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Biographie Alfred Hornung berichtet von Jack Londons Leben und dessen Kampf für ein besseres Amerika

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„Ich las im Bett, ich las bei Tisch, ich las auf dem Weg zur Schule und auf dem Weg zurück, ich las in den Pausen, wenn die anderen Jungs spielten.“ Seine Göttin ist die Bibliothekarin. Sie lobt ihn wegen seiner Auswahl. Er schreibt Geschichten Kiplings ab, um seinen Stil zu verbessern.

Die bildungsbesessene Arbeitswut wird Jack London sein Leben lang begleiten. Sie hilft ihm aus der zwölfstündigen Kinderarbeit in der Konservenfabrik heraus, sie schützt ihn vor Skorbut und Schnaps, sie schaut ihm in Berkley über die Schulter, zieht den Yukon hinab, erbarmt sich der Leprakranken und kämpft gegen Schulden. Kein Schriftsteller hätte es gewagt, ein Leben wie es Jack London geführt hatte, zu erfinden. Es hätte als zu verwegen und kühn gegolten.

Alfred Hornung, Professor für englische Sprache in Mainz, hat jetzt in der Biographie „Abenteuer des Lebens“ versucht, die ungeheure Energie, die London versprüht, in eine feste Form zu bändigen. Deshalb erzählt Hornung nicht chronologisch, sondern unterteilt Londons Leben in Sachgebiete. Wie es sich für ein Werk über London gehört, wird jedes Kapitel als Abenteuer überschrieben.

Schriftstellerische Kosten-Nutzen-Rechnung

London beginnt seine Karriere als Autor nach ausführlichen Überlegungen. Es ist angenehmer und bringt mehr Kohle am Schreibtisch zu sitzen denn Kohle zu schippen. Londons Hausgötter konnten allerdings von ihrer Arbeit nicht leben. Schopenhauer hatte reich geerbt, Nietzsche landete in der Klapse und Marx war zeitlebens auf die Hilfe Engels angewiesen. Wie also ran ans Geld? London sondiert den Markt. Es gibt Stahlwerke und Eisenbahnen und in den großen Städten brennen nachts Laternen. Die Natur drapiert sich als angenehmes Gruseln im Ohrensessel. Mit ersterer kennt sich London aus. Er war Matrose und beim Goldrausch in Alaska dabei, der immer noch als romantische Grauen, als amerikanischer Traum, dass es jeder schaffen könne, in den Köpfen glimmt. So weit die Planung. Dann greift Londons Genie ein. Klare, muskulöse Sätze ohne jedes „Gramm Literaturfett“ (Alfred Polgar) fegen das kunstgewerbliche Getue, den verschwitzten Eifer unbedingt etwas Anspruchsvolles produzieren zu müssen und den viktorianischen Plunder beiseite. Form und Stoff verschmelzen zur Effizienz. Das Rudel verschwendet keinen Schritt bei der Jagd nach Fleisch. London verschwendet kein Wort bei der Jagd nach Dollars. „Kommt Bargeld mit Ruhm, komme Ruhm; wenn nicht, dann Bargeld“

Ferner: London schickt schwermütige Philosophen in die Wildnis. Geistige Probleme werden nicht mehr im Salon bei einer nervösen Tasse Tees in den gespreizten Fingern erörtert sondern am Lagerfeuer oder wie im „Seewolf“ an Bord eines Schiffes. Nietzsches düsterer Krähenflug, sein „Weh dem, der keine Heimat hat.“ ist das Thema der Goldgräber, Hobos und der Ausgestoßenen in den Slums der Abyss Road. Und das Beste bei Jack London: Der Melancholie wachsen Reißzähne. Sie springt auf und geht dem Raubtier an die Gurgel.

London schreibt und schreibt. Eisern trotz Not und Absagen, 1 000 Wörter pro Tag. Übersteht die düsteren Zeiten, wenn kein Scheck vom Verleger kommt. „Ruf der Wildnis“ und „Wolfsblut“ befreien endgültig von der Fron an der Maschine. Hornung sieht in beiden Büchern Fabeln. Der Hund Buck muß in „Ruf der Wildnis“ seinesgleichen fressen, im übertragenen Sinne „Standard Oil Corporation“ werden, um zu überleben. „Wolfsblut“ dagegen wandelt sich in der sicheren und behaglichen Welt des Südens zu einem kinderlieben und friedlichen Wesen. London spielt zwei Entwicklungsmöglichkeiten durch: „Geht der Druck in die eine Richtung, dann haben wir Atavismus, die Rückkehr zum Barbarischen; geht er in die andere Richtung: Domestizierung, Zivilisation.“

Das Psychogramm der Plutokratie

Die neue Regierung in den USA will, daß heilbare Krankheiten wieder wüten und die Schlangen vor den Suppenküchen noch länger werden. „Gegen die Armen sind alle Mittel erlaubt“, schreibt Anatole France im Vorwort zur „Eisernen Ferse“. Aus gutem Grund blieb dieses Buch bei den Aufsätzen über Londons 100. Todestag weitgehend außen vor.

„Die eiserne Ferse“ erzählt aus der Rückblende anhand eines Manuskriptes ausführlich die Klassenkämpfe von 1912 bis 1932. Ein Aufstand der Arbeiterschaft wird niedergeschlagen und es folgen Jahrhunderte der Diktatur bis eine Revolution die „Eiserne Herrschaft“ endgültig hinwegfegt. Die Oligarchie sicherte sich die Herrschaft durch Terror, Söldnerbanden, Agents provocateurs und Spaltung der Arbeitenden. Aber ihr unerschöpfliches Selbstvertrauen, die Abstinenz jedes Zweifels war die wahre Quelle ihres Regimes..

„Sie hielten sich für Dompteure wilder Tiere, für die Herrscher über unvernünftiges Vieh. … Sie waren die Retter der Menschheit, und sie hielten sich für heldenhafte und aufopfernde Diener der höchsten Güter.“ So erklärt sich, warum Bill Gates Literaturkritikiker und Freund der Bauern ist und Impfungen anordnet.

Drei, vier Sätze Londons genügen, um das Psychogramm der Plutokratie zu zeichnen:

„Die Herrschenden sind völlig überzeugt, daß sie mit dem, was sie tun, recht haben. … Sie sehen für sich sogar die Möglichkeit, Unrecht zu tun, um vielleicht Recht daraus entstehen zu lassen. Eine der angenehmen und unumstößlichen Fiktionen, die sie in die Welt gesetzt haben, ist die, daß sie der übrigen Menschheit an Klugheit und Tüchtigkeit überlegen sind. Daraus beziehen sie die Sanktion, über das tägliche Brot der übrigen Menschheit zu schalten und zu walten. Sie haben sogar die Theorie vom Gottesgnadentum der Könige wieder aufleben lassen – der Geschäftskönige in ihrem Fall.“

In dieser Zeit, in der Debatten- und Diskurskultur labern, ist Londons Lakonie in Sachen Politik ein Labsal.

„Das ist das Wort. Das königliche Wort - Macht. Nicht Gott, nicht Mammon, sondern Macht. Nehmen Sie es auf die Zunge, bis sie Ihnen prickelt: Macht!'"

An diesem „Abend der Wißbegierigen“ werden der Spanische Bürgerkrieg, die Obristen in Griechenland und Allendes Sturz vorweggenommen.

Leo Trotzki war von der „Eisernen Ferse“ begeistert: „Wenn man den Roman liest“, schreibt er 1938 , „ traut man seinen Augen nicht: Es ist exakt das Bild des Faschismus, seiner Ökonomie, seiner Regierungstechnik, seiner politischen Psychologie, welches hier die kraftvolle Intuition des revolutionären Künstlers entwarf.

Jack London fühlte mit einer solchen Unerschrockenheit, daß man gezwungen wird, sich immer und immer wieder mit Verwunderung zu fragen: Wann wurde das geschrieben? Wahrhaftig vor dem ersten Weltkrieg? Man kann mit Sicherheit sagen, daß 1908 keiner der revolutionären Marxisten, auch nicht Lenin und Rosa Luxemburg, sich die unheilvolle Perspektive, die sich aus der Allianz von Finanzkapital und Arbeiteraristokratie ergab, in ihrer vollen Tragweite haben vorstellen können.

London entwickelt ein für die Linke faszinierendes Geschäftsmodell: Aus Sozialismus Geld machen. Als London reich und berühmte wurde, wurde er keineswegs kapitalfromm. Das kommt daher: Der Aufstieg gelang ihm durch spannende Geschichten und nicht durch Reuebekenntnisse.

Als der weiße Mann glaubte, er trüge eine Bürde, schrieb London die Geschichte „Koolau – der Aussätzige“. Sie spielt auf Hawaii. Der leprakranke Koolau soll auf die Quarantänestation Molokai geschickt werden und dort isoliert bis zu seinem Tod leben. Er und seine Leidensgenossen haben sich in ein abseits gelegenes Tal zurückgezogen, um der Verschleppung durch Soldaten zu entkommen. Einem Parlamentär gegenüber erklärt Molokai: „Ich bin ein freier Mann...Ich habe frei gelebt, und ich will frei sterben. Ich ergebe mich nie.“ Molokais „letzter Gedanke“ gilt seinem Gewehr, daß er mit den „gefalteten, fingerlosen Händen“ an sich preßt.

Der Kampf der Armen und Entrechteten, hier potenziert durch die Leprakrankheit, wird zu einem antikolonialen Widerstand gegen die weißen Kolonialherren und ihre imperialistischen Machtorgane“, schreibt Hornung.

Londons ökologische Abenteuer

Im Kapital „Ökologische Abenteuer und Weltgemeinschaft“ tritt ein mir bis dahin völlig unbekannter London auf: Er war Farmer und Wegbereiter einer „natürlichen, nachhaltigen Landwirtschaft.“ London war als Kriegskorrespondent in Ostasien gewesen und hatte dort die Nutzung kleiner Anbauflächen durch ein komplexes System aus „Saatgüter, Fruchtwechsel, Bewässerung und die Verwendung natürlicher Düngemittel“ kennengelernt. Auch Einwanderer aus Südeuropa gingen sorgfältig mit dem Boden um. London übernahm solche Methoden für seine Farm „Hill Ranch“. Üblich war das sogenannte „Bonanza Farming“, eine Art rücksichtsloser Raubbau, der durch die weiten Landschaften begünstigt wurde.

Hornung schreibt betulich und sachlich über Jack London. Das dürfte die sinnvollste Weise sein. So kommt erst überhaupt nicht der Verdacht auf, man wolle es mit Londons Unterhaltungskünsten aufnehmen und seine ungeheure Aktivität wird wenigstens ein bißchen begreifbar. Dass London noch immer eine Faszination auf kritische Intellektuelle wie Hornung ausübt, liegt vielleicht darin, daß es einer der ihren geschafft hatte, Medienstar zu werden.

Ein milder Glanz, ein stiller Zauber strahlt noch immer vom Jack-London-Buch aus, das in Lenins Sterbezimmer liegt.

Alfred Hornung: Jack London. Abenteuer des Lebens.
Lambert Schneider Verlag, Darmstadt 2016.
320 Seiten, 24,95 EUR.
ISBN-13: 9783650401571

Auf https://nemesis.marxists.org/london-die-eiserne-ferse1.html ist "die eiernse Ferse" abrufbar.

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