Verzahnung

Totholzlektüre mit digitalem Dessert: Über das gute Gefühl, einen Zeitungsartikel nicht ganz ausschließlich auf Papier zu lesen

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Neulich überkam es mich, ganz in den papierenen Wust vertieft, nach dem Lesen eines Artikels in der Wochenzeitung mit Sitz in Berlin und dem Namen eines Wochentages: Das Bedürfnis, jetzt im Internet nachzuschauen, wie die eine oder andere Wendung, These, Argumentation oder Attacke ihr Echo im Kommentarstrang gefunden hat, und in der plötzlichen Hoffnung, dass der Beitrag auch eine Online-Veröffentlichung erfahren hat.

Je nun, alter Hut, könnte man sagen: Print oder Online, gedruckt oder digital? Insoweit scheint die Sache entschieden: „Es gibt bereits heute in den USA kaum noch jemanden unter 35 Jahren, der Zeitungen auf Papier liest. In Zukunft werden wir ganz selbstverständlich Nachrichten auf Bildschirmen unterschiedlichster Größe und Machart empfangen.“ (so Joshua Benton, Leiter des Nieman Journalism Lab an der Harvard University, Cambridge, vor drei Jahren, einer Ewigkeit).
Aber nicht darum soll es hier gehen, sondern um die Wanderung von der einen in die andere Welt in einer Abfolge.

Voraussetzung dafür ist zunächst, sich in die Lektüre einer Zeitung derart zu versenken, dass in dem Augenblick nur dieses Medium existiert – kein Bildschirm, kein Display weit und breit, deren Leuchten dazu verführt, sich diesen Einfallstoren zur digitalen Welt zuzuwenden. Dabei hilft bestimmt, wenn die im Allgemeinen langsam verblassende Leseerfahrung eines Menschen dazukommt, der noch die Monokultur, meinetwegen auch Beschränktheit einer Lektüre kennt, die sich nur auf diesem Zeitungspapier abbildet: Es gibt nur diese Zeichen darauf, und sonst gar nichts.

Aber dann dämmert es nach diesem anregenden, ärgerlichen, zwiespältigen Artikelstudium in der analogen Blase, dass da noch andere Möglichkeiten locken, dass an einem anderen, digitalen Ort die Argumentationskette, eine vielleicht unausgewogene Quellenauswahl, ein unsauberes Zitat den Kommentarstrang bereits zum Anschwellen gebracht hat. Und tatsächlich, er ist schon da, dieser Thread – der nicht verglichen werden kann mit der alten Tradition der Leserbriefe, die ein beziehungsloses Nebeneinander zu fristen hatten (was allerdings von Fall zu Fall auch ein großes Glück bedeuten kann).

Und auf diese Weise kann sich bei der Wanderung von der einen abgeschlossenen Welt hinüber in die andere das Empfinden einstellen, das Beste zweier Sphären habe sich trefflich ergänzt und stelle nun das große Ganze dar.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Rüdiger Grothues

Musiker, Jurist, Autor

Rüdiger Grothues

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