Langsam wird’s ernst

AfD Die AfD hat ihren Programmentwurf veröffentlicht und bietet damit so etwas wie politischen Inhalt. Ihre parlamentarische Arbeit sah bisher zumindest fragwürdig aus

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Wirklich eine Alternative? Wenn man das Programm gelesen hat, kann man das nicht mehr glauben. Die Programm der Partei würde eine trübe Zukunft bedeuten
Wirklich eine Alternative? Wenn man das Programm gelesen hat, kann man das nicht mehr glauben. Die Programm der Partei würde eine trübe Zukunft bedeuten

Foto: NIGEL TREBLIN/AFP/Getty Images

Langsam ist die Zeit vorbei in der sich die sogenannte Alternative für Deutschland relativ monothematisch durch die Lianen der öffentliche Debatte hangeln konnte. Mit nun acht Fraktionen in Landesparlamenten gilt es, sie, einer politischen Partei und der medialen Aufarbeitung würdig, an den politischen Inhalten zu messen und zu kritisieren.

Heute setzt sich unsere Vorstellung von der AfD vor allem aus einzelnen in den Raum geworfenen Thesen und Aussagen, der Reaktion und Gegenreaktion darauf, weniger aber aus tatsächlicher politischer Arbeit und kommunizierten politischen Inhalten und deren Angemessenheit, Realisierbarkeit und grundgesetzlicher Rechtmäßigkeit, zusammen. Prägend waren und sind Emotionalität, Simplifizierung, "kommunikative Katalysatoren" (Sascha Lobo), und die zum Drama neigende Berichterstattung. Aber lediglich gute Öffentlichkeitsarbeit bzw. ein von den Medien begünstigtes öffentliches Bild macht noch keine gute Politik.
Die AfD innerhalb der "Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer" im Europäischen Parlament bot aufgrund ihrer Größe (zwei Abgeordnete) sowie wegen der eher geringen Relevanz des EP im demokratischen Prozess keine Möglichkeit, sie anhand ihrer politischen Arbeit ordentlich zu evaluieren. Das ändert sich spätestens nach den Landtagswahlen vom 13. März.

Parlamentarische Bilanz: ernüchternd

Hamburg, Bremen, Brandenburg, Sachsen und Thüringen: In deren Parlamenten hatte die AfD seit 2014 Zeit, sich zu beweisen. Die Bilanz ist jedoch für eine Partei, die den Anspruch erhebt, eine ernst zu nehmende politische Kraft zu sein, ernüchternd, ja gar schockierend. Miro Jennerhahn (Grüner), der die AfD-Fraktion im Sächsischen Landtag von Anfang an beobachtete, zieht nach ausführlicher Analyse folgendes Resümee:

"Inhaltlich sind die Anträge der AfD überwiegend oberflächlich und ohne ernstzunehmenden Gestaltungsanspruch. Die Auswertung der Politikbereiche, in die die parlamentarischen Initiativen der AfD fallen, zeigt, dass die AfD thematisch sehr limitiert ist und sich in erster Linie auf die Innenpolitik stürzt. Damit versucht sie sich offenkundig als Law and Order Partei zu inszenieren."

Die AfD simuliere lediglich Politik und tue so, als würde sie ernsthaft inhaltlich arbeiten, so Jennerhahn, der für seine Thesen ausführlichst Zahlen, konkrete Anträge und Vergleiche mit der FDP, den Grünen und der NPD durchspricht und analysiert. Letztere drei Parteien hatten sich ebenso einmal in die sächsische landesparlamentarische Arbeit einzufinden, ohne auf einen Stock an Mitarbeitern und Strukturen aufbauen zu können, weshalb ihre Bilanz als Vergleichsmaßstab herangezogen wird.

Vielleicht ein kurzes aus den Ausarbeitungen Jennerhahns exzerpiertes Stück parlamentarischer Arbeit der sächischen AfD-Fraktion: Gefordert wurde in einem Antrag, Drucksache 6/1779, die Einführung eines "Begrüßungsgeldes für Neugeborene", pauschal 5000 € für in Sachsen geborene Kinder. Dies, so Jennerhahn, sei typisch für jedwede Anträge der AfD. Ein Satz mit politischer Forderung und die Aufforderung an die anderen,aktiv zu werden. Kein Wort über die Finanzierung dieses - bei etwa 36.000 Neugeborenen - 180 Millionen Euro-Projekts. "Schwache Leistung in der parlamentarischen Arbeit", attestiert Jennerhahn.

Aus anderen Landesparlamenten und Bürgerschaften gibt es ähnliche Berichte, die sicherlich – gerade wenn sie wie hier direkt von einer anderen Partei kommen – mit Vorsicht betrachtet, aber dennoch ernst genommen werden müssen.

Ab jetzt Inhalt und wirklicher Diskurs

Nun liegt seit gestern ein offiziell bestätigter Programmentwurf vor. 80 Seiten umfassend, geht das an Punkt 9 gesetzte Thema "Einwanderung, Integration und Asyl" in neunseitigem Umfang ja fast AfD-untypisch unter. Es ist insofern spannend, als es praktisch jedem Sozialkunde-Schüler der 11. Klasse möglich wäre, dieses Programm in fünf Minuten argumentativ auseinander zu nehmen. Es bietet gerade für linke Politik wahnsinnige Räume für Diskurs und Argumentation, was endlich nötig wäre, um die AfD in ihrem Image als "Heilsbringer für das deutsche Volk" zu entlarven.

Folgend sei nun auf ein paar Punkte des Programms eingegangen, welche (hoffentlich und voraussichtlich) medial im Streitpunkt der Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern, des Abgeordnetenhauses in Berlin im September sowie definitiv der Bundestagswahlen 2017 stehen werden. Natürlich gibt es für explizite Wahlen immer noch eigene Wahlprogramme, diese lehnen aber natürlich immer maßgeblich an das Parteiprogramm an, das die AfD Ende April verabschieden will.

Der schlanke Staat

Man könnte natürlich argumentieren, dass die als Verwaltungskrise daherkommende "Flüchtlingskrise", der soziale Brennstoff für Verteilungskämpfe und Pegida-Aufmärsche sowie immer stärker verfehlte Polizeiarbeit (Köln) maßgeblich durch eben jene neoliberale Ideologie des "schlanken Staates" verursacht wurden. Dann säße man allerdings nicht im AfD-Bundesvorstand. Das Parteiprogramm deklariert gewichtig in Punkt 1.2 den "schlanken Staat" als Garanten für den "freien Bürger" Man müsse sich auf die klassischen Gebiete der inneren und äußeren Sicherheit, Justiz, Auswärtiges und Finanzverwaltung zurückbesinnen. Das ist wortgetreue Tradition der preußischen Verwaltungsreform von 1808. Jedoch war es damals objektiv ein Fortschritt, heute wohl kaum. Umweltschutz, Soziales, Arbeitsmarktregulierung, Verbraucherschutz, Ernährungs- und Gesundheitspolitik, Bildung und Entwicklungshilfe gehen mittels dieses Dogmas tendenziell vor die Hunde.
Zudem wolle man prüfen inwieweit "vorhandene staatliche Einrichtungen durch private oder andere Organisationsformen ersetzt werden können", was im Subtext wohl heißt: Hoffentlich alle!

Europäische Union: Zwischen Demokratisierung und Dezentralisierung

Dass die AfD maßgeblich neoliberale Politik vertritt, wird deutlich an Punkt 2 "Euro und Europa". Man attestiert hier – tendenziell korrekt – die fehlende demokratische Legitimität der europäischen Institutionen sowie den "überbordenden Lobbyismus in Brüssel", zieht dann aber die völlig falschen Schlüsse. Lösung sei: Desintegration, Kompetenzübertragung zurück an die Nationalstaaten und ein Europa, welches wieder als "Wirtschafts- und Interessengemeinschaft souveräner, lose verbundener Einzelstaaten" gedacht wird. "Internationale Organisationen ohne Staatscharakter, die auf freier Übereinkunft beruhen" könnten dabei lediglich "hilfreich" sein.

Klingt nach dem Modus der Bewältigung der Flüchtlingskrise im Dauerzustand. Nur halt mit allen anderen Problemen, die in einer globalisierten Welt zwangsläufig auf alle Staaten der Europäischen Union zukommen und von diesen auch nur gemeinsam gelöst werden können, da ihr Ausmaß schlichtweg einzelstaatliche, nationale Lösungsmöglichkeiten und Kompetenzen überschreitet. Läuft auf "Jeder kann, niemand muss, nichts passiert!" hinaus. Man sakralisiert in wirtschaftlicher Hinsicht die EWG und in militärischer, außenpolitischer Hinsicht die Westeuropäische Union (1948-2011), also in sich keine supranationalen Vereinigungen, sondern lediglich mäßig intergouvernementale Zusammenschlüsse. Heute sehen wir jedoch, dass nationale Lösungen vor allem menschlich und moralisch verwerflich (Idomeni) aber auch rein faktisch nicht mehr den Problemen der Moderne, der globalisierten Welt gewachsen sind. Max Frischs Worte zur Migration, dass man Arbeitskräfte rief und Menschen kamen, muss man heute globaler denken. Man rief nach Wirtschaftskraft und Wettbewerbsfähigkeit und es kamen soziale Probleme wie Armutsmigration, Ressourcenkriege und der Klimawandel.

Steuern? Weg damit!

Besonders perfide ist die Kombination folgender Forderungen: Gewerbe-, Vermögens- und Erbschaftssteuer gänzlich abschaffen und gleichzeitig die Kommunen so reformieren, dass sie "für sich genommen insolvenzfähig" sind.
Begründet werden diese wirklich rigiden Steuerabschaffungen mit dem Argument, sie seien alle (!) mittelstandsfeindlich. Erstmal kann man das grundlegend in Frage stellen. Sicherlich gibt es Fälle in denen eine (übrigens sehr geringe) Erbschaftssteuer einem Mittelständler etwas kostete. Ob das nun aber großflächig mittelstandsfeindlich ist, erscheint fragwürdig. Gewerbe-, Vermögens- und Erbschaftssteuer sind jedoch vor allem eines: "reichtumsfeindlich". Sie belasten maßgeblich die oberen ein bzw. zehn Prozent. Ihre Erhöhung, bzw. überhaupt erstmal wieder ihre Erhebung (Vermögenssteuer) ist in Zeiten rasant wachsender sozialer Ungerechtigkeit bitter nötig, wird jedoch von der AfD stattdessen grundlegend zur Disposition gestellt.

Die Abschaffung der Gewerbesteuer im speziellen ist insofern perfide, als diese die Haupteinnahmequelle einer jeden Kommune darstellt. Bisher können Kommunen und Bundesländer de jure nicht pleite gehen. Dies soll in Zeiten finanzieller Not dafür sorgen, dass grundlegende staatliche Aufgaben der Kommunen und Bundesländer (Polizei, Feuerwehr, Abwasserbeseitigung, Schulwesen) noch erfüllt werden können. Folgen einer Umsetzung dieser Politik sind unvorhersehbar. Gerade auch durch die geforderte Nichtbeistandsklausel, die nach europäischem Vorbild Rettungsprogramme des Bundes für überschuldete Kommunen und Länder verbietet. Obwohl man eine Reform der Kommunen-Finanzierung anstrebt, (Punkt 11.4) bleibt eine Finanzierung (getreu sächischer Fraktions-Arbeit) vage. Man blubbert nur ein wenig von kommunaler Selbstverwaltung, Steuerfindungsrecht und in neoliberaler Tradition vom Wettbewerb zwischen den Bundesländern.

Wenn auch der Mindestlohn grundlegend akzeptiert, Privatisierungen in bestimmten Fällen unter den Vorbehalt der Zustimmung der Bürger gestellt und die soziale Marktwirtschaft eines Ludwig Erhard beschworen wird, bleibt ein fader Beigeschmack. Die meisten Subventionen abschaffen, Wohlstand national konnotieren, die Reichen belastende Steuern runter. Wenn man die neoliberale Politik des bisherigen dritten Jahrtausends als schlanken Staat mit engem Gürtel betrachtet, muss die große Masse unter einer AfD-Regierung zusätzlich das Anlegen des Korsetts, ja müssen die Schwächsten der Gesellschaft wohl rigoros staatlich angeordnete Magersucht befürchten.

Diese bilden nur ein paar der diskursträchtigen Forderungen des AfD-Parteiprogramms. Nun liegt es an den Medien und Parteien die Chance zu nutzen, die Alternative für Deutschland als das zu entlarven, was sie ist: Eine "Alternative", die für unsoziale, unmenschliche, teils rassistische und den heutigen Problemen nicht angemessene Politik steht. Würden alle tatsächlichen oder potentiellen AfD-Wähler diese 80 Seiten lesen und verstehen, stünde sie bundesweit bei weit unter 1%.

Mit der AfD ist das Konzept der illiberalen Demokratie und damit das Phänomen, dass Politiker gewählt werden, die fundamental die Rechte und eigentlichen Überzeugungen und Interessen der Bevölkerung konterkarieren, endgültig auch in Deutschland angekommen.

Artikel von Miro Jennerhahn über die Arbeit der Afd-Fraktion im sächsischen Landtag: http://publikative.org/2015/10/02/thematisch-limitiert-ein-jahr-afd-im-saechsischen-landtag/

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Steven Hartig

Freier Journalist und Autor

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