod gezwungen wurde. ...Schon im 19. Jahrhundert beschrieb der Pfarrbericht den im Ort vorherrschenden "Geist des Spottes und der Lästerung". Zivilcourage war bei vielen von ihnen Bürgerpflicht. Ein Geist, der bei hohen Militärs wie Stauffenberg viel zu lange oder, wie bei Rommel, überhaupt fehlte.“

Mössingen, unweit von Tübingen am Rande der Schwäbischen Alb gelegen , war 1933 ein kleines Dorf von ca. 4000 Einwohnern. Davon beteiligte sich die beachtliche Anzahl von 800 ArbeiterInnen bereits am Tag 1 nach der Einsetzung von Adolf Hitler als Reichskanzler, nämlich am 31. Januar 1933 , an einem Generalstreik gegen diesen Beginn der Machtergreifung der Nazis. Sie waren die ersten, die nach der "Stunde Null" der beginnenden Naziherrschaft gegen diese aufstanden.

Männer und Frauen ...[legten gegen Mittag]... die Arbeit nieder und marschierten durch ihr Dorf. Vorneweg ein Transparent: "Heraus zum Massenstreik". "Wäre diese Aufforderung zum Generalstreik befolgt worden", heißt es 21 Jahre später in einem letztinstanzlichen Urteil des Landgerichts Stuttgart, "so wären diese Maßnahmen durchaus geeignet gewesen, das angestrebte Ziel zu erreichen", die Regierung Hitlers "lahmzulegen und zum Rücktritt zu zwingen".

Sie waren offenbar auch weitgehend die einzigen, die einem entsprechenden Aufruf der KPD folgten. Nicht zuletzt wegen dieses politischen Hintergrundes ist dieser Streik laut Stuttgarter Zeitung bis heute, 80 Jahre danach, umstritten:

In Mössingen wurde der Generalstreik über Jahrzehnte hinweg kaum erwähnt, allenfalls war verharmlosend von einem „Aufstand“ die Rede. In der Kleinstadt lebten Nazis und Nazigegner eng nebeneinander, Risse zogen sich durch Familien, um so mehr wurde das Thema vermieden....

[Erst zum] ... 50. Jahrestag brachten Tübinger Kulturwissenschaftler den Mössinger Generalstreik in Erinnerung. „Da ist nirgends nichts gewesen außer hier“ nannten sie eine in mehreren Jahren entstandene Arbeit, die im Rotbuch Verlag erschien.“

So steht diese Aktion der Mössinger Arbeiter nicht nur für die frühe Hellsichtigkeit und den frühen Mut einfacher, politisch engagierter Menschen in der Weimarer Zeit. Mössingen steht auch für die anhaltende Abwehr der Linken und das Fortdauern der Rechten nach dem Ende der Nazis. Und das Muster gilt bis heute, folgt man der StZ:

Im Gemeinderat wurde kürzlich von den Freien Wählern eine neue Studie gefordert, die den Generalstreik „historisch prüfen soll“. Laut Berner sollte den Generalstreikteilnehmern „der Heiligenschein genommen“ werden und aufgezeigt werden, dass die KPD sowieso nur die Revolution im Sinn gehabt habe. Zeitzeugen können nicht mehr befragt werden, alle Quellen wurden schon 1983 aufgearbeitet, neue Fakten gebe es nicht, mit diesem Argument stoppte OB Michael Bulander den Vorschlag.“

(Mehr dazu hier und hier.)

FC-Bloggerin Corina Wagner hat bereits 2010 auf ZO Jakob Textor den letzten Mössinger Generalstreiker gegen Adolf Hitler gewürdigt, der damals im Alter von 102 Jahren gestorben war. Ein anderer Mitkämpfer, Martin Maier, der damalige Ortsvorsitzende der Mössinger KPD, wurde von seiner Tochter in einer Gedenkrede gewürdigt, die darin auch einen Einblick in den Charakter und die Klugheit jener „ einfachen Menschen“ gibt, die „danach“ gerne abwertend als „ das Volk“ eingestuft wurden, das Hitler quasi im Alleingang an die Macht gebracht habe, und dem deshalb nicht demokratisch getraut werden dürfe:

Sein Engagement hatte er... gründlich überlegt. Nicht nur einmal hatte er sich gefragt, „ob er das schwere Joch, das er sich und seiner Familie auferlege, auch tragen könne“. Nach allem, was er gelesen und erfahren hatte, war ihm jedoch bewusst: „Hitler bedeutet Krieg.“ Das wollte er verhindern. „Ich hätte mir beim Rasieren nicht mehr in die Augen schauen können. Es war doch unsere verdammte Pflicht und Schuldigkeit, die Leute zu warnen“, habe ihr Vater immer wieder betont.“ [Hervorhebung von mir.]

Als Lohn für sein Engagement wurde Maier zu 358 Tagen Gefängnis verurteilt. Bereits zuvor war er nach zwölf Jahren als Filialleiter des Mössinger Konsum-Lebensmittelgeschäfts fristlos entlassen worden. „Trotz aller Schmach und Niederlagen, die er hinnehmen musste, habe er nicht aufgegeben: Nach der Befreiung ließ sich Maier wieder auf die Liste der KPD setzen und wurde in den Mössinger Gemeinderat gewählt, 1948 sogar in den Kreistag. Im selben Jahr wurde das Gerichtsurteil aufgehoben und Maier rehabilitiert. Nicht aus Mangel an Beweisen, sondern weil es nicht nur ein Recht, sondern ein Verdienst gewesen sei, der NS-Herrschaft zu begegnen, wie die Richter ihr Urteil begründeten.“

Als Hauptredner hatte Maier den Unterbezirksleiter der KPD im Oberamt Reutlingen und KPD-Vertreter im Reutlinger Gemeinderat , Fritz Wandel, nach Mössingen gebeten, der versucht hatte, den Streikaufruf möglichst weit in der Region zu verbreiten.

Beispielhaft aber ist Mössingen auch für das, was die Nazis mit den Menschen vernichtet haben. Die Namen, die hier zu nennen wären sind Pausa und Löwenstein. Hierzu Wikipedia:

Zunächst marschierte der noch kleine Demonstrationszug hinter einem Spruchband mit der Aufschrift „Heraus zum Massenstreik“ zur Firma Pausa, einer Buntweberei, in der gleichzeitig eine Abstimmung über die Beteiligung am Generalstreik stattfand. Beim Eintreffen der Demonstranten um 12:45 Uhr hatte sich eine der beiden Abteilungen für die Beteiligung am Streik, die andere mehrheitlich dagegen ausgesprochen. Um 13 Uhr sollte eine erneute, diesmal gemeinsame Abstimmung aller Beschäftigten erfolgen. Die verbleibende kurze Zeit nutzte Fritz Wandel für eine Rede, in der er sich eindringlich für den Generalstreik gegen die Nazis aussprach. Darauf stimmten die Arbeiter von Pausa mit 53 gegen 42 Stimmen für den Streik. Unter dem Eindruck dieses Ergebnisses gaben die Betriebseigentümer, die jüdischen Gebrüder Artur und Felix Löwenstein, der Belegschaft für den Nachmittag frei. Der größte Teil der Pausa-Mitarbeiter schloss sich darauf der Demonstration an...“

Die stramm "arische" Linie vertrat dagegen ein anderer Betriebsbesitzer, Otto Merz, der den Mössinger Bürgermeister Karl Jaggy anrief und auswärtige Polizeikräfte anforderte.

Dazu war Jaggy aber vorerst nicht bereit. Er empfahl eine abwartende Haltung und war der Meinung, dass sich die Angelegenheit von selbst erledigen würde. Merz gab sich damit nicht zufrieden und forderte darauf selbst polizeiliche Unterstützung über das Oberamt Rottenburg an. Von dort wurde eine Einheit der nächstliegenden Bereitschaftspolizei aus Reutlingen nach Mössingen abkommandiert. Zusätzlich alarmierte Merz die Leitung des dritten Mössinger Textilbetriebs, der Buntweberei Burkhardt, und informierte sie über die Vorgänge in seiner Firma.“

Nicht zuletzt deshalb, weil andernorts nichts passierte, waren starke Polizeikräfte für die Beendigung des Mössinger Streiks frei, und die Aktion wurde gegen 16 Uhr beendet.

Die jüdischen Betriebseigentümer der Firma Pausa, des ersten bestreikten Betriebes vom 31. Januar 1933, wurden im Zuge der sogenannten „Arisierung jüdischen Besitzes“ 1936 gezwungen, die traditionsreiche und renommierte Firma deutlich unter Wert zu verkaufen.[3] Wenig später emigrierten sie aufgrund der zunehmenden institutionalisiertenAusgrenzung der Juden, bevor die antisemitischen Maßnahmen des NS-Regimes während des Zweiten Weltkriegs in den heute unter dem Begriff Holocaust bekannten industriell betriebenen Völkermord mündeten.“

Bei ihrer Auswanderung nach England half den Löwensteins Adolph Lowe:

..dieser weltberühmte Wirtschaftswissenschaftler und Berliner Hochschullehrer wurde von den Nazis vertrieben. Er ging nach Manchester und setzte seine wissenschaftliche Arbeit fort. Adolph Lowe gehörte zu den Mitbegründern des Kieler Weltwirtschaftsinstitutes. Er war einer der engsten Freunde von Ernst und Karola Bloch. Ernst Bloch widmete ihm sein 1968 erschienenes wichtiges philosophisches Werk „Atheismus im Christentum“. Adolph Lowe (geb. in Stuttgart) war verheiratet mit Bea Löwenstein (geb. in Stuttgart), der Schwester von Felix und Artur Löwenstein.“

Auch „Artur und Felix Löwenstein entstammten einer großen Stuttgarter Familie. Vater Justus und Mutter Henriette Löwenstein hatten insgesamt neun Kinder. Das Elternhaus vermittelte demokratische und liberale Grundwerte. Die Familie gehörte zur jüdischen Gemeinde.

Die Eltern hatten lange Erfahrungen als Unternehmer und Besitzer einer Baumwollfabrik. Daraus ergab sich der Impuls für die jungen Männer Artur und Felix, ebenfalls auf dem Gebiet der Textilwirtschaft tätig zu sein.

Die gesamte Familie wurde von den Nazis bedrängt. Zwei Familienmitglieder wurden ins KZ gebracht. Eine Person wurde ermordet, die zweite überlebte. Viele flohen vor dem NS-Staat und wurden über die ganze Welt verstreut.“

Der Sohn des Pausa-Mitbegründers Artur Löwenstein, Harold Livingston, ehemals Helmut Löwenstein, der im Alter von 13 Jahren mit seinen Eltern, Artur und Flora Löwenstein, im Jahr 1936 von Nationalsozialisten aus Mössingen vertrieben wurde, kehrte als britischer Soldat nach Deutschland zurück. Als einer der ersten Befreier des KZs Bergen Belsen:

Die überlebenden Gefangenen waren noch im Lager, es war ein grausamer Anblick. Am Eingang des Lagers stellten Soldaten der britischen Armee ein Schild auf. Darauf stand: ,Dies ist ein Beispiel für deutsche Kultur.’“

Der Kulturbegriff der Löwensteins war ein etwas anderer gewesen:

Artur und Felix Löwenstein haben Bauhaus-Designin der Pausa der späten zwanziger Jahre gedruckt und verkauft. Doris Angel bestätigte bei ihrer Rede in der Mössinger Stadtbücherei, dass ihr Vater Felix eng mit dem Bauhaus-Ansatz verbunden war und dass die gezeigten Stoffe aus der Mössinger Löwenstein-Ära der Pausa stammen.“

(Siehe auch hier und hier .)

Auch ins Stuttgarter Kulturleben war die Familie eng verwoben, wie die Kinder Doris Angel und Harold Livingston bei einem Besuch in Mössingen u.a. berichteten. Einzelheiten hierzu und darüber, wie es den Löwensteins bei ihrer Flucht ergangen ist, können diesen Reden entnommen werden. Ich möchte aus Gründen der Textlänge mit dem Hinweis schließen, dass im ehemaligen Wohnsitz der Familie Löwenstein heute die Landeszentrale für politische Bildung untergebracht ist. Auch deshalb ist es gut, dass dafür nunmehr Grün-Rot die Verantwortung trägt.

Die Firma Pausa, mit der bereits in den 20er Jahren renommierte Künstler/innen wie Walter Gropius, Willi Baumeister, Anton Stankowski, HAP Grieshaber, Verner Panton, Leo Wollner, Adolf Felger, Walter Matysiak, Dieter Noss, Wolf Bauer, Elsbeth Kupferoth, Walter Lein, Eckart Aheimer und Renate Schulz zusammen arbeiteten, gibt es nicht mehr. Die Firma Boss gedeiht prächtig seit sie ihre braunen Hemden umgefärbt hat. „Boss“ klingt für Führer-Nostalgie ja auch besser als „Pausa“.

Stolz sein können die Mössinger. Und ein bisschen auch die Stuttgarter auf jene ehemaligen Mitbürger. Als Helden kennen wir sie zwar nicht. Aber dafür haben wir ja die Schleyers.

Entscheidend sind die Ideen und Vorstellungen, die offene Neugierde auf die Innovationen der Moderne sowie der Mut, das Gebiet der Moderne zu betreten. Ein Gebiet, das in Deutschland – besonders nach der demütigenden Niederlage im Ersten Weltkrieg – von mächtigen Gegnern bekämpft wurde.“ Mit diesen Worten beschrieb im Jahr 2009 Jan Robert Bloch die Geschehnisse in der kleinen schwäbischen Gemeinde Mössingen in der Zeit zwischen 1925 und 1936. Im „roten Mössingen“, wie der Ort damals wegen seiner zahlreichen Unterstützer von KPD und SPD genannt wurde, vermischten sich die Anti-Kriegs-Lebenserfahrungen der Teilnehmer des Ersten Weltkrieges mit den aufbrechenden gegenkulturellen Hoffnungen junger Mössinger, die aus dem verstockten religiös-wilhelminischen Geist ausbrechen und neue Lebenskonzepte erkunden wollten. …..Diese Moderne, die sich vor Ort mit dem Bauhaus-Netzwerk der jüdischen Unternehmer Artur und Felix Löwenstein verband, trug dazu bei, dass junge Frauen und Männer in Bewegung kamen für Demokratie und gegen die Kriegsgefahr. …..Das Ringen um die Moderne wurde in Mössingen verloren....“

http://bloch-blog.de/tag/jan-robert-bloch/, 26. November 2012

Der Rückblick auf die Geschehnisse am 30. und 31. Januar 1933 vor achtzig Jahren ist nicht nur ein aufklärerischer Ausflug in die Geschichte. Der Blick auf den Tag des Generalstreiks ist zugleich ein Blick auf das verbrecherische NS-Regime als ganzes, das die Generalstreikenden erkannt haben und verhindern wollten. Es besteht kein Zweifel: Das damalige Verhalten der Mössinger Frauen und Männer, Arbeiter, Bauern und Handwerker war gerechtfertigt, ermutigend und vorbildlich.“

Aus einer Rede von Irene Scherer, Talheimer Verlag, anlässlich der Vorstellung des Buches Da ist nirgends nichts gewesen außer hier“ am 17. Juli 2012 in der Tonnenhalle der Neuen Pausa am Mössinger Löwensteinplatz.

Link zum Löwenstein Forschungsverein:

http://www.initiative-loewensteinverein.de/

Weitere Kontext-Artikel zum Thema:

Die Trommler des Widerstands

Hitlers Liebling

Rommel und kein Friede

Audios:

http://www.freie-radios.net/51984

Mössingen, Januar 1933, Teil 1

http://www.freie-radios.net/51985

Mössingen, Januar 1933, Teil 2

Presse und Blogs:

http://www.initiative-loewensteinverein.de/downloads/AJR%20JOURNAL%20November%202009.pdf

http://www.hagalil.com/archiv/2012/02/01/30-01-1933/

http://www.ksta.de/politik/massenstreik-kuehner-gegenschlag,15187246,13159716.html

https://moessingergeneralstreik.wordpress.com

http://www.scharf-links.de/46.0.html?&tx_ttnews[tt_news]=31320&cHash=e70d671a60

https://linksunten.indymedia.org/node/73642

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Geschrieben von

seriousguy47

Anglophiler Pensionär und Flüchtlingsbetreuer aus Stuttgart.

Wehrdienst, Studium ( Anglistik, Amerikanistik, Empirische Kulturwissenschaft, Sozialpädagogik) , Praktikum ( Primärtherapie), Lehramt, Flüchtlingsbetreuung

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