Glaubt ihm kein Wort!

US-Primaries Jan Fleischhauer macht den Fehler, Donald Trumps vermeintliche Programmatik ernst zu nehmen. Gewiss ist jedoch nur: Er will gewinnen - mit allen Mitteln. Eine Replik

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Ihre Freitag-Redaktion

Sie beginnen Ihre Kolumne vom 16.05 meines Erachtens lügend. Guter Einstieg für einen Text, nicht? „Ich habe mir das Programm von Donald Trump angesehen“ soll wohl Ihre Kompetenz in Sachen US-Vorwahlkampf legitimieren. Problem: Er hat kein wirkliches Programm, wie Sie im zweiten Absatz dann selber anmerken. Doch die von Ihnen erwähnten „großen Linien“, in denen Trump denke, bieten eben keinen „ganz guten Überblick“ über den Präsidentschaftskanditaten, sondern ein abstruses Bild politischer Ausrichtungen aus allerlei was der Fönfrisur gerade opportun erscheint. Sie machen den Fehler, Trump inhaltlich ernst zu nehmen. Man muss ihn als Kandidaten, der möglicherweise (!) die ganze Welt vor allem wirtschaftlich auf den Kopf stellen könnte, thematisieren und wahrscheinlich fürchten. Aber nicht aufgrund einzelner Aussagen, seien diese nun spezifisch links oder rechts, sondern wegen der enorm großen Ambivalenz und der verschwindend geringen Souveränität und Beständigkeit, mit der Trump seine Positionen dauerhaft vertritt. Niemand, vermutlich Trump eingeschlossen, hat eine Ahnung wie die Vereinigten Staaten unter einem Staatsoberhaupt Donald T. kurz- und mittelfristig aussähen.

Sie verlassen sich nicht mehr auf Experten, die versuchen, Trumps Chancen zu negieren; gut so! Aber warum glauben Sie Trump selber dann noch ein Wort? „Ab einem bestimmten Punkt können wir einfach nicht mehr der Polizist der Welt sein“, hat er gesagt. Richtig. Genauso forderte er, neben den Terroristen selber auch gleich die kompletten Familien dieser zu töten. Einfach so warf er das im Frühstücksfernsehen in den Raum. Aber merke: „Krieg und Aggression werden nie meine ersten Triebe sein“, gab er uns ebenso zu verstehen. Genau wie, man müsse wieder für Stabilität in der Welt sorgen; gleichzeitig jedoch auch „unberechenbarer als Nation“ werden. Sein Diktum seiner kürzlich gegeben „Grundsatzrede“ zur Außenpolitik: „America first!“ kann halt alles, wirklich alles bedeuten. Das ist das Faszinierende an Trump: Er ist konservativer Kriegstreiber und linker Pazifist gleichzeitig; wenn er nur will. Der gemeine Trump-Fan und scheinbar auch Sie sehen in all dem keinerlei Widerspruch.

Im Englischen heißt es „to pivot“. Es bezeichnet eine Art Drehbewegung, also im politischen Sinne ein leichtes Ändern der politischen Ausrichtung bzw. der öffentlichen Schwerpunktsetzung eines Kandidaten. Teils als legitimes Angleichen der Meinung an die spezifische Wählerschaft abgenickt, treibt Trump das Ganze auf die Spitze – ohne das es auch nur kleine Teile seiner Anhängerschaft stören könnte. Kritiker nennen das dann pejorativ „flip-flopping“ und sprechen dem Kandidaten damit jegliche Glaubwürdigkeit ab. An Trump jedoch prallt bisher vieles ab, zumindest was die Umfragen angeht. Während er angesichts einer republikanischen Wählerschaft in den Vorwahlen rhetorisch und argumentativ an den äußersten rechten Rand des rechten Randes rutschte, dauerte es nicht lange bis er nach Ausscheiden aller Konkurrenten viele seine Positionen aufweichte, revidierte und teils schlichtweg leugnete. Die General Election steht an – und da lässt sich mit rechter Rhetorik kein Blumentopf, geschweige denn eine Wahl gewinnen. Die amerikanische Bevölkerung ist mehrheitlich, teilweise mit überwältigender Mehrheit, liberal eingestellt, wie z.B. eine Untersuchung des Umfrageinstituts Public Policy Polling ergab, bzw. wie sich auch an den Erfolgen eines Bernie Sanders ablesen lässt.

Also, Herr Fleischhauer, glauben Sie ihm kein Wort! Ich weiß nicht, ob Sie Trump nun mögen oder nicht. Sie sehen sich nicht als Rechten, doch irgendwie ist er für Sie rechts. Sie sind definitiv kein Linker, doch irgendwie ist er für Sie links. Sie finden ihn wohl mindestens komisch. Doch diese Überlegungen gehen an der Sache vorbei.

All about authenticity

Ihre konstruierte Verknüpfung, die vermutlich irgendwie Jakob Augstein und/oder die Linkspartei in Verruf bringen soll, zerfällt bei näherer Betrachtung. Ich glaube Sie hätten Interessantes zum US-Wahlkampf beizutragen – würden Sie ihn nicht erst seit zwei Wochen verfolgen. „Trump hat kein Problem mit Mindestlöhnen, er würde eine neue Gesundheitsversicherung einführen, und wenn er darüber redet, wie er amerikanische Arbeitsplätze sichern will, klingt er wie ein typischer Gewerkschaftsboss.“ Das schreiben sie im vorvorletzten Absatz Ihrer aktuellen Kolumne. Dass er in einer der ersten republikanischen Debatten noch postulierte: „Wages are too high!“, ist Ihnen wohl in der Twitter-Timeline damals untergegangen. Dass er weder Obama Care noch ein Sandersches Versicherungsmodell unterstützt wohl auch. Stattdessen beschwört er den absolut freien Wettbewerb zwischen den Versicherungskonzernen, will jegliche Gesetze dafür liberalisieren. Competition, competition, competition! Make healthcare great again! Und Donald Trump ein Gewerkschaftsboss? Ich bitte Sie: Trump hat von gerade mal 4 Gewerkschaften, passenderweise solche der Polizisten und Grenzschützer, öffentliche Unterstützungen, sogenannte „Endorsements“ erhalten. Und diese sind faktisch wertlos. Sie vereinen wenige Zehntausend Mitglieder auf sich. Zudem ist Trump nicht gerade bekannt für seine hohen Löhne, die er an seine Angestellten zahlt, geschweige denn für seine Bemühungen, die Bildung von Gewerkschaften innerhalb seiner Arbeiterschaft sonderlich zu fördern, geschweige denn überhaupt zu billigen.

Seine Position zum Mindestlohn ging vom erwähnten „Wages are too high in America“ zu „Im open to doing something on the minimum wage“ bis er letztlich doch zurückruderte zum konservativen Talking Point: „Let the states decide!“

Die Steuern betreffend ergibt sich ein ähnliches Bild und wirklich humoristische Rhetorik und Argumentation eines Donald Trump. Den republikanischen Wählern gab er zu verstehen, die Steuern seien viel zu hoch. Diese seien Belastung für die amerikanische Wirtschaft innerhalb der internationalen Konkurrenz – neoliberale Tradition. Am 08.05.2016 dann gab er dem Fernsehsender ABC ein Interview für die Geschichtsbücher. Plötzlich meint er, er wäre bereit mehr Steuern zu zahlen, das Unternehmertum und die Mittelschicht solle jedoch entlastet werden. Doch auch hier fallen teils bigotte Aussagen. Als der Interviewer anmerkt: „In Ihren Plänen gehen die Steuern allerdings auch für Sie [Herr Trump] runter“, antwortet er auf absurdeste Art und Weise mit „Nun, in meinen Plänen gehen sie runter, aber wenn die Verhandlungen zu Ende sind, werden sie steigen.“ Das ist als wenn die Grünen mit der Forderung, so viele Atomkraftwerke wie möglich so schnell wie möglich abzuschalten, in den Wahlkampf ziehen, sich letztlich aber auch mit dem Beschluss, zehn neue zu bauen, abfinden können.

Authentizität, Herr Fleischhauer, darum geht es! Und diese beanspruchen ein Jakob Augstein oder eine Linkspartei definitiv stärker als ein Donald Trump für sich – bei aller Kritik. Übrigens haben sie das Wichtigste weggelassen: Der gute Donald finanziert seinen Wahlkampf selbst und ist deshalb unabhängiger als alle anderen! Oder war. Zur General Election hat er sich nun Berater u.a. ehemalige Goldman Sachs Mitarbeiter eingekauft und plant etwa 1 Milliarde Dollar durch Spenden einzunehmen. Doch nichts scheint seinen Siegeszug aufzuhalten. Erste Umfragen sehen nun Trump gleichauf mit Clinton. Ersterer verkündete einmal bezüglich seiner Rhetorik, im Subtext aber auch bezüglich seiner Programmatik: „Ich bin dazu befähigt, mich in jeder Weise zu verändern, in der ich mich eben verändern möchte. […] Es wird anders werden, je näher ich ans Ziel rankomme.“ Er werde sich sehr schnell ändern, sei ein „gewisses Level“ erreicht.

Um es despektierlich zu sagen: Ihre Kolumne ist diese Woche großer Quatsch! Glauben Sie Trump kein Wort. Diskreditieren Sie nicht Publizisten oder Parteien anhand von Querverbindungen, die so keiner näheren Überprüfung standhalten. Trumps Inkonsequenz, Unbeständigkeit und konfuse Doppeldeutigkeit findet sich derart nicht in Deutschland – vor allem nicht bei den von Ihnen erwähnten Gruppen. Und ich bitte Sie: In Kritik an Herrn Augstein sind Sie doch geübt, da darf man mehr Qualität erwarten.

Und zu Trump sei gesagt, dass ausnahmsweise leider seine eigenen Worte gelten: "I could stand in the middle of 5th Avenue and shoot somebody and I wouldn't lose voters,"

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Steven Hartig

Freier Journalist und Autor

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