A. lebt als Schriftstellerin in B.

Sprachgebrauch Über eine leicht überspannte Art, die Profession eines Menschen anzugeben

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

http://img6.imageshack.us/img6/2179/1d9b.jpg

Auch in dieser Wochenzeitung ist sie häufiger anzutreffen, unter Umständen auch im Doppelpack (der Freitag Nr. 12/2013, Wochenthema), die Formulierung einer Personenangabe dergestalt, dass jemand, wie in den fetten Lettern oben schon angegeben, als Professionelle(r) in dem oder dem Ort wohnt.
Klingt komisch.

Dabei drängt sich doch auf, dass A. –hoffentlich- nicht nur in ihrer Profession unterwegs ist, sondern morgens die Bäckerei betritt, um Brötchen zu holen, dabei an den Zeitpunkt denkt, zu dem sie ihr Kind vom Ballettunterricht abholen muss, und dass es ja morgen zum Klavierunterricht in den Nachbarort gekarrt werden muss.
Abends ist sie mit diesem Zausel in der Eckkneipe verabredet, ein echtes Abenteuer, und sie wird den Teufel tun und sich als Schriftstellerin offenbaren.

Und so werden auch die Geschichtsprofessorinnen, Chirurginnen, Architekten und Laser-IT-Ingenieure nicht nur als solche durch ihr Leben stolpern, sondern als Menschen.

Die Aufzählung weist aber eine seltsame Unwucht auf: Es tauchen gar keine Berufe auf, die wirklich aus der Bredouille helfen, wie Automechanikerin, Klempnerin, Elektrikerin oder Kindergärtner. Es scheint so, als lebt nur ein fatal in bürgerlichem Schichtendenken verhafteter Professioneller immer in seinem Beruf und trägt diesen, der Bourdieu´sche Distinktionsgewinn lässt grüßen, wie eine Monstranz vor sich her.
Bei allen anderen würde es dann nicht heißen, er lebt, zum Beispiel, als Dreher in B., sondern eher, er erlebt als Dreher in B. - so einiges.

Und es herrscht dort untereinander, nebeneinander wohl eine unterschiedliche Ausdrucksweise, so zwischen „Wollen mal sehen, wo das Problem liegt“ und „Wie gehen Sie damit um?“, zwischen „Ich glaub, ich hab´s gleich“ und „Wie fühlt sich das an?“ oder „Sitzt, wackelt und hat Luft“ und „Das Problem finde ich wahnsinnig spannend“.

Sollte aber doch mal ausprobiert werden, dieser Sprachgebrauch: Einfach in eine Kneipe gehen, und wenn der Tresennachbar fragt, was man denn so mache, antworten: „Ich? Ich lebe als Zimmermann in Holzminden.“

Foto: RueGro

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Rüdiger Grothues

Musiker, Jurist, Autor

Rüdiger Grothues

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden