Alter Wein in neuen Schläuchen

Literatur Zwei Bücher beschäftigen sich mit dem allmählichen Verschwinden der Identitären Bewegung

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Die fetten Jahre sind vorbei
Die fetten Jahre sind vorbei

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Die Identitären sind mausetot. Das ist wohl gut so. Sie können schlecht leugnen, dass es eine ideologische Verbindung gibt, zwischen denen, die vom „großen Austausch“ schwadronieren, und jenen, die von El Paso bis Christchurch zu den Schnellfeuergewehren greifen. Jetzt muss der „Sympathisantensumpf“ trocken gelegt werden, um gestandene Konservative zu zitieren.

In wahrhaft prophetischer Weise haben die Autoren von „Das Netzwerk der Identitären“ darauf hin gewiesen, dass die Rhetorik der Rassisten, mag sie noch so subtil verpackt sein, unweigerlich zu Terror führt.

Da ich ein Nachzügler unter den zu spät gekommenen bin, kann ich mir unter den Rezensionen die besten heraussuchen. Die „Naturfreunde“ schlagen eine Übersetzung vor.

Aus Umvolkung wird der große Austausch

Aus Blut und Boden wird Ethnopluralismus

Aus Rasse wird Kultur.

Aus Ausweisung wird Remigration

Davon inspiriert habe ich mir eine Liste gemacht. An ihrer Sprache sollt ihr sie erkennen und die Rechte erkennt man daran, dass sie ständig neue Wortmonster schafft: Gesinnungskorridor, Asylindustrie, Brandrodungskritik, Resonanzbodenerweiterung, Ethnopluralismus, Bioregionalismus, Schuldkult, Meinungshegemonie, Metabolismus (??), Kuscheljustiz, Messermigration, Sozial-Asyl-Migranten-Lobby , Bioregionalismus, biokulturelle Diversität, Klimadiktatur, metapolitische Avantgarde, Betroffenheits-Gutmensch, Erziehungsjournalisten, Aufpassermedien, Globalsozialisten, Internationalsozialisten, Sozialleistungserschleicher. „Nur eine Sprache, die den Krebs hat, neigt zu Neubildungen“, schreibt Karl Kraus dazu. Die Zeile „Du hast nie gelernt, dich zu artikulieren“ aus dem Lied „Schrei nach Liebe“ der Ärzte wirkt immer noch. Darum der ständig aufgedrehte Ton, der Hochleistungskitsch. Dort, wo der Pennäler seine Imponiervokabeln Gassi führt, ist der Patriot nicht weit. Der Faschismus wickelt sich in erlesene Substantive. Die deutsche Sprache weiß, warum sie Patriot auf Idiot reimt.

Andrea Röpke, die Vielgerühmte mit dem Otto-Brenner-Preis ausgezeichnete, war im nördlichen Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern auf den Spuren der Völkischen. Die Gegend ist dünn besiedelt, lebt von der Landwirtschaft und ist, was nicht ohne Bedeutung ist, protestantisch. Hier haben sich völkische Großfamilien eingenistet. Solche Verhältnisse waren schon in der Weimarer Republik günstig für Nazis. Der Habitus der Völkischen fällt nicht auf, und wahrscheinlich monopolisieren sie Sekundärtugenden für sich. Die Rechte schmiegt sich in die Falten der Gesellschaft. Jamel ist dafür das Paradebeispiel. „Ungestört treffen sich Dorfbewohner mit militanter Kameradschaft, NPD-Anhängern oder Mitgliedern der Hammerskin Nation.“ Röpke war bei Mitsommerfesten und Hochzeiten dabei. Sie verwendet einen Vorschlag, den Alain de Benoist, ein französischer Theoretiker der Neuen Rechten, freimütig vom Kommunisten Antonio Gramsci übernahm: Schon ein Getränk kann politisch sein. Röpke schreibt bewusst manchmal so, als beobachtete sie eine Modenschau. Gegenüber den Burschenschaftlern mit ihren Schmissen und den Skinheads mit ihren Glatzen haben Identitäre und Völkische den Vorteil, jederzeit im Milieu, das sich für die Mitte hält, unterzutauchen. „Auf der IB-Demonstration mischt sich moderner Chic mit deutschtümelnder Folklore. Junge Frauen präsentieren sich mit gebunden Zopf und modernen Trendklamotten“. Frauen können, deshalb dürfen sie auch pro Forma mit aufs Bild, zwischen den Schattierungen der Rechten am besten vermitteln. Blond bezopft sich die Stammkundschaft auf dem Lande, der Kurzhaarschnitt erobert unverfänglich neues Terrain in der Stadt. Röpke vergleicht die Feste in Norddeutschland mit denen in Skandinavien. „Wäre da nicht diese angespannte Stille, diese Ernsthaftigkeit beim Agieren, dieses spürbare Bemühen um Feierlichkeit, dann würde das Szenario an traditionelle, aber ausgelassene Mitsommerfeste in Schweden erinnern.“

Dass jedes Ausgelassen sein fehlt, keine höhere Heiterkeit aufkommt, ist nämlich der „ewige Traum des Spießers von der Einzigartigkeit der deutschen Rasse und Nation.“ Martin Büsser hat das ausgezeichnet erklärt. Wir besäßen so viel Geist, seien so viel tiefsinniger als andere, dass wir uns nur als „morbide dem Tode geweihte“ vorstellen könnten. Letztlich „suhlt man sich in der Finalität des verkannt Auserwählten“. Deshalb der permanente Bezug der Identitären auf die Spartaner (Film „300“, Lambdazeichen, Leonidas, Schlacht bei den Thermopylen) als Beispiel für heroischen Opfertod.

Dazu Martin Sellner, Chef der österreichischen Identitären, in seinem unvergleichlichen Ton: „Die geistige Unruhe, der schlafende Furor teutonicus, das ewig unzivilisierbare, urdeutsche Fieber, das uns aus germanischen Urwäldern wie aus gotischen Kathedralen entgegenstrahlt, versammelt sich in uns.“ Vielleicht hat „das ewig unzivilisierbare, urdeutsche Fieber“ einen schlichten Grund: Der Waldgänger und Anarch soll für sechs Flaschen Bier 24,99 Euro zahlen.

Die deutschsprachigen Identitären wurden in Österreich gegründet. Anlass war die Besetzung einer Moschee in Frankreich durch Identitäre. Martin Sellner, der vorher „Plakate mit Hakenkreuzen an der Außenmauer einer Synagoge in Baden bei Wien angebracht“ hatte, erkannte sofort das Prinzip: Viel Aufmerksamkeit und wenig Aufwand.

Die Stärke der Identitären war es, bei den Linken zu klauen und mit der Öffentlichkeit Katz und Maus zu spielen. „Wir haben die Gesetzte des Marketings, der sozialen Medien und des Gesellschaftsspektakels verstanden“, zitiert Sellner einen anderen Neurechten. Michael Schäfer von den Jungen Nationaldemokraten über die Medienstrategie der Identitären: „Wichtig ist nicht das, was man vor Ort tut, sondern wie man es verbreitet. Sind magere fünf Leute vor Ort, können dennoch Tausende davon erfahren.“ Selbst seine erbittersten Gegner sahen in Sellner ein „Medientalent“ und erkannten stellenweise „Ironie und Chuzpe“. Die Rechten konnten sich eine Zeit lang gleichzeitig als Opfer, übrigens die Lieblingsrolle der Identitären, und mit der „Aura des Rebellen“ (Volker Weiss) umgeben. Genau deshalb weiß Sellner, dass sich seine Aktionen vollkommen unabhängig von „Christchurch“ allmählich abnutzen.

Michael Bonvalot geht nun auf die spezifischen Verhältnisse in Österreich. Dort herrscht ein Wiederbetätigungsverbot. Gegen allzu offen vorgetragenem Nationalsozialismus wird repressiv vorgegangen. Gottfried Küssel kann Näheres berichten. Martin Sellner sitzt verständlicherweise lieber im Fernsehstudio als im Knast. Also erst mal die Distanzierung vom „orthodoxen Nationalsozialismus“. So bleiben die Burschenschaftler und die FPÖ. Diese bieten Schutz und Posten. Die Identitären sorgen für die hippe und coole Imagepflege jenseits vom Hirschgeweih. So entstand zumindest bis Christchurch eine Symbiose.

Bonvalot ist auch zu danken, dass er ein leider selten beachtetes Argument gegen AFD/FPÖ/Identitäre/Burschenschaftler aufführt. „Die FPÖ ist die Partei der Reichen.“ (Darüber hat Bonvalot ein empfehlenswerte Buch geschrieben). Man muss schon ein dickes Bankkonto haben, um die Rechten liebzuhaben. Die „soziale Heimatpartei“ legt's darauf an, die heimische Bevölkerung mit 12 Stundentag, teuren Mieten und Erhöhung der Mehrwertsteuer, die gerade die Lohnabhängigen trifft, zu schikanieren. „Gleichzeitig laufen die Einsparungswünsche der FPÖ auf eine völlige Zerschlagung des Sozialstaats hinaus.“ Überflüssig zu erwähnen, dass es unter den Kadern der Identitären kaum einen Lehrling gibt.

Purer Übermut bewog die „Blaue Narzisse“, die Rechtspostille, dazu den „Franz-Kafka-Jugendkulturpreis“ an den „Rainer-Maria- Rilke- Jugendkulturpreis“ zu verleihen oder auch mal umgekehrt. Dem munteren Treiben machte der französische Schriftsteller Michel Houellebecq ein Ende, als er sich die Verleihung des „Michel-Houellebecq-Jugendkulturpreises“ verbat. Houllebecqs Roman „Unterwerfung“ habe ich nicht gelesen. Ich zitiere aus der Wikipedia: „Zwei Professoren der Sorbonne (u. a. der Rektor Rediger), die früher der neurechten, Identitären Bewegung nahestanden, haben sich bereits dem Islam zugewandt, bei dem sie ihre Ziele einer inegalitären, autoritär-patriarchalischen sowie traditions- und religionsbezogenen Gesellschaft besser aufgehoben sehen als im ihrer Ansicht nach stark säkularisierten und kraftlosen Christentum. Die rechten Bewegungen und der Islam stehen sich nach den Aussagen von Rektor Rediger in ihren Zielen sehr nahe.“

Genau die Schicht aus der die Identitären, die FPÖ und die Burschenschaftler kommen, kippt nach Houllebecq bei der bevorstehenden „Islamisierung“ als erste um.

Das „Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes“ kommt zu einem vergleichbaren Ergebnis und fand dafür das schöne Wort „Islamneid“. In der Tat gibt es in Saudi-Arabien keine Gewerkschaften und die Frauen parieren.

Das Netzwerk untersucht die Identitären aus jedem Blickwinkel. Es gibt Aufsätze über die Rolle der Frauen innerhalb der Rechten, Osteuropa und Musik. Für jeden ist etwas dabei.

Ich schliesse mit einer Rezension aus der Schweiz: „Man darf sich von den Schlagworten der Identitären nicht täuschen lassen. Denn was sie tun ist, kalten Kaffee neu aufwärmen, um ihn dann in hippe Macciato-Gläser zu füllen.“

Andreas Speit, Das Netzwerk der Identitären, Ideologie und Aktionen der Neuen Rechten, 18 Euro 2018, Seitenzahl: 264 , ISBN: 978-3-96289-008-7

Michael Bonvalot, Die FPÖ – Partei der Reichen, 14.00 €, 232 Seiten, ISBN: 978-3-85476-672, Verlag Mandelbaum

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