Die Täuschung über die Täuschung

Kunst In München wird eine Ausstellung namens "Lust der Täuschung" eröffnet, und in Porto wird ein Ausstellungsbesucher von einer Installation verschlungen

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"Kunst [...] ist ein für das Leben und das Glücksstreben des einzelnen Menschen und der Menscheit unentbehrliches Kommunikationsmittel, das die Menschen duch ein und dieselben Gefühle vereint." Lew Nikolajewitsch Tolstoi (1828-1910)

Manchmal ergänzen sich Beiträge im Tableau einer Zeitung oder Zeitschrift, beziehen sich aufeinander, und weisen, oft rein zufällig, auf eine verblüffende Koinzidenz hin.
Eine solche Konstellation findet sich seit vorgestern bei Spiegel online (SPON), wo innerhalb weniger Stunden zunächst ein Artikel über eine gerade begonnene Ausstellung in der Kunsthalle München namens "Lust der Täuschung" erschien und wenig später ein Beitrag über die kuriose Verunfallung eines Besuchers einer Kunstausstellung in Porto.

München

Die Ausstellung in München spannt einen Bogen über viertausend Jahre Augentäuschung, die durch Illusionstechniken hervorgerufen werden und sich manifestieren schon in den frühen dreidimensional anmutenden Fresken, an den den Blick zum Himmel und zum Göttlichen hin öffnenden Kirchendecken des Barocks und natürlich den Trompe-l´Oeils, die der zweidimensionalen Fläche mit Wucht Raumtiefe und Wirklichkeitseindruck abringen.

Alles eine Frage der Perspektive, könnte man für viele der in der Bildenden Kunst angewandten Techniken sagen - die perspektivische Zeichnung und Malerei ist die grundlegende Illusionstechnik. Und diese sah etwa Ernst H. Gombrich in durchaus schon räumlich gestalteten Darstellungen aus Rom oder Pompeji des ersten Jahrhunderts noch nicht bewerkstelligt, sondern erst mit Brunelleschi in der Renaissance und den dann zur Verfügung stehenden mathematischen Hilfsmitteln verwirklicht, um etwa die berühmtberüchtigte ins Bild hineinführende und im Horizont verschwindende Pappelallee darzustellen, an der sich so viele fröhlich dilettierende Enthusiasten den Stift oder Pinsel abgebrochen haben.

Ganz nebenbei kann sich hier bei einem Vergleich von Malerei und -aufgenommener- Musik die Parallele aufdrängen, dass beide künstliche Räume schaffen, im Tonstudio durch den Einsatz von Platten, Federn, Echokammern, schließlich von Computern mittels berechneter Räume wie den Faltungshall ("Auge macht Bild, Ohr macht Klang, Gehirn macht Welt"). Sie sind einmal dem flachen Papier, der leeren Leinwand abgerungen, andererseits der mehr oder weniger trockenen Tonaufnahme.

Was in der Ausstellung in der Münchener Kunsthalle vermisst wird, sind neuere Fehlwahrnehmungstrigger wie etwa die unmöglichen Figuren von M. C. Escher, aber da könnten Probleme bei der Rechteeinräumung eine Rolle gespielt haben - oder aber die Darstellungen werden, seit Douglas Hofstadters Bestseller, als allzu bekannt angesehen.

Zu der Ausstellung merkt die Kunsthalle auch an, dass die mit den Fehlwahrnehmungen einhergehende Ent-Täuschung durchaus mit Freude verbunden sei: "Die Freude ist immer genau dann besonders groß, wenn wir zwar wissen, dass wir es mit einem Trick zu tun haben, aber trotzdem immer wieder darauf reinfallen."
Es gibt aber Momente, in denen die Freude über eine Täuschung sich in engen Grenzen hält.

Der Reinfall von Porto

Vier Tage vor Ausstellungseröffnung in München fiel 1.770 km südwestlich davon in Porto ein Mann in ein rundes, tiefschwarz gefärbtes, etwa zweieinhalb Meter tiefes Loch, das sich in einem begehbaren Betonwürfel im Serralves Museum befindet.
Diese Installation wurde 1992 von dem britischen Künstler Anish Kapoor geschaffen, dem die aktuelle Ausstellung gewidmet ist, und trägt den nunmehr leicht prophetisch anmutenden Titel "Descent In the Limbo".
Der Raum kann nur von wenigen Besuchern gleichzeitig betreten werden, die darüber aufgeklärt werden, dass dort eine Vertiefung eingelassen sei, außerdem gibt es entsprechende Warnhinweise. Trotzdem fühlte sich der Besucher, der zwar verletzt wurde, aber die behandelnde Klinik bereits wieder verlassen konnte, offensichtlich dazu gedrängt, der Sache auf den Grund zu gehen.
Wie war das möglich?

Paint It Black: The Blackest Black

Der Unglückrabe selber äußerte sich wie folgt über seine Beweggründe: Er sei davon ausgegangen, dass es sich um einen auf den Boden aufgemalten schwarzen Kreis gehandelt habe. Offensichtlich hatte er die Dreidimensionalität der Vertiefung nicht wahrgenommen - eine Sinnestäuschung.

Und hier kommt nun ein Material ins Spiel, das den Künstlern schon immer lieb und teuer war, die Farbe. Und vorliegend handelt es sich um einen ganz besonderen Stoff.
Denn Kapoor arbeitet mit einem ganz speziellen Schwarz namens Vantablack, das von der britischen Firma NanoSystems entwickelt wurde und wohl wirklich als das schwärzeste Schwarz aller Zeiten gelten kann. Es absorbiert nahezu alles Licht, bis auf einen vernachlässigbaren Rest von 0.035%, und niemand liegt falsch, der den hauptsächlichen Verwendungspunkt beim Militär samt Weltraumtechnologie verortet. Aber das ist nicht alles: Diese Farbe darf Anish Kapoor exklusiv für künstlerische Zwecke benutzen, was nebenbei gesagt natürlich Kolleginnen und Kollegen auf die Palme bringt.

Auf diese Weise, mit dieser Farbe gibt er dem Loch in der Installation buchstäblich den Anstrich und den Anschein, es sei ein auf den Boden gemalter schwarzer Kreis, auf den man die Hand legen könnte, also ein zweidimensionales Phänomen.

Und hierin liegt gleichzeitig eine Pointe: Während die Ausstellung in München kunstgeschichtlich hauptsächlich zeigt, wie Perspektive, wie Dreidimensionalität vorgetäuscht wurde und wird, geht Kapoor tatsächlich, mittels modernster Farbentechnik, den umgekehrten Weg: Er täuscht Zweidimensionalität vor, wo ein dreidimensionales Loch existiert. In das der ungläubige Besucher in Porto dann hineingefallen ist.

Bleibt festzuhalten, dass die eingangs zitierte These von Tolstoi zumindest in diesem Fall unzutreffend war: Es lag offensichtlich ein krasser Fall von Kommunikationsstörung vor.

Sinnestäuschung in der Kunst Das Bild trügt Von Barbara Schulz

http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/lust-der-taeuschung-ausstellung-in-der-kunsthalle-muenchen-ueber-taeuschende-kunst-a-1223971.html

Porto Mann stürzt in Kunstwerk - weil er es für optische Täuschung hält

http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/porto-mann-stuerzt-in-kunstwerk-weil-er-es-fuer-optische-taeuschung-haelt-a-1224345.html

Holed up: man falls into art installation of 8ft hole painted black Von Mark Brown

https://www.theguardian.com/artanddesign/2018/aug/21/holed-up-man-falls-into-art-installation-of-8ft-hole-painted-blac

Can an artist ever really own a colour? Von Jonathan Jones

https://www.theguardian.com/artanddesign/shortcuts/2016/feb/29/anish-kapoor-vantablack-paint

Die Ausstellung in München:

https://www.kunsthalle-muc.de/ausstellungen/details/lustdertaeuschung/

Die Ausstellung in Porto:

https://www.serralves.pt/en/activities/anish-kapoor-works-thoughts-experiments/?menu=249

Auge macht Bild, Ohr macht Klang, Hirn macht Welt. Franz Kreuzer im Gespräch mit Ernst H. Gombrich, Hellmuth Petsche. Salzburger Musikgespräch 1983 (Wien 1983)

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Rüdiger Grothues

Musiker, Jurist, Autor

Rüdiger Grothues

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