Noch 140 Zeichen bis zur #Weltrevolution

#DoItLikeDeMaiziere Wenn eine Netzkampagne gefeiert wird, gilt deren inhaltliche Substanz als gesichert; das muss nicht stimmen

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Nachdem der Bundesinnenminister anlässlich einer Pressekonferenz nach der Absage des Fußballländerspiels Deutschland - Niederlande auf die Frage nach dem Gefährdungsgrund seine kryptische Äußerung über einen "Teil dieser Antworten", welche die Bevölkerung verunsichern" würden, kundgetan hatte, schickte ein junger Hannoveraner ein Hashtag auf die Reise, das die Twittergemeinde dankbar aufgriff. In der Folge wurde zum einen gefeiert, welches Witzpotenzial sich in der Kampagne offenbare, und zum anderen auch eine damit einhergehende politische Kritik am Innenminister registriert (siehe auch hier).
Es fragt sich allerdings, ob die beiden Einschätzungen einem näheren Blick standhalten.

Das sich aufdrängende Verfahren bewährte sich von der ersten Sekunde an: Der sibyllinischen de Maizière-Aussage wird eine x-beliebige Frage vorgeschoben, und das Ganze funktioniert sogleich.

So lässt sich auf der Ebene der Mann-Frau-Kalauerei, sonst in der Regenbogenpresse bestens aufgehoben, eine Frage à la "Meinst du, dass meine Figur...?" nunmehr schnell zum Witz aufpumpen mittels des nachgeschobenen "Ein Teil meiner Antwort...". Auf einer mittleren Ebene lassen sich auf diese Weise drängende Fragen nach der beruflichen Zukunft, auch der des Lothar de Maizière, trefflich anschärfen: "Wie findest du mich als Innenminister? Ein Teil meiner...".
Selbst von den letzten Dingen, die uns auf den Nägeln brennen, macht die Methode nicht Halt: "Stimmt es, dass Gott...? Ein Teil..."

Es bleibt aber dabei, dass der Großteil der zusammengeschraubten Kalauer nur von dem einen Satz des Politikers und dem impliziten Rückbezug auf dessen Äußerung im politischen Raum lebt.
Deshalb müssten also eigentlich de Maizière die Kränze geflochten werden. Ihm ist eine geschraubte, raffinierte Steigerung des patzigen "Das willst du gar nicht wissen" gelungen, die Transformations des Spruchs in eine staatstragende Form.
Sollte der Mann seine politischen Posten verlieren, so würde er ob seiner satirischen Talente sofort bei Titanic oder Eulenspiegel unterkommen, vielleicht auch in Paris, moi aussi je suis Charlie.

Vor allem aber kann der DoItLike..."-Initiative eine dezidierte politische Kritik gar nicht entnommen werden. Die Rezeption behauptet, es sei dem Politiker auf diese Weise Spott, gar Hohn und damit massive politischer Vorbehalt entgegengebracht worden. Nun, die Eingabegeräte sind keine Armlänge von den stets bereiten Akteuren entfernt, und ein bisschen Spaß muss sein; aber die schier endlose Aneinanderreihung einer Scherzanordnung gerinnt nicht automatisch zu fundierter viraler Politikkritik. Genauso gut lässt sich behaupten, dass die Aussage de Maizières einem Stresstest unterworfen worden ist, den dieser - bestanden hat.

Der Lackmustest, die Probe aufs Exempel findet derweil, wie stets, woanders statt.
Vor gut einem Monat wurde in Köln am Vortag der Wahl die designierte Oberbürgermeisterin Henriette Reker von einem mutmaßlichen Rechtsextremisten niedergestochen. Die Domstädter, stets sehr selbstgewiss, was den Kampf gegen Rechts angeht (Arsch huh), wollten unter anderem durch eine hohe Wahlbeteiligung am nächsten, dem Wahltag ein Zeichen setzen.
Diese betrug schließlich nur: Etwas mehr als 40%.
Aber zugegeben: Die Locations, die Wahllokale, vermutlich verwahrloste ehemalige Klassenzimmer mit Linoleumboden und Resopaltischen, boten auch wenig Eventcharakter.

Hätten die Stimmen mittels Tweet abgegeben werden können - es hätte ein gewaltiges Echo stattgefunden.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Rüdiger Grothues

Musiker, Jurist, Autor

Rüdiger Grothues

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