Überwachung von Ramelow verfassungswidrig

Verfassungsschutz Das Bundesverfassungsgericht untersagt die Beobachtung des Linken-Politikers Bodo Ramelow als verfassungswidrig, weil unverhältnismäßig.

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Sowohl die Linkspartei insgesamt wie auch einzelne Abgeordnete der Linken im Bundestag und in den Landtagen wie Bodo Ramelow, Gregor Gysi, Sahra Wagenknecht oder Petra Pau,werden seit Jahren vom Verfassungsschutz beobachtet. Der Thüringer Linken-Abgeordneten Bodo Ramelow, über den das Bundesamt für Verfassungsschutz seit 1986, eine Personenakte führt, in der Informationen gesammelt sind, die bis in die 1980er Jahre zurückreichenlegte Verfassungsbeschwerde ein, nachdem das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig diese Überwachung in einem Urteil vom 21. Juli 2010 (BVerwGE 137, 275) für rechtmäßig erklärt hatte. Dieses Urteil wurde nun in einem am 09.10.2013 veröffentlichten Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes als verfassungswidrig aufgehoben und an das Bundesverwaltungsgericht zurückverwiesen:

Nach den Feststellungen der Fachgerichte ist der Beschwerdeführer individuell nicht verdächtig, Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung zu verfolgen. Seine Beobachtung wird ausschließlich mit seiner Mitgliedschaft und seinen Funktionen in der Partei DIE LINKE begründet.....Das angegriffene Urteil verletzt das freie Mandat des Beschwerdeführers. Es wird aufgehoben und die Sache an das Bundesverwaltungsgericht zurückverwiesen.“

http://www.sueddeutsche.de/politik/bundesverfassungsgericht-geheimdienst-darf-linken-politiker-bodo-ramelow-nicht-ueberwachen-1.1790472

http://www.bundesverfassungsgericht.de/pressemitteilungen/bvg13-060.html

In seiner Begründung legt das BVerfG dar, dass das freie Mandat gemäß Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG die freie Willensbildung des Abgeordneten und damit auch eine von staatlicher Beeinflussung freie Kommunikationsbeziehung zwischen dem Abgeordneten und den Wählerinnen und Wählern gewährleisten müsse. Dies stehe in engem Zusammenhang mit dem Grundsatz der parlamentarischen Demokratie gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG, also einem der Eckpfeiler der Verfassung.

In diesem Zusammenhang müsse, entsprechend dem Grundsatz der Gewaltenteilung auch die Freiheit der Abgeordneten von exekutiver Beobachtung, Beaufsichtigung und Kontrolle gewährleistet sein. Grundsätzlich sei die exekutive Kontrolle von einzelnen Abgeordneten zwar nicht von vornherein ausgeschlossen. Sie sei aber in erster Linie eine eigene Angelegenheit des Deutschen Bundestages, „der dabei im Rahmen der Parlamentsautonomie handelt.“ Exekutive Beobachtung unterliege strengen Verhältnismäßigkeitsanforderungen und komme allenfalls dann in Betracht, „wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Abgeordnete sein Mandat zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung missbraucht oder diese aktiv und aggressiv bekämpft“, wenn also des Interesse am Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gegenüber der Gewährleistung des freien Mandates und der Gewaltenteilung überwiegt.

Die Parteimitgliedschaft des Abgeordneten könne dabei nur ein Aspekt sein. Da das Grundgesetz den Parteien aber in Artikel 21 GG eine wesentliche Rolle für die politische Willensbildung des Volkes zuweise, sei davon auszugehen, dass ein parteipolitisches Engagement, welches seinerseits auf dem Boden der freiheitlichen demokratischen Grundordnung steht, diese stärkt [sie also weder missbraucht noch bekämpft - sg]. Für sich genommen vermag die bloße Parteimitgliedschaft daher nur eine vorübergehende Beobachtung zu rechtfertigen, die der Klärung der Funktionen des Abgeordneten, seiner Bedeutung und Stellung in der Partei, seines Verhältnisses zu verfassungsfeindlichen Strömungen sowie der Beurteilung von deren Relevanz innerhalb der Partei und für das Wirken des Abgeordneten dient.“

Die Entscheidung, ob Mitglieder des Deutschen Bundestages der Beobachtung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz unterzogen werden dürfen, habe der Bundestag selbst getroffen und bejaht. Der besonderen Schutzwürdigkeit von Abgeordneten habe er ausreichend dadurch Rechnung getragen, dass § 8 Abs. 5 des Bundesverfassungsschutzgesetzes die Anordnung enthalte, dass eine solche Beobachtung verhältnismäßig sein muss.

Eine deutliche Lektion in Sachen Demokratie- und Verfassungsverständnis bekommt in diesem Zusammenhang das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig, bei dem das BVerfG da offensichtlich Defizite sieht:

Verfassungsrechtlich nicht haltbar ist nach den obigen Maßstäben die Annahme des Bundesverwaltungsgerichts, die Tätigkeit des Beschwerdeführers sei dennoch objektiv geeignet, die verfassungsfeindlichen Bestrebungen zu unterstützen; gefährlich für die freiheitliche demokratische Grundordnung könnten auch Personen sein, die selbst auf dem Boden der freiheitlichen demokratischen Grundordnung stünden, jedoch bei objektiver Betrachtung durch ihre Tätigkeit verfassungsfeindliche Bestrebungen förderten, ohne dies zu erkennen oder als hinreichenden Grund anzusehen, einen aus anderen Beweggründen unterstützten Personenzusammenhang zu verlassen. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts verkennt insoweit, dass ein parteipolitisches Engagement, das seinerseits auf dem Boden der freiheitlichen demokratischen Grundordnung steht, diese stärkt. Dies gilt auch und gerade dann, wenn es in einer Partei stattfindet, in der unterschiedliche Kräfte und Strömungen miteinander um Einfluss ringen.[Hervorhebungen von sg]

http://www.bundesverfassungsgericht.de/pressemitteilungen/bvg13-060.html

Hier zeigt sich, wie auch bei einigen Urteilen gegen den Widerstand in Stuttgart, wie sich bis in höchste Justizkreise ein autoritäres/ totalitäres Staatsverständnis erhalten hat, das immer wieder versucht, die Demokratie im Lande zu unterminieren und elementare demokratische Rechte wie die Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, oder hier die Institution des freien Abgeordnetenmandats oder das Prinzip der Gewaltenteilung auszuhebeln.

Hier, wie auch z.B. im Fall Mollath, wird immer wieder nach dem Prinzip verfahren: Macht geht vor Recht. Dass das Verfassungsgericht dagegen einschreitet, ist zu begrüßen. Sicherheit für Demokratie & Verfassung bedeutet das aber nicht. Dazu müsste in der Ausbildung der Juristen endlich dafür besser Sorge getragen werden, dass nicht nur Paragraphen gepaukt werden, sondern auch ein Bewusstsein für Verfassung und Recht sich ausbildet. Das aber scheint bislang unter Juristen am geringsten ausgeprägt zu sein.

Anders ist nicht zu erklären, mit welcher Leichtfertigkeit das Bundesverwaltungsgericht hier geurteilt hat. Man muss sich das nämlich mal auf der Zunge zergehen lassen: eine nachgeordnete Institution der Exekutive, die eigentlich unter der Kontrolle der höchsten Instanz in unserer Demokratie, der Legislative, stehen müsste, maßt sich an, ihrerseits unverdächtige Mitglieder eben dieser Legislative zu kontrollieren und ein höchstes Gericht findet da gar nichts dabei.

Dieses Gericht fragt scheinbar noch nicht einmal, wie politische Willensbildung funktionieren soll, wenn Bürger sich nicht mehr sicher sein können, dass sie mit ihren Abgeordneten kommunizieren zu können, ohne ausgespäht zu werden oder befürchten zu müssen, ihrerseits in den Verdacht der Verfassungsfeindlichkeit zu geraten.

Im Fall Ramelow wurde genau solches vorübergehend auch noch höchstrichterlich abgesegnet. Man stelle sich vor: man ist in einer Gruppe oder Partei, in der einige Mitglieder verfassunsgmäßig zweifelhafte Postionen vertreten - und schon ist man selber verdächtig.

Dass Demokratie auch Pluralismus, Meinungsfreiheit, das Ausfechten unterschiedlicher Positionen, Denkfehler und Überzeugungsarbeit bedeuten, scheint im Weltbild der Bundesverwaltungsrichter nicht vorzukommen. Für sie scheint das Ergebnis politischer Willensbildung immer schon festzustehen und die Willensbildung selbst nicht nur überflüssig, sondern bereits verdächtig.

Diese Auffassung aber ist totalitär und widerspricht explizit Art. 21,1, Satz 2, GG, nach dem Parteien demokratischen Prinzipien genügen müssen.

Und bei all dem ist noch nicht einmal die braune Tradition der deutschen Geheimdienste eingepreist, bei denen spätestens seit dem NSU-Skandal der begründete Verdacht besteht, dass sie eher Verfassungsfeinde vor der Verfassung schützen als umgekehrt.

http://www.sueddeutsche.de/politik/ns-vergangenheit-und-verfassungsschutz-ueber-die-seilschaften-der-altnazis-1.1150775

oder z.B. dies:

http://www.regensburg-digital.de/extremisten-uberall-verfassungsschutz-diffamiert-nazi-gegner/20052013/

usw. usw.

Bleibt zu hoffen, dass wenigstens das heutige Signal vom Verfassungsgericht ankommt und nicht wieder von anderen Gerichten hintertrieben wird.

Nachtrag:

Bei Telepolis findet sich ein Hinweis auf das Buch „Die Akte Ramelow“ von Stefan Wogawa, das freundlicherweise kostenlos als PDF herunter geladen werden kann.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

seriousguy47

Anglophiler Pensionär und Flüchtlingsbetreuer aus Stuttgart.

Wehrdienst, Studium ( Anglistik, Amerikanistik, Empirische Kulturwissenschaft, Sozialpädagogik) , Praktikum ( Primärtherapie), Lehramt, Flüchtlingsbetreuung

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